Kapitel 29

Ashton

Es war bereits weit nach Mitternacht, als wir uns schliesslich trennten und jeder von uns sich auf den Weg in sein eigenes Zimmer machte. Meine Eltern waren schon vor einer Weile zu Bett gegangen und so waren nur noch nur noch Ashley, Ahilea und ich übriggeblieben. Doch das war vielleicht gar nicht so schlecht gewesen, immerhin hatten wir so auch mehr Zeit gehabt, mehr über Ahilea zu erfahren. Ich hatte zwar das Gefühl, Ahilea verstand sich gut mit meinen Eltern, dennoch war sie noch verschlossen gewesen, hatte sich nicht vollständig geöffnet. Dies hatte sich jedoch geändert, als wir nur noch zu dritt gewesen waren. Es schien fast so, als würde Ahilea Ashley beinahe so sehr wie mir zu vertrauen. Und diese Tatsache machte mich sehr glücklich, denn diese beiden Frauen bedeuteten mir die Welt. Zwar auf einer vollkommen verschiedenen Ebene, aber trotzdem waren sie mir unheimlich wichtig und ich konnte mir mein Leben nicht ohne eine von beiden, ganz egal welche, vorstellen. Wollte es mir auch nicht vorstellen.

Wir standen auf und Ahilea und ich verabschiedeten uns von Ashley. Ich folgte «Lea», wie meine Schwester sie inzwischen nannte, zu ihrem Zimmer, da ich zuerst noch sicherstellen wollte, dass Ahilea alles hatte, was sie für die Nacht brauchte. Dazu gehörte auch, dass ich ihr die passende Schlafkleidung, die eigentlich meiner Schwester gehörte, brachte. Diesmal hatte ich Ashley zuvor sogar um Erlaubnis gefragt und nicht, wie es bei der Party der Fall gewesen war, auf eigene Faust gehandelt. Ich lernte eben auch dazu. Aber Ahilea konnte schliesslich nicht ewig dieselbe Kleidung tragen. Wobei es durchaus etwas Reizendes an sich hatte, wie die Jeans sich an ihre Konturen schmiegte. Lediglich das Shirt war etwas unförmig. Während Ahilea sich umzog, wartete ich draussen auf dem Flur. Ich wollte noch kurz mit ihr den morgigen Tag besprechen, bevor ich sie dann alleine lassen würde.

Keine fünf Minuten, nachdem ich ihr Zimmer verlassen hatte, bat sie mich wieder herein. Das musste man ihr lassen, diese Frau brauchte keine Ewigkeit, um sich präsentabel zu machen, wie es bei den meisten Frauen der Fall war. Ich hatte mich schon immer gefragt, was das weibliche Geschlecht denn so lange im Bad machte. Sie brauchten Stunden, um sich herzurichten. Und ich gehörte eh zu der Sorte Mann, die natürliche Schönheit bevorzugte. So wie Ahilea sie vorzuweisen hatte.

Diese sass mit angewinkelten Beinen auf dem Bett. Ihr Haar breitete sich lang über ihrem Rücken aus und floss in dicken Wellen nach unten. Am liebsten würde ich ihr jetzt durch die seidenen Haare fahren, aber ich wollte sie nicht nervös machen oder ihr das Gefühl geben, sie müsse schon für etwas bereit sein, dass sie noch nicht wollte. Also widerstand ich diesem Drang, wenn auch schweren Herzens. Wäre es meinem Herz möglich, würde es jetzt schneller schlagen, beim Anblick dieser wunderschönen Frau vor mir, doch da es tot war, geschah dies nicht. Manchmal war ich froh darüber ein Vampir zu sein, doch es gab auch den ein oder anderen unschönen Moment, den ich lieber verdrängen würde. Beispielsweise in Sport, wenn ich mich anstrengen musste, nicht zu schnell zu rennen. Während dies für andere anstrengend war, war es für mich eher die Tatsache, meine Schnelligkeit zu zügeln und in normalem Tempo zu joggen. Aber jetzt gerade war ich einfach nur unglaublich dankbar, Ahileas Bekanntschaft gemacht zu haben. Manchmal war mir auch der ein oder andere schöne Moment vergönnt. Das Schicksal hatte es gut mit mir gemeint. Ja, das Schicksal, denn ich glaubte nicht an glückliche Zufälle.

Ich setzte mich in gebührlichem Abstand neben sie, schliesslich hatte ich mir vorgenommen, sie zu nichts zu drängen, und überkreuzte meine langen Beine. «Wir sollten noch darüber sprechen, wie du dich morgen gegenüber deinen Clanmitgliedern verhältst, sodass sie keinen Verdacht schöpfen und es womöglich doch noch zu einem Angriff kommen wird, weil wir dich unberechtigt hier festgehalten haben», liess ich sie wissen. Ich war schliesslich nicht hier, um sie wie ein Perverser zu begaffen, sondern um ein ernsthaftes Gespräch zu führen. Naja, zumindest grössten Teils. Ein bisschen Starren lag auch drin.

Ahilea nickte zustimmend. «Das hatte ich auch noch vor, dich zu fragen.» Sie machte eine kurze Pause um nachzudenken und fuhr dann fort. «Ich bin der Meinung, es wäre das Beste, wenn ich Mr. Night einfach erzähle, ich hätte eine kurze Pause von alldem gebraucht. Er weiss, dass es Phasen gibt, in denen ich nicht ganz ich selbst bin und dass ich dann einfach einen Moment Ruhe brauche, um abschalten zu können», schlug sie vor und fügte hinzu: «Das kommt von Zeit zu Zeit vor. Öfters als mir lieb ist.»

