Der Fluch

Im Rosenschloss waren derweil die Vorbereitungen für die Festlichkeit in vollem Gange. Emsig wie die Bienen wuselten die Dienstboten durch die Gänge. Überall wurde gefegt und geputzt, gewischt und gewienert.
Trotzdem hing in den königlichen Gemächern der Haussegen schief.

»Mon Dieu! Welche Taktlosigkeit!«, echauffierte sich die Königin. »Wie konntet Ihr nur die Hälfte meiner Gäste wieder ausladen? Was für ein Fauxpas!«

»Ach, Schnickschnack«, brummte König Uli. »Schneewittchen hat aus Angst vor Attentätern von selber abgesagt und Cinderella kann nur bis Mitternacht bleiben. Da lohnt sich die Anfahrt nicht.
Belle will partout nicht ohne das Biest erscheinen, aber das kommt mir nicht ins Haus. Womöglich erschrickt mein Töchterchen sich zu Tode. Von Eurem Burschen ist auch weit und breit nichts zu sehen. Außerdem habe ich recherchiert. Diese drei goldenen Haare erfüllen gar keine Wünsche! Alles Humbug. Nur weil König Drosselbart eine goldene Gans hat, wollt Ihr ihn wieder mit etwas Extravagantem übertreffen.«

»Ts, ts, ts«, wiegelte die Königin seinen Vorwurf ab. »Als hätte ich sowas nötig.«

»Ich habe mich inzwischen selbst um das leidige Finanzproblem gekümmert«, polterte König Uli. »Der Jäger hat im Wald einen Landstreicher aufgegriffen und dieser Knilch behauptet ernsthaft, er könne Stroh zu Gold spinnen. Jetzt sitzt er im Kerker, bei Wasser und Stroh. Wenn ich nur wüsste, woher wir so ein olles Spinnrad bekommen.«

Die Königin blickte ihren Gatten zweifelnd an. »Dies haltet Ihr für eine gute Idee? Warum dürfen dann nicht wenigstens alle Feen unseres Landes zur Taufe kommen?«

»Nee, nee, nee. Ich gebe kein Geld aus, das ich noch nicht habe. Bei den Schnepfen habe ich vorher angefragt, welche Gaben sie unserer Tochter mitbringen. Die Nummer Dreizehn hat was von Fleiß und Bescheidenheit gefaselt. Wozu soll eine Prinzessin sowas brauchen?«

So nahte der Vortag des großen Festes.

Das Königspaar saß beim Frühstück, als mit schepperndem Getöse die Zinnsoldaten im Flur vor dem Speisesaal durcheinander purzelten. In einer Wolke finsteren Zornes trat die Dreizehnte Fee durch die Tür. Todesmutig stellte sich ihr Ritter Rost mit erhobener Hellebarde entgegen.

»Du kannst nicht vorbei!«, dröhnte es aus seinem geschlossenen Visier.

»Pah!« Die erzürnte Fee schwang ihren Zauberstab und ein Regenschauer ergoss sich über den Ritter. Seine Rüstung begann augenblicklich zu rosten, die Scharniere wurden starr und fest und der arme Mann konnte sich nicht mehr bewegen.

Wutschnaubend stürmte die Fee um den erstarrten Wächter herum und zeigte anklagend auf das Königspaar. »Euer Hochmut wird euch teuer zu stehen kommen! Wie könnt ihr es wagen, mich einfach zu ignorieren? Für diese Beleidigung werde ich mich fürchterlich rächen.«

»Er ist schuld«, jammerte Königin Lorelei. »Ihr, mit Eurer ewigen Knausrigkeit!« Aufgebracht knüllte sie ihre Serviette zusammen und warf sie ihrem Gemahl an das gekrönte Haupt.

Die Fee schnaubte nur abfällig und trat an die Wiege der kleinen Rosaliana Petulia Amalie Esmeralda Grazia. »So hört meinen Fluch«, verkündete sie unheilvoll. »Eure Tochter wird sich an ihrem 15. Geburtstag an einer Spindel stechen und tot umfallen!«

»Waaas? Das geht gar nicht!«, protestierte König Uli. Hektisch sprang er auf, sodass sein Stuhl krachend nach hinten umstürzte. »So lange können wir nicht warten. Wir brauchen diese Spindel jetzt! Bringe Sie das Teil herbei und dann darf Sie bleiben. Sogar über Nacht. Zum Tauffest morgen wird Sie als unser Ehrengast vom einzigen goldenen Teller speisen.«

»Na also. Geht doch.« Die Fee zeichnete einen umgedrehten Pfeil in die Luft und rief laut: »Gecancelt!« Dann steckte sie zufrieden ihren Zauberstab in eine der unzähligen tiefen Taschen ihres weiten schwarzen Umhanges. »Warum nicht gleich so.« Aus einer anderen Tasche zog sie eine kleine unscheinbare Handspindel und ließ diese über die gedeckte Tafel tanzen. Zugleich setzte sie sich mit zu Tische und schenkte sich eine große Tasse heißen Kakaos ein. »Ihr habt doch sicher nichts dagegen?«, fragte sie mit einem süffisanten Lächeln. »Was gibt es denn Gutes? Im ganzen Schloss duftet es verführerisch.«

»Fühlt euch nur wie zu Hause«, flötete die Königin. »Wie wäre es mit einer Schüssel voll süßen Brei?«

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