Kapitel 21
Ashton
Frustriert verliess ich den Raum, in dem Ahilea eingesperrt war. Entnervt fuhr ich mir durch meine Haare, die mittlerweile zu Berge stehen mussten, sooft wie ich in der letzten Stunde hindurchgefahren war. Eine nervige Angewohnheit von mir, wenn ich nervös oder frustriert war, wobei es dieses Mal ganz eindeutig an letzterem lag. Ja, ich war genervt. Und frustriert. Und ja, auch wütend. Eine der Wachen verschloss die Tür hinter mir und stellte auch sicher, dass ich nicht irgendeine dumme Aktion starten würde. Dass ich nicht lache. Was hätte ich denn bitte sehr unternehmen sollen? Ahilea einfach so befreien? Und dann? Mein Vater war der Clananführer, ich war sein Stellvertreter. Ich konnte nicht einfach unüberlegt handeln, nicht in meiner Position, welche ich nicht nur innehielt, weil mein Adoptivvater der Clananführer war. Nein, ich hatte sie mir mit Fleiss und auf eine ehrliche Art und Weise erkämpft. Lukas Westfall war keine Person, die andere bevorzugte, nur weil sie mit ihm unter einem Dach lebten. Schliesslich war er ein fairer Anführer und das war auch gut und recht so. Denn auch ich schätzte Gleichberechtigung für alle und daher war es auch nicht verwunderlich, dass mir Gerechtigkeit sehr am Herzen lag. Daher hatte ich auch vor, Ahilea hier auf eine ehrliche Art und Weise herauszuholen und zwar mit der Zustimmung meines Vaters.
Natürlich war ich auch dazu bereit, auf eigene Faust zu handeln, aber das wollte ich vorerst einmal ausser Acht lassen. Wir hatten schon genug Probleme am Hals. Da wollte ich nicht unbedingt, dass Verrat innerhalb der eigenen Reihen auch noch dazu kommen würde. In Zeiten wie diesen war es wichtig, dass der Clan zusammenhielt und man einander vertrauen konnte. Das hatte ich in der Vergangenheit mehrmals erkennen müssen, nachdem ich die ein oder andere Scheisse gebaut hatte. Tja, was gab es da gross zu sagen. Ich war halt ein kleiner Rebell, war es auch schon immer gewesen. Daran würde sich nichts mehr ändern, denn dafür war es schon längst zu spät. Und ich würde mich auch garantiert nicht krampfhaft darum bemühen, jemand zu sein, der ich gar nicht sein wollte. Ausserdem musste ich nun erreichen, dass mein Vater mir wieder mehr vertraute, da ich Ahilea nur so helfen konnte.
Ausserdem gehörte ich nicht zu der Art Vampir, die unehrlich war. Das war nicht mein Ding. Ich ging es lieber auf die richtige Weise an und riskierte dann halt, dass etwas einmal schief ging, aber dafür war ich ehrlich. Und Ehrlichkeit war allemal mehr wert als etwas durch lügen und betrügen zu erlangen. Diese Tugend war etwas, das mir sehr wichtig war und was ich schon vor langer Zeit schätzen gelernt hatte. Es war auch eine Tatsache, die mir im Laufe der Jahre viel Respekt und Anerkennung eingebracht hatte. Und ich hatte nicht vor, das so hart erlangte Vertrauen einfach in den Sand zu setzen. Nein, das wollte ich auf keinen Fall und das war es mir auch nicht wert. Vielleicht klang das jetzt etwas hart, aber es war Tatsache. Gerade auch das Vertrauen der Clanmitglieder bedeutete mir sehr viel, zumal ich irgendwann selbst einmal ihr Oberhaupt sein würde. Und da war ein gutes Verhältnis zwischen uns sehr wichtig.
Eine Anführerschaft konnte nicht auf Lügen basieren, das hatte ich bereits sehr früh erkannt. Oder es war mir auch schon immer klar gewesen. Für mich war mein Vater von Anfang an immer ein Vorbild gewesen, dem ich nachgeeifert hatte. Und wie ich ihn kannte, hatte er bestimmt einen guten Grund für sein Handeln und hatte nicht einfach leichtfertig und aus einem Impuls heraus entschieden, Ahilea gefangen zu nehmen. Und diesen Grund wollte ich mir nun anhören. Natürlich hatte ich schon meine Vermutungen, aber ich wollte es aus dem Mund meines Vaters hören. Es brachte nichts, hier wild mit Vermutungen um sich zu werfen, denn dies führte mit Sicherheit zu nichts.