Ich war ein bisschen skeptisch. Es erschien mir alles ein wenig zu einfach. Zu gut, um wahr zu sein. Konnte man Richard Night wirklich so schnell besänftigen? Ich wagte es zu bezweifeln. Und zwar nicht, weil ich Ahilea nicht vertraute, sondern einfach, weil ich gelernt hatte, vorsichtig zu sein. «Denkst du wirklich, dass er dir das einfach so abkaufen wird?», wagte ich vorsichtig zu fragen. Ich wollte nicht, dass es falsch herüberkam und Ahilea dann verärgert sein würde. Doch glücklicherweise erwies sich diese Sorge als unbegründet. Ahilea nahm mir meine Bedenken nicht übel und dachte kurz nach.

«Ich habe ihm bis jetzt nie einen Grund dazu gegeben. Mir nicht zu vertrauen, da ich immer ehrlich zu ihm war und nie die Regeln verstossen hatte. Deshalb denke ich, dass es vielleicht funktionieren könnte. Zudem wird Lillian es bestätigen und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in dieser Sache auch auf Logan zählen kann», antwortete sie schliesslich. Ich seufzte. So etwas in der Art hatte ich mir schon gedacht. «Ich möchte einfach nur, dass wir kein Risiko eingehen und somit einen Krieg riskieren», sprach ich meine Bedenken aus. Ahilea sah mich verständnisvoll an, die Augen sanft, ein beruhigendes Lächeln auf den Lippen. «Glaub mir, das will ich doch auch nicht, Ash», verdeutlichte sie mir und legte ihre kleine Hand zum Zeichen, dass sie diese Worte auch wirklich so meinte, über meine, was wiederum der Auslöser dafür war, dass eine leichte Gänsehaut meine Haut überkam.

Es war wirklich faszinierend, welche Wirkung sie auf mich hatte, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es umgekehrt genauso der Fall war. Wegen ihr wurde ich noch zum Softie. Ich konnte mich nicht daran erinnern, je so von einer Frau geschwärmt zu haben. Normalerweise zeigte sich meine weiche Seite nicht so deutlich und es war mir auch ein wenig unangenehm. Ich wollte nicht zu einem Schwächling mutieren. Nein, danke. Keiner mochte Männer, die zu emotional waren. Zumindest nahm ich das bei Ahilea an, aber schliesslich war es individuell. Ich konnte mich also gut irren. Doch das war beinahe ausgeschlossen.

Eine Weile sassen wir schweigend nebeneinander und hielten uns bei den Händen, dann gähnte Ahilea, was ich als Zeichen sah, ihre Hand loszulassen und aufzustehen. «Du solltest jetzt wirklich schlafen gehen. Ich möchte nicht, dass du irgendwann vor Müdigkeit und Erschöpfung noch umkippst», meinte ich. Ahilea lächelte schwach, widersprach mir jedoch nicht, was mich in meiner Vermutung bestätigte, dass sie viel erschöpfter war, als dass sie zugab. Aber auch ich wollte jetzt einfach nur noch schlafen. Die letzten Tage hatte mich ziemlich ausgelaugt. Jede Sekunde war ich beschäftigt gewesen, war von einem Clanmitglied zum anderen gegangen und hatte mit ihnen über die jetzige Situation gesprochen. Das hatte mich auch einige Nerven gekostet, doch was tat man nicht alles, um seinen Clan zu schützen. Und meine freien Momente hatte ich dafür gebraucht, mit meinem Dad über Ahilea zu streiten. Und bis vor ein paar Stunden hatte ich auch geglaubt, es sei vergebens gewesen. Doch alle Anstrengungen hatten sich als nötig erwiesen, immerhin hatte ich damit etwas bewirkt. Nein, nicht nur etwas. Ich hatte das erreicht, was ich gewollt hatte.

Dennoch hatte ich die letzten Minuten dauernd daran denken müssen, was Ahilea mir gesagt hatte. Brauchte sie wirklich manchmal eine Auszeit, weil ihr alles zu viel wurde? Und wieso hatte ich bis heute nichts davon gewusst? Das war schliesslich keine unbedeutende Nebensache. Oh nein, es war etwas Bedeutsames. Etwas, das man nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte. Diese Tatsache beschäftigte mich sehr, nicht zuletzt, da ich mir grosse Sorgen um ihre Verfassung machte. Physisch wie psychisch gleichermassen. Ich wollte nicht, dass sie irgendwann ein Breakdown erleiden würde oder noch Schlimmeres. Daran wollte ich aber gar nicht denken. Nein, so etwas würde nicht passieren. Dafür würde ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mittel sorgen.

Ich lächelte Ahilea noch einmal zu und wünschte ihr eine gute und erholsame Nacht, welche sie hoffentlich auch haben würde. Danach verliess ich ihr Zimmer, schloss die Tür hinter mir und machte mich auf den kurzen Weg in mein eigenes Reich. Ich sollte die verbleibende Zeit bis zum Morgen noch nutzen, um ein bisschen Schlaf zu bekommen, denn auch der nächste Tag würde ein langer werden, da ich noch so einiges zu erledigen hatte. Das hatte ich nun davon, dass ich meinen Vater entlasten wollte. Ich kam fast nicht mehr mit, soviel war es inzwischen, um das ich mich kümmern musste. Nicht zuletzt musste ich Ahilea nach Hause bringen, was eindeutig mein morgiges Highlight sein würde. Und mit den Gedanken bei der Vampirin ein paar Zimmer weiter verfiel ich schliesslich in einen tiefen, entspannten Schlaf.

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