Kapitel 43

Ahilea

Als ich heute Morgen aufgewacht war, wusste ich instinktiv, dass ein guter Tag werden würde. Das war mir einfach bewusst gewesen. Zudem hatte ich Cal kein einziges Mal gesehen, was hiess, dass er entweder zu Hause geblieben war oder sich auch irgendwo hier im Park herumtrieb. Ich hoffte auf ersteres, konnte aber nicht sagen, ob er tatsächlich nicht hier war. Aber ich beschloss, einfach so zu tun als ob. Mir war mittlerweile egal, ob er unsere Gespräche belauschte oder nicht. Ich war es leid, etwas zu verheimlichen. Nun war ich also hier und sass mit Ash auf dieser Bank im Sonnenschein und wartete darauf, dass er endlich anfangen würde, zu sprechen.

Gespannt sah ich Ashton an. Er schien zu zögern, gab sich dann aber einen Ruck und fing an. Während er sprach, war ich gefangen in seinen wundervollen Augen, und es fühlte sich an wie Tauchen, nur dass ich nie wieder das grüne Meer verlassen wollte.

«Ich habe in letzter Zeit viel nachgedacht», fing er an. War das jetzt etwas Gutes, oder doch nicht? Ich konnte es nicht wirklich einschätzen und das liess mich nervös die Hände ringen. Ash entging das nicht und er legte seine Hand auf meine eigenen, die im Vergleich so klein und zart wirkten. Fest sah er mir in die Augen. Ganz so, als wolle er mich dazu bringen, aufzuhören. Als wolle er mich beruhigen. «Und da ist mir bewusst geworden, wie viel mir unsere gemeinsame Zeit, wie viel du mir bedeutest», fuhr er fort, die Stimme fest, die Wort klar und deutlich. Meine Augen wurden grösser. Wollte er mir etwas sagen, was er fühlte? Und konnte es sein, dass er das Gleiche wie ich empfand.

Doch Ash sprach nicht weiter, sondern beugte sich vor und kam mir immer näher, und reflexartig leckte ich mir über die Lippen, was seine Aufmerksamkeit auf diese lenkte. Wenn es könnte, würde mein Herz jetzt wie wild schlagen, als ich seinen Atem auf meinen Lippen spürte. Wie lange hatte ich mir genau das erträumt, wie oft hatte ich es mir vorgestellt? Und nun war es tatsächlich real, nicht blosse ein schöner Traum.

Scheiss auf die Vernunft, ich dachte nicht weiter an die Tatsache, dass wir eigentlich Feinde waren, sie verblasste einfach. Ich sah nur ihn, spürte die Wärme seines Körpers neben meinem und sah in seine wunderschönen Augen. Ich war diesem elektrischen Knistern zwischen uns machtlos verfallen. Wir waren uns inzwischen so nah, dass wir dieselbe Luft einatmeten. Ich war mir nie zuvor sicherer gewesen, dass ich mich unsterblich in Ashton verliebt hatte. Unsterblich, wie ironisch. Ashtons Blick wurde dunkel, vorhin hatte er mich noch zärtlich angesehen. Von diesem Augenblick an war ich verloren und küsste ihn.

Ashton schien zuerst ein bisschen überrascht zu sein, dass ich den letzten Schritt gewagt hatte, doch er erwiderte den Kuss.

Es fühlte sich an, als würde ich das erste Mal geküsst werden. Meine Finger hatte ich in die Lehne der Bank gekrallt. Ashton hielt sich zurück, doch ich vertiefte den Kuss und lasse sachte meine Zunge vorschnellen. Ashton hob mich ohne Mühe hoch und platzierte mich auf seinem Schoss. Ich umfasste sein Gesicht mit meinen Händen. Ich war berauscht von ihm und den Gefühlen, die er in mir auslöste. Nie zuvor hatte ich ähnlich empfunden wie in diesem Moment. Kurz löste ich mich von seinen Lippen, um Luft zu holen, senkte sie dann aber wieder auf Ashtons.

