Kapitel 34
Ashton
Ich machte mich nicht direkt auf den Heimweg. Zuerst wollte ich mir ein bisschen Zeit nehmen, um meine Gedanken zu sortieren, die momentan wild durcheinander wirbelten. Beinahe so, als wären sie in einem Tornado gefangen. Daher machte ich bei dem Restaurant, in dem ich mit Ahilea essen war, einen kurzen Stop. Ich genehmigte mir ein grosses Glas Cola, keinen Alkohol. Ich trank absolut nichts, wenn ich nachher noch Auto fuhr. Natürlich hätte ich es auch einfach stehen lassen können und zu Fuss nach Hause gehen, was mich nicht viel mehr Zeit gekostet hätte. Aber ich entschied mich bewusst dagegen, da es bei Mom und Dad nur unnötige Fragen aufgeworfen hätte, wenn ich ohne Auto nach Hause gekommen wäre. Und ich hatte keine Lust darauf, ihnen zu erklären, warum ich bereits am Vormittag Alkohol trank.
Daher reichte mir eine Cola vollkommen und wenig später kam auch noch eines der hier berühmten Sandwiches dazu, welches ich hungrig verspeiste. Wenn ich nervös war, kam es ganz schnell vor, dass mein Magen sich meldete und ich Hunger bekam. Und zwar nicht auf Blut, sondern auf menschliches Essen. Auf dieses ungesunde Zeug, das man in diesem Land sosehr liebte. Und ich konnte sie nur allzu gut verstehen, denn ich war selbst ein Fan von Fast Food. Sei es nun Burger und Pommes, Pizza, Döner... Ganz egal, ich könnte das Zeugs kiloweise in mich hineinstopfen. Ein Glück, dass ich es aber nicht tat, würde mir sicher nur schaden. Denn ich musste immer in Topform sein, um den Clan beschützen zu können. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie ich im Fresskoma versuchen würde, herumzurennen. Das wäre echt peinlich!
Sobald ich zu Hause war, kam auch schon meine Mutter auf mich zugeeilt und wollte von mir wissen, ob alles gut gegangen war. Nachdem ich dies bestätigt hatte, übertrug sie mir haufenweise Aufgaben, die ich bis Sonnenuntergang erledigt haben musste. Dazu gehörten vor allem die verschiedensten Gespräche mit Mitgliedern und das Prüfen der Sicherheitsvorkehrungen. Doch dies kam mir gerade recht, denn Ablenkung schadete mir jetzt bestimmt nicht. So würde ich zumindest auf andere Gedanken kommen und nicht die ganze Zeit mental bei Ahilea zu sein und mich zu fragen, was sie gerade machte.
Um alles so schnell wie möglich zu erledigen, machte ich mich sofort auf dem Weg zum ersten Clanmitglied, einem älteren Vampir, der alleine wohnte und auf sich selbst gestellt war. Ich sollte ihm helfen, seine Sicherheitsvorkehrungen auf Vordermann zu bringen und dies erforderte einiges an Geduld. Schliesslich waren auch diese nicht gerade die modernsten, was aber auch kein Wunder war, wenn ihr Besitzer sie schon eine Ewigkeit nicht mehr in Betrieb genommen hatte. Schliesslich hatte es dafür glücklicherweise auch keinerlei Gründe gegeben.
Einige Stunden kam ich völlig erledigt und mit den Nerven am Ende wieder zum Anwesen zurück und liess mich erschöpft auf die Couch fallen. Es hatten vor allem ältere Leute auf meiner heutigen Besuchsliste gestanden, die im Falle eines Angriffs vermutlich draufgehen würden. Das war jetzt hart gesagt, entsprach aber absolut der Wahrheit. Ich hatte mit ihnen über die Möglichkeiten gesprochen, wie sie sich schützen konnten und war dabei beim ein oder anderen auf Unverständnis gestossen. Es hatte mich einiges an Überzeugungskraft gekostet, die Älteren schliesslich davon zu überzeugen, dass ich nicht hier wäre, wenn die Sache nicht ernst genug wäre und dass es für sie überlebensnotwendig war, die richtigen Schutzvorkehrungen zu treffen. Trotzdem konnte ich meine Missionen in allen Fällen erfolgreich abschliessen und war auch zuversichtlich, dass sie sich jetzt eindeutig besser verteidigen konnten, was die Hauptsache war.
So hatte ich geholfen, Überwachungssysteme und Alarme einzubauen und ihnen einige Tricks zu zeigen, wie sie den Gegner ausser Gefecht setzen konnten. Die älteren Vampire hatten sich dabei gar nicht einmal so schlecht angestellt, dass musste man ihnen lassen. Trotzdem hatte ich so meine Zweifel, was im Fall geschehen würde, wenn sie einem grossen, starken Feind entgegentreten mussten. Aber daran konnte ich nichts mehr ändern, ich konnte ja nichts dafür, dass sie erst im hohen Alter zum Vampir wurden.