Ich stürmte die Treppe hoch und platzte ins Arbeitszimmer meines Vaters, ohne vorher angeklopft zu haben. Normalerweise hasste mein Vater es, wenn man einfach so hereinplatzte, aber diese Tatsache ignorierte ich. Mein Dad sah von dem Dokument auf, das er wohl gerade am Studieren war, als ich ungebeten hier hereingekommen war. «Ah, Ashton. Ich habe schon mit deinem Kommen gerechnet. Wie geht es der Gefangenen?», wollte er wissen und legte das Dokument zur Seite. Es machte mich wütend, dass er Ahilea als Gefangene bezeichnete. Aber genau das war sie. Eine gefangene Feindin. Und das war sich jeder auch bewusst, eingenommen Ahilea selbst. «Es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Aber du weisst genau so gut wie ich, dass sie unschuldig ist.» Grimmig sah ich meinen Vater an.
Dieser blickte seufzend von seinen Dokumenten auf, welche er unbemerkt von mir wieder zur Hand genommen hatte. Also bitte. Hatte er nicht einmal fünf Minuten Zeit, um sich mit mir zu unterhalten? Er schien jedoch bemerkt zu haben, dass mich diese Aktion empört hatte. «Setz dich», forderte er mich, seinen Sohn, daher auf und deutete auf den dunkelblauen Ledersessel vor seinem überladenen Schreibtisch, auf welchem fast kein Fleck mehr frei war. Ich kam dieser Aufforderung mit kurzem Zögern nach, welches von meinem Anführer aber nicht unbemerkt blieb. Er kommentierte es jedoch nicht, was ich ihm hoch anrechnete. «Natürlich weiss ich, dass deine kleine Freundin im Keller nichts mit dieser Sache zu tun hat. Aber wir können sie nicht einfach gehen lassen. Wir brauchen ein Druckmittel und was eignet sich dafür besser, als ein unschuldiges Mädchen. Ich weiss, dass passt dir nicht, aber versetz dich einmal in meine Lage. Das Schicksal des ganzen Clans liegt in meinen Händen. Das ist keine leichte Verantwortung und ich muss immer in erster Linie meinen Clan stellen. Dann kann ich manchmal nicht verhindern, es meinem Sohn nicht recht zu machen.»
Ich schwieg, denn ich wusste, dass mein Dad vollkommen recht hatte. Wobei, momentan war er eher mein Clananführer als mein Dad. Man konnte nicht riskieren, die einzige Chance auf die Aussicht, einen möglichen Krieg zu verhindern, gehen zu lassen, nur weil dabei persönliche Gefühle im Spiel waren. Nein, ein guter Anführer handelte nach dem Verstand und nicht nach dem Herz, auch wenn dieses nach etwas ganz anderem schrie. Und in meinem Fall war das, Ahilea zu helfen. «Gib der Sache ein bisschen Zeit, bis sich alles beruhigt hat. Wir haben unsere Späher losgeschickt, um den Night-Clan auszuspionieren. Vielleicht stellt sich alles als falscher Alarm heraus und wir können deine Freundin gehen lassen. Aber ich möchte dies nicht eher tun, bevor die Lage sich nicht beruhigt hat. Ich möchte ein reines Gewissen haben, wenn ich die Lage als sicher bezeichnen kann. Verstehst du das, mein Sohn?« Lukas faltete die Hände zusammen und blickte mich unter gesenkten Augenliedern an. Erst jetzt bemerkte ich, wie müde und abgekämpft er eigentlich aussah. Ich war ein echt schlechter Sohn, dass ich dies erst jetzt bemerkte. Er war in letzter Zeit so selten zu Hause gewesen, da konnte er gar nichts anderes als total erschöpft sein. Immer noch blickte er mich aufmerksam an und da fiel mir auf, dass seine Frage noch immer offen im Raum stand.
