Kapitel 25
Ich fragte nicht, als Lucas einige Stunden später sauber und mit einem großen Koffer in der Hand ins Hotelzimmer kam. Müde drehte ich mich weg und schloss die Augen. All die Erlebnisse des Tages hatten mich so müde gemacht, wie ich seit langem nicht gewesen war. Ich hatte mich noch nicht einmal umgezogen bevor ich mich aufs Bett geworfen hatte. Meine Pistole hatte ich entladen und auf meinen Nachttisch gelegt. Morgen wollte ich Lucas fragen, wie wir an neue Munition kommen sollte. Die, die wir in der Hütte im Wald gefunden hatten, ging langsam aber sicher zur Neige und ich konnte mir nicht vorstellen, dass es einfach war, an neue zu kommen. Zumindest nicht, so lange wir in Deutschland waren. Aber das war ein Problem für den nächsten Tag.
Das Bett wackelte ein wenig, als Lucas sich neben mich setzte. Ich öffnete die Augen und sah ihn an. Das Blut hatte er sich aus dem Gesicht gewaschen, doch die feine weiße Narbe auf seiner Stirn war noch immer sichtbar.
"Du, vorhin im Bunker, als ich-" Er brach ab und stand auf. "Egal, vergiss es."
Ich seufzte und schlug die Decke zurück. Dann ging ich ins Bad. Nachdem ich mein Gesicht gewaschen und Zähne geputzt hatte kam ich zurück ins Zimmer. Lucas hatte die Pistole von meinem Nachttisch genommen und lief damit nervös zwischen Tür und Bett auf und ab.
"Das nächste Mal bin ich wieder dran mit Sterben, versprochen", versuchte ich ihn zu beruhigen, nahm ihm die Pistole ab und legte sie auf den Boden. Dann nahm ich seine Hände und hielt sie fest. Kurz zuckte Lucas, doch er zog seine Hände nicht weg.
"Das ist es nicht."
Ich sah ihn besorgt an. "Hat Owena was gesagt?"
"Nein. Das meine Ich nicht."
"Was dann?"
"Ich-" Seine Augen wanderten durchs Zimmer während er nach Worten suchte.
"Ja?", fragte ich.
"Das funktioniert so nicht."
Ich sah ihn an, erschrocken und überrascht zu gleich. "Was meinst du?"
"Das weißt du ganz genau."
Wie erstarrt sah ich ihn an. Ich dachte zurück an den Moment im Museum, an seine grünen Augen, seine Lippen. Vielleicht hatte ich es dort tun wollen, doch es wäre ein Fehler gewesen. Lucas und ich hatten eine Aufgabe zu erledigen. Wir waren hier um unser altes Leben zurückzugewinnen. Das Leben, in dem Lucas eine Freundin hatte, in dem ich an Wochenenden auf Dates ging. Das, in dem Lucas und ich uns nie begegnet waren.
"Keine Sorge. Du bildest dir da glaube ich was ein."
"Gut", sagte Lucas nur. Ich drehte ihm den Rücken zu und setzte mich neben den Koffer, den er vorhin vor dem Bett abgestellt hatte. Mit leicht zittrigen Fingern öffnete ich den Reißverschluss und klappte ihn auf. In einem Stapel Klamotten eingebettet lag das Schwert, stumpf und rostig wie immer. Ich seufzte.
"Was machen wir bloß damit?", murmelte ich.
Lucas ließ sich neben mich fallen und zog eine einsame Socke vom Griff. Wie ich es im Museum getan hatte fuhr er mit dem Daumen über die Spitze. Das Schwert hinterließ nicht einmal einen Kratzer. Mein Blick wanderte wieder zu ihm. Während er gedankenverloren das Schwert betrachtete sah ich ihn von der Seite an.
"Willst du mir von ihr erzählen?", fragte ich leise. Vielleicht würde es das ganze erträglicher machen, wenn ich ein Bild von ihr hatte, wenn ich mir Lucas mit ihr zusammen vorstellen konnte.
Lucas schwieg und klappte den Koffer zu. Mein Herz schlug mir bis zum Hals als er den Blick hob und mir direkt in die Augen sah. Er beugte sich zu mir, bis sein Gesicht direkt vor meinem war. Als meine Lippen seine trafen, fühlte es sich so an, als würde die Zeit stehen bleiben. Lucas griff mein Kinn und zog mich weiter zu ihm. Seine andere Hand wickelte sich um meinen Oberkörper und zog mich seitlich, bis ich neben ihm auf dem Boden lag. Er löste seine Lippen von mir, dreht mich auf dem Rücken und rollte auf mich. Nun lag ich auf dem Rücken, meine rechte Hand unter mir, er auf mir drauf.
"Was wird das hier?", fragte ich amüsiert, als er mich mit seinem Gewicht in den Boden drückte.
"Sorry, Macht der Gewohnheit." Er wollte mich loslassen, doch ich hielt ihn zurück. "Warte."
Er hielt inne. Mir meiner freien Hand strich ich ihm eine Haarsträhne hinters Ohr und lächelte ihn an. Dann zog ich ihn am Ohr zur Seite. Mehr aus Überraschung als aus Schmerz gab Lucas nach und ließ sich neben mich fallen. Ich zog mich hoch und warf mich auf ihn. Er stöhnte, als ich mit meinem Bauch direkt auf seinem landete. Wie ein riesiges Kreuz lagen wir auf dem Boden, meine Arme und Beine in alle Richtungen gestreckt. Sein Lachen schüttelte seinen ganzen Körper durch.
