Kapitel 18

Ahilea

Gutgelaunt öffnete ich die Tür von Ashtons Wagen und stieg auf dem Beifahrersitz ein. Ich freute mich darauf, Zeit mit ihm zu verbringen. Er bedeutete mir echt viel. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, er bedeute mir gleichviel wie Rose und Simon, was schon echt etwas bedeutete. Normalerweise war ich immer sehr schüchtern und schloss nicht gerne neue Bekanntschaften, Dies kam vermutlich daher, dass ich Angst hatte, verletzt zu werden. Ausserdem konnte ich nie lange Zeit die gleichen Freunde haben, da wir andauernd weiterzogen. Oder vielmehr mussten wir es. Uns blieb ja auch gar nichts Andres übrig, immerhin alterten wir nicht und es würde nur unnötige Fragen aufwerfen, weshalb ich nie älter aussah, als Anfang zwanzig. Ich schalt mich innerlich. Jetzt war nicht die Zeit dafür, Trübsal zu blasen und meinen menschlichen Freunden bereits nachzutrauern.

Zudem hatte ich ja auch gute Neuigkeiten für Ash. Ich war mir sicher, er würde darüber erleichtert sein. Also riss ich mich zusammen und lächelte ihm zu, nur um anschliessend zu fragen: «Wohin fahren wir?» Ich war ein ziemlich neugieriger Vampir und wollte am liebsten immer alles wissen. Eine weitere meiner zahlreichen negativen Eigenschaften. Ashton grinste wissend. Er hatte mich durchschaut. «Wirst du noch früh genug sehen, meine Liebe.» Spielerisch schlug ich ihm auf den Arm und begnügte mich anschliessend damit, aus dem Fenster zu sehen und die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten. Das angenehme Kribbeln, das diese kurze Berührung ausgelöst hatte, versuchte ich bewusst zu ignorieren. Dafür würde später noch Zeit genug sein, wenn wir nicht mehr darum kämpfen mussten, unser Vorhaben vor unserem Clan geheim zu halten. Oder zumindest vor den meisten Mitgliedern.

Wir fuhren aus der Stadt heraus und schon bald waren wir von der Natur umgeben. Überall war Wald zu sehen, soweit das Auge reichte. Um ehrlich zu sein gehörte ich eh zu der Sorte Mensch, die die Natur dem Städtischen vorzog. Ich fühlte mich ziemlich schnell überfordert in einer Grossstadt und um ehrlich zu sein, mein Orientierungssinn war auch nicht gerade der Beste. Zudem konnte ich es nicht leiden, wenn hunderte Menschen an einem vorbeeilten und dich versehentlich berührten. Ich hatte sozusagen eine Berührungsphobie, was Fremde besass. Daher hielt ich mich generell nicht gerne an Orten auf, wo sich viele Menschen auf engstem Raum befanden. Und dazu gehörten eben auch Grossstädte.

Nach etwa einer halben Stunde Fahrt erreichten wir schliesslich unser Ziel. Oder zumindest den Ort, an dem wir das Auto zurückliessen und zu Fuss weitergingen. Mir machte diese Tatsache nichts aus, da ich mich gerne draussen in der Natur bewegte. Mit grosser Freude konnte ich erkennen, dass Ashton einen grossen Picknickkorb bei sich trug, was meinen Magen vorfreudig knurren liess. Dieses nervige Organ konnte es kaum erwarten, die Köstlichkeiten willkommen zu heissen. Ein Glück, dass Vampire über einen sehr guten Stoffwechsel verfügten, was mir eindeutig zu Gute kam, bei den Unmengen an ungesundem Zeug, welches ich in mich hineinstopfte.

Beschwingt lief Ash voraus. Ich folgte ihm und betrachtete bewundernd den Weg vor uns. Oder vielleicht, um ehrlich zu sein, war dies auch nur eine Ausrede. In Wirklichkeit konnte ich meine Augen nicht von Ashton abwenden, welcher zielstrebig durch den Wald lief. Dennoch fühlte ich mich unglaublich wohl. Der weiche Waldboden unter meinen Füssen war bedeckt mit Blumen und Gras, welches noch Spuren von Tau aufwies. Rund um mich herum ragten Bäume auf und einmal rannte sogar ein Reh vor uns über den Weg, was mir ein glückliches Lächeln entlockte. Ich liebte Tiere über alles, ganz egal, um was es sich handelte. Das hatte ich schon immer, doch leider hatte ich nie ein eigenes Haustier besessen. Früher hatte uns das dafür nötige Geld gefehlt, heute wollte ich keines mehr, da ein ständiger Wohnortwechseln dem Tier garantiert nicht guttun würde.

Nach einiger Zeit erreichten wir schliesslich eine kleine Lichtung und Ashton stellte den Korb ab. Ich drehte mich einmal im Kreis, um alles auf mich wirken zu lassen. Es war eindeutig der schönste Ort, an dem ich je war. Überall auf der Wiese blühten Blumen in den verschiedensten Farben und wir waren von allen Seiten vom Wald umgeben. Hier hatte man seine Ruhe und keiner würde kommen, um einem diesen speziellen Moment zu ruinieren. Ich lachte befreit auf und liess mich ins weiche Gras fallen. Die warmen Sonnenstrahlen kitzelten meine Haut auf eine angenehme Art und Weise, wie ich sie liebte. Ashton beobachtete mich sichtlich amüsiert dabei, wie ich blinzelnd in den Himmel starrte und dabei ein Lächeln auf dem Gesicht trug. Es war ein ehrliches und richtiges Lächeln. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so befreit und unbeschwert gefühlt wie in seiner Gegenwart und an diesem Ort.

