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"Guten Morgen ☀️"
Auch wenn der Ton meines Handys ausgeschaltet ist, weckt mich die Vibration der WhatsApp-Benachrichtigung aus meinem seichten Halbschlaf. Es ist Esmeralda, die mir geschrieben hat. Mein Herz schlägt höher und ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus.
Ich könnte mich daran gewöhnen, so in den Tag zu starten.
Ich habe gestern Abend noch lange mit Louis und unserem Vater im Wohnzimmer gesessen. Irgendwann ist das Gespräch von Esmeralda glücklicherweise auf andere Themen gekommen und wir hatten einen so lustigen Männerabend, wie schon lange nicht mehr.
"Guten Morgen meine Schöne. Hast du gut geschlafen?", antworte ich Esmeralda und starre erwartungsvoll auf mein Handydisplay.
Es ist ein ganz neues Gefühl, einfach mit ihr schreiben und telefonieren zu können. Was für andere nichts besonderes ist, bedeutet mir die Welt. Es gibt mir das Gefühl, ein bisschen mehr Kontrolle darüber zu haben, dass es ihr gut geht, auch wenn ich weiß, dass das nichts als eine trügerische Sicherheit ist.
"Einigermaßen und du?", kommt kurz darauf zurück.
"Auch, nur zu kurz. Heute habe ich zum letzten Mal Frühschicht, ab morgen habe ich dann zwei Tage frei 😁"
"Ah schön 😊 Sollen wir dann morgen was essen gehen? Ich habe nämlich auch frei."
Mein Herz schlägt schneller und ich lese die Nachricht erneut um sicher zu gehen, dass ich nichts falsch verstanden habe. Ich liebe es, dass sie immer und immer wieder die Initiative ergreift.
"Unbedingt!"
"Ich rufe dich heute Abend an, dann können wir absprechen, wo wir uns treffen und was wir machen, okay?"
Ich stimme zu und rolle mich langsam aus meinem weichen Bett. Es ist viel zu früh, aufzustehen und ich bin noch viel zu müde.
...
Der ganze Tag ist für mich ein einziges vorfreudiges Warten auf den Abend und das bevorstehende Telefonat mit Esmeralda. Wenn es wirklich klappt und wir den morgigen Tag miteinander verbringen, werde ich vermutlich der glücklichste Mensch der Welt sein.
Als Nedim eine knappe Stunde nach Feierabend auf der Beifahrerseite meines Audis Platz nimmt und seine Sporttasche auf die Rückbank schmeißt, mustert er mich skeptisch. "Was ist los? Du siehst anders aus."
Mein bester Freund hat mich kurz vor Feierabend gefragt, ob wir zusammen zum Boxen gehen wollen. Mir passt das gut, denn ich habe meine Sporttasche bereits fertig gepackt im Kofferraum liegen. Hätte Nedim sich nicht gemeldet, wäre ich heute zumindest ins Fitnessstudio gegangen.
Überrascht sehe ich ihn an und merke dann selbst, dass ich grinse wie ein Honigkuchenpferd.
"Liegt es an dem Mädchen, dass du in der Disco aufgerissen hast?", bohrt er weiter und wackelt mit seinen dunklen, buschigen Augenbrauen.
Anstatt loszufahren, stelle ich den Motor ab und ziehe die Handbremse an. Bei meinem wenig rühmlichen Abgang in der Disco habe ich Nedim versprochen, ihm "das alles" noch zu erklären. Er kennt mich gut genug, sodass er seitdem nicht mehr nachgefragt hat. Wenn ich über etwas reden will, mache ich das von mir aus. Aufdringliches Nachfragen erreicht bei mir nur, dass ich abblocke und mich noch mehr verschließe.
Trotzdem weiß ich, dass ich ihm noch so einige Antworten schuldig bin. Bisher habe ich Esmeralda komplett vor ihm verheimlicht, was nicht daran liegt, dass ich ihm nicht vertraue, sondern nur daran, dass ich das alles selbst nicht so ganz wahrhaben wollte.
Doch gerade bin ich so beflügelt von der aktuellen Situation und voller Vorfreude auf mein bevorstehendes Date mit Esmeralda, dass ich mich in der Lage fühle, ihm alles zu erzählen.
"Ja", gebe ich daher ehrlich zu. "Ich hoffe du hast Zeit, denn ich muss ein bisschen ausholen."
