3. Kapitel: "Es handelt nur von dir, dein gesamtes Gelaber."
Mir ist bewusst, wie falsch das gerade ist, dass ich meinen Redeschwall nicht stoppen kann. Es sollte nicht ausschließlich um mich gehen, Vincent und ich müssten abwechselnd über unsere Gefühle sprechen, aber die Worte sprudeln nur so aus mir heraus. Ich laufe über vor Schmerz, den ich irgendwie versuche, in sinnvolle Sätze zu verpacken, bis ich nicht mehr weiß, worüber ich eigentlich noch rede. Paris Namen auszusprechen tut unfassbar weh, aber er rollt noch immer über meine Lippen als wäre nichts geschehen. Das Stechen im Herzen setzt erst danach ein, dafür dann aber in voller Intensität.
„Weißt du was?", unterbricht mein Kumpel mich irgendwann. Ich kann nicht genau sagen, wie lange am Stück ich geredet habe. Auf jeden Fall war das zu viel. „Du bist ein schlechter Freund", nimmt Vincent kein Blatt vor den Mund.
„Ich –", setze ich zu einer lahmen Verteidigung an. Er erhebt sich, schwankt ein wenig, dann bleibt er stabil vor mir stehen.
„Ich werde mich in meinem Schlafzimmer einschließen", verkündet er. Mit dem Zeigefinger deutet er auf die Flasche Cognac, die wir vorhin angebrochen haben und die inzwischen halbleer ist. „Damit. Aber ohne dich." Vincents Zeigefinger schwenkt vom Cognac rüber zu mir. „Du quatschst mich nämlich zu Tode und wenn ich tot bin, kann ich keinen Alkohol mehr trinken. Und bevor du was dazu sagst: Nein. Das wäre überhaupt nicht besser so für mich. Es wäre beschissen. Ich müsste wieder an meine Ex-Freundin denken, wenn ich nicht trinken würde und das würde mich noch trauriger machen."
„Wenn du tot bist, denkst du an niemanden mehr", lasse ich eine sachliche Bemerkung fallen.
Vincent zieht die Augenbrauen zusammen und schielt auf mich herab.
„Ich sollte wohl auf dich hören. Im An-niemanden-mehr-Denken bist du echter Fachmann, was, Dag?"
„Whynee, jetzt warte", versuche ich ihn aufzuhalten, aber er sucht das Weite und die Tür zu seinem Schlafzimmer knallt hinter ihm zu.
Da sitze ich. Allein auf der Couch meines besten Freundes, der nicht mit mir reden will, weil ich ihn echt enttäuscht habe.
Kurz keimt Hoffnung in mir auf, als die Tür rechts von mir wieder aufgeht.
„Ich wollte nicht mit der Tür knallen", stellt Vincent klar, bevor er sie ein zweites Mal schließt. Diesmal leise. Und endgültig.
Anklopfen hilft nicht.
„Vincent", rufe ich. „Das ist doch albern, komm da raus."
„Warum muss ich denn dabei sein, wenn du deine Monologe führst?", schallt es von drinnen zurück.
„Weil du mein Freund und für mich da bist?", formuliere ich den Fakt als Frage.
„Einseitig funktioniert das aber nicht", grummelt Vincent .
„Ach, komm. Was soll ich deiner Meinung nach denn dagegen tun, dass ich mich wie ein Häufchen Elend fühle?"
„Dag?"
Seiner Stimme nach zu urteilen muss er direkt hinter der Tür stehen.
„Ja?"
„Ich liebe dich wie einen Bruder. Aber bitte verpiss dich. Du könntest deine Scheiße bei mir abladen, wenn ich gerade den Kopf dafür freihätte. Ich hab aber eigene Kacke an der Backe und für die hast du den Kopf nicht frei. Du redest an mir vorbei und ich kann nichts dazu sagen, weil meine Hirnwindungen so verklebt sind von irgendwelchen dummen Gedanken und Erinnerungen an Charlotte, dass ich dir nicht mal zuhören kann. Ich geb mir Mühe, deine Geschichte mit Pari nachzuvollziehen, aber ich schaff's einfach nicht."
Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die Tür und seufze.
„Wo soll ich denn hin damit, wenn nicht zu dir?"
„Kein Plan, Alter. Ich weiß auch nicht, wo ich mit meinem Liebeskummer hinsoll, außer zu dir."
Ich sollte mich tatsächlich auf den Weg machen. Wir können uns nicht unterstützen, wozu also der Aufwand?
„Ist beschissen zurzeit", gebe ich ein finales Statement ab.
„Ich weiß auch nicht, wieso Frauen so anstrengend sein müssen."
Ich lache leise.
