Kapitel 94 - Dezember (*1*)
Der November verging, der Dezember kam. Sina dekorierte die Wohnung weihnachtlich, was sie noch nie getan hatte. Sie kaufte einen Adventskranz, der das Wohnzimmer mit Tannenduft erfüllte und einen Adventskalender für ihn. Tom freute sich jeden Tag mehr darauf, nach Hause zu kommen.
Sie saßen oft im Arbeitszimmer, Tom brachte einen zweiten Adventskranz mit, weil er auch dort das Kerzenlicht haben wollte. Sie schrieb Engelgeschichten, Geschichten für den Verein, dann auch einfach Geschichten aus dem täglichen Leben. Sie schrieb für sich, weil diese Storys einfach in ihr waren und heraus wollten. Er lernte am Computer und aus seinen Büchern, war glücklich, zufrieden, sein Leben konnte nicht besser sein!
Der Professor kam zu Besuch, Jessi schaute ab und zu vorbei, ließ sich trösten, wenn sie eine Schulaufgabe versaut hatte, wenn sie Liebeskummer hatte, wenn die beste Freundin zickig war.
Sie bekamen viel Besuch, trafen sich gerne mit Freunden. Sie gingen ins Theater, ins Kino, in Konzerte.
Sie gingen spazieren, ein paar Mal auch ins Fitnesscenter. Sie konnte zwar kaum Übungen machen, weil sie ihre Augen nicht von Tom lassen konnte, wenn der Gewichte stemmte, während sein Körper schweißnass glänzte. Sie sah die Blicke der anderen Frauen, wenn sie Tom verschlangen.
Meiner, meiner, meiner! dachte sie glücklich.
Sie flogen die monatlichen Übungsflüge, besuchten Kevin bei seiner neuen Familie, Anna im Tal, freuten sich mit Josie und Inga, die immer noch glücklich verliebt waren. Tom flog einen oder zwei Einsätze pro Woche, keine großen Sachen, aber oft reichte die Kapazität der Teams nicht aus.
Das Studium machte Tom Spaß, forderte ihn kaum. Er konnte viel Zeit mit Sina verbringen.
Ihr Bäuchlein wuchs ein bisschen, ihre Brüste wurden etwas voller, doch die Schwangerschaft machte ihr keine Probleme.
Tom wollte das Kinderzimmer einrichten, doch Sina war abergläubisch in dieser Hinsicht. Sie wollte auch keine Babykleidung kaufen, hatte panische Angst, dass etwas schief gehen könnte!
Dass sie die Kinder verlieren könnte. Sie sprachen viel darüber, über Annika und Felix. Sie sprachen auch oft mit Annika und Felix. Sina hatte immer Tränen in den Augen, wenn Tom mit glänzenden Augen seiner Tochter und seinem Sohn erzählte, was für eine großartige Mutter sie bekommen würden.
Tom liebte diese Gespräche mit seinen Kindern. Er fühlte sich ihnen so nah, war sicher, dass sie jedes Wort verstanden. Es würden die tollsten, die glücklichsten Kinder der Welt werden!
Eines Tage wunderte sich Sina, dass sie kaum Geld brauchte.
Sie hatte vor Urzeiten einmal Bargeld abgehoben, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber die Scheine waren noch fast genauso im Geldbeutel, wie sie sie reingesteckt hatte.
Sie überlegte: Wenn sie Lebensmittel kauften, hatte Tom seine Karte gezückt, bevor sie ihre Börse herausholen konnte.
Sie war immer der Meinung gewesen, es wäre die Karte von ihrem als gemeinsames Konto gedachten, aber es waren keine Abbuchungen auf den Auszügen zu sehen.
Wenn sie Klamotten kauften, was sie oft und ausgiebig machten, weil sie da einen gewissen Tick hatten, lief das gleiche Spiel ab.
Ihr Gehalt ging ein, aber außer der Krankenversicherung und einer Lebensversicherung gingen keine Beträge ab.
Sie stellte ihn zur Rede. „Tom Bergmann, du bist ein Betrüger! Ein schamloser, ausgekochter Betrüger!"
Sein Herz blieb fast stehen bei ihren Worten. „Was, was , was meinst du?" stotterte er.
