Kapitel 62 - Montag, 29.8.(*1*)

Als Tom aufwachte, suchte seine Hand nach seiner kleinen Krabbe, fand sie nicht. Er setzte sich auf, lauschte. Aus dem Bad drangen seltsame Geräusche. Fast als ob sie.....!
Er sprang aus dem Bett, raste zum Badezimmer. „Raus!" keuchte sie. Nie und nimmer wollte sie, dass er sie so sah!

Sie hing über der Toilettenschüssel, brach und brach und brach!
„Mäuschen, was ist denn los?"
„Raus!" wiederholte sie.
„Halt die Klappe! Was ist los?"
„Mir ist so schlecht! Ich glaube ich sterbe!"

Wieder kam ein Schwall, mittlerweile nur noch Galle.
Er nahm einen Waschlappen, wischte ihr den Schweiß von der Stirne, hielt ihren Kopf, als das nächste Würgen einsetzte.

Irgendwann, er hatte das Gefühl, nach Stunden, sank sie zu Boden auf die Knie. Er half ihr auf.
„Mundwasser!" stöhnte sie.
Er machte ihr einen Becher zurecht, sie gurgelte.
Dann führte er sie zum Bett zurück, legte ihr einen kalten Waschlappen auf die heiße Stirne.

„Hast du deine Periode bekommen?" fragte er, auch wenn diese Symptome eher ungewöhnlich waren.
„Nein!" sagte sie matt. „Komisch! Kommt sonst immer am Montag früh! Aber da zieht auch noch nichts!" Sie deutete auf die Stelle, wo sonst die Anzeichen immer zu spüren waren.

Und wie aus heiterem Himmel schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Kurz bevor er sie kennen gelernt hat, hatte er eine Internetkurzmeldung gelesen. Rückrufaktion für Kondome seiner Marke! Er hatte sich die Chargennummern notiert, aber vor lauter Sina-Taumel nicht mehr daran gedacht! Sollte es wirklich sein?

„Bleib jetzt schön im Bett, süße Sina! Bleib einfach liegen! Ja? Ich bin ungefähr eine Stunde weg, hole was aus der Apotheke, okay?"
Sie nickte nur! Ihr war alles egal! Ihr war so schlecht!

Er raste zu Christian. „Ich brauche dein Bike!" stieß er hervor.
„Steht hinter den Haus!" antwortete der verwundert. Tom raste nach hinten, schwang sich aufs Fahrrad, schoss den Berg hinunter, sauste durch die Stadt zur Apotheke. „Einen Schwangerschaftsschnelltest, bitte!" Die Helferin sah ihn verblüfft an. Tom Bergmann! Wow!

Was wollte der mit diesem Test! Er wird doch nicht....! Und er sah auch noch so glücklich aus! Aber die Frau hatte ihn doch erst vor ein paar Tagen angebaggert, wie man sich erzählte! Da konnte die doch nicht....!
„Bitte!" wiederholte er.

Sie brachte das Gewünschte, er zahlte, strampelte den langen Weg bergauf zurück.
Das Rad ließ er vor dem Haus achtlos fallen. Er raste die Treppe hinauf, Sina hing schon wieder über der Schüssel!

Er hielt wieder ihren Kopf. Mein Gott! Sie tat ihm so leid! Er konnte das nicht aushalten! Er wusch ihr Gesicht, ließ sie noch einmal gurgeln.
Er zeigte ihr den Test, erklärte, was sie machen musste. Sie nickte nur, war zu kaputt, um etwas zu fragen. Er ging hinaus, sie machte, was er gesagt hatte. Dann gab sie ihm das Stäbchen, fiel ins Bett.

Ihr war alles egal! Sie würde sowieso sterben!
Tom beobachtete die Anzeige. Vor den angegebenen Minuten färbte sich das Feld tiefblau! Schwanger! Ja! Seine Süße war schwanger! Er hatte eine Packung von den Kondomen erwischt, die nicht sicher waren, und deshalb war seine kleine Krabbe jetzt schwanger!

Sie bekam sein Kind, das Kind, das sie in zwei Wochen machen wollten! Ihm wurde schwindlig vor Glück.
Er setzte sich ans Bett, nahm sie fest in die Arme. Sofort ging es ihr besser. Sie öffnete die Augen, sah die Tränen in seinen Augen, sah aber auch den lächelnden Mund. Vielleicht würde sie doch nicht sterben! „Was ist los?