„Whynee?"
„Hm?"
„Ich liebe dich."
„Du bist auch die Liebe meines Lebens, Bruder. Aber hast du nichts aus dem Dilemma mit Zwerg Nase gelernt? Wirf besser nicht mehr mit solchen Geständnissen um dich. Nicht jede Olle nimmt das so gut auf wie ich."
Ich schließe die Augen, aber das Lächeln breitet sich trotzdem auf meinen Zügen aus.
„Tschüss, Vincent", verabschiede ich mich.
„Morgen rufe ich dich an, wehe du gehst nicht ran", droht er.
„Wenn ich nicht rangehe, musst du dich wohl zur Abwechslung mal zu mir bequemen."
„Lass mich nicht hängen, Dicka, sonst bin ich sauer auf dich."
„Bist du nie. An manchen Tagen meckerst du, an anderen nicht und die letzteren sind mir lieber."
„Verpiss dich endlich."
„Bis morgen!" Ich ziehe die Wohnungstür hinter mir zu.
Während ich auf meine Bahn warte, überlege ich kurz, eben noch Iara anzurufen. Sie hat mich schließlich darum gebeten. Mein Daumen kreist über ihrem Namen im Telefonbuch, doch dann entscheide ich mich dagegen und stecke das Handy wieder weg. Ich habe Iara gern, sie ist eine wirklich gute Freundin und ich weiß, dass Paris Verhalten sie wahrscheinlich genauso krank macht wie mich. Aber mit ihr über meine verletzten Gefühle zu sprechen wäre falsch. Sie kann sich weder vollständig auf meine noch auf Paris Seite schlagen und deswegen ist es besser, nicht ausgerechnet ihr – Paris bester Freundin – die Ohren vollzuheulen.
Als ich aufschaue und den Mond am Himmel stehen sehe, ist das wie ein Zeichen. Es gibt da vielleicht doch jemanden, mit dem ich reden kann. Luna. Meine Finger umfassen wieder das Smartphone in meiner Jackentasche. Ich ziehe es heraus, klicke mich zurück in die Kontakte und starre auf die Nummer, die ich in den letzten zwei, drei Jahren nur selten gewählt habe. Wir hören zwar noch ab und an voneinander, eher aber auf Insta in Kommentaren oder DMs. Ich tippe auf das grüne Anrufsymbol.
„Dag-Alexis Kopplin ruft mich an! Mich!", quietscht sie am anderen Ende der Leitung aufgeregt und so nervtötend piepsig, dass ich beinah mein Experiment bereue, bevor es richtig an den Start gehen konnte. „Dass mir die Ehre in diesem Leben nochmal zuteilwird, hätte ich ja nie gedacht", plappert sie munter weiter.
„Ich auch nicht", murmle ich.
„Oh", versetzt sie trocken. „Hast du dich verwählt?"
Ich kann es selbst kaum glauben, als ich ihre Frage verneine.
„Ich wollte dich anrufen."
„Okay", erwidert sie langgezogen. „Jetzt wird's spannend."
„Du bist die einzige Freundin, die ich habe, die Erfahrungen mit unerwiderter Liebe gemacht hat und in der Friendzone gelandet ist.", erkläre ich. „Tja ...", hoffentlich kommt sie von selbst drauf.
„As if! Welche Frau soll dich denn bitte abgewiesen haben? Ist sie lesbisch, verrückt – Wie sagt man das noch gleich politisch korrekt? Mental eingeschränkt? Erzähl mir alles, Hase." Der Kosename jagt mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken. Zärtliche Worte aus ihrem Mund klingen nach wie vor furchtbar falsch, wenn sie sie auf mich bezieht. Ich hab sie schließlich nicht umsonst in die Friendzone abgeschoben.
„Sie erinnert mich in mancherlei Hinsicht an dich", verrate ich ihr die Wahrheit. Vielleicht hätte ich Pari mit der Friendzone-Idee zuvorkommen sollen. Dafür ist es jetzt zu spät, sie war offensichtlich schlauer und vor allem schneller als ich.
„Ach, herrje", kommt es von Luna.
„Kann ich dich auf 'nen Kaffee einladen, oder so?", biete ich an.
„Du willst mich mitten in der Nacht auf einen Kaffee einladen", konstatiert sie und ich kratze mich am Hinterkopf. Sie hat recht, das war vielleicht nicht mein klügster Einfall. Blöder Alk. „Das ist alles, wovon ich je geträumt habe!", quiekt sie dennoch urplötzlich. „Bei dir oder bei mir, Süßer?"
Ein Schmunzeln legt sich auf meine Lippen.
„Beim Späti." Dem Späti. „Wie lange brauchst du?"