„Wir hatten ausgemacht, dass wir von meinem Gehalt leben! Aber du boykottierst das Arrangement!"
Sein Herz schlug weiter. Darum ging es! Er lächelte sie vorsichtig an. „Wie meinst du das?" fragte er mit seinem intensivsten Dackelblick.
„Du zahlst seit Monaten alles von deinem Konto, das meine ich!"
„Echt? Das muss ein Versehen sein!" Er grinste sie an.
„Du hast damals große Töne gespuckt, von wegen Einsicht und so, und hattest nicht im Traum daran gedacht, dich an die Abmachung zu halten!" Sie musste sich sehr zusammenreißen, nicht wenigstens zu lächeln bei seinem treuherzigen Blick.
„Nein, nein, nein, Süße! Da wusste ich ja noch nicht, wie viel die Kassen an mich zahlen werden!" rechtfertigte er sich.
„Aber du hast es geahnt! Dass du Einsätze fliegen würdest, hast du geahnt!" Sie stach mit dem Finger in seine Brust. „Gestehe!"
„Ah! Oh! Vielleicht gehofft?" räumte er ein.
„Du hast gehofft, dass du nicht von meinem Geld leben müsstest?"
Er versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken. „Hm, möglich! Aber es hätte mir nicht das Geringste ausgemacht, wenn es anders gekommen wäre!" fügte er schnell hinzu.
„Macho! Supermacho! Extremer Supermacho!" beschimpfte sie ihn, konnte aber ein Lächeln auch nicht unterdrücken.
„Ach, Süße! Ein Mann ist ein Mann ist ein Mann!" Er küsste sie, hoffte sie abzulenken, merkte beim Küssen aber auch, dass er hoffte, sie ins Bett zu kriegen. Nicht, dass er bei ihr je auf große Gegenwehr gestoßen wäre, aber wenn sie sauer war, war sie besonders entzückend!
Er schaffte es tatsächlich, die kleine Krabbe umzustimmen, das Geldproblem wurde verschoben, die Liebe musste vorrangig behandelt werden. Denn die Liebe war das Wichtigste!
Sie sahen alle Kabarett-Sendungen, schafften sie meistens auch bis zum Ende, nicht immer, aber immer öfter. Sie lachten sich kaputt, sahen aber auch den Ernst hinter den lustigen Worten.
Sie arbeiteten viel für den Verein, Jessi war Mediatorin an ihrem Gymnasium geworden.
Sie liebten sich nächtelang, wenn der Taumel sie ergriff, manchmal auch tagelang, dann schwänzte Tom die Vorlesungen.
Sie versuchten sich im Plätzchen backen, versetzten die ganze Küche ins absolute Chaos, verbrannten Blech um Blech, weil die Kusspausen einfach inakzeptabel waren. Der Mülleimer füllte sich, sie holten lachend Gebäck beim Bäcker um die Ecke.
Die Zeit verflog im Nu, Weihnachten war gekommen.
Tom hatte einen Christbaum besorgt, den ersten seines Lebens.
Auf dem Weihnachtsmarkt hatten sie Massen von Kugeln besorgt.
Alles, was er bisher als kitschig angesehen hatte, fand er nun wunderschön, weil es ihre Augen so zum Strahlen brachte.
Er installierte Lichterketten an den Fenstern und auf der Dachterrasse, freute sich beim nach Hause kommen über die Beleuchtung, die von unten wunderschön aussah, weil sie einer wunderschönen Frau so gefiel.
Am Heiligen Abend schmückten sie gemeinsam den Baum, er war total überladen. Früher hätte er sich mit Grausen abgewendet, aber in diesem Jahr konnte es nicht genug Weihnachten in seinem Leben sein. Sie steckten echte Kerzen auf, lachten sich kringelig, weil sie einfach nicht gerade stehen wollten.
Er schleppte noch eine Krippe an, so eine von der besonders kitschigen Art, bei der man jedes Jahr neue Figuren dazu kaufen musste, die dann irgendwann einmal Familientradition würde. Etwas, was er immer als spießig angesehen hatte. Aber das war alles in einem anderen Leben gewesen, in einem Leben vor Sina.
