Kapitel 12

Ahilea

Ich weiss echt nicht, wie es dazu kam, aber nun sass ich hier, in Ashleys bequemen Klamotten und machte mich für die Nacht bereit. Eine Nacht im Haus des Feindes. Und trotzdem fühlte ich mich einigermassen wohl, was vielleicht auch daran lag, dass Ashton und ich einen Deal beschlossen hatten. Ich wusste nicht, inwiefern uns das weiterbrachte, aber wir konnten es zumindest einmal versuchen. Zusammen mit den Anderen schleppte ich Berge an Kissen und Decken ins Wohnzimmer, das etwa die Grösse eines Fussballfeldes hatte. Die Westfalls lebten hier echt nicht schlecht. Ausserdem wirkte es nicht so, als seien sie erst gerade hergezogen. Es standen keine Kartons herum, auch nicht in Ashs Zimmer. Ich hatte die Gelegenheit vorhin genutzt und mich in seinem Zimmer umgesehen. Es herrschte überwiegend eine perfekte Ordnung, was für Jungs schon eher untypisch war. An der hinteren Wand hatte sich ein riesiges Regal voller Bücher befunden und ich war versucht, mir eines davon zu nehmen und zu lesen.

Inzwischen hatten sich alle eingerichtet und unterhielten sich miteinander. Simon schien sich gut mit Chris zu verstehen und es wirkte fast so, als hätte Rose in Ashley eine neue Freundin gefunden. Doch dieser Fakt liess mich keinesfalls eifersüchtig werden.

Ich dagegen beschäftigte mich damit, mich prüfend umzusehen. Auch hier im Wohnzimmer, befand sich eine riesige Couch, nur dass diese weiss war und nicht aus Leder, sondern aus Stoff. Dazu gab es zwei passende Sessel und auf dem Boden lag ein riesiger, flauschiger Teppich, dessen Farbe mich an den Strand erinnerte, da der Ton sandfarben war. Da ich den Strand und das Meer liebte, gab es mir ein Gefühl des Glücks, wodurch ich mich sichtlich entspannte. Gegenüber des Sofas hing ein riesiger Flachbildfernseher an der Wand. Echt purer Luxus, in dem die Westfalls hier lebten.

Doch trotz all der teuren Möbel fühlte ich mich hier wohl, was vielleicht auch an den zahlreichen Fotos lag, die überall an den Wänden hingen. Überwiegend sah man darauf Ashton, Ashley und ein Mann, sowie eine Frau mittleren Alters, von denen ich annahm, dass es sich dabei um Mr. Und Mrs. Westfall handelte. Es erinnerte mich ein bisschen an unser eigenes Wohnzimmer. Zwar waren unsere Möbel deutlich weniger luxuriös, aber auch meine Eltern hatten zahlreiche schöne Momente, die wir auf Fotos verewigt hatten, an der Wand aufgehängt. Dies zeigte mir auch, dass die Westfalls eindeutig familiär waren, was mich doch etwas erstaunte, um ehrlich zu sein. Doch heute würde mich so leicht nichts mehr überraschen, vor allem nicht, wenn es dabei um die Westfalls ging. Dafür hatte Ashton schon gesorgt.

Die leise klassische Musik, die jemand mittlerweile angemacht hatte, liess mich noch müder werden und meine Augenlieder wurden immer schwerer. Langsam aber sicher begann ich, wegzudämmern. Zufrieden kuschelte ich mich unter die Decke und keine Minute später befand ich mich auch schon im Reich der Träume.

Orientierungslos erwachte ich am nächsten Morgen und setzte mich verwirrt auf. Erst dann realisierte ich, wo ich mich befand. Nach einem kurzen Blick nach links und rechts konnte ich Rose und Ashley entdecken, von den anderen Dreien fehlte jede Spur. Doch von Richtung der Küche konnte ich den verführerischen Geruch von Brot und gebratenem Speck riechen, weshalb ich beschloss, einmal nach den Jungs zu sehen. Ich folgte dem Duft und entdeckte Simon am Herd und Ashton stand daneben, von Chris fehlte jede Spur. «Guten Morgen», murmelte ich und sah über Simons Schulter. Beide erwiderten meinen Gruss und Ashton befahl mir, mich um das Tischdecken zu kümmern, während er die beiden anderen wecken würde. Ich hatte nichts dagegen eizuwenden, da ich wusste, wie schlecht gelaunt Rose sein konnte, wenn man sie aus dem Tiefschlaf riss.

Wenig später sassen wir alle zusammen am reichlich gedeckten Tisch und genossen das Essen. «Was haltet ihr davon, später noch etwas gemeinsam zu unternehmen?», schlug Chris mit vollem Mund vor. Mahnend sah Ashley ihn an, sagte dann aber lächelnd: «eine gute Idee» Wir Anderen stimmten ihr zu und so kam es, dass wir keine Stunde später auf zwei Autos verteilt zur nahegelegenen Shoppingmall fuhren. Wir teilten uns in zwei Gruppen auf, Jungs und Mädels getrennt, und stürmten in die Läden. Normalerweise war ich nicht gerade begeistert, was das Shoppen anging, aber mit Rose und Ashley verging die Zeit wie im Flug.