„Nicht lange, ich bin top gestylt, muss nur rasch eine Freundin rauswerfen. Mikaela!", ruft sie, ehe sie wieder zu mir spricht. „Wir sehen uns in einer halben Stunde."
Vielleicht ist es bescheuert, dass ich mich mit Luna treffe. Der Gedanke spült aber erst mit dem dritten Schluck Kaffee, den ich eine halbe Stunde später trinke, an die Oberfläche meines Bewusstseins. Sie hat ihre frisch manikürten Hände um den Pappbecher geschlungen und passt insgesamt nicht zum rauen Ambiente des Spätkaufs. Auf dem Resopal-Stehtisch liegt eine grüne Serviette als Tischdeckenersatz. In dem kalten, grellen Licht der LEDs über unseren Köpfen, sieht ihr Make Up nicht halb so schlimm aus wie im Tageslicht. Ich habe ihr genau das gerade gesagt, da verdreht sie die Augen.
„Dag, sei kein Weichei und erzähl mir endlich, was dir mit diesem ominösen Mädel passiert ist. Du musst dich ganz schön heftig in sie verknallt haben, wenn dich die Abfuhr derart mitgenommen hat." Sie nimmt den Zuckerstreuer zur Hand und schüttet ungefähr einen Esslöffel in ihren Filterkaffee. „Das hast du nicht gesehen", kommentiert sie. „Ich bin auf strenger Diät und nehme kein Gramm Zucker zu mir." Luna trinkt einen Schluck und schließt genießerisch die Augen. „Verfickte Scheiße, tut das gut", schnurrt sie und stellt den Becher vor sich ab. „Wie heißt sie?", fragt sie mich.
„Pari", murmle ich. Ihre seltsame Aktion mit dem Zucker hat mich irritiert.
„Peri?", wiederholt sie. „Das ist ein türkischer Name, oder?"
„Pari. Mit a. Es ist ein iranischer Name", kläre ich sie auf.
„Wie habt ihr euch kennengelernt?"
„Über eine Freundin auf ihrer WG-Einweihungsparty."
Luna quietscht und klatscht fröhlich in die Hände.
„Ich verstehe, weshalb sie dich an mich erinnert. Das ist fast wie bei uns damals."
„Wir haben uns auf einer Studentenparty kennengelernt, du wolltest mich abfüllen und ich bin dich seitdem nicht losgeworden, du Verrückte", grummle ich.
„Wo liegt der Unterschied?"
Ich muss unwillkürlich lachen und sie lacht mit mir. Nachdem ich mich einigermaßen gefangen habe, bemerke ich, dass sie mich aufmerksam taxiert.
„Unmöglich", sagt sie leise.
„Was ist unmöglich?"
„Du hast dich überhaupt nicht verändert, man könnte meinen, du siehst mit jedem Jahr jünger aus." Lunas Blick gleitet an mir herab und ich rolle die Schultern zurück. Ich fühle mich auch, als würde ich mit jedem Jahr unreifer werden.
„Sie hat mich in die Friendzone abgeschoben", vertraue ich mich meinem Gegenüber an. „Ich dachte, du weißt ja, wie das ist."
„Oh ja, das weiß ich. Wirst du über sie auch einen Part schreiben, in dem du sie in einer Tour beleidigst?"
„Komm schon", grinse ich. „Am Ende hast du drüber gelacht."
Sie lächelt melancholisch.
„Ja, weil ich immer über deine Witze lache. Daran wird sich wohl nie was ändern."
„Hat dich das wirklich verletzt?", frage ich sie vorsichtig. „Das war nicht böse gemeint, als ich dich in unserem Song verspottet habe." Luna winkt lachend ab.
„Es ist ja etwas her. Ich habe meinen Frieden damit geschlossen. Wir pflegen den perfekten Umgang miteinander, darauf sollten wir eigentlich mehr als nur schnöden Kaffee schlürfen, das ist fast champagnerwürdig."
„Wir pflegen den perfekten Umgang miteinander?", lache ich. „Wir pflegen so gut wie gar keinen Umgang miteinander, dabei sind wir Freunde. Wir sehen uns nie, wir sprechen kaum miteinander. Wir schreiben bloß."
„Sag ich doch: perfekt."
Ich mustere sie nachdenklich. Sie hat die Hände in den Taschen ihrer figurbetonenden Lederjacke versteckt und lehnt mit dem Rücken am Fenster des Ladens, vor dem Schriftzug aus gelben, selbstklebenden Buchstaben.
„Ich vermisse es manchmal, mit dir abzuhängen", gestehe ich. „Wenn du nicht gerade nervig bist, bist du ziemlich cool."
