Kapitel 02 ~ Ein ganz (un-) normaler Tag

Am nächsten Morgen, - oder sollte ich besser sagen in tiefster Nacht? - wachte ich, dank meines schrecklich lauten und piepsigen Weckers, unsanft aus meinen wirren Träumen auf. Verwirrt und vollkommen desorientiert sah ich auf mein Handy, welches die Nacht neben mir verbringen darf und mit zusammengekniffenen Augen erkannte ich endlich die Uhrzeit: 4:06 Uhr, ich musste aufstehen und zur Frühschicht ins Krankenhaus!

Nachdem ich schlaftrunken und hundemüde in die Dusche und wieder hinausgetapert war, begann ich mit der allmorgendlichen Prozedur: - Zähneputzen, Kleider aus meinem viel zu kleinen Kleiderschrank suchen und sie anziehen, Kleider wieder ausziehen und andere anziehen, Haare machen und mich schminken und dann endlich in der Küche ankommen und auf den kleinen runden Knopf des Kaffeeautomaten drücken, um mir eine extra starke Portion Koffein zu verpassen.

Meine Lebensgeister erwachten und nachdenklich blickte ich aus dem kleinen Küchenfenster, welches mir einen wunderschönen Ausblick auf den Sonnenaufgang über der Hamburger Skyline verschaffte. Es hatte also doch etwas Gutes zu früh aufzustehen.

Meine Gedanken kreisten noch immer um diesen geheimnisvollen Kerl, er lies mich einfach nicht los, dieser Vlad … Nichteinmal während ich schlief waren meine Gedanken frei von ihm und die Erinnerungen an die Träume der letzten Nacht erfüllten mich zunehmend mit Schrecken. Auch wenn er mir in meinen Träumen niemals weh getan hatte, machte er doch einen sehr bedrohlichen Eindruck auf mich, doch ich konnte mich nicht fern von ihm halten …

Mit einem letzten großen Schluck leerte ich meine Kaffeetasse und sah auf die Uhr, 5:30 , ich musste los, meine Schicht begann in einer halben Stunde.

Nachdem ich mich durch den morgendlichen Verkehr gequält hatte, kam ich genau eine Minute vor Schichtbeginn am Krankenhaus an und konnte sofort mit meiner Arbeit auf Station 3 beginnen, nachdem ich mich umgezogen hatte. Station 3 war die Unfallstation und wie immer reichlich belegt. Von Schnittwunden über Schusswunden, bis hin zu richtig ekeligen Verletzungen bei denen nur noch die Amputation des Beines oder so etwas in der Art half, war auf dieser Station wirklich alles vertreten. Ich war als Krankenschwester angestellt, diesen Beruf hatte ich gelernt, doch mein Ziel war es an einer der Universitäten Hamburgs zu studieren und Unfallärztin im Außendienst zu werden. Ob ich dieses Ziel jemals erreichen würde, stand noch weit in den Sternen, fürs erste ging es hier ums reine Überleben und Geldverdienen.

Nach acht sehr anstrengenden Stunden durfte ich dann um 14:00 Uhr das Krankenhaus verlassen und hatte frei. Ich hatte es nicht besonders eilig zu meinem Auto zu kommen, also nahm ich einen kurzen Umweg zum Parkplatz des Krankenhauses, durch den nahen Wald. Es war kein besonders erfolgreicher Arbeitstag gewesen, zwei Patienten hatten wir verloren, doch wenn ich eines in diesem Job gelernt hatte, dann war es das Abschalten. In meiner Ausbildung wäre ich jedes Mal fast durchgedreht, als ein Patient sein Leben ließ, doch mittlerweile gehörte es zu meinem grausamen Alltag … Ein kurzes Lächeln huschte mir über die Lippen, als ich meine Gesicht in die Strahlen der warmen Mittagssonne reckte und ich ging noch ein kleines Stück weiter in den Wald hinein. Wozu nach Hause, wenn dort eh niemand auf mich wartete? Wozu nach Hause, wenn es doch hier so wunderschön war? Immer weiter trugen mich meine Füße in den Wald hinein und links und rechts vom Weg wurden die Sträucher und Gräser immer dichter, die Tiere kamen näher und das Summen wurde lauter … Ganz plötzlich schreckte ich aus meinen Gedanken auf und fühlte mich wie in einen meiner Träume versetzt. Die Bäume des Waldes standen dicht an dicht und saugten beinahe alles Licht der Frühlingssonne auf. Ich hörte ein Knirschen und Knacken und Panik machte sich breit. Mein Puls begann hektisch zu rasen und mein Herz sprang mir fast aus der Brust, so schnell schlug es. Ich war einfach ein viel zu großer Angsthase …

