Kapitel 23

"Meinst du, wir können das Schloss irgendwie von drinnen öffnen?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Das Schloss ist kein Problem. Die Tür ist von außen verbarrikadiert. Mit einem Besen oder mit einem Stuhl oder so."

Eine Weile lang versuchten Lucas und ich gemeinsam einen Plan zu schmieden, doch jeder einzelne scheiterte daran, dass wir dabei die verängstigten Besucher um uns herum gefährdet hätten. Also saßen wir einfach nur da und warteten. Ich konnte nicht sagen wie viel Zeit vergangen war, doch irgendwann polterte es hinter der Tür. Ich schreckte auf.

"Bleib sitzen", zischte ich Lucas zu, doch der war bereits aufgestanden und zur Tür geschnellt. Mit dem Rücken drückte er sich daneben gegen die Wand und horchte. Dann drückte er vorsichtig die Klinge runter. Die Tür öffnete sich. Mit einem mal war auch ich hellwach. Ich stürzte hinter Lucas durch die Tür. Fast stolperte ich über den Stuhl, der noch vor ein paar Sekunden die Tür blockiert hatte. Im Gang war niemand zu sehen. Ich warf ein Blick zurück in die Abstellkammer. Gut zwanzig verheulte und verängstigte Gesichter sahen mir entgegen.

"Euch wird nichts passieren", sagte ich. "Wir holen Hilfe." Dann zog die Tür zu und schob den Stuhl wieder an seine Position. Lucas sah mich verwirrt an.

"Was?"

Doch er schüttelte nur den Kopf und zog seine Waffe. Ich tat es ihm nach.

"Plan?", flüsterte ich, als wir die Treppe hinaufschlichen.

Lucas zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Wir brauchen das Schwert und müssen dann raus. Wie auch immer wir das hinbekommen."

Mir fiel auch nichts besseres ein. Also hielt ich den Mund und folgte Lucas durch die Ausstellung. Wenn man uns in diesem Moment beobachtet hätte, würde man sicherlich erkennen, wer von uns beiden Polizist war und wer nicht. Während wir uns durch das Labyrinth an Räumen bewegten, hatte er zu jedem Zeitpunkt seine Umgebung im Blick, betrat nie einen Raum ohne vorher um die Ecke gespäht zu haben und bewegte sich fast lautlos vorwärts. Ich hingegen sah im Vergleich dazu vermutlich recht unbeholfen aus, auch wenn ich mir Mühe gab, seine Bewegungen nachzuahmen.

Ich war so darauf konzentriert, keine Geräusche zu machen, dass ich es noch nicht einmal bemerkte als Luca stehen blieb. Ich keuchte leise als ich in ihn hinein lief.

"War das alles?", ertönte eine Stimme aus dem Raum neben uns.

Ich ging hinter Lucas in die Hocke.

"Sollte."

"Und unten?"

"Unten ist immer noch zu."

"Sehr gut. Dann verschwinden wir jetzt und rufen anonym die Polizei, damit sie die Idioten da freilassen können."

"Wir müssen was machen", flüsterte ich Lucas panisch zu. "Wir können sie nicht gehen lassen. Dann ist das Schwert weg. Für immer."

"Das ist fünf gegen zwei wenn ich nicht noch wen übersehen habe. Wie willst du-"

Doch bevor Lucas seinen Satz beenden konnte nahm ich all meinen Mut zusammen und machte einen großen Schritt nach vorne. Im selben Moment, in dem Max und mein Blick sich trafen zischten auch schon Kugeln an mir vorbei. Doch wie durch ein Wunder traf keine davon mich. Max hob die Hand und es wurde ruhig. Wie versteinert stand ich im Türrahmen. 

"Na wen haben wir denn da?" Sein überhebliches Lachen ließ es mir kalt den Rücken runterlaufen. Doch dann wurde seine Miene ernst. Fast glaubte ich, Betroffenheit darin zu erkennen.

