Kapitel 51 - November 1965

Ahilea

Diese Nacht hatte Ahilea nur bedingt gut geschlafen. Zumal sie gestern auch so einiges erfahren hatte, was sie sehr stark beschäftigte. Es warf ein ganz anderes Licht auf die DeLarias. Und Ahilea war sich nicht sicher, ob dies nun gut oder schlecht war. Vampire traf man schliesslich nicht jeden Tag an. Es fühlte sich immer noch seltsam an, wenn sie daran dachte, dass sie sogar einen davon geküsst hatte. Peter sah nicht aus wie ein Vampir, einmal davon abgesehen, dass er wirklich verboten gut aussah, was aber anscheinend zum grössten Teil an den Vampirgenen lag. Doch Ahilea konnte sich nicht vorstellen, dass er in seinem menschlichen Leben unattraktiv gewesen sein soll. Nein, das konnte einfach nicht der Fall gewesen sein.

Beim Frühstück erfuhr sie noch mehr wichtige Aspekte über das Leben eines Vampirs, unter anderem auch, dass es ziemlich viele Regeln gab, die die Freiheit eines jeden Vampires stark einschränkte. Was aber auch gut so war, schliesslich wollte kein normaler Mensch, dass Vampire hier willkürlich Menschen aussaugten und sie töteten, ja sogar in ihresgleichen verwandelten. Ausserdem gab es verschiedene Clans, die aber gegenseitige Rivalkämpfe führten. Laut Peter war der Clan der DeLarias auch eher klein und unbedeutend im Vergleich zu den meisten anderen. Zumindest im Moment noch, hatte er hinzugefügt. Ganz so, als sollte sich das früher oder später ändern. So erfuhr sie auch, dass sie bedeutendsten Clans die der Nights und der Westfalls waren und man sich besser von ihnen fernhalten sollte. Das Lillian ebenfalls ein Mitglied des Night-Clans war, vergass Ahilea in der ganzen Aufregung beinahe. Das spielte hier nur eine kleine, unbedeutende Rolle.

Peter hatte all ihre Fragen bereitwillig beantwortet und es schien auch nicht so, als wäre es ihm unangenehm gewesen. Ganz im Gegenteil. Es war ihr fast so vorgekommen, als würde er ihr Interesse und die Aufmerksamkeit, die dieses mit sich brachte, zu geniessen. Und so erfuhr Ahilea auch alles, was sie wissen wollte, was ihr nur zugute kam. Sie wollte alles wissen, wenn sie schon mit dieser Familie unter ein und demselben Dach leben musste. Man konnte nie vorsichtig genug sein, das hatte sie inzwischen gelernt.

Plötzlich riss ein lautes Scheppern sie aus ihren Gedanken und sie fuhr von ihrem Bett hoch, auf dem sie bis eben noch gesessen hatte. Sie schlich zur Tür und lauschte, doch wieder hörte sie nur dieses laute Geräusch. Sie zögerte, ob sie es wagen sollte, nachzusehen, um was es sich dabei handelte, doch schliesslich siegte die Neugier und sie öffnete so leise wie möglich ihre Kammertür. In einer solchen Situation hatte sie sich schon einmal befunden, das war ihr klar. Und dort hatte die Neugier sie ebenfalls dazu veranlasst, unbedacht zu handeln. Und war es gut ausgegangen? Nein, war es nicht!

Auf Zehenspitzen schlich sie hinunter ins Erdgeschoss und was sie in der Eingangshalle sah, liess sie stocken. Ein älterer Mann, es handelte sich dabei um Mr DeLaria, lag auf dem Boden und rührte sich nicht. Sie konnte auf den ersten Blick nicht erkennen, was mit ihm nicht stimmte, doch es sah nicht so aus, als wäre er verletzt. Trotzdem eilte Ahilea auf ihn zu und rüttelte ihn an seiner Schulter. Sie wollte schliesslich nicht, dass man ihr später vorwerfen würde, sie hätte in einer Notsituation keine erste Hilfe geleistet.

«Mr DeLaria!», rief sie. «Können sie mich hören?» Er stöhnte, machte aber keinerlei Anstalten, etwas zu sagen. «Mr DeLaria!» Sie rüttelte an seiner Schulter, um ihm eine grössere Reaktion als ein gequältes Stöhnen zu entlocken. Eine, mit der sie herausfinden konnte, was ihm fehlte. Denn bloss jetzt hatte sie keine Ahnung, woran sein Zusammenbruch liegen konnte.

Er stöhnte erneut und öffnete ein Auge. Endlich, eine Reaktion! Gleich darauf überkam sie aber eine Gänsehaut, denn seine Augen waren echt unheimlich. Ahilea konnte ganz eindeutig ein rotes Glimmern darin sehen. Doch sie dachte nicht daran, was der Auslöser dafür hätte sein können. Sobald Mr DeLaria Ahilea richtig erkennen konnte, hatte er blitzschnell ihr Handgelenk gepackt und umschloss es mit seiner grossen Hand, sodass Ahilea nicht mehr zurückweichen konnte. Es kam so plötzlich, sie hätte nicht ausweichen können. Panisch zuckte sie zusammen und erinnerte sich an Peters Worte, dass ein hungriger Vampir unberechenbar war. Sie begann, sich zu winden, in der Hoffnung, Mr DeLaria so entkommen zu können. Doch dies war reines Wunschdenken, da er einfach zu stark war. Kein Wunder, er war ja auch ein Vampir. Wie hatte sie das nur vergessen können. Innerlich schalt sie sich selber für ihre Dummheit.

