14

Esmeralda und ich gehen gemeinsam in den außenliegenden Raucherbereich. Wir verziehen uns in die hinterste Ecke, um unbeobachtet zu sein und setzen uns unter einen der Heizpilze, da es nachts schon so kühl ist, dass sie in ihrem dünnen Kleidchen sonst bestimmt frieren würde.

"Waren das deine Freundinnen?", beginne ich etwas unbeholfen ein Gespräch und lehne mich gegen die dunklen Polster des schwarzen Rattansofas.

"Ja, Delia und Kyra. Wir waren zusammen in der Schule", plaudert sie bereitwillig aus. "Und mit wem bist du hier?"

"Mit meinem besten Freund, meinem Bruder und zwei anderen Freunden", erzähle ich und mustere sie einen Moment lang. Sie hat ihre schlanken Beine überschlagen, ihre langen Locken fallen offen über ihre Schultern und bedecken einen großen Teil ihres zierlichen Oberkörpers, während das sanfte Licht der Terrasse ihre Gesichtszüge weichzeichnet.

"Du siehst schön aus heute", gestehe ich verzaubert, obwohl es mich eine ganze Portion Mut kostet.

"Ja, im Gegenteil zu unserem ersten Treffen auf jeden Fall", lacht sie über sich selbst.

"Da sahst du auch schön aus", stelle ich unverzüglich klar. "Aber jetzt wirkst du glücklich und das macht dich noch schöner."

"Stimmt schon, aber wer wäre auch glücklich, wenn die Polizei bei einem im Zimmer steht?", entgegnet sie und zieht die Schultern hoch.

Ich rutsche ein bisschen zu ihr auf, um die Lautstärke des Gesprächs zu minimieren, da kein anderer Clubbesucher mitbekommen muss, was an jenem Tag in Esmeralda Elternhaus abgelaufen ist.

"Du hast schon recht, aber..", beginne ich, doch unterbreche mich dann selbst. Ich will weder ihr noch mir selbst den Abend kaputt machen, indem ich ihr jetzt erkläre, dass das in meinen Augen weniger an uns als Polizei als viel mehr an ihrer Familie und deren Einfluss auf sie lag. Ich will die Stimmung nicht ruinieren, ich will ihr nicht zu nahe treten und vor allem will ich nicht, dass sie abhaut.

"Wie auch immer, heute strahlst du wieder und das macht dich besonders schön", stelle ich klar und beende damit das unangenehme Thema.

Im selben Moment wundere ich mich über mich selbst. Normalerweise tue ich mich in Gesprächen mit Frauen, die mir gefallen immer wahnsinnig schwer, doch Esmeralda überschütte ich geradezu mit Komplimenten.

Keine Ahnung, ob mein neu gewonnener Mut an meinem Alkoholpegel oder an meiner Gesprächspartnerin liegt - vermutlich ist es eine Mischung aus beidem.

"Danke", antwortet Esmeralda und streicht sich geschmeichelt eine ihrer Strähnen aus dem Gesicht. "Du siehst auch wirklich gut aus", gibt sie zurück und lässt ihren Blick gefällig über meine muskulösen Oberarme gleiten.

Ich mache mir nicht besonders viel aus Komplimenten, doch dass ausgerechnet sie sowas sagt, bedeutet mir viel und ich spüre, wie sich meine Wangen leicht röten.

Wir schweigen, als wüssten wir beide nicht, wie wir das Gespräch nun weiter führen sollen, doch es ist kein unangenehmes Schweigen. Ich fühle mich nicht dazu verpflichtet, das Gespräch auf Krampf mit sinnlosem Smalltalk am Laufen zu halten, sondern genieße es, einfach mit ihr unter dem sternenklaren Himmel zu sitzen und unseren Gedanken nachzuhängen.

"Wie geht es denn Nelu?", fällt mir irgendwann ein. Ich löse meinen Blick von den unendlichen weiten des Nachthimmels und wende mich wieder meiner schönen Begleitung zu. Überrascht sieht sie mich an. Sie scheint sich zu wundern, dass ich mir seinen Namen gemerkt habe.

"Ihm geht's besser, er ist auch wieder zuhause. Er soll sich noch schonen, aber das klappt eher schlecht als recht", erzählt sie mit schwerem Herzen. Wieder ist ihr die Sorge um ihren kleinen Bruder ins Gesicht geschrieben. Er scheint ihr besonders nahezustehen, wohingegen sie sich um Adonis, der bei der Schlägerei ebenfalls verletzt wurde, gefühlt kein bisschen gesorgt hat.