Er drückte sie noch fester, küsste sie unglaublich zärtlich. „Wir haben das Baby schon gemacht!" stieß er hervor.
Sie setzte sich auf. „Was?"
Er erzählte ihr die ganze Geschichte, sie hörte ungläubig zu. Als er schwieg, lächelte sie, fing an zu grinsen, lachte leise, lachte lauter, lachte, bis ihr die Tränen kamen.

„Wenn.... wenn..... wenn wir beide schon was planen!" japste sie atemlos. Er lachte mit ihr gemeinsam, bis sie beide keine Luft mehr bekamen.
„Du... du... du meinst, planen ist nicht so unser Ding?" fragte er sie, nach Luft schnappend.
„Nein!" kickste sie. „Ganz und gar nicht! Wir sollten es lieber lassen!" Komischer Weise waren der Brechreiz und die Übelkeit wie weggewischt.

Sie fühlte sich wohl, glücklich, stark!
Plötzlich durchfuhr sie ein Schreck. „Was wäre jetzt gewesen, wenn wir gar kein Kind gewollt hätten?"
Tom lachte. „Dann hätten wir es trotzdem nehmen müssen!" Er küsste ihr Näschen. „Also ich hätte mich zumindest schnell überzeugen lassen!"

„Ja, das sagst du jetzt! Weil wir darüber gesprochen hatten. Weil alles klar war! Aber es hätte ja auch ganz anders sein können!"
„Als du die Fotos von Lea angesehen hast, hab ich mir gedacht: Mit ihr möchte ich ein Kind! Sie wäre eine tolle Mutter! Du hast die Bilder angesehen, ganz pragmatisch reagiert. Kein: O wie süß, kein: Eideidei! Ich habe das toll gefunden!"

Sina grinste ihn an. „Da haben wir uns noch nicht einmal zwei Wochen gekannt!"
Er zuckte mit den Schultern. „Ich wusste ja schon am zweiten Tag, dass ich dich liebe! Da ergab sich alles andere zwangsläufig!"
„Wir bekommen also ein zwangsläufiges Baby?" Sie lachte Tränen.

„Ja, so könnte man das sagen!" Es war ihm eigentlich sehr ernst mit seiner Aussage.
Es war alles folgerichtig, zwangsläufig geschehen. Er hatte sie getroffen, hatte sich verliebt, merkte, dass er sie liebte, sie hatten miteinander geschlafen, sie zog zu ihm, ihm wurde angeboten, Medizin zu studieren, er wollte ein Kind von ihr, jetzt, und sie hatten ein Baby gemacht.

Geplant war nichts davon gewesen, zumindest nicht so. Aber es war richtig, folgerichtig! Er versuchte, ihr seine Gedankengänge begreiflich zu machen und sie verstand.
Er hatte Recht: Dieses Baby war geplant, zwar erst später, und es war wahr und wahrhaftig zwangsläufig!

„Ich liebe dich, Tom!" flüsterte sie. „Ich liebe dich so sehr!"
„Dann ist doch alles gut! Mehr wollte ich in meinem ganzen Leben nicht, kleine Krabbe und kleine Minikrabbe!"

 Er drückte sie wieder fest an sich. „Ich wusste es nicht, bevor ich dich traf! Aber als ich dich getroffen hatte, wusste ich es dafür umso mehr!"

Er küsste sie leidenschaftlich. Es stimmte so sehr, was er gesagt hatte! Er hatte nicht gewusst, was er suchte, bis er sie fand! Und seit er sie gefunden hatte, diese süße, kleine Schönheit, die alle Männer haben wollten, die aber zu ihm gehörte, seit dem wusste er genau, was er gesucht hatte!

„Du Sina? Ich brauche jetzt ein paar Informationen aus dem Internet. Aber hier haben wir kein Netz. Ich muss hinunter ins Tal und Patrick bitten, mir etwas rauszusuchen und durchzugeben, ist das okay?"

Sie lächelte ihn an, er wich sicherheitshalber schnell ihrem Blick aus. Dieses Lächeln verfehlte seit dem Abend in der Disco nie die Wirkung auf ihn.