Seine Augen glitzerten gierig und er kam ihr immer wie näher. Das raubtierhafte Funkeln in ihnen war richtig unheimlich und jetzt knurrte er sie auch noch an! Ahilea hatte keinerlei Chancen, ihm auszuweichen, geschweige denn, ihm zu entkommen. Also musste sie hilflos mit ansehen, wie Mr DeLaria den Kopf neigte und mit seinen Lippen ihren Hals entlangfuhr. «Köstlich riechst du, meine Liebe», murmelte er, sein heisser Atem strich über ihre eiskalte Haut. Kläglich wimmerte sie auf, doch Mr DeLaria murmelte ihr beruhigend zu, dass alles gut wäre.

Aber Ahilea wusste, dass dem überhaupt nicht so war. Ganz im Gegenteil, sie schwebte in grosser Gefahr. Was, wenn er sie töten würde? Niemand war da, um ihr zu helfen. Hätte sie doch nur auf Peters Warnung gehört und wäre in ihrem Zimmer geblieben. Sie verfluchte sich selbst dafür, so unvernünftig und instinktiv gehandelt zu haben. Doch auch dies half ihr nun nicht mehr weiter. Was geschehen war, war geschehen, daran liess sich nichts mehr ändern. Sie holte tief Luft, um zu schreien, doch Mr DeLaria entging dies nicht. «Untersteh dich, oder du bist schneller tot, als dir lieb ist», knurrte er und Ahilea hielt instinktiv inne, was ihr Gegenüber ausnutzte.

Als sie dann Mr DeLarias Zähne spürte, die an ihrer Haut knabberten, schloss sie die Augen. Sie wollte sich das, was gleich unweigerlich geschehen würde, nicht mit ansehen. Sie konnte einen scharfen und spitzigen Schmerz vernehmen, als seine Zähne die weiche Haut ihres Halses durchbohrten und dann war da nur noch ein Kribbeln, welches immer stärker wurde. Von Sekunde zu Sekunde konnte Ahilea fühlen, wie ihre Kraft sie verliess, je mehr der Vampir von ihrem Blut trank. Der plötzliche Blutverlust schwächte sie enorm und ihre schwache Gegenwehr verstummte auf der Stelle. Ihr wurde langsam aber sicher schwarz vor Augen und sie konnte sich nicht mehr gegen die plötzliche Dunkelheit wehren, die sie überkam.

Wie aus weiter Ferne bekam sie mit, wie jemand Mr DeLaria von ihr herunterriss und ihren Namen rief. Das unerträgliche Gewicht verschwand von ihr, doch sie fühlte sich noch immer so, als würde sie ersticken. Das Atmen fiel ihr zunehmend schwerer, trotzdem hörte sie wie aus weiter Ferne, wie ihr Name erneut gerufen wurde. Peter. Das wusste sie instinktiv. Sie spürte schwach, wie seine starken Arme sie umschlossen und hochhoben. Kurze Zeit später wurde sie auf etwas Weichem abgelegt.

Immer wieder rief Peter ihren Namen, doch sie konnte ihm nicht antworten. Sie wollte es, doch in ihrem Inneren war diese Blockade. Wie eine unüberwindbare Mauer, zu hoch und zu glatt, um daran hochzuklettern. Langsam aber sicher konnte sie fühlen, wie das Leben sie verliess. Das war es also. Ihr Ende. Viel früher kam es, als dass sie angenommen hatte. Doch Mr DeLaria hatte zu viel von ihrem Blut getrunken. Das würde sie nicht überleben. Und das wusste sie, auch ganz ohne Arzt zu sein.

«Ahilea, hörst du mich? Gib nicht auf, ich bin hier!», rief Peter, doch seine wahrscheinlich laut ausgesprochenen Worte drangen nur ganz leise an ich Ohr. «Lea, komm schon!» Jetzt klang er nur noch verzweifelt, das konnte sie unschwer heraushören. Weiterhin rüttelte Peter an ihrer Schulter, er schien nicht so leicht aufzugeben. Ganz im Gegensatz zu ihr, die es schon längst getan hatte. Für sie gab es keine Chance mehr. Wieder einmal mehr verfluchte sie ihre Neugier, doch zu mehr fehlte es ihr an Energie. Diese sank noch immer rasend schnell und würde bald schon den Nullpunkt erreichen. Und dann war es aus mit ihr. Aus und vorbei. So schnell ging es also.

Peter hatte mittlerweile auch damit aufgehört, ihren Namen zu rufen, was Ahilea darin bestätigte, dass es sowieso sinnlos gewesen wäre, zu hoffen, dass es für sie noch eine Chance auf Überleben gäbe. Nein, sie würde sterben. Hier und jeden Augenblick war es soweit. Wenigstens würde sie dann ihre Mutter wiedersehen, von der sie annahm, dass sie sich bereits nicht mehr unter den Lebenden befand. Zu schlimm war ihre plötzliche Krankheit gewesen und zu aggressiv, um ohne Medikamente geheilt zu werden.

Doch plötzlich verspürte Ahilea einen scharfen Schmerz an ihrem Handgelenk, der sich rasend schnell in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Viel schlimmer, als derjenige, den sie gefühlt hatte, als Mr DeLaria sie gebissen hatte. Sie wollte die Hand wegziehen, doch ein fester Griff und die fehlende Kraft dazu, hinderten sie daran. Es fühlte sich an, als würde sie von Innen heraus brennen. Oder als würde sie über brennende Kohle gehen müssen. Hätte sie die Kraft dazu gehabt, hätte sie jetzt laut geschrien, doch sie war zu schwach dafür. Also blieb sie stumm und ertrug diese Höllenqualen, die von Sekunde zu Sekunde schlimmer wurden, ehe sie schliesslich gänzlich in der Dunkelheit versank, die sie mit offenen Armen willkommen hiess, und gar nichts mehr fühlen konnte.

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