Kapitel 72 - 12.9 -18.9. (*3*)


Da läutete Pias Telefon. Susanne, las sie auf dem Display. Kurz war sie versucht, das Gespräch nicht anzunehmen, aber die große Tochter war in letzter Zeit sehr deprimiert. Die Trennung von Stefan schien ihr doch mehr zuzusetzen. Sie hatte nie nach dem Trennungsgrund gefragt, die Tochter nicht und auch den Schwiegersohn nicht.

Sie stand auf, ging ein wenig vom Tisch weg. „Hallo, Susanne!" meldete sie sich. Sina erstarrte. Tom fiel die Gabel aus der Hand.
Susanne heulte für alle hörbar. „Wo... wo... wo seid ihr denn?"
Pia überlegte, was sie antworten sollte. „Wir sind mit Freunden beim Essen!" sagte sie schließlich.

„Und.... und.... und wann kommt ihr wieder?"
„Weiß ich noch nicht, Kind! Was ist denn passiert?"
„Ich.... ich bin so einsam!" schluchzte Susanne.
Pia drehte sich das Herz um. Warum konnten sie nicht alle hier zusammen sein, lachen fröhlich sein?

„Wir kommen nach Hause, Schatz! Warte auf uns!" seufzte sie.
Sie sah entschuldigend in die Runde. „Tut mir leid! Es geht ihr schlecht, seit sie Stefan verlassen hat!"
Tom holte tief Luft. „Ich fände es schade, wenn ihr jetzt gehen würdet!" Seine Worte klangen schärfer als ihr Inhalt. Er versuchte zwar, sich seine Wut und Enttäuschung nicht zu deutlich anmerken zu lassen, aber er schluckte hart an den Dingen, die er eigentlich aussprechen wollte.

Paul kam zurück, Pia informierte ihn über Susannes Anruf. Doch der Vater war anderer Meinung als seine Frau. „Nein, Pia! Wir werden jetzt nicht springen! Sie ist 27, hat ihre Ehe gerade in die Tonne geklopft! Sie wird damit fertig werden müssen wie tausend andere auch!"
„Aber sie wartet im Haus!"

„Dann nimm dir ein Taxi! Ich bleibe hier!" Paul blieb hart.
Da siegte Toms gutes Herz. „Ich fahre dich!" Pia nahm dankbar an.
Im Auto sprachen sie über das Verhältnis von Susanne und Sina. Sie versuchte ihm verständlich zu machen, wie die Ältere zeitlebens unter ihrer Eifersucht gelitten hatte. Doch Tom wollte ihre Worte nicht gelten lassen.

„Pia, es gibt jede Menge von Familien mit mehreren Kindern! Und es können sich nicht immer die Ältesten so aufführen, wie sie sich aufgeführt hat!" Er sah sie ernst an. „Ich glaube, Susanne bräuchte dringend eine Therapie!"

Pia lächelte. „Ja, der Gedanke ist mir auch schon gekommen! Aber den Vorschlag machst du ihr!"
„Kann ich machen! Bei uns kann das Verhältnis kaum schlechter werden!" Er lachte bitter.
Sie griff nach seiner Hand. „ Ich mag dich wirklich, Tom! Du tust meiner Kleinen so gut!"
„Mehr will ich in meinem Leben nicht erreichen, als deiner und meiner Kleinen guttun, Niemals-Schwiegermama!"

Sie lachte über ihren Niemals-Schwiegersohn.
Sie waren am Christen-Haus angekommen, und Pia stieg aus.
Susanne stand in der Türe. „Wer war das denn? Und wo ist Papa?"
„Das war Tom, und Papa ist geblieben!"

„Tom? Sinas Tom? Ach, das war das Essen mit Freunden! So lügst du mich an! Wahrscheinlich waren Patrick und die graue Maus auch da!" In Susanne tobte es. Sie verging vor Einsamkeit und die machten auf heile Familie.

„Kind, reiß dich zusammen! Ja, wir waren bei Sina und Tom zum Essen eigeladen, und ja, Patrick und seine bezaubernde Frau waren auch da! Und dass du nicht dabei sein konntest, hast du dir selber zuzuschreiben mit deiner lebenslangen Eifersucht!"
Susanne starrte ihre Mutter an. So hatte die noch nie mit ihr geredet. Jetzt hatte die Sina-Schlange sie auch noch auf ihre Seite gezogen. Es war zum verrückt werden!


Seit Wochen besuchte sie alle Diskotheken und Clubs der Stadt, aber immer tauchte einer der drei Jungs auf, die wohl einen Narren an Sina gefressen hatten. Und überall verbreiteten sie Gerüchte und böse Geschichten über sie, die wie Lauffeuer durch die Gästereihen zu ziehen schienen.

