Kapitel 41 - November 1965
Ahilea
Mittlerweile war der November eingezogen und mit ihm wurde es auch kälter. Die Bäume hatten schon längst ihre Blätter verloren, der Garten der DeLarias sah nun trostlos und karg aus. Ahilea konnte nun nicht mehr so viel Zeit draussen verbringen, wie sie es normalerweise tat. Sie wollte es aber auch nicht, da der trostlos aussehende Garten nur traurige Gedanken und Erinnerungen in ihr weckte. Und sie wollte das Vergangene ruhen lassen. Die Tage wurden kürzer und sie wurde auch immer müder. Schliesslich war sie jetzt schon eine Weile hier, in der sie nicht gerade viel Zeit gehabt hatte, sich auszuruhen und Kraft und Energie zu tanken. Und dies machte sich langsam aber sicher auch bemerkbar. Nicht zuletzt damit, dass sie öfters gereizt war, als es ihr behagte. Sie wollte ihren Zorn auch nicht fälschlicherweise an Peter auslassen.
Doch den sah sie auch immer seltener, da er geschäftlich bedingt sehr oft unterwegs war. Und das hatte er ihr zumindest gesagt. Seit dem Vorfall im August war die Stimmung zwischen ihnen beiden eher angespannt und mittlerweile bereute sie es zutiefst, ihre Neugier nicht im Zaum gehalten zu haben. Doch es war vor allem die Sorge um Peter gewesen, die sie schliesslich dazu bewogen hatte, ihr Zimmer zu verlassen. Und wer konnte es ihr schon verdenken.
Peter jedoch zeigte sich wenig verständlich und das machte die ganze Sache nicht gerade einfacher. Im Gegenteil, alles wurde nur noch komplizierter, zumal sich Ahilea mittlerweile auch sicher war, dass sie sich in Peter verliebt hatte. Ein schönes, aber auch beängstigendes Gefühl, welches ihr zunehmend Angst machte. Das zwischen ihnen war nicht mehr nur rein körperliche Anziehung. Zumindest von ihrer Seite aus nicht mehr. Was Peter betraf, so wusste sie es nicht, da sie sich nicht getraut hatte, ihn darauf anzusprechen. Wenn sie Andeutungen in diese Richtung gemacht hatte, hatte er sie immer sofort abgeblockt und das Gespräch in eine andere Richtung gelenkt. Von einem Moment auf den anderen, einfach aus dem Nichts heraus.
Mittlerweile hatte sie auch Mr Und Mrs DeLaria kennengelernt. Peters Mom konnte sie durchaus gut leiden, doch sein Vater war ihr nicht geheuer. Er erweckte einen gruseligen Eindruck bei ihr, wie er sie damals so angestarrt hatte, mit beinahe leblosen, kalten dunklen Augen. Da hatte sie für sich beschlossen, dass es das Beste wäre, Mr DeLaria einfach aus dem Weg zu gehen. Dies hatte bis jetzt auch hervorragend funktioniert. Mit Betonung auf hatte.
Denn heute war sie dazu eingeladen, zusammen mit den DeLarias zu essen. Sie, die eigentlich die Angestellte dieser Familie war. Doch wahrscheinlich hatte Peter seine Finger dabei im Spiel gehabt und dafür gesorgt, dass auch sie eine Einladung erhalten hatte. Es war ihr dennoch eine grosse Ehre und sie wusste es sehr zu schätzen. Aber sie würde heute nicht der einzige Gast sein. Die Familie feierte einen besonderen Anlass, von dem Ahilea nicht wusste, worum er sich handelte. Sie hatte aber auch nicht genauer nachgehakt, da sie nicht hatte unhöflich erscheinen wollen. Es war ihr aber auch schlicht egal gewesen. Hauptsache, sie kam wieder einmal unter Leute. Ihr Kontakt zu Menschen hatte sich in der Zeit hier sehr beschränkt gehalten und sie vermisste es, mit Personen, die nicht Peter oder Mrs Bell waren, Gespräche zu führen. Egal, um was sie dabei gingen. Sei es nun das Wetter oder die neuste Mode oder etwas anderes.
Doch ihr war nur zu deutlich bewusst, dass es sich dabei um Familien handeln würde, die sich, wie die DeLarias, in den gehobeneren Kreisen bewegten, sprich viel Geld und Einfluss besassen. Und dies wiederum bedeutete, dass sie über viel Macht verfügten. Ahilea würde ihnen also nicht das Wasser reichen können. Schliesslich war sie nur ein armes, bedeutungsloses Mädchen ohne irgendwelche besonderen Werte. Manchmal wusste sie nicht, was Peter in ihr sah. Schliesslich war sie nicht gerade eine gute Partie, was man von ihm so nicht behaupten konnte. Sie besass ja nicht einmal eine richtige Schulische Ausbildung. Dazu hatte ihr einfach die nötigen Mittel, in diesem Fall Zeit und Geld, gefehlt. Zwar hatte sie ihre gesamte verblieben Freizeit mit Lernen verbracht, dennoch hatte sie die Schule noch nicht abschliessen können. Sie war auch nicht mehr zum Unterricht gegangen, nachdem ihre Mutter krank geworden war.
Mrs Bell hatte ihr vorhin noch ein schlichtes dunkelblaues Kleid vorbeigebracht mit den Worten, dass sie nicht in ihrer Arbeitskleidung beim Dinner erscheinen konnte. Dankbar hatte Ahilea sie angelächelt und das Kleid entgegengenommen. Sie hätte sich nicht dazu überwinden können, von sich aus nach passender Kleidung zu fragen, das wäre ihr zu peinlich gewesen. Mit den Händen fuhr sie immer wieder über den weichen Stoff. Es handelte sich um eines im Retro Vintage Pencil-Look gehaltenes Kleid aus Chiffron. Sie hatte noch nie etwas solch Kostbares in den Händen gehalten, geschweige denn es überhaupt getragen. Und nun sollte sie es wirklich anziehen.
