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Die schreienden Stimmen wurden zu leisem Getuschel, die allerdings immer näher kamen.
Erschreckend nah.
Schnell huschte ich in das Büro meines Vaters und machte ein wenig Licht an. Es lag direkt neben mir, sonst hätte ich diesen Ort nicht ausgewählt. Mein Blick schweifte über die wenigen Papierstapel auf seinem Schreibtisch (in Dads Büro war es sehr ordentlich). Meine Augen blieben lange an einem Papierstück hängen. Ich näherte mich, um es besser zu erkennen. Kurz überflog ich den Text, bis... es mir regelrecht die Sprache verschlug.
Vielleicht war es ein Luxusproblem. Wahrscheinlich war es aber heftiger, zu wissen, dass eine Person wie mein Vater kriminell werden konnte. Wenn es in dessen Augen sein muss.
"Wie wir wissen, hat ihr Konzern Hoolcenter wohl merklich auf Gold Lateinamerikas zurückgegriffen. Den Ermittlungen zufolge hat man herausgefunden, dass die Goldminen achtlos dem Volk gegenüber abgebaut wurden. Somit hat der Gericht Old Baleys beschlossen..."
Das war zu viel. Meine Augen wurden feucht, ich konnte mich kaum zurückhalten, sodass ich den Rest nicht mehr lesen konnte.
Ich war wirklich eine luxuriöse Tusse gewesen, die nur ihr eigenes Ego im Kopf hatte. Trotzdem schossen mir heikle Fragen in den Kopf: Hieß das komplette Pleite? Und wenn ja, wie würde das ankommen? Wie wär das, wenn man jede einzelne Münze wie sein Augapfel hüten müsste?
Ich fragte mich aber, warum genau mein Vater das tat, und wieso mich das so erschütterte. Ich war meinen Eltern nie nah gewesen, sie hatten mich bestraft für eine drei und aufwärts in Klassenarbeiten oder Tests, sie erwarteten eine wohlerzogene Tochter, die immer freundlich in die Kamera lächelte und bei jedem Berufsdinner mitging (soweit es erwünscht war).
Zitternd machte ich das Licht aus, zog die Tür hinter mir zu, und huschte in mein Zimmer. Während ich durch das Treppenhaus schlich, versuchte ich so wenig wie möglich zu schluchzen.
Am nächsten morgen stand ich noch früher auf als sonst. Ich wollte weder meiner Mutter noch meinem Vater begegnen. Schnell zog ich mir eine Jeans und einen dunkelgrünen Hoodie an, und bevor irgendwer mich entdecken konnte, schlich ich raus. Schnell schrieb ich Devin eine Nachricht:
Gehe heute zu Schule, brauch ein bisschen frische Luft.
Ok, wir können immer reden, ja?
Alles gut.
Wirklich.
In der Tat; ich brauchte dringend fische Luft. Einen klaren Kopf. Eine Lösung.
"Hallo."
Wir trafen uns am Spind. Er war ein Junge, wahrscheinlich eine Klasse über mir. Ich zog meine eine Augenbraue hoch (die rechte, glaub ich - ach was, die linke! Nee. Egal. Bin wohl durcheinander. Gottchen.)
"Ja?" Uh, ok, die Kühle in meiner Stimme war mehr als unabsichtlich. Der Junge schien dadurch leicht verunsichert.
"Ich wollte fragen,... also deine Familie... also..."
"Ja?", blaffte ich ihn an. Ok, scheiß Tag heute. Sorry für die Unfreundlichkeit, lieber Junge.
Er atmete tief ein und aus.
„Mein Vater ist Richter in Old Baley." Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Old Baley. „Zwar hat er Schweigepflicht, aber... ich nehm Praktikum dort, bei seinem Kollege." Er kratzte sich verlegen an die Nase. Gerade als er den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, rempelte eine Person ihn von hinten an.
Connor. Ich hätte kotzen können.
„Du Pisser, halte dich bloß von meiner Freundin fern!"
Drohend kam er dem Jungen noch näher.
Bei Connor ist das so: er kann richtig blöd und arrogant sein, aber wenn er vor seinen Eltern/Verwandten steht, dann ist er der süße, erwachsene, höfliche, bescheidene, freundliche, emphatische Connor, den alle lieben.
„Ich hätte gern noch mit dem Jungen zu Ende geredet!", zischte ich Connor zu. Der zuckte nur mit den Schultern und rollte die Augen. Abartig kindisch.
Der Junge war verschwunden, was denn sonst. Blöder Connor.
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