Nicht ein Mann hatte sich für sie interessiert! Nicht einen einzigen hatte sie in ihr Bett locken können! Und heute hatte sie Stefan eröffnet, dass sie ihm verzeihen würde, dass sie es gnädiger Weise noch einmal mit ihm versuchen würde.


Und was hatte er geantwortet? „Nein danke, Susanne! Ich bin heilfroh, dich los zu sein! Ich habe eine süße, nette Frau kennengelernt, die nicht im mindesten so psychopatisch ist wie du!"
„Na, der muss ich mal erzählen, dass du vor dem Bild deiner Schwägerin wichst!"
„Das war nicht vor dem Bild von Sina, das war vor ihrem Bild, ich habe es schnell weggedrückt, Sinas Bild kam zufällig danach!" knallte er ihr hin.

„Wie lange läuft das schon?" fragte Susanne mit grenzenloser Wut in der Stimme.
„Ein paar Wochen!" räumte er ein.
„Aha! Seit du keinen Sex mehr mit mir willst!"
„Das hat damit nichts zu tun! Ich hatte nur keine Lust mehr auf die alltägliche Abfuhr!"
„Hau ab, du Bastard!" schrie sie ihn an.

Stefan warf seinen Hausschlüssel, den er ihr eigentlich vorbeibringen wollte, in den Briefkasten und ging grübelnd zum Auto.
Er hatte sie natürlich angelogen, es gab gar keine andere Frau. Es war schon so gewesen, wie sie die Situation anfangs einschätzt hatte.

Er hatte seit langem ein Auge auf Sina geworfen, sie war der eigentliche Grund, warum er Susanne geheiratet hatte, sie und die Kanzlei ihres Vaters. Die dunkelblauen Augen der Kleinen hatten ihn in vielen Träumen heimgesucht, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte.

Er hatte schnell begriffen, wie unglücklich sie war, hatte sich Strategien zurecht gelegt, wie er an sie rankommen könnte. Aber die Zeit war gegen ihn gewesen. Zu schnell hatte sie diesen Tom-Wichser kennengelernt.

Aber was man über den so in der Stadt hörte, war er kein Kind von Traurigkeit! Lange würde diese Sache eh nicht halten, und dann stünde er bereit.
Er hatte natürlich keine Ahnung, wie lange die Liste der Männer schon war, die auf ihren Einsatz als Tröster warteten.

Susanne folgte ihrer Mutter ins Wohnzimmer. Sie war kaum noch bei Sinnen vor Wut. Als erstes flogen alle Zierkissen in die Ecke. „Verdammte Sina!" brüllte sie bei jedem.

Es folgte die Vase auf dem Tisch, dann die Lampe in der Ecke, Bücher, Fernbedienungen, Zeitschriften, sie tobte und brüllte, bis sie keine Stimme mehr hatte.

Dann sank sie auf einem Sessel zusammen. Pia sah und hörte ihr fassungslos zu. „Mein Gott! Was mache ich nur mit diesem Kind?" dachte sie.

Sie war vollkommen ratlos! Sie hatte schon in der Kindheit solche Anfälle gehabt. Immer wieder Eifersucht, immer wieder Betteln um die alleinige Liebe der Eltern!
Haben wir denn so viel falsch gemacht damals, nachdem die Zwillinge geboren wurden? fragte sie sich wieder einmal.

Aber sie hatte doch immer wieder versucht, die Große zu entschädigen dafür, dass sie nicht mehr so viel Zeit hatte. Sie hatte viele der Geschichten durchschaut, mit denen Susanne die Kleinen schlecht machen wollte, hatte die beiden zu Hausarrest verdonnert, um Zeit mit ihr alleine herauszuschinden.

Für die Zwillinge war das nicht so schlimm, sie hatten ja sich gegenseitig.
Sie hatte geschwiegen, als sie beobachtete, wie Susanne die beiden umschubste, als sie laufen lernten.

Sie hatte mitbekommen, wie sie die Zwillinge zwickte, wenn sie gerade eingeschlafen waren. Wenn sie dann losbrüllten, stand die Tochter daneben und sagte zufrieden: „Böse Kinder!"

Nur einmal hatte sie eingegriffen, als sie sah, wie Susanne Sina eine Holzlock auf den Kopf hauen wollte. Da hatte es für Susanne den einzigen Klaps in ihrem Leben gegeben. Den hasserfüllten Blick in den Augen der damals Vierjährigen hatte sie lange nicht vergessen.
Was, wenn diese Tochter einfach böse war? Was, wenn sie krank war?