Schliesslich lösten wir uns von einander und ich öffnete meine Augen, die ich während dem Küssen geschlossen hatte. Ich leckte mir über meine geschwollenen Lippen und sah ihn unsicher an. Diese verflog aber wieder, da Ashton mich strahlend anlächelte. Er berührte mein Gesicht und strich mir sanft eine Haarsträhne hinters Ohr, welche nach vorne gerutscht war. «Du bist umwerfend, Ahilea», flüsterte er rau, was mir die Röte ins Gesicht trieb. Er schaffte es einfach mit nur wenigen Worten, mir alles Zweifel zu nehmen und liess mich fühlen, als wäre ich tatsächlich begehrenswert. Er holte das Beste aus mir hervor und brachte mich dazu, mutiger zu sein, als ich es eigentlich war.

Wieso hatten wir dieses Gespräch nicht bereits viel früher geführt? Bevor dieser ganze Schlamassel begonnen hatte. Das hätte mir jede Menge Zweifel und schlaflose Nächte erspart. Aber egal, Hauptsache, wir haben es überhaupt getan und nicht für immer totgeschwiegen, wie es noch so oft vorkam.

Erneut küsste er mich, diesmal feuriger und leidenschaftlicher, und nicht mehr sanft.

Als wir uns voneinander lösten, verspürte ich beinahe körperliche Schmerzen, da ich es jetzt schon liebte, von ihm geküsst zu werden. Ashton lehnte seine Stirn an meine und flüsterte: «Ich liebe dich, Ahilea.» Diese Worte bescherten mir eine Gänsehaut und ich musste mich räuspern. Viel zu oft hatte ich sie mir erträumt, aber nie daran gedacht, sie wirklich einmal aus seinem Mund zu hören. «Ich liebe dich ebenfalls, schon länger als ich mir bewusst war», flüsterte ich mit rauer Stimme. Ashton lächelte sanft und drückte meine Hand. «Ich kann es nicht glauben», flüsterte er. «Es fühlt sich an wie ein Traum, zu schön um wahr zu sein.» Nur zu gut konnte ich ihn verstehen, schliesslich war ich ebenso ungläubig über das soeben Geschehene, wie er es war. Sanft strich ich über seine Hand, eine solch leichte und hauchzarte Bewegung, die ihre gewünschte Wirkung dennoch erzielte, und flüsterte: «Es ist real, glaub mir.»

Eine Weile schwiegen wir und genossen einfach das Gefühl, dass der jeweils andere bei einem auslöste. Doch langsam fand ich auch wieder in die Realität zurück. Und die war leider nicht so rosig, wie ich es gerne gehabt hätte. Wäre ja auch zu schön gewesen. Glück war eben auch nur begrenzt. «Was tun wir hier nur?», flüsterte ich und sah ihn zweifelnd an. «Es ist uns doch verboten, das zu tun. Wenn das jemand herausfinden, bekommen wir eine Menge Ärger.» Ashton schwieg.

Schon wieder wurde ich von seinen Lippen abgelenkt, die noch immer vom Küssen gerötet waren und ein hübsches Bild boten. «Mach dir keine Sorgen, Ahilea. Wir finden einen Weg.»

Und ich glaubte ihm. Ich würde Ashton mein Leben anvertrauen, tat es gewissermassen auch schon, indem ich mich ihm geöffnet hatte. Und spätestens, nachdem ich mich im hier und heute praktisch an den Hals geworfen hatte, dürfte auch ihm das klar sein.

Langsam wurde es Zeit, zu den anderen unserer Gruppe zurückzugehen. Wir standen auf und Ashton griff nach meiner Hand, was ein erneutes Glücksgefühl in mir auslöste. Hand in Hand liefen wir zu den Anderen, die uns grinsend und pfeifend erwarteten.

«Hattet ihr viel Spass?», fragte Rose mit hochgezogenen Augenbrauen und deutete auf meine zerzausten Haare. Anzüglich wackelte sie mit den Augenbrauen. Dies zeigte mir auch, dass sie mich, sobald wir alleine waren, zur Rede stellen und alles erfahren wollen würde. Das hätte sie eh, schliesslich war sie nicht im sonst meine beste Freundin. Wenn ich es ihr nicht erzählen würde, wem den sonst? Von Lillian einmal abgesehen.