Nedim nickt zustimmend und lässt sich etwas tiefer in den Beifahrersitz sinken. Erwartungsvoll sieht er mich an, seine braunen Augen neugierig funkelnd.
"Das Mädchen habe ich nicht in der Disco aufgerissen", stelle ich als erstes klar. "Sie heißt Esmeralda und ich habe sie bei der Arbeit kennengelernt. Sie ist eine Tochter der Familie, gegen die wir ermitteln."
Nun habe ich Nedims ungeteilte Aufmerksamkeit und seine dunkelbraunen Augen funkeln sensationslustig.
"Ich habe sie bei einem Einsatz kennengelernt und irgendwie hatten wir gleich eine Verbindung zueinander. Wann immer ich mit ihr alleine war, war sie super aufgeschlossen, offen, klug, witzig. Sobald irgendjemand aus ihrer Familie dazu kam, war sie das komplette Gegenteil: eingeschüchtert, ängstlich, still, in sich gekehrt."
"Das heißt du bist an diesem Abend aus ermittlungstaktischen Gründen mit ihr abgehauen?", grinst mein bester Freund und zwinkert mir zu.
"Nein. Anfangs wollte ich wirklich einfach nur das Rätsel um sie lösen und ihr helfen, doch mit der Zeit habe ich mich richtig in sie verliebt", gebe ich zähneknirschend zu.
"Und sie sich auch in dich?", hakt Nedim nach.
"Ich weiß nicht, ich glaube schon. Sie flirtet sehr offensiv mit mir und ist mir zugewandt, aber sie hat auch Angst vor ihren Brüdern und Cousins, die den Braten schon riechen, das hat sie mir selbst gesagt. Es ist halt eine schwierige Situation, weil weder sie noch ich die hundertprozentige Sicherheit haben, dass der jeweils andere ernste Absichten hat. Genauso wie ich ihr, wie du gerade so schön sagtest, aus ermittlungstaktischen Gründen näher kommen könnte, könnte sie ein Spitzel sein und über mich an Infos zu den Ermittlungen kommen wollen. Es ist jedes Mal ein Drahtseilakt für mich, sie kennenlernen zu wollen und gegen sie ermitteln zu müssen; den Privatmenschen Nick von dem Polizeikommissar abzugrenzen."
Nachdenklich betrachtet der junge Bosnier mich. "Ich glaube schon, dass sie in dich verliebt ist. Die Blicke, die sie dir zugeworfen hat, kann man nicht vortäuschen. Sie hat dich so angehimmelt, aus diesen unmenschlich großen, grünen Puppenaugen."
Er bringt mich trotz der Ernsthaftigkeit des Themas mit seiner Wortwahl zum Lachen.
"Hat sie?", hake ich geschmeichelt nach.
"Bruder, aber wie. Als seist du der tollste Typ der Welt."
"Bin ich doch auch", gebe ich grinsend zurück.
"Na klar", erwidert mein Freund lachend und boxt mir freundschaftlich gegen den Oberarm. "Aber viel wichtiger ist doch: was hast du dann mit der Maus gemacht?"
Ich verdrehe die Augen und schüttele den Kopf. Hätte ich mir auch denken können, worauf das hinausläuft. "Wir sind in ein Hotel gegangen und haben die Nacht miteinander verbracht."
Nedim macht große Augen, doch bevor er etwas sagen kann, grätsche ich dazwischen: "Nein, wir haben nicht miteinander geschlafen aber ja, wir haben rumgeknutscht." Ich bin trainiert, dieses Krisengespräch führe ich nun schließlich schon zum dritten Mal.
"Und, war es schön?"
Mein Herz schlägt allein bei der Erinnerung an die innigen Küsse mit ihr höher.
"Und wie", antworte ich sehnsüchtig. Ich vermisse sie so sehr, ihre Nähe, ihre weiche Haut, ihren süßen Duft. "Wir wollen uns morgen treffen", verrate ich ihm verschwörerisch. Ich habe bisher mit niemandem darüber geredet, schließlich kenne ich die Einstellung von Sam und Louis zu diesem Thema und möchte mir meine blauäugige Vorfreude auf gemeinsame Zeit mit Esmeralda nicht von ihrem Realismus kaputt machen lassen.
"Uh", macht mein bester Freund grinsend. "Was macht ihr? Ihr könnt ja schlecht in Duisburg durch die Innenstadt spazieren, oder?"