Ich drehte mich auf dem Absatz um und lief den Weg, den ich gekommen war, zurück. Viel länger als ich gedachte hatte, war kein Sonnenstrahl zu sehen und plötzlich vernahm ich zu meiner rechten ein Flügelschlagen, welches mir auf unheimliche Weise bekannt vorkam. Schon sah ich sie, ein riesiger Schwarm Fledermäuse, der elegant zwischen den Bäumen hin und her flog. Sofort dachte ich an meinen Traum und an Vlad und obwohl ich beißende Angst verspürte und unter normalen Umständen wahrscheinlich ohnmächtig geworden wäre, verlangsamte sich mein Pulsschlag und mein Herz begann sich zu beruhigen.

Sie würden dir niemals etwas antun. Du brauchst keine Angst zu haben.“ , flüsterte Vlad und legte eine Hand auf meine Schulter.

Schaudernd schloss ich meine Augen und öffnete sie nach wenigen Sekunden wieder. Der Schwarm war noch immer da, doch schien er deutlich langsamer geworden zu sein und auf eine merkwürdige Art sanfter … Ich begann gerade damit mir die Frage zu stellen, weshalb diese Fledermäuse mitten am Tag, in einer solch komischen Konstellation, in diesem Waldstück herumgeisterten, da vernahm ich die Stimme zweier Männer, die sich scheinbar auf dem selben Waldweg befanden wie ich.

Ich sah in die Richtung aus der die Stimmen kamen und als ich zurückblickte waren die Fledermäuse verschwunden …

„Hey, was macht denn ein Mädchen allein so tief im Wald?“ , hörte ich eine Stimme sagen und fand mich plötzlich vor zwei recht gut aussehenden Männern wieder. Der Mann, der gesprochen hatte war bloß wenige Zentimeter größer als ich, hatte blondes Haar und blaue Augen, der andere war um einiges größer, mit dunklen Augen und Haaren.

„Woher wollt ihr wissen das ich allein bin?“ , fragte ich und versuchte so freundlich zu lächeln wie es eben ging. Mein Gefühl sagte mir, dass von den beiden keine Gefahr ausging, doch man konnte ja nie wissen.

„Geraten.“ , sagte der Blonde und neigte seinen Kopf leicht zur Seite, während er mir ein Lächeln schenkte. „Ich bin übrigens Dean und das hier ist Aidan.“ , stellte er sich und seinen Freund vor.

„Freut mich sehr euch kennenzulernen.“ , erwiderte ich und unterzog beide noch einmal einer kurzen Musterung. Sie mussten etwa Anfang 30 sein, also einige Jahre älter als ich, doch das Alter hatte mich bisher noch nie abgeschreckt.

„Nun, unsere Frage hast du aber noch nicht beantwortet.“ , mischte Aidan sich und und lächelte mich ebenfalls an.

„Ich bin nach Feierabend spazieren gegangen und habe mich schlicht und ergreifend etwas verlaufen. Nun bin ich auf dem Weg zu meinem Auto.“ , antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Wir begleiten dich.“ , sagte Dean gut gelaunt und tatsächlich wurde ich von den beiden Männern durch den Wald bis hin zu meinen Auto eskortiert.

„Das wäre wirklich nicht nötig gewesen.“ , nuschelte ich etwas verlegen, als wir an meinem auffallend blauen Auto ankamen. „Ich hätte den Weg wirklich alleine gefunden.“

Dean und Aidan grinsten noch immer und so langsam ging mir das ewige Dauergegrinse ziemlich auf die Nerven.

„Du hast gesagt, du hättest dich verlaufen. Und außerdem, wir haben das gern gemacht, oder Dean?“

„Ja, hatten doch sowieso nichts anderes zu tun. Ich bin noch ein paar Tage hier im Krankenhaus untergebracht und Aidan hatte mich gerade besucht.“ , antwortete Dean.