Sie hatten viele Weihnachtskarten verschickt und auch bekommen, etwas, das Tom in Zeiten von Mails, Whats app etc. als antiquiert angesehen hatte, was ihm aber nun sehr gefiel. Die Karten standen alle auf dem Sideboard aufgereiht.
Er fand es unheimlich schön, all diese Traditionen, die Weihnachten ausmachten, in sein Leben zu lassen! Seine kleine Krabbe hatte das Fest seiner Kindheit wieder zum Leben erweckt, und sie würden es in Zukunft mit ihren Kinder weiter feiern, genauso so: Kitschig, überladen, traditionell und wunderschön!
Zum Abendessen am Heiligen Abend kamen Patrick und Marie.
Sie erwarteten einen Sohn, wie sie mittlerweile erfahren hatten, er sollte Vincent heißen.
Es musste nach Patricks Ansicht unbedingt ein Künstlername sei, und van Gogh als Namensgeber war der einzige, den Marie akzeptieren konnte.
Sina hatte auch ihre Eltern eingeladen, Paul wollte unbedingt kommen, Pia tat sich schwer zuzustimmen.
Sie hatte sich an Susanne ein wenig angenähert, wollte dieses Verhältnis nicht gefährden. Instinktiv zog es sie als Mutter eben immer zu dem Kind, von dem sie glaubte, dass es ihre Liebe am Nötigsten hatte.
Sina hatte Dr. Hannes Osterwald gefragt, ob sie eventuell auch kommen wollten, er hatte begeistert zugesagt.
Tom hatte geistig bei Marc angeklopft, auch er nahm die Einladung gerne an, ebenso wie Nick, der keine Familie mehr hatte.
Dann hatte Sina noch einen etwas seltsamen Wunsch geäußert, den zu erfüllen Tom viel abverlangte. Es gab in der Stadt eine Initiative, durch die Obdachlosen ein Heiliger Abend in einer Familie vermittelt wurde. Tom sperrte sich lange gegen diese Idee, hatte aber am Ende keine wirklichen Argumente mehr gegen ihr einfaches: Bitte!
So feierte eine zusammengewürfelte Gesellschaft ein Weihnachtsfest der besonderen Art.
Es gab Bockwürste mit Kartoffelsalat, den sie überraschend gut hinbekommen hatten.
Schenken wollten sie sich nichts, sie waren erwachsen, konnten sich alles kaufen, was sie wollten.
Sie wollten einfach zusammen sein, sich gut fühlen.
Der Obdachlose entpuppte sich als angenehme Überraschung: Ein relativ junger Mann, der durch Unterhaltszahlungen für ein Kind, das gar nicht von ihm war, in die Schuldenfalle geraten war, gerade, als er seinen Job wegen Umstrukturierung der Firma verloren hatte.
Mietschulden, Räumungsklage, Absturz! Er war Diplom-Informatiker, am Ende des Abends hatte er einen gutbezahlten Job in Nicks Firma und eine Wohnung im Souterrain des Professors.
Nicht alle Gäste hielten sich an das Geschenkverbot.
Josie hatte ihnen zwei Pullover im Partnerlook gestrickt, die hervorragend passten und super aussahen.
Patrick hatte das Bild in Öl gemalt, das ihn und Tom beim Essen vorbereiten damals in der Wohnung zeigte. Nick hatte zwei Exemplare eines Romans gekauft, der derzeit in aller Munde war, damit sie ihn gleichzeitig lesen und darüber diskutieren konnten.
Der Professor hatte eher pragmatisch einen großzügigen Scheck für den Verein ausgestellt, was sie auch sehr freute.
Sie gingen zusammen in die Christmette im Dom. Tom war nie glücklicher in seinem Leben, als in dem Moment, als er, Sina an der Hand haltend, die Weihnachtslieder seiner Kindheit und Jugend sang.
Bei „Stille Nacht" lösten sich ein paar Tränen aus seinen Augen, und er küsste sie kurz.
„Frohe Weinachten!" flüsterte er und konnte den Blick kaum noch von dieser von innen strahlenden Schönheit wenden.