Mit ein paar wirren Handbewegungen brachte Max die vier Männer dazu, die Waffen zu senken und an mir vorbei zum Ausgang zu gehen. Aus der Ferne hörte ich, wie die Eingangstür hinter ihnen zu schlug. Nun standen nur noch ich und Max uns gegenüber. In einer Hand hielt er das Schwert, in der anderen seine Pistole. Doch anstatt sie auf mich zu richten sicherte er sie und steckte sie weg.

"Lass die Waffe fallen, Kindchen", sagte er fast schon amüsiert.

"Gib mir das Schwert", befahl ich.

"Wie zum Teufel habt ihr es eigentlich da rausgeschafft? Ich habe Matty doch gesagt er soll gut abschließen."

Doch ich ging nicht auf sein schräges Spielchen ein. Wir wussten beide genau, dass er mich und Lucas aus der Kammer gelassen hatte. Warum auch immer er das getan hatte, er war der einzige, der es gewesen sein konnte. Doch gerade war mir das auch egal.

"Ich will dir nicht wehtun. Gib mir das Schwert", wiederholte ich stur.

"Du willst mir nicht wehtun?" Er lachte. "Dein Freund ist tot. Meinst du, du schaffst es hier lebendig raus, wenn du mich erschießt?"

Ich lächelte.

"Er ist nicht mein Freund."

Und tot war er auch nicht. Dafür hockte er gerade viel zu ängstlich neben der Tür.

"Sicher? Das sah in der Ausstellung vorhin ganz anders aus", sagte Max abfällig und zog die Lippen zu einem Kussmund zusammen. Ich presste die Lippen aufeinander und atmete tief ein.

"Ich geb dir drei Sekunden mir das Schwert zu geben, dann schieß ich."

Max schwieg.

"Eins." Ich stellte mich in eine sichere Schießposition, so wie Lucas mir es vor ein paar Tagen gezeigt hatte.

"Zwei." Meine zweite Hand schloss sich um die Waffe. Ich zielte.

"Lass den Scheiß. Gib mir die Waffe, dann sag ich den andern, dass sie dich gehen lassen sollen."

"Drei." Ich drückte ab.

Meine Kugel traf Max an der Schulter und tränkte das T-shirt in sekundenschnelle mit Blut. Seine Augen weiteten sich. Das Schwert fiel klirrend zu Boden. Drohend richtete ich die Pistole auf seinen Kopf, doch Max war schlau genug um zu verstehen, dass er diesen Kampf verloren hatte. Rückwärts stolperte er aus dem Zimmer, eine Hand auf die Wunde gepresst. Ich steckte die Waffe zurück und nahm das Schwert vom Boden.

Max hatte mich unterschätzt. Sonst hätte er mich gleich erschossen und nicht seinen Leuten befohlen abzuziehen. Er hatte mich für ein dummes, kleines Mädchen gehalten, das sich nicht trauen würde abzudrücken. Sein Pech.

"Bist du bereit?", fragte ich an Lucas gerichtet.

Doch er antwortete nicht. Ich drehte den Kopf. Lucas lag in einer großen Blutlache, ein Loch in der Stirn und eines auf der Brust. Ich seufzte.

"Warum können wir nicht ein Mal eine Sache fertig machen, ohne dass einer von uns stirbt?"

Ich sah zum Ausgang. Max und seine Freunde waren bestimmt gerade dabei alles in ihren Wagen zu räumen. Selbst wenn sie mich noch gehen lassen würden nachdem ich Max gerade angeschossen hatte, mit einem leblosen Lucas auf dem Arm würde ich nicht weit kommen. Ich kniete mich neben Lucas. Ich konnte einfach hier bei ihm bleiben und darauf warten, dass er wieder zu sich kam. Doch was, wenn einer der Männer gleich zurück kam und doch noch die Besucher aus der Abstellkammer befreite? 

