4.

Ein schwaches rotes Flackern, zu dunkel um von einem Feuer zu stammen, illuminierte den Wald um sie herum. Verwundert setzte Juna sich auf, wischte sich über die Augen und blickte sich um. Das Leuchten schien von Tiefer aus dem Wald zu kommen. Sie hatte so etwas noch nie gesehen, und das hieß vermutlich dass sie sich davon fernhalten sollte, aber andererseits war sie auch neugierig. Und war heute nicht der letzte Abend, an dem sie Kind sein und nach Lust und Laune die Welt erkunden konnte?

Kurz entschlossen sprang Juna zurück auf die Beine, klopfte sich die Tannennadeln vom Nachthemd und machte sich auf die Suche nach der mysteriösen Lichtquelle. Nach kurzer Zeit stieß sie auf die Grundstücksgrenze, die von einer drei Mann hohen, über und über mit Efeu bewachsenen Backsteinmauer gekennzeichnet wurde. Eine dumme, waghalsige Idee bildete sich in Junas Kopf.

Jeder vernünftige Elf wäre spätestens jetzt umgedreht, doch Junas Abenteuerlust übernahm die Oberhand. Zurückkehren und den Rest der Nacht in ihren Gemächern auszuharren kam nicht infrage. Probeweise kletterte sie an den Efeuranken ein Stück nach oben. Als sie sich davon überzeugt hatte, dass die Pflanzen sie halten würden, sprang sie zurück auf den Boden und lief so lange an der Mauer entlang, bis sie einen Baum fand, der nah genug daran stand um für ihr Vorhaben von Nutzen zu sein.

Die Elfe atmete noch einmal tief durch und machte sich klopfenden Herzens an die Kletterei. Während sie mit den Händen die Äste umklammerte und versuchte mit den Füßen Zweige zu finden auf die sie steigen konnte, wurde ihr bewusst, dass das das Verbotenste war, was sie jemals gemacht hatte. Fast ihr gesamtes Leben hatte sich im Inneren dieser Mauern abgespielt, und nun machte sie sich daran sie zu verlassen, mitten in der Nacht, auf absolut unkonventionellem Weg, während sie eigentlich in ihrem Bett liegen und Energie tanken sollte. Junas Magen machte einen kleinen freudigen Hüpfer und sie begann mit mehr Elan zu klettern.

Als sie schon einigen Abstand zwischen sich und den Boden gebracht hatte und die Efeuranken langsam dünner wurden, griff Juna nach einem der Äste, die die Erle neben der Mauer nach ihr ausstreckte und zog sich mit einiger Anstrengung hinüber in die Krone des Baumes. In dieser Umgebung hatte sie etwas mehr Erfahrung, da sie als Kind häufig auf Bäume geklettert war, und so brachte sie Ast für Ast hinter sich und befand sich schon nach kurzer Zeit hoch über dem Boden.

Viel zu spät fiel Juna auf, dass die Mauern wahrscheinlich mit irgendeiner Magie gesichert sein würden. Aber die war ja eher dazu gedacht, ungebetene Besucher von Draußen abzuwehren, als um jemanden auf den Ländereien zu halten, oder? Sie war schon so weit gekommen, da war es zumindest einen Versuch wert.

Vorsichtig, die Finger in die Rinde geklammert, kletterte Juna an einem Ast entlang vom Baumstamm weg. Als sie die Grenze überquerte, hielt sie die Luft an. Doch nichts passierte. Mit einem triumphierenden Lächeln im Gesicht ließ sich Juna von ihrem Ast auf die Mauer herab. Einen Moment lang blieb sie beinebaumelnd dort sitzen, dann ließ mit den Armen herunter, bis sie wieder eine dickere Efeuranke zu fassen bekam und daran hinunterklettern konnte. Mit geröteten Wangen und leicht außer Puste sprang sie schließlich auf den Boden, klopfte ihr Nachthemd ab und blickte dann ungläubig an der Mauer hinauf.

Als die Realisation dessen, was sie gerade getan hatte, sie vollends durchdrungen hatte, lachte Juna laut auf. "Warum habe ich das nicht früher gemacht?" Der Wald hier unterschied sich in nichts von dem innerhalb der Mauer, doch die Luft schmeckte hier irgendwie anders, nach Freiheit.

Das rote Flackern in ihrer Umgebung erinnerte Juna daran wieso sie eigentlich hier war. Neurierig schlug sie sich durchs Unterholz in Richtung der Lichtquelle.

Nachdem sie mit gerafftem Nachthemd durch ein Brombeergebüsch gelaufen war, was eine extrem schmerzhafte Erfahrung für ihre nackten Unterschenkel darstellte, sah sie sie schließlich zwischen den Bäumen schweben. Es war das Fremdartigste, was Juna je gesehen hatte. Das Licht schien aus sich selbst zu kommen, es schwebte einfach ungefähr auf Hüfthöhe in der Luft, pulsierte und änderte ständig seine Form und tauchte dabei den Giftefeu, der die umgebenden Bäume umrankte, in einen unheimlichen blutroten Schein.

Es sah ein wenig aus, als hätten ein Lagerfeuer und ein wütender böser Geist ein Kind bekommen, das nun im Wald herumspukte. Junas instinkte rieten ihr, auf gar keinen Fall näher zu kommen, doch mal wieder war ihre Neugier stärker. Mit angehaltenem Atem wagte sie noch ein paar Schritte in Richtung des Lichts, um vielleicht doch noch herauszufinden wie es zustande kam.

Das leuchtende Etwas veränderte abermals seine Form und plötzlich war Juna von allen Seiten von dem blutroten Licht umgeben. Ein leichtes Schwindelgefühl erfasste sie und sie hatte das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die Elfe taumelte und rieb sich die Augen. Die Bäume um sie herum schienen sich zurückzuziehen und zu verblassen. Und warum war es auf einmal so kalt?

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