"Ich habe mir was überlegt. Ich fahre mit ihr wohin, wo uns garantiert niemand über den Weg läuft, der uns kennt. Darum hat sie mich auch gebeten, aber das was ich geplant habe, wird sie nicht erwarten."
"Klingt gut. Ich hoffe, das ganze geht gut für dich aus, Nick."
"Ich hoffe es auch, vor allem für Esmeralda. Es macht mich krank zu wissen, dass sie weiterhin in diesem schrecklichen Umfeld lebt. Aber ich habe mir geschworen, sie da raus zu holen, koste es, was es wolle und egal wie lange es dauert."
...
Das Training hat mir wie immer gut getan. Ich liebe es, mich auszupowern und an meine Grenzen zu gehen.
Ich bin noch auf dem Weg nachhause, habe gerade Nedim bei seinem Elternhaus abgesetzt, da zeigt der Bordcomputer meines Audis mir einen eingehenden Anruf an.
Esmeralda
Augenblicklich schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht. "Hallo Liebes", begrüße ich sie glücklich.
"Hey", gibt sie zurück und ich höre ihr Lächeln an der Wärme ihrer Stimme.
"Wie geht's dir? Wie war dein Tag?"
"Es war ganz okay, ich habe den ganzen Tag bei Erçan gearbeitet und bin gerade erst heim gekommen. Ich hatte gehofft, du kommst in deiner Mittagspause vorbei." Seichte Enttäuschung schwingt in ihrer Stimme mit.
"Ich hatte nicht auf dem Schirm, dass du heute arbeitest, Süße, tut mir leid. Wir haben heute im Büro gegessen, mein Kollege ist auf Diät", erzähle ich amüsiert.
"Oh je", kommentiert sie mitleidig. "Was gab's denn? Salat?"
"Reis mit Brokkoli und Hähnchen. Sam hat gestern Abend extra für uns gekocht."
"Bist du etwa auch auf Diät?", fragt sie irritiert.
"Willst du mir gerade durch die Blume sagen, dass ich zu fett bin?", hake ich mit gespielter Empörung nach.
"Auf gar keinen Fall, eben darum frage ich ja", revidiert sie schnell.
"Ich bin nicht auf Diät, aber ich habe meine Ernährung in letzter Zeit auch ein wenig schleifen lassen, deshalb kann es nicht schaden, mitzuziehen. Außerdem ist geteiltes Leid halbes Leid und er hat mehr als einen Gefallen bei mir gut."
Ich parke meine dunkle Limousine auf dem Seitenstreifen vor unserem Haus und steige aus.
"Ich weiß, was du meinst. Ich habe zum Glück gute Gene, aber das führt leider auch dazu, dass ich mich meistens nicht gut ernähre."
"Kannst du denn kochen?", erkundige ich mich neugierig und schließe die Haustüre auf. Ich habe den Anruf mittlerweile auf mein Handy umgestellt und presse es mir gespannt ans Ohr. Nike kommt schwanzwedelnd angelaufen und lässt sich genüsslich von mir zur Begrüßung hinter den Ohren kraulen.
"Na klar, in unserer Kultur lernen Mädchen das schon sehr früh. Wir sind schließlich dazu da, unseren Ehemann zu versorgen, Kinder zu kriegen und diese dann ebenfalls zu versorgen", antwortet sie spitzzüngig.
Aus der Küche höre ich Geschirr klappern und sehe vom Flur aus meine Mutter, die den Geschirrspüler ausräumt. Auf dem Herd stehen drei Töpfe, aus denen dichter Dampf und ein himmlischer Geruch steigen.
"Gib mir kurz eine Minute, ja? Ich muss eben meine Mutter begrüßen, ich bin gerade die Haustür rein", informiere ich Esmeralda und laufe in die offene Küche.
"Hallo Nick", begrüßt mich die blonde Frau mit den strahlend blauen Augen und schenkt mir ein herzliches Lächeln.
"Hallo Mama, alles gut?", erwidere ich, umrunde die Kücheninsel und drücke ihr einen Kuss auf die Wange.
"Ja und selbst? Mit wem hast du gerade gesprochen?", erkundigt sie sich neugierig.
Ich deute mit einer Kopfbewegung auf mein Handy. "Ich telefoniere."
"Mit?", hakt sie nach und mustert mich kurz. Als ich nicht antworte schiebt sie hinterher: "Anna Karenina?"