"Kann ich mir vorstellen. Er sieht die Gefahr noch nicht mit seinen 16 Jahren. Ihm fehlt einfach die Reife, die Tragweite seiner Entscheidungen zu verstehen", antworte ich nachdenklich.

"Da sagst du was. Nelu kann oft die Gefahr und die Tragweite von Entscheidungen nicht einschätzen, sonst wäre er nie in diese Situation geraten", erwidert sie kryptisch. Wieder einmal überkommt mich das Gefühl, dass viel mehr hinter der Geschichte der Serafins steckt, als wir bisher herausgefunden haben.

"Du hast ja damals schon gesagt, dass er sich oft von Adonis in dumme Aktionen verstricken lässt. Ihr kommt nicht sonderlich gut miteinander klar, oder? Ich meine, er hat dich ja auch meinetwegen ziemlich angefahren", hake ich nach und beobachte sie aufmerksam.

Sie legt den Kopf schief und sieht mich herausfordernd an. "Fragst du mich das jetzt als Nick oder als Polizist?"

Ich nehme ihr diese Frage nicht übel und vor allem sollte ich sie mir selber stellen, denn das private Gespräch mit Esmeralda bringt mich durchaus in einen Zwiespalt. Alles, was sie mir erzählt, könnte auch für unsere Ermittlungsarbeit von Interesse sein, dabei liegt mir nichts ferner als bewusst ihr Vertrauen auszunutzen.

Um ehrlich zu sein, bringt mich jedes Gespräch mit Esmeralda in einen Interessenskonflikt und ich merke, dass ich das bisher nicht ausreichend bedacht habe.

"Als Nick", antworte ich mit ruhiger Stimme, doch merke selbst, wie unsicher das klingt und auch Esmeralda scheint mein Zögern nicht entgangen zu sein.

Es scheint, als würde in diesem Moment irgendwas zwischen uns zerbrechen. Die Leichtigkeit des Moments ist dahin.

Esmeralda lehnt sich leicht zu mir herüber und greift nach meiner Hand, so wie ich es letztens bei ihr getan habe. Sie legt ihre schlanken Finger um meine und schenkt mir ein trauriges Lächeln.

"Das ist das Problem und ich kann es dir nicht mal verübeln. Du bist ein guter Mensch, du hast das Herz am rechten Fleck, das merkt man dir gleich an, aber wir kommen aus zwei verschiedenen Welten und das bringt am Ende nichts als Ärger."

Ich lasse ihre Worte auf mich wirken und versuche zu verstehen, was sie mir damit sagen will, doch es wird mir erst richtig klar, als sie langsam aufsteht.

Sie und ich - das kann nicht funktionieren und wir sollten, was auch immer das zwischen uns ist, lieber lassen.

Und trotzdem will ich nicht, dass sie jetzt geht.

Sanft ziehe ich sie an ihrer Hand, die noch immer mit der meinen verschränkt ist, zurück in die Polster der Sitzecke.

"Ich weiß, dass du Recht hast, aber können wir das nicht einfach vergessen, wenigstens heute? Nur dieses eine Mal?", bitte ich sie fast flehend.

Ich genieße ihre Nähe so sehr und kann mich an ihrem schönen Gesicht nicht satt sehen. Ich will nicht, dass dieser Moment endet, wo ich ihr doch endlich mal ein bisschen näher komme. Sie soll bei mir bleiben, wenigstens in dieser Nacht, bis die Sonne aufgeht.

Es geht mir nicht um Sex, ich will sie nicht klarmachen, ich will einfach nur bei ihr sein und für eine Nacht die Illusion genießen, wie das alles zwischen uns sein könnte, wenn wir uns unter anderen Umständen begegnet wären.

Denn, dass Esmeralda sich von mir genauso angezogen fühlt, wie ich mich von ihr, ist offensichtlich. In der Vergangenheit war meistens sie die treibende Kraft, die immer wieder ein Gespräch mit mir gesucht hat.

Wie zwei Magneten finden wir immer wieder den Weg zueinander, auch wenn wir beide wissen, dass das irgendwie falsch ist.

Ich sehe ihr an, dass sie mit sich hadert. Sanft streiche ich mit meinem Daumen über ihren Handrücken. "Gib mir nur ein paar Stunden. Nur wir beide, ohne Konsequenzen. Niemand wird je davon erfahren. Und wenn du es willst, halte ich mich danach für immer von dir fern."

Ich weiß ja selbst, dass dieser Weg der Beste ist, doch ich spüre auch, dass die möglichen Konsequenzen für mich immer mehr in den Hintergrund rücken. Jedes Lächeln und jedes Funkeln ihrer smaragdgrünen Augen wischen meine Bedenken ein bisschen mehr beiseite.