Beschämt grinste ich, erwiderte aber nichts darauf. Das war etwas, das nur Ash und mich etwas anging. Dennoch würde mir nichts anderes übrigbleiben, als darüber zu reden, denn sowohl Rose als auch Lil würden nicht eher locke lassen, bis sie alles bis ins noch so kleinste Detail genau wussten. Das konnte ich mit ruhigem Gewissen behaupten, denn dafür kannte ich die zwei gut genug.

Man gratulierte uns und Chris meinte, dass es auch langsam Zeit gewesen war. Laut ihm waren wir seit Wochen umeinander herumgeschlichen. Und er hatte Recht. Doch etwas hatte mich zurückgehalten und das war die Tatsache gewesen, dass ich unsere Freundschaft nicht hatte an den Nagel hängen wollen. Zudem war die ganze Sache ziemlich kompliziert, zumal die Lage zwischen unseren Clans nicht gerade rosig aussah. Ganz im Gegenteil. Es brauchte nur eine kleine Sache, und das Fass würde überlaufen. Und dann würde es zum Krieg kommen. Aber daran wollte ich jetzt nicht denken. Zu schön war das, was Ashton und ich gerade erlebt hatten. Ich schwebte wie auf Wolke sieben und wenn ich Ashtons Gesichtsausdruck richtig deutete, ging es ihm genauso.

Mir Rose zusammen ging ich voraus und sie liess es sich nicht nehmen, mir an einem Stand ein riesiges Eis zu kaufen, mit der Begründung, ich hätte es mir reichlich verdient, indem ich diesen Schritt nun endlich getan hatte. Und da die anderen mir natürlich nicht einfach nur dabei zusehen wollte, wie ich mein Eis verdrückte, kauften sie sich kurzerhand ebenfalls eines. Naja, nicht ganz alle, denn Ash und Chris hatten sich zurückfallen lassen. Ich wollte die beiden auch nicht stören, deshalb ging ich nicht zu ihnen, um sie zu fragen, ob sie auch eines haben wollten. Wäre dem so gewesen, hätten sie sich schon eines gekauft.

Also verspeiste ich genüsslich mein mittlerweile halb geschmolzenes Es, welches aus den Sorten Mango und Kokosnuss bestand. Es schmeckte einfach himmlisch. Nicht so chemisch, wie es oft der Fall war. Nein, dieses hier schmeckte zu hundert Prozent fruchtig. Genau so, wie ich es mochte. Und wie es leider viel zu selten der Fall war. Aber ich ass auch nicht so oft Eis. Ich bevorzugte Cookies und Schokolade als Dessert. Eis war da eher Lillians Ding. So kamen wir uns aber auch nie in die Quere, wie es bei Geschwistern wohl eher selten der Fall war. Andererseits waren wir ja auch eigentlich schon so alt wie zwei Grossmütter.

«Hey, Ahi! Hier spielt die Musik», vernahm ich Roses belustigte Worte. Ach ja, stimmt ja. Sie hatte mir irgendeine Anekdote darüber erzählt, wie sie bei der gestrigen Geschichtsprüfung, die ich tatsächlich voll vergessen hatte, abgeschrieben hatte. Sie hatte irgendetwas von Geheimtinte gefaselt. Da hatte ich kurzerhand einfach abgeschaltet. Doch nun hatte sie es anscheinend bemerkt. Also tat ich wieder so, als würde ich zuhören und sie schien sich damit zufrieden zu geben. Aber mal ehrlich, wer interessierte sich schon dafür, wie genau es jemand angestellt hatte, zu spicken. Sicher nicht jemand, der schon über fünfzig Mal ein und denselben Stoff durchgenommen hatte. Dies hatte auch verhindert, dass ich eine schlechte Note geschrieben hätte, wie es bei so vermutlich jedem der Fall gewesen wäre, der einen angekündigten Test verpennt hatte. Tja, nochmal Glück gehabt, würde ich sagen.

Wie es mir schien, hatte ich in letzter Zeit öfters Glück gehabt, Da musste man aber auch anamerken, dass ich auch vermehrt Pech gehabt hatte. Doch das wollte ich ab dem heutigen Tag ändern, denn heute hatte sich alle zum Guten gewendet. Und ich würde es auch schätzen, wenn es so bleiben würde. Zumindest für eine Weile.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top