Überrascht blicke ich auf. Dass sie sich das gemerkt hat, löst in meinem Bauch ein wohlig warmes Gefühl aus. "Genau", antworte ich lächelnd.
"Schöne Grüße unbekannterweise", flötet sie und zwinkert mir zu. Ich nicke grinsend und schiele auf den Herd. "Rinderfiletstreifen mit Spätzle und Pfifferlingen", informiert sie mich. "Ich sage dir Bescheid, wenn das Essen fertig ist. Dauert noch einen Moment."
"Danke Mama", antworte ich und laufe mit schnellen Schritten durchs Wohnzimmer und die Treppen rauf. "Bist du noch da?", frage ich in den Hörer meines Smartphones.
"Klar", kommt es von Esmeraldas vertrauter Stimme zurück.
"Meine Mutter lässt dir schöne Grüße ausrichten", erzähle ich ihr. "Mir? Wieso das denn? Meinte sie etwa mich mit Anna Karenina?", fragt sie überrascht.
"Ja. Ich hatte ihr davon erzählt, dass du Anna Karenina gelesen hast und wir uns darüber unterhalten haben."
"Was hast du deiner Mama denn erzählt, wer ich bin und woher du mich kennst?", hakt sie neugierig nach.
"Nicht viel, nur dass ich dich durch die Arbeit kennengelernt habe und mich in dich verliebt habe", sage ich schneller, als ich denken kann. Als mir bewusst wird, was ich da gerade offenbart habe, schießt mir die Schamesröte in die Wangen. Zum Glück kann Esmeralda mich in diesem Moment nicht sehen.
Kurz herrscht Stille zwischen uns.
War das etwa zu viel Ehrlichkeit?
"Hast du das wirklich?", wispert sie plötzlich und klingt auffällig gerührt.
Ich atme tief durch. "Ja", antworte ich dann einsilbig. Ich bin und bleibe ein schüchterner Mensch, ich kann einfach nicht aus meiner Haut.
"Ich habe mich auch in dich verliebt, Nick. Du hast mich gleich in den Bann gezogen, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Ich habe noch nie einen so freundlichen und empathischen Mann wie dich kennengelernt. Und noch dazu siehst du wahnsinnig gut aus".
Ihre Worte gehen runter wie Öl. Mein Gefühl hat mich also nicht getäuscht und sie hat es auch von Anfang an gespürt, dass da etwas zwischen uns ist.
"Das kann ich nur zurückgeben", antworte ich verlegen. "Du bist wunderschön, klug, herzlich. Ich hätte dich am liebsten 24/7 in meiner Nähe. Umso mehr freue ich mich, dass wir morgen den Tag miteinander verbringen. Es bleibt doch dabei, nicht wahr?"
"Natürlich", antwortet sie sofort. "Hast du schon eine Idee, wo wir essen gehen?"
"Ja, aber ich würde dich gerne überraschen. Wenn es okay für dich ist, würde ich gerne schon morgens los. Wir können uns irgendwo treffen und fahren dann wohin, wo uns beide garantiert niemand kennt."
"Jetzt machst du mich aber neugierig. Wie soll ich heute Nacht schlafen können? Ich werde wachliegen und mir den Kopf darüber zerbrechen, was du geplant hast", gibt sie zurück.
"Lass dich überraschen", entgegne ich lachend. "Sollen wir uns morgen um 9 Uhr am Oberhausener Hauptbahnhof treffen? Du musst nicht lange fahren, aber die Gefahr, dass uns jemand miteinander sieht, ist geringer als irgendwo in Duisburg", schlage ich vor.
"Das klingt nach einem guten Plan", pflichtet sie mir bei. "Ich werde um 9 Uhr da sein. Muss ich irgendwas spezielles mitbringen für unsere Verabredung?"
"Nimm sicherheitshalber einen Bikini und ein Handtuch mit."
Auch wenn ich Esmeralda nicht sehen kann, spüre ich die Fragezeichen, die ihr ins Gesicht geschrieben stehen.
"Vertrau mir einfach, wir werden einen schönen Tag haben. Ich muss jetzt auflegen Süße, ich war nach dem Sport noch nicht Duschen und wir essen gleich. Ich hole dich morgen um 9 Uhr ab", verabschiede ich mich vorfreudig, bevor ich das Telefonat beende.
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