„Susanne, könnte es sein dass du medizinische Hilfe brauchst?" sagte sie vorsichtig.
Schon tobte die wieder los. „Ach! Hat sie dir das eigeredet? Dass ich verrückt bin? Die Verrückte ist sie! Zieht sich so einen Frauenhelden an Land, wird nach zwei Wochen schwanger, natürlich gleich mit Zwillingen, weil drunter macht sie es ja nicht! Und er hockt jetzt mit ihr da, ist voll in die Babyfalle getappt!"

„Susanne! Bitte! Tom wollte ein Kind! Er studiert jetzt, wollte etwas von diesem Kind haben!"
„Das glaubst du doch nicht im Ernst! Ein Mann, der nach zwei Wochen ein Kind von einer Frau will!"
„Es ist aber so!"

„Dir kann man auch alles erzählen! Du hast auch meine Geschichten damals immer geglaubt!" Sie merkte gar nicht, wie sie sich in ihrer Rage um Kopf und Kragen redete.
„Nein, Susanne! Die habe ich nicht geglaubt! Aber ich habe so getan, um dich zu beruhigen, um dir zu zeigen, dass ich dich liebe!"

„Du hast mich nie geliebt! Du hast nur die Zwillinge geliebt!" Sie schrie schon wieder fürchterlich. „Du hast das blauäugige Püppchen geliebt und Papa den Kronprinzen!"
Pia schüttelte hilflos den Kopf. Irgendetwas lag quer in Susannes Gehirn. Sie konnte langsam nicht mehr, war ausgelaugt und kraftlos!

Es war so schön bei Sina heute gewesen, so friedlich, so liebevoll.
Sina hatte so viel durchgemacht und war so lebensbejahend. Patrick hatte so gelitten mit ihr all die Jahre und war so positiv geblieben.

Diese Tochter hatte alles gehabt in ihrem Leben und war doch so vollkommen negativ, ließ an niemandem ein gutes Haar, zog über alle her.
Vielleicht sollte sie sie wirklich einfach ihr dunkles Leben leben lassen? Vielleicht musste sie sich selbst aus diesem Sumpf heraus ziehen?

„Susanne, ich kann nicht mehr! Ich lasse mich jetzt wieder abholen und fahre zurück zu Sina! Du kannst den Saustall aufräumen, den du verursacht hast! Ich kann nicht den Rest meines Lebens eine 27jährige trösten, die alles im Leben hat und doch nie zufrieden ist! Such dir Hilfe, mach eine Therapie, aber ich kann nicht mehr!"

Pia wählte die Nummer von Tom. „Kannst du mich bitte wieder abholen?" fragte sie nur.
„Wenn du jetzt gehst......!" brüllte Susanne.
Sie stellte sich vor der Tochter auf. „Ja? Was ist dann?"

Damit ließ sie sie stehen, um vor dem Haus auf ihren Niemals-Schwiegersohn zu warten. Die Formulierung brachte sie zum Lächeln. Sie lächelte noch, als Tom in die Einfahrt einbog. Im Haus klirrte Geschirr. Wahrscheinlich mussten sie morgen alles neu kaufen, aber jetzt war ihr das egal, vollkommen egal.

Sie berichtete Tom auf der Fahrt von den Auseinandersetzungen. Der schüttelte nur den Kopf, wusste auch keinen Rat, was man mit so einer Frau machen sollte, hatte aber jetzt langsam keine Lust mehr, sich mit der Verrückten auseinanderzusetzen!

Sein Mädchen hatte heute die Weichen für ein ganz neues Leben gestellt, würde ein Jahr zu Hause sein, konnte in aller Ruhe schwanger sein, das war, was für ihn zählte.
Die Freundschaft zu Patrick und Marie, das war etwas, was ihn interessierte.
Der Besuch von Marc morgen, darauf freute er sich.
Susanne ging ihm sonst wo vorbei!

Es wurden trotz allem noch ein paar vergnügliche Stunden, die älteste Schwester wurde mit keinem Wort erwähnt. Gegen elf Uhr brachen die Gäste auf. Sina strahlte, Tom strahlte, weil sie glücklich war. So sollte es bleiben! Immer sollte sie so strahlen!

Sie sprachen auch nicht über Susanne, als sie alleine waren. Er klinkte die Erinnerung an das Gespräch mit Pia einfach aus.
Die beiden gingen glücklich schlafen, hielten sich wie jede Nacht in den Armen.

Die Eltern fanden zu Hause das absolute Chaos vor. Fast das gesamte Geschirr lag in Scherben, Susanne war verschwunden. Stoisch räumten die beiden die Scherben in eine Tonne, sprachen wenig. Auch sie wollten sich die angenehme Stimmung des Abend nicht vermiesen lassen.


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