Dann hatte ich eine Idee. Der Tresorraum. Der war jetzt nicht nur leer, sondern auch kugelsicher. Vielleicht hätte es auch jeder beliebige Raum ohne Glastür getan, aber gegen den Tresorraum sprach auch nichts. Das Schwert in der einen Hand und Lucas Kragen in der anderen stolperte ich die Kellertreppe hinunter. Fast wär ich von Lucas leblosem Körper umgeworfen worden, doch in letzter Sekunde konnte ich zur Seite springen. Lucas polterte Kopf voraus an mir vorbei. Als er unten am Treppenende liegen blieb, folgte ich ihm.

"Sorry", flüsterte ich, stieg über seine Beine und zog ihn weiter.

"Ich hoffe wirklich, du fühlst das hier nicht."

Lucas und ich hatten eine breite Blutspur auf dem Boden hinterlassen. Auch meine Hände waren voll davon. Um nicht den Halt zu verlieren wischte ich sie erst an meiner Hose ab, dann zog ich die halb geöffnete Tür zum Tresorraum ganz auf. Wie erwartet war er vollständig leer. Max und die anderen hatten auch wirklich die allerletzte Münze, das allerletzte Stück Keramik mitgenommen. Mein altes Ich hätte es wirklich geschmerzt, all die Geschichte so zerfließen zu sehen, aber gerade hatte ich andere Probleme. Ich hievte Lucas durch die Tür und zog sie hinter uns ran. Ganz schloss ich sie nicht. Ich wusste nicht, ob man sie von innen sonst überhaupt öffnen konnte.

Noch immer regte Lucas sich nicht. Bei dem Loch in seinem Kopf wäre das aber auch sehr verwunderlich. Ich zog sein Oberteil hoch und überprüfte die Schusswunde dort. Ich musste würgen. Das sah widerlich aus. Und kein wenig verheilt. Ich ließ mich auf den Rücken fallen.

"Weißt du, es wär nicht schlecht, wenn du gleich mal zurück kommen würdest. Viel Zeit haben wir nicht mehr", sagte ich, als ob Lucas mich hören könnte. "Bestimmt hat jemand die Schüsse gehört und ruft gerade die Polizei. Oder einer der Besucher hat ein Handy in der Tasche und ruft die Polizei. Okay, vielleicht nicht bei dem Empfang hier im Keller."

Ich tastete nach dem Schwert und hielt es mit ausgestreckten Armen über mich. Mit den Knöcheln klopfte ich gegen das Metall. Nichts passierte. Dann fuhr ich mit dem Finger über die Spitze.

"Das Ding ist noch nicht mal scharf", sagte ich und betrachtete verwundert meinen unverletzten Finger.

Ein paar Minuten lag ich einfach da, das Schwert auch meinem Bauch und den Kopf gegen die Decke gerichtet. 

"Ich versteh absolut nicht, warum Max nicht einfach die 500 Euro genommen hat. Ich meine, gerade wenn wir von der Polizei geschnappt werden sollten, werden wir denen doch sagen, wer er ist und was er getan hat. Wenn der nicht aus dem Land flieht ist er in Nullkommanichts wieder im Knast."

Ich seufzte. So langsam ging mir dieses einseitige Gespräch auf die Nerven.

"Mir ist langweilig." Gedankenverloren fuhren meine Finger über das Schwert. "Kannst du dich bitte mal beeilen? Ich war letztes mal auch schneller."

Stille.

"Weißt du was ich mich beim Umziehen in der Hütte gefragt habe?"

Im Tresor regte sich nichts.

"Sind wir jetzt immer noch zwanzig oder sind wir jetzt technisch gesehen ein paar Monate jünger, weil wir die ja tot waren? Oder sind wir vielleicht nur ein paar Tage alt, weil man ab dem Zeitpunkt anfangen muss zu zählen, an dem wir das letzte Mal zurückgekommen sind?"

Ich dachte eine Weile nach.

"Dritte Alternative, wir werden ab jetzt einfach nicht älter. Ab dem Zeitpunkt, an dem wir gestorben sind hören wir einfach auf zu zählen. Was sagst du?"

Doch Lucas regte sich immer noch nicht. Ich schob das Schwert zur Seite, setzte mich auf und hob sein T-shirt.

"Fuck."

Es sah kein Stück besser aus als letztes mal. Eher schlimmer.









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