Wir alberten herum, probierten die lustigsten und unmöglichsten Kleiderkombinationen an und sangen lauthals zu der Musik, die zwei Strassenmusikanten vor einem Laden zum Besten gaben. Gerade spielten sie zu einem alten Jazzsong, dessen Namen ich nicht kannte, aber die Melodie kam mir bekannt vor. Vermutlich hatte ich sie irgendwann einmal im Radio gehört. Doch ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern, wann genau das gewesen war.

Nachdem das Stück zu Ende war, schnappte ich nach Luft und stoppte meine wilden Armbewegungen, mit denen ich meine Singeinlage unterstützt hatte. Für einmal war es mir völlig egal gewesen, dass alle mich angestarrt hatten und ich vermutlich gefragt hatten, wer die Irre war, die hier so abging. Rose und Ashley waren zwar einen Moment erstaunt gewesen, dass ich mich getraute, hier, in aller Öffentlichkeit, so etwas abzuziehen, hatten mich aber keine fünf Sekunden später begeistert unterstützt, was die umstehenden Menschen dazu veranlasst hatte, uns lautstark anzufeuern. Sogar die zwei Musikanten hatten uns angegrinst und einige Zuschauer hatten uns auch zugepfiffen.

Immer noch lachend machten wir uns aus dem Staub und klatschten uns ab. Es tat mir gut, einmal aus mir herauszukommen und einfach etwas zu tun, ohne gross zu überlegen, was die Konsequenzen davon sein könnten. Dies tat ich nicht sehr oft. Und dieses Glücksgefühl hielt auch noch an, als wir uns auf dem Weg zum Auto zu machen, wo wir die anderen treffen wollten.

Nachdem wir unsere Einkaufstüten im Kofferraum verstaut hatten, beschlossen wir, den Tag mit einer gemeinsamen Mahlzeit ausklingen zu lassen. Mir war das recht, denn nach unserer sportlichen Betätigung knurrte mir der Magen. Und anscheinend war ich nicht die Einzige, der es so ging, denn Ashley und Rose sahen ähnlich ausgehungert aus. Für uns Mädels konnte es gar nicht schnell genug gehen, etwas zu Essen zu erhalten, so sehr brauchten wir jetzt eine Stärkung. Kurz darauf sassen wir also alle in einem kleinen gemütlichen Café, welches mich an diejenigen erinnerte, wie man sie in Paris oft zu sehen bekam. Runde Tische und bequeme Stühle. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass dieses Café «Café de Paris» hiess. Mann, ich war schon echt gescheit.

Wenig später hatten wir unsere Bestellung vor uns auf dem Tisch. In meinem Fall war es eine Omelette mit Käse und eine Cola. Begierig musterte ich das köstliche Gericht, welches vor mir stand und konnte es kaum erwarten, es geniesserisch zu verspeisen, doch plötzlich fühlte ich mich beobachtet und sah mich suchend um. Auch die drei anderen Vampire wirkten plötzlich unruhig und dann sah ich auch den Grund dafür. Zwei Tische weiter sass niemand anderes als Mr. Night persönlich und beobachtete uns mit grimmigem Blick. Was machte der denn hier? Wie hatte er erfahren, dass wir hier waren? Ich nahm schwer an, dass er nicht bloss zum Vergnügen hier war, so wie wir. Nein, irgendwie hatte er mitbekommen, dass ich, eines seiner Clanmitglieder, mich hier aufhielt, und zwar mit dem Feind. Klar kam er deshalb hier her, um nach dem Rechten zu sehen. Das war ja auch verständlich. Trotzdem wäre es mir lieber gewesen, seine Anwesenheit wäre mir erspart geblieben.

Als er sah, dass wir ihn bemerkt hatten winkte er mich an seinen Tisch. Widerstrebend sah ich ihn an und stand langsam auf. Ich schlängelte mich durch die engen Gänge zu ihm durch. Sobald ich unseren Clananführer erreicht hatte, zischte dieser mir zu. «Was genau soll das werden, Ahilea? Was denkst du dir dabei?» Schuldbewusst sah ich auf den Tisch und musterte lieber seinen Kaffee und das Croissant, welches er sich bestellt hatte. So musste ich zumindest keine Antwort geben. Doch natürlich wurde dies nicht akzeptiert, es wäre auch zu schön gewesen.

Richard Night schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und ich zuckte zusammen. «Ich will dich morgen nach der Schule in meinem Büro sprechen und bis dahin überlegst du dir eine passende Antwort auf meine Frage. Hast du verstanden?» So ein Mist! Ich war offiziell so etwas von geliefert. Es gab nichts, was ich tun könnte, um jetzt noch ungeschoren aus dieser verzwickten Situation herauszukommen. Rein gar nichts.

Also nickte ich eingeschüchtert und rannte förmlich zurück zu den anderen, wobei ich mich fast hinlegte, als ich einer Kellnerin gerade noch so ausweichen konnte und damit auch verhinderte, dass ich ihr vollbeladenes Tablett zu Boden stiess. Das hätte eine riesige Sauerei mit sich gebracht. Rose und Simon schienen nichts bemerkt zu haben, aber Ashton flüsterte mir besorgt zu: «Das war Richard Night, oder?» Bestätigend nickte ich und hörte Ash leise fluchen. Ja er hatte recht, wir befanden uns in einer verzwickten Situation, die man keinesfalls als angenehm bezeichnen konnte.

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