Oh, wie ich es manchmal hasste, der Sohn des Anführers zu sein und ebenfalls eine gewisse Verantwortung zu tragen, vor allem auch als Stellvertreter. Ständig wurden von mir Dinge erwartet, denen ich nicht gerecht werden konnte, was mich selber mehr frustrierte als die anderen. Ich gehörte eigentlich zu der Sorte Vampir, die sehr geduldig sein konnte aber die Ereignisse der letzten Tage hatten an meinen Nerven gezerrt, was wiederum dazu führte, dass mein Geduldsfaden momentan zum Zerreisen angespannt war und es nicht viel brauchte, bis er schliesslich gänzlich reissen würde. Dessen war ich mir nur zu deutlich bewusst und ich wollte nicht wissen, was dann passieren würde. In den letzten Jahren hatte ich mich viel in Geduld üben müssen, doch es hatte sich gelohnt. Und dies war auch der einzige Grund dafür, dass ich am heutigen Tag keinen Nervenzusammenbruch erlitten hatte.
Ich erhob mich, um auf mein Zimmer zu gehen und mich dort auszuruhen, aber wieder einmal machte man mir einen Strich durch die Rechnung. Gerade als ich mich erheben wollte, kam mein Vater ins Wohnzimmer und erblickte mich, wie ich im Inbegriff war, aufzustehen. Er sah zufrieden aus und auch ein wenig erholter, wie er so dastand und mich musterte, genauso, wie es Mom ebenfalls getan hatte, als ich zurückgekehrt war.
«Ah Ashton, mit dir wollte ich mich noch unterhalten. Würdest du bitte mit mir in mein Büro kommen?», bat er mich. Als würde mir eine Wahl bleiben. Es war ja nicht so, dass ich jetzt nein sagen würde, geschweige denn es könnte. Nein, so war es nicht. Im Grunde hatte ich hier nichts zu sagen und war nur ein Diener, der jeden Befehl befolgen und sofort ausführen musste. Es gab Tage, da hatte ich kein Problem damit und dann gab es Tage wie heute. Aber egal, ich folgte Dad also und schloss die Tür hinter mir. Wobei, im Moment war er ganz mein Anführer und absolut nicht mein Dad, mit dem ich schon so manchen Unsinn angestellt hatte.
«Ich nehme an, du willst wissen, ob alles gut gelaufen ist?», sprach ich das Offensichtliche aus. Dad nickte und wies mich an, mich zu setzten, was mir zeigte, dass es sich hierbei eindeutig um eine längere Unterhaltung handeln würde. «Unter anderem ja, aber es gibt da noch etwas anderes, worüber ich mit dir sprechen wollte.» Diese Worte liessen mich hellhörig werden und ich war mir ziemlich sicher, dass mir das, was Lukas mir erzählen wollte, ganz bestimmt nicht gefallen würde. Ganz und gar nicht. Erst das leise Räuspern erinnerte mich daran, dass ich reden sollte und nicht schweigen.
Also erzählte ich zum zweiten Mal, was heute alles geschehen war und berichtete anschliessend auch noch von meinen heutigen Gesprächen mit den Clanmitgliedern. Dad schien sehr zufrieden zu sein, was meine Leistung anbelangte und das reichte, um mich aufzumuntern und mein Gemüt etwas zu beruhigen, welches immer noch ein wenig angekratzt war, von all den hitzigen Diskussionen, die ich im Verlauf des Nachmittages geführt hatte. Das er nun zufrieden war, bedeutete mir viel, vor allem auch, da ich stets darum bemüht war, mein Bestes für en Clan zu geben. Dennoch war ich etwas skeptisch, da es ja noch etwas gab, worüber er mit mir sprechen wollte. Ich wusste nicht so recht, ob es mir gefallen würde und war mir schon fast sicher, dass die Antwort nein lauten würde. Und ich sollte Recht behalten.
«Ich war heute bei den DeLarias zu Besuch, aufgrund einigen weniger erfreulichen Angelegenheiten, die es zu klären gab. Unter anderem, dass sie eines unserer Mitglieder angegriffen haben.» Ich nickte, das war mir auch nicht entgangen. Die DeLarias gehörten, zusammen mit dem Night-Clan zu unseren bittersten Feinden und ich verabscheute sie wirklich. Ihr Clan war im Verlauf der Jahre deutlich gewachsen, da er an Zuwachs gewonnen hatte. Dies kam aber vor allem auch daher, dass die DeLarias sich nicht immer an die Regeln hielten und manchmal Menschen willkürlich verwandelten, was auch der Hauptgrund für unser Aneinandergeraten war, denn wir hielten uns immer an die Clangesetze. Schon des Öfteren hatten wir Auseinandersetzungen mit den DeLarias gehabt, welche wir bisher aber alle glücklicherweise hatten lösten können. Und zwar mehr oder weniger gewaltfrei. Für uns Westfalls hatte es oberste Priorität, wenn möglich auf Gewalt zu verzichten, da wir sehr viel davon hielten, eine friedliche Lösung zu finden.
«Das ist aber noch nicht alles, habe ich Recht?» Eine böse Vorahnung, dass es etwas mit Ahilea zu tun hatte, hatte sich in mir eingenistet. Dad schüttelte den Kopf. «Nein, das ist noch nicht alles.» Er machte eine kurze Pause und schien seine nächsten Worte noch einmal zu überdenken. Und da wurde mir bewusst, dass, egal was er jetzt sagen würde, es würde meine Sicht der Dinge auf jeden Fall in ein anderes Licht rücken.
Und dann sprach er die Worte, die ich niemals hören wollte: «Ich habe heute einige Dinge über Ahilea Watson erfahren, die dir nicht gefallen werden.»
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