Ashton hatte inzwischen eine rot-weiss karierte Decke ausgebreitet und war gerade dabei, verschiedenste Speisen und Getränke aus dem Korb heraus zu zaubern. Ich konnte belegte Brote, Trauben, Chips und Kekse erkennen, doch das war nicht alles. Ich war mir nicht sicher, ob wir dies alles vertilgen könnten, denn selbst wenn ich Unmengen essen konnte und Ashton garantiert auch, war es immer noch eine riesige Menge an Essen. Gerade zauberte er auch noch Schokolade aus dem Korb. Dieser Mann wusste eindeutig, wie er mich glücklich machen konnte. Und dass, obwohl er mich noch keinen Monat lang kannte. Es fühlte sich aber an, als würden wir Beide uns schon eine Ewigkeit kennen. Aber ich war mir ziemlich sicher, ihn bis vor ein paar Wochen noch nie gesehen zu haben. Natürlich konnte ich mich täuschen, aber dies war sehr unwahrscheinlich. Denn ich verfügte über ein sehr gutes Gedächtnis und einen Mann wie Ashton würde ich garantiert nicht vergessen, nein, auf keinen Fall. Dafür war er viel zu aussergewöhnlich und das auf eine positive Art und Weise.

Ich stand auf und lief zu ihm herüber, wo ich mich auf der karierten Decke niederliess. Ich schnappte mir ein belegtes Brötchen und beobachtete Ashton dabei, wie er sich ebenfalls eines nahm. Geniesserisch bass ich hinein und schloss entzückt die Augen. Himmlisch! Der weiche Käse und die geschmolzene Butter sorgten dafür, dass ich mich im siebten Himmel befand. Ashs leises Lachen riss mich aus meinem Schwelgen heraus und ich kam zum eigentlichen Grund, weshalb wir uns jetzt hier befanden. Auch wenn ich lieber noch einige Minuten so getan hätte, als wäre alles in bester Ordnung.

Nachdem ich ihm alle Details von meinem gestrigen Gespräch mit Lillian berichtet hatte, wirkte er ziemlich zufrieden auf mich. Was auch kein Wunder war, schliesslich hatte meine Adoptivschwester zugestimmt, uns zu unterstützen. Entspannt lehnte er sich zurück und ich tat es ihm gleich. Einige Zeit lang lagen wir einfach nebeneinander und genossen die Stille, sowie die Nähe des jeweils anderen. Jeder ging seinen eigenen Gedanken nach. Meine kreisten natürlich um ihn und darum, wie wir zu einander standen. Unsere Beziehung war kompliziert und ich konnte auch nicht genau sagen, wie er die Dinge sah. Ich nahm mir fest vor, ihn bei der nächsten Gelegenheit danach zu fragen. Ich brauchte Klarheit. Aber ich wollte auch nichts überstürzen und somit den möglichen Frieden zwischen unseren Clans gefährden, nur weil ich möglicherweise mehr als nur Freundschaft zu ihm empfand. Zudem machten mir meine starken Gefühle für ihn auch Angst, zumal ich ihn erst seit solch kurzer Zeit kannte. Wir waren praktisch noch Fremde, aber trotzdem hatte ich das Gefühl, als kenne ich ihn schon viel zu gut. Es würde schon noch der richtige Moment dafür kommen, unsere Beziehung zu einander zu klären. Aber noch nicht jetzt, denn jetzt wollte ich einfach nur seine unglaublich guttuende Nähe geniessen.

Dann richtete Ash sich plötzlich auf und sagte, nun wieder ernst, zu mir: «Um ehrlich zu sein, wollte ich dieses Treffen nicht nur, um zu erfahren, wie dein Gespräch mit deiner Schwester gelaufen ist. Es gibt da noch einen anderen Grund. Ich würde dir gerne etwas zeigen, was dir dabei helfen wird, unser Vorhaben geheim zu halten. Du bist die Erste, der ich das, was ich gleich machen werde, zeige und ich vertraue darauf, dass du es auch für dich behalten wirst.» Verwirrt sah ich ihn an, nickte aber bestätigend um ihm zu zeigen, dass sein Geheimnis bei mir sicher war. Ich konnte schweigen wie ein Grab. Kurz atmete er noch einmal durch, bevor er mich ernst ansah und meinte: «Ich habe einen Weg gefunden, meine Gedanken vor anderen zu verbergen und durch falsche zu ersetzen.»

Meine Augen weiteten sich und ich sah ihn ungläubig an. «Bist du sicher? Wie ist das möglich? Hat es vielleicht mit einer speziellen Gabe zu tun?», fragte ich dann, was mir alles durch den Kopf schoss. Es erschien mir fast zu schön, als dass es allen Vampiren möglich sein könnte, die Gabe der Gedankenleser zu umgehen. Ashton schüttelte den Kopf. «Es hat nichts mit einer Gabe zu tun. Du weisst, dass ich ein Gestaltwandler bin. Gedankenlesen ist in meiner Familie nur meinem Vater und meiner Schwester vorbehalten. So hatte ich aber auch einen guten Grund, in meinen jugendlichen und wilden Jahren nach einer Möglichkeit zu suchen, ein bisschen Privatsphäre zu haben. Du musst wissen, ich war es leid, mich immer erklären zu müssen, weshalb ich mich nun auf eine Party geschlichen hatte oder warum ich gegen die Clanregeln, die übrigens totaler Schwachsinn sind, verstossen hatte. Es ist eigentlich keine grosse Sache, wenn man es erst richtig verstanden und draufhast. Aber lass es mich die am besten zeigen.»

Das liess ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Gespannt richtete ich mich auf und lauschte, was er mir über seine Entdeckung erzählte.

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