„Du bist hier im Krankenhaus stationiert? Wo?“ , fragte ich etwas perplex und bemerkte erst nachdem die beiden sich verwirrt ansahen, wie blöd meine Frage gestellt war. „Ich meine, auf welcher Station.“

„Achso. Auf Station 2. Ne kleine Magen-OP, alles in Ordnung.“ , sagte Dean und lächelte sein Strahlemannlächeln.

„Weshalb fragst du?“ , wollte Aidan wissen und ich muss wohl oder über zugeben, der Kerl sah wirklich verdammt gut aus. Im Wald hatte ich es wohl übersehen vor lauter Angst und Selbstschutz, doch nun machte er mich doch ein wenig nervös und verlegen …

„Ich arbeite hier in diesem Krankenhaus.“ , antwortete ich ihm und sah ihm direkt in die braunen Augen.

Nachdem ich mich von beiden verabschiedet hatte und endlich in meinem Auto auf dem Weg nach Hause saß, war ich um gleich zwei Telefonnummern reicher und um ein, mir abgenommenes Versprechen, Dean auf seinem Zimmer zu besuchen, ärmer.

Schon lustig, jahrelang begegnete ich nicht einem einzigen Mann, der sich für mich zu interessieren schien und der auch mir gefiel und nun waren es gleich drei auf einmal, die in meinem Kopf herumgeisterten. Schmunzelnd fuhr ich durch den Stadtverkehr und als ich an meiner Wohnung ankam war es nur noch Vlad, der in meinen Gedanken war. Die Fledermäuse hatte ich schon beinahe vergessen.

Ich parkte meinen Wagen in der Tiefgarage und stieg die steinerne Treppe hinauf, die mich etwa drei Häuserblöcke von meiner Wohnungstür entfernt ans Tageslicht brachte. Es dämmerte bereits und verwirrt sah ich auf mein Telefon, um die Uhrzeit zu checken. Es war bereits nach 18 Uhr, ich war eine halbe Ewigkeit in diesem Wald gewesen!

Eilig ging ich den Fußweg entlang und schnell kam meine Wohnung in Sichtweite. Oh wie sehnte ich mich nach einem entspannten Abend.

Wieso sehen wir dieses Leben als einzigartig an, Mina, wieso?“

Ich hörte die Stimme leise flüstern und doch konnte ich ihn sofort ausmachen. Auf der anderen Straßenseite, direkt gegenüber meiner Wohnung, stand Vlad gegen eine Hauswand gelehnt und den starren Blick auf mich gerichtet.

Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich den großen Mann dort im Dämmerlicht stehen sah, doch es war keine Angst, die ich verspürte.

„Vlad? Wartest du etwa auf mich?“ , fragte ich ihn und blieb vor meiner Tür stehen.

„Ich wollte bloß sichergehen das du gut nach Hause gefunden hast, My Lady.“ , sagte er und blickte mich aus diesen dunklen Augen an.

„Na-Natürlich...“ , stammelte ich und nestelte wiedereinmal an meinem Schlüssel herum, für den noch immer ein Anhänger fehlte. Ach ich liebte Rituale …

All meinen Mut zusammennehmend sah ich dem unbekannten Mann ins Gesicht. Er war unfassbar schön und die Begegnung mit Aidan und Dean schien wie weggeblasen, als ich meine Stimme wieder fand. „Möchtest du vielleicht einen Kaffee trinken? Ich habe eine wirklich tolle Maschine, die macht sogar Kakao.“ , brabbelte ich drauf los und noch bevor ich den Satz beendet hatte, wollte ich mich gerne selbst erschlagen! Doch wider aller Erwartungen lächelte Vlad, nickte und kam über die Straße auf mich zu.

„Ich würde mich sehr freuen, Ihnen Gesellschaft leisten zu dürfen.“ , sagte Vlad und neigte den Kopf leicht vor mir.

Ein ziemlich dämliches Grinsen huschte mir über die Lippen und erstaunt sah ich ihn an. Er machte mich irre mit seinem altmodisch, höflichen Gehabe, doch irgendwie hatte es auch etwas an sich.

Ich schloss also die Haustür auf und bat den mit nahezu Unbekannten in meine Wohnung …

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