Luna zupft an ihrem Ohrstecker, einer winzigen goldenen Rose.
„Weißt du, eigentlich ist doch alles wie es war zwischen uns, was gibt's da zu vermissen? Du würdest immer noch nein sagen und ich ... Ich würde immer noch nicht nein sagen." Ihr ruchloses Lächeln verunsichert mich.
Überrascht lege ich den Kopf leicht schief.
„Auch nach all der Zeit nicht?"
„Ach, Dag", seufzt sie. „Du bist immer noch derselbe." Ihre Augen beginnen zu funkeln. „Derselbe selbstverliebte Vollidiot."
„Du perfides Luder", verfluche ich sie dafür, dass sie mich eben reingelegt hat.
„Der Dirty-Talk kommt ein paar Jahre zu spät. Natürlich hast du deinen Zauber verloren, Mr. Mysterious. Nach all der Zeit", zitiert sie mich höhnisch. „Ich bin ein klitzekleines bisschen schadenfroh, das gebe ich offen zu. Unfassbar, dass dir eine genau das angetan hat, was du mir damals angetan hast. Mikaela hat anscheinend doch Recht, Karma muss existieren. Ich habe alles Mögliche über Buddhismus gelesen, die Leute fliegen momentan total darauf und man muss sich ohnehin immer weiterbilden –"
„Luna", unterbreche ich sie und kann nicht verhindern, dass sich ein Funke von der alten Traurigkeit dabei in meine Stimme schleicht. „Das mit Pari ist ziemlich kompliziert. Es sind zweimal drei Worte gefallen, die nicht hätten fallen dürfen und heute hat sie mich abserviert."
Luna kneift die Augen zusammen.
„Welche sechs Worte meinst du?"
„Ich sagte doch, es ist kompliziert."
Ich fahre mir durchs Haar und warte ab, was sie dazu zu sagen hat.
„Okay, willkommen in der Hölle", ist das erste, was sie nach einer Weile rausbringt. „Du hast ihr gesagt, dass du sie liebst?", hakt sie nach.
„Weil es stimmt." In einem Zug trinke ich meinen Kaffee aus und zerknülle den Becher.
„Warum?"
„Warum ich sie liebe?"
Luna nickt und klimpert mit ihren Fake-Wimpern; die Arme vor der Brust verschränkt.
Ich überlege.
„Es ist schwer, das auszudrücken."
„Du lügst. Worte sind deine Stärke. Ich weiß, dass du welche für sie hast, also spuck's schon aus. "
Seufzend beginne ich: „Sie hat ein gutes Herz. Wirklich gut, meine ich. Sie ist fürsorglich und sie schafft es, bodenständig zu bleiben, obwohl sie einen Hang zum Luxus hat. Außerdem hat sie diese wahnsinnig beruhigende Wirkung auf mich. Ich bin im Einklang mit mir, wenn wir Zeit miteinander verbringen. Alles ist dann – na ja, nicht egal, eher ... Alles ist irgendwie okay. Mein Leben ist doppelt so viel wert, wenn sie da ist; oder so fühlt es sich zumindest an." Luna lächelt.
„Wusste ich's doch. Du hast dich nur vor mir geziert, darüber zu reden, das war ja herzallerliebst."
„Bitte hilf mir", flehe ich und greife nach ihrer Hand. „Wie komme ich über sie hinweg? Wie bist du über mich hinweggekommen?"
Meine Freundin entzieht mir ihre Hand.
„Bei dir und ihr ist das einen Zacken schärfer als bei uns damals. Ich habe dir nie gesagt, dass ich dich liebe, ich hatte einen Crush auf dich, das ist was vollkommen anderes."
„Du warst besessen von mir", korrigiere ich sie ernst.
„Genau das ist das Problem. Du bist nicht besessen von ihr, du liebst sie." Luna streichelt merkwürdig vertraut meine Wange. Ich weiche zurück. „Wenn ich dir weiterhelfen könnte, würde ich das tun", rechtfertigt sie sich.
Ich glaube ihr. Trotzdem will ich mich damit nicht zufriedengeben.
„Hey, komm schon. Ich bin neu in der Friendzone", starte ich einen letzten Versuch. „Jemand hier muss mir zeigen, wo's langgeht.
Luna saugt ihre rot geschminkte Unterlippe zwischen die Zähne.
„Na gut", gibt sie sich geschlagen. „Aber nur unter einer Bedingung: Du bekochst mich, wenn ich bei dir auftauche", fordert sie. „Als wäre ich eine von diesen Frauen, die du versuchst ins Bett zu kriegen. Eine von denen, die ich früher unbedingt mal sein wollte."
„Deal."
Nervensäge
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