"Was sollte das?" keuchte er, als er wieder Luft bekam.
"Rache. Dafür, dass du gestern so ein Arsch warst." Er schüttelte immer noch grinsend den Kopf. Ich realisierte kaum, dass er sich aufgerichtet hatte, da lag ich schon wieder unter ihm, sein Gesicht an meiner Schulter und eine Hand an meinem Hals.
"Provozier nie jemanden, der stärker ist als du", raunte er mir ins Ohr. "Den Kampf kannst du nicht gewinnen."
Ich grinste.
"Außer du hast einen Plan B."
Lucas hob den Kopf ein wenig und sah mich fragend an.
"Was meinst du was schneller geht? Du erwürgst mich oder ich schieß dir dein Hirn aus dem Kopf?" Mit diesen Worten legte ich das kalte Metall meiner Pistole an seine Schläfe.
Lucas atmete scharf ein und löste seine Hand von meinem Hals.
Als ich abdrückte, ertönte ein leises Klicken.
"Tot", flüsterte ich und ließ die Waffe neben mich fallen. Lucas Mund öffnete sich in Empörung, dann schloss er die Augen, machte ein wiederwärtiges Gurgelgeräusch und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich fallen. Ich lachte. Mühsam schob ich ihn von mir runter. Dann kreuzte ich seine Arme vor der Brust, drückte ihm ein Kuss auf die Stirn und stand auf.
"Es war mir eine Ehre Agent Brannigan. Mögest du hier deine Ruhe finden."
Lucas machte mit beiden Händen einen Mittelfinger, seine Augen noch immer geschlossen.
"All deine Freunde haben sich hier versammelt um dir ein letztes Lebewohl zu sagen."
"Hey."
Lucas öffnete die Augen und setzte sich hin.
"Ich hatte ganz viele Freunde."
Ich lachte und reichte ihm meine Hand.
"Provozier nie jemanden, der schneller seine Waffe ziehen kann."
Ich half Lucas hoch und holte meinen Schlafanzug aus dem Bad. Schnell zog ich mich um und schlüpfte unter die weiche Bettdecke. Es war gut, wieder so über das Sterben scherzen zu können. Es half ein wenig, den Schmerz zu vergessen.
Einige Minuten später rutschte Lucas neben mich und machte das Licht aus. Während ich versuchte einzuschlafen, wanderten meine Gedanken kreuz und quer, über den heutigen Tag, die Zwischenwelt und meine Familie.
"Meinst du unsere Familien planen eine Trauerfeier für uns?", flüsterte ich nach ein paar Minuten.
"Hmmm", brummte Lucas nur.
"Ich meine, sie haben keine Körper, die sie beerdigen können, aber sie müssen doch wissen, dass wir nicht mehr zurück kommen. Meinst du nicht, sie wollen auch irgendwann abschließen?"
"Deine ja"
"Was?"
"Ich hab deine Todesanzeige in der Zeitung gesehen. Scheint deiner Familie wichtig gewesen zu sein, dass die ganze Welt davon erfährt. Die Trauerfeier ist nächsten Mittwoch in irgendso einer Burg. Dreizehnter März. Ein Freitag. Aber frag mich nicht wo genau. Keine Ahnung."
Ich schwieg eine Weile und verdaute das, was ich gerade gehört hatte. In einer Woche war meine Trauerfeier. In einer Woche würde sich meine Familie ein für alle Mal von mir verabschieden und ich würde noch nicht einmal da sein. Dabei wusste ich genau von welcher Burg Lucas gesprochen hatte. Das Anwesen von Mamas Freunden, der Ort, an dem ich fast jede Sommerferien meiner Kindheit verbracht hatte. Merkwürdige Wahl für so ein Event, doch so wie ich meine Mutter kannte war es gerade einmal groß genug für die paar hundert Gäste, die sie eingeladen hatte.
"Lass uns hingehen", flüsterte ich grinsend. "Wird bestimmt lustig. Dann kann ich dir meine Familie vorstellen."
Ich hörte, wie Lucas sich in meine Richtung drehte. "Bist du bescheuert?"
Ich lachte. "Wir haben schon dümmere Dinge gemacht."
Eine Weile schwiegen wir. Ich wollte Lucas schon eine gute Nacht wünschen, da kam er mir zuvor.
"Du?"
"Hmmm?"
"Ich weiß, es sollte mir eigentlich total egal sein, aber ich will, dass du weißt, dass ich gelogen habe."
"Was meinst du?", fragte ich.
"Ich hatte keine Freundin. Zumindest jetzt nicht mehr. Und nicht, als ich gestorben bin."
"Okay." Ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte.
"Aber wir dürfen das trotzdem nie wieder machen. Regel 2a. Professionell bleiben. Ob Owena es rausfindet oder nicht. Diese Regel ist nicht umsonst da."
Auch wenn es sich ein wenig so anfühlte, als hätte er mich gerade versetzt, wusste ich, dass er recht hatte. "Ich weiß", sagte ich also.
"Vergessen wir es einfach?", fragte Lucas.
"Ist nie passiert."
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