Natürlich konnte ich das verstehen, es war für mich vollkommen klar, wieso er so handelte. Ich an seiner Stelle würde sehr wahrscheinlich genau das Gleiche tun. Also nickte ich und wollte gerade aufstehen, als mein Vater mich noch einmal zurückhielt. Er fuhr sich durch die Haare und wirkte plötzlich älter als die 39 Jahre, mit denen er verwandelt wurde. Die ganze Sache setzte ihm mehr zu, als dass ihm lieb war. Für ihn hatte immer zuerst das Wohl des Clans an erster Stelle gestanden und erst dann war die Familie und persönliche Dinge gekommen. Doch das war etwas, was einen guten Anführer ausmachte. Aber ich war mir nicht so sicher, ob ich dies ebenfalls könnte, sollte ich einmal eine Familie gründen. Mein Vater bemerkte meinen analysierenden Blick und kam zum Punkt, weshalb er mich noch einmal zurückgerufen hatte. «Nichtdestotrotz sind wir auf jede Hilfe angewiesen, falls es zu einem Kampf kommen könnte. Ich möchte daher, dass du den Anderen hilfst, Vorkehrungen zu treffen. Wir können jede helfende Hand gebrauchen.»
Da ich mich schlecht weigern konnte und selbst ich den Ernst der Lage erkannt hatte, hatte ich nichts dagegen einzuwenden und fragte meinen Dad daher, wobei genau ich helfen konnte. Gerne griff ich ihm unter die Arme, vor allem dann, wenn er körperlich und auch mental am Limit lief, wie es momentan der Fall war. Irgendwann konnte selbst dem stärksten Clananführer alles zu viel werden und auf mich wirkte es so, als wäre mein Vater kurz davor. Natürlich würde er dies nie so zugeben, schliesslich zeigte ein starker Anführer seiner Meinung nach keine Schwäche. Doch ich war der Meinung, dass dies auch dazu gehörte. Man konnte nicht immer tapfer sein. Manchmal musste man auch seine verwundbare Seite offenbaren, um etwas im Leben zu erreichen.
«Geh zu Sam und hilf ihm dabei, alle Mitglieder zu warnen. Du findest ihn sehr wahrscheinlich draussen in der Einfahrt. Er wollte gerade gehen», instruierte Lukas mich. Ich nickte ihm noch kurz einmal zu, zum Zeichen, dass ich verstanden hatte und aus Respekt, dann machte ich mich auf den Weg, um nach meinem Onkel zu suchen. Ich hatte ihn schnell gefunden, es war kein grosses Kunststück gewesen. Ich war genau dort gewesen, wo Dad ihn vermutet hatte. Sam hatte mir dankbar entgegengeblickt und für eine Weile vergassen wir die Tatsache, dass wir vor gerade einmal einer Stunde noch eine heftige Auseinandersetzung gehabt hatten, während mein Dad alleine mit Ahilea geredet hatte. Dies war jetzt nebensächlich, denn der Clan stand sowohl bei ihm, als auch bei mir an erster Stelle. Wobei Ahilea ihm durchaus Konkurrenz machen konnte, genauso wie der Rest meiner Familie. Wie gesagt, ich war eher ein intuitiver Mensch.
Sam winkte mich zu sich und ich kam seiner Aufforderung ohne zu zögern nach. Manchmal vergass ich, dass ich der stellvertretende Anführer war und nicht er. Aber ich hatte aufgrund meiner Position nie auf andere herabgesehen, denn für mich war jeder Mensch gleich viel wert. Egal welches Alter, Geschlecht, Nationalität oder Rasse. Alle sollten dieselben Rechte haben. Ich erreichte Sam, nickte ihm respektvoll zu und er begann, mir zu erklären, was er im Begriff war, zu tun. Ich half ihm dabei und wir teilten die Mitglieder untereinander auf, die wir besuchen sollten, sodass wir möglichst schnell alle vorwarnen konnten. Mir behagte diese Aktion zwar nicht und ich wollte auch nicht, dass die Clanangehörigen nun panisch wurden, aber sie hatten ein Recht darauf, zu erfahren, womit wir gerade zu kämpfen hatten. Also machte ich mich auf den Weg, um meine heutige Mission zu erfüllen.
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