Gegen sechs Uhr abends war es schliesslich so weit. Sie zog das Kleid an und flocht sich ihre hellbraunen Haare locker, sodass noch einige Strähnen hervorschauten. Zufrieden sah sie in den kleinen Spiegel, der sich in ihrem Zimmer befand. Das Kleid schmiegte sich an sie wie eine zweite Haut und betonte ihre Vorzüge. Die schlichte, aber edle Frisur rundete das Ganze ab und verlieh ihr eine noble Ausstrahlung. Und sie fühlte sich tatsächlich schön und begehrenswert. Vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben. Wenn sie so aussah, wie gerade, konnte sie Peter sogar durchaus verstehen, wenn er ihr bewundernde Blicke zuwarf. Sie sah so gar nicht wie das schüchterne Mädchen aus, das sie eigentlich war.
Nur mit Mühe löste sie den Blick von der selbstbewussten jungen Frau im Spiegel ab und machte sich schliesslich auf den Weg nach unten. Dabei begegnete sie Peter, der sie bewundernd ansah und auf sie zukam. «Du siehst wunderschön aus, Ahilea», sagte er mit einem Glitzern in den Augen, was ihr die Röte auf die Wangen trieb. »Du siehts auch sehr gut aus», sprach sie das Offensichtliche aus und machte eine Handbewegung, die Peters attraktives Äusseres umschloss. Er sah wirklich umwerfend aus mit seinem dunkelgrauen Anzug, dem weissen Hemd und den zurückgekämmten Haaren. Es liess ihn älter und reifer erscheinen. Farblich zu ihrem Kleid passend trug er eine dunkelblaue Krawatte. Ganz so, als wären ihre Outfits aufeinander abgestimmt geworden. Vermutlich war dem auch so gewesen.
Peter bot ihr seinen Arm an und Ahilea nahm ihn nur zu gerne an. Gemeinsam betraten sie den Speisesaal, welcher festlich dekoriert war, mit Blumengirlanden in den verschiedensten Farben. Ahilea hatte persönlich mit der Deko geholfen und sie war auch diejenige gewesen, die dem Koch geholfen hatte, die unzähligen Speisen zuzubereiten. Wobei sie sich eher auf das Dessert und die Häppchen konzentriert hatte, während Mrs Bell und der Koch, dessen Name Mr Brown war, die Hauptspeisen zubereitet hatten. So also waren unter anderem Geflügelpastete im Teigmantel, Ragout fin, Butterrosen, Götterspeise und vieles mehr. Es handelte sich um derart grosse Menge an Essen, die Ahileas Familie sich nicht in zwei Monaten hätte leisten können. Und Ahilea war sich beinahe sicher, dass die Hälfte davon im Abfall enden würde.
Peter brachte sie zu ihrem Platz und zog den Stuhl für sie zurück. Lächelnd liess sie sich darauf nieder und stellte mit Erleichterung fest, dass sich Peter zu ihrer Linken niedergelassen hatte. Zu ihrer Rechten sass eine junge Frau, die einen netten Eindruck machte und ihr auch ihre Hand darbot. «Freut mich, dich kennenzulernen, ich bin Lillian Watson», stellte sie sich vor. Ahilea lächelte ihr zu und erwiderte: «Freut mich ebenfalls, ich bin Ahilea Glenn.» Lillian hatte einen festen Händedruck und eine umwerfende Ausstrahlung. Vielleicht kam das auch davon, dass sie wunderschön war. Erst jetzt viel Ahilea auf, dass alle im Raum Anwesenden echt gut aussahen. Da fühlte sie sich gerade wie das schwarze Schaf unter all den weissen. Sie wusste, dass sie nicht gerade hässlich war, besonders nicht heute, in diesem Kleid, aber zwischen all diesen Schönheiten ging sie geradezu unter. So würde sie aber auch nicht zu viel Aufmerksamkeit erlangen.
Falsch gedacht. Den ganzen Abend schwirrten Menschen um sie herum und machten ihr Komplimente, oder wollten sich auch einfach nur mit ihr unterhalten. Ahilea verbrachte sehr viel Zeit mit Lillian, die sich als äusserst witzig erwiesen hatte. So verging die Zeit wie im Flug und es wurde Zeit, sich zu verabschieden. Ahilea begleitete Lillian nach draussen und umarmte sie zum Abschied. Die junge Frau war ihr in dieser kurzen Zeit schon ans Herz gewachsen und sie hoffte darauf, Lillian wieder zu sehen, wenn sie ihre Zeit hier abgearbeitet hatte.
Sobald sie gegangen war, ging Ahilea zu Peter herüber, der sich mit einer Frau mittleren Alters sprach. Beide lächelten sie an, als Ahilea zu ihnen trat. Peter bewundernd und die Frau neugierig. »Wir sehen uns, Peter. Und vielleicht sehe ich dich ebenfalls wieder, Menschenmädchen», fügte sie mit Blick auf Ahilea hinzu. Diese war von diesen Worten ziemlich verwirrt, da es eine doch sehr komische Wortwahl war. Peter legte einen Arm um ihre Schultern und führte sie nach Drinnen. «Kümmere dich nicht um ihre Worte, sie kann sehr komisch sein», gab er ihr einen Tipp. Doch das konnte Ahilea nicht, da sie instinktiv wusste, dass mehr dahintersteckte, als bloss eine unbedachte Aussage. Und wie recht sie hatte.
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