"Ich weiß nicht", beginnt sie und schaut unsicher auf unsere verschränkten Hände. "Aber nicht hier. Hier sind viel zu viele Menschen. Es wäre besser für uns beide, wenn wirklich keiner davon erfährt", sagt sie zögernd.

Mein Herz hüpft vor Freude und auf meinem Gesicht breitet sich ein fettes Grinsen aus. Am liebsten würde ich sie vor Glück umarmen und ihren schlanken Körper genussvoll an mich pressen.

"Okay, wir gehen woanders hin", beschließe ich überschwänglich. Wenn sie es verlangen würde, würde ich wohl auch spontan nach Paris fahren, um Zeit mit ihr zu verbringen.

"Ich sage nur schnell meinen Freundinnen, dass ich nachhause gehe", erklärt sie und löst ihre Hand aus meiner.

"Okay, ich sage meinen Jungs auch eben Bescheid", antworte ich und kriege das Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht. Wir stehen gemeinsam auf und laufen zurück ins Innere der Disco.

"Wir treffen uns gleich an der Garderobe, okay?", fragt sie und sieht sich suchend nach ihren Freundinnen um. Zeitgleich mache ich Louis, Nedim und Luan gemeinsam an der Bar aus.

"Okay, machen wir. Ich brauche nicht lange", antworte ich, schenke ihr ein Lächeln und drücke kurz ihre Hand.

"Bis gleich", verabschiedet sie sich ebenfalls und lächelt mich zaghaft an. Es muss lächerlich aussehen, wie wir mitten im Raum stehen und es nicht schaffen, uns für wenige Minuten voneinander zu lösen.

In dem Moment spüre ich, wie ich von Blicken durchbohrt werde. Ich sehe auf und blicke direkt in Nedims und Louis' amüsierte Gesichter, die die Szene sensationslustig beobachten.

Ich lasse Esmeraldas Hand ertappt los und versuche mich zusammenzureißen. "Bis gleich", antworte ich und laufe zu den Jungs an die Bar.

"Wer ist das?", fragt Nedim grinsend und wackelt mit den Augenbrauen, während er vor Neugier fast platzt. "Ein Mädchen", antworte ich vage und weiche den durchdringenden Blicken meiner aufgestachelten Freunde aus.

"Seid mir nicht böse, aber ich haue ab", informiere ich die drei möglichst neutral, nehme Nedim ohne zu fragen seinen Becher aus der Hand und trinke einen großen Schluck.

"Mit dem Mädchen?", fragt mein bester Freund ungläubig und sieht mich aus großen Augen an.

Ich antworte ihm nicht sofort, da fasst Louis mich ein wenig grob an der Schulter und gewinnt so meine Aufmerksamkeit für sich. "Nick, wer ist das?", fragt er mich ernst. Der Blick aus seinen braunen Augen ist so kalt, dass ich weiß, dass er die Antwort bereits kennt. "Sie ist das, oder?"

"Wie kommst du darauf?", frage ich zurück und bemühe mich darum, ein Pokerface aufzusetzen. Ich weiß, wie Louis zu Esmeralda steht und ich weiß, dass er Recht hat, aber ich habe mich dazu entschlossen, erst morgen wieder vernünftig zu sein und mich heute einfach meinen Gefühlen hinzugeben.

"Na du hast dir bestimmt kein Mädchen hier auf der Tanzfläche aufgerissen", spottet Louis trocken, doch er lacht nicht. "Außerdem habe ich selbst auf die Entfernung das Funkeln in deinen Augen gesehen. Dasselbe Funkeln, das du hast, wenn du von ihr redest."

Ich raufe mir durch meine kurzen, dunkelblonden Haare.

"Nick, was hast du jetzt vor?", fragt mein Bruder aufgebracht und baut sich vor mir auf. Ich hasse es, wenn er den großen Bruder raushängen lässt.

"Wir gehen spazieren oder so", fertige ich Louis ab und werde langsam unruhig. Ich will Esmeralda nicht warten lassen.

"Hast du mal darüber nachgedacht, dass das eine Falle sein könnte?", fragt er trocken und sieht mir tief in die Augen.

Mir entfährt ein leises Lachen. "Meinst du das ernst? Es war meine Idee, nicht ihre", stelle ich klar und schüttele seine Hand wütend von mir ab.

"Dumme Idee", kontert Louis nüchtern.

"Wie gut, dass dich das nichts angeht", gebe ich bissig zurück und erwidere seinen Blick kurz starr.

"Sorry Nedim. Ich erkläre dir das alles morgen, versprochen", wende ich mich noch kurz an meinen besten Freund, der die Welt nicht mehr versteht, und lasse die drei Jungs stehen.

_________________________________

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top