Nie in seinem Leben hatte das Fest der Liebe mehr Bedeutung für ihn gehabt als in diesem ersten Jahr mit der Liebe seines Lebens.
Danach gab es zu Hause noch die Gulaschsuppe, die sie nach Annas Rezept zubereitet hatten. Sie war ein wenig versalzen, was auf die Verliebtheit der beiden Köche schließen ließ.
Um zwei Uhr verabschiedeten sich die Gäste mit vielen Umarmungen, alle hatten den Abend sehr genossen.
Beide waren überglücklich, aber auch müde.
Sina ging als Erste ins Schlafzimmer, sah auf dem Kissen ein dickes Kuvert liegen. Sie öffnete es, und heraus fielen eine ganze Menge Tickets.
Sie sah sie durch und schüttelte den Kopf. Im Lauf der letzten Wochen hatte sie immer wieder von Veranstaltungen in der Zeitung gelesen, ihn gefragt, ob sie da nicht hingehen könnten. Er hatte stets andere Ausreden gehabt, zu voll, zu spät, zu weit weg! Sie hatte sich zwar gewundert, es war aber nicht so wichtig gewesen.
Jetzt fand sie Eintrittskarten zu all diesen Events!
Angefangen vom Silvesterball im Neuhaussaal, über Liedermacher, Kabarettisten, klassische Konzerte im Audimax, Musical in Wien bis zur Dauerkarte des Fußballvereines! Alles was sie je angesprochen hatte, was sie gerne machen wollte, lag hier vor ihr!
Sie sollte schimpfen mit ihm, weil er sich nicht an das Geschenkverbot gehalten hatte wie sie, aber das wären Spielchen! Und die wollten sie ja nicht spielen! Sie freute sich über die Aufmerksamkeit, die er ihr entgegenbrachte! Sie freute sich über die Liebe, die aus diesem Geschenk sprach!
Sie mussten nicht aufrechnen: Du hast, aber ich nicht!
Er steckte den Kopf vorsichtig zur Türe herein, wollte ihre Stimmung testen, war überglücklich, als er ihr Strahlen sah!
Er hatte hinter seinem Rücken ein Paket versteckt, das er nun wagte hervorzuholen und es ihr hinzuhalten. Noch immer kamen keine Einwände von ihr.
Sie riss das Papier ab, zum Vorschein kam ein unglaubliches Ballkleid.
Sie lächelte ihn an, liebevoller konnte kein Blick sein, dachte er. Sie ist mir nicht böse!
„Für den Silvesterball!" flüsterte er.
„Auf den du um nichts auf der Welt gehen wolltest!" flüsterte sie zurück.
„Aber mit meiner kleinen Krabbe muss ich unbedingt dahin!" antwortete er leise. „Probierst du es an?"
Sie schlüpfte in das absolute Traumkleid.
Er sah sie lange nur an. „Ich wusste es! Die Königin der Nacht ist meine Prinzessin!"
Sie ging langsam auf ihn zu, das Seidenkleid mit üppiger Spitze raschelte. Sie stand vor ihm, ihre Augen sagten ihm, was ihr Mund aussprach: „Ich liebe dich, Tom Bergmann! Ich liebe dich unendlich!"
Er nahm sie vorsichtig in den Arm, küsste ihr wundervoll duftendes Haar. „Du bist die Liebe meines Lebens, wunderschöne Sina! Ich danke Gott täglich für dich!" Und sie wusste, dass er die Wahrheit sagte. Und sie dankte Gott für diesen Mann, für dieses Glück!
Langsam und vorsichtig befreiten sie sich von ihrer Kleidung, langsam und liebevoll begannen sie sich zu küssen. Liebevoll und leidenschaftlich begannen sie sich zu liebkosen. Leidenschaftlich und grenzenlos begannen sie sich zu lieben. Es wurde eine Nacht der Nächte, ungeplant, aber grenzenlos, tabulos.
Sie verschlangen sich, gaben sich frei, hoben sich hoch, ließen sich fallen, erregten und befriedigten sich, putschten sich auf, kühlten sich ab, flogen hoch, landeten sanft, lächelten sich an, lachten vor Glück. Liebten sich, liebten sich, liebten sich in die Unendlichkeit.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top