„Natürlich!" Sie verstand ihn blind. Er war ein Einzelkind, aber er hatte in Patrick einen Bruder gefunden, und er musste jetzt sein Glück mit eben diesem Bruder teilen. Sie hätte es ihrem Zwilling auch gerne selbst gesagt, aber sie musste der Liebe ihres Lebens diesen Wunsch erfüllen!

„Danke!" Tom wusste, dass sie seine Gedanken und Gefühles lesen konnte wie kein anderer Mensch zuvor, dass er nicht lange erklären musste, was in ihm vorging. Er brauchte jetzt ein Gespräch von Mann zu Mann, und sie wusste das!
„Bleibst du liegen, bis ich wieder da bin?"

„Nein! Ich werde in der Zwischenzeit die Welt aus den Angeln heben, das Universum anhalten, in den Himmel fliegen, einen Stern besuchen, durchs Weltall reisen bis zum Koiper-Gürtel, weil ich sonst platze vor Glück!"
Ihre Augen verhakten sich ineinander, und sie wussten mit einem Blick, dass sie sich lieben mussten!

Lächelnd löste er sich später aus ihren Armen. „Also, süße Krabbe, ein neuer Versuch!"
„Kann ich es Anna erzählen?" fragte sie.
Er sah sie ernst an. „Wirst du irgendwann einmal nicht mehr fragen, was du wann zu wem sagen kannst?"

„Ja, irgendwann einmal! Ich schätze aber, sehr bald!" antwortete sie mit belegter Stimme.
„Das ist gut!" antwortete er und ging lächelnd hinaus.
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Sina blieb noch liegen, obwohl sie das Gefühl hatte, vor Kraft zu strotzen. Ihre Gedanken gingen auf die Reise zurück zu dem Tag, als diese verrückten Hühner sie in die Disco geschleppt hatten. Es war der erste Ferientag, sie war losgelöst vor Zufriedenheit, hatte sich hübsch angezogen, sich auf ein gutes Abendessen gefreut, auf das Quatschen und Lachen mit den Freundinnen.
Hatte die Welt nicht mehr verstanden, als die in die Disco gehen wollten.

Hatte es genossen, dass eine Reihe von jungen Männern sie zum Tanzen geholt hatte, dass sie mit ihr geflirtet hatten, ihr Komplimente gemacht hatten, sie zu einem Treffen überreden wollten.
Doch da war dieser Typ an der Säule gewesen, der hübscheste Mann von allen, der sie so sehr interessiert hatte.
Der dann ein paar Stunden mit ihr an der Bar gestanden hatte, sich mit ihr unterhalten hatte.

Dann waren die unwiderstehlichen Drei gekommen, allesamt gutaussehende Kerle, die heute gute Freunde von ihnen waren. Dann hatte sie Tom auf die Tanzfläche gebeten, er war erregt gewesen, sie hatte ihn so erregt, er hatte sie auf eine unbeschreibliche Art geküsst, wollte sie wiedersehen, hatte sie wiedergesehen, und seitdem lebte sie in einem Karussell!

Und jetzt würde sie ein Kind bekommen, ein Kind von diesem unglaublichen Mann.
Sie wollte immer ein Kind haben, auch von Max! Sie hatte mit ihrem Schicksal gehadert, als sie erfuhr, dass sie von ihm nie eines bekommen würde! Da hatte sie ja noch ernsthaft geglaubt, für immer bei ihm bleiben zu müssen! Aber ein Kind wäre etwas gewesen, das ihr Leben an seiner Seite erträglicher gemacht hätte.

Und jetzt würde sie ein Baby haben, ein Baby von Tom! Dem hübschesten Mann der Welt, dem die Frauen in Scharen nachgelaufen waren, der sie alle haben konnte, der aber sie wollte, Sina Christen! Der sie lieben wollte, nur sie!
Sie sprang aus dem Bett, hatte furchtbaren Hunger. Sie musste nach unten, musste irgendjemandem von ihrem Glück erzählen, musste vor allem essen!
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Patrick wunderte sich etwas, dass Tom anrief. Sie waren doch erst zwei Tage zusammen gewesen! Aber er spürte gleich, dass sein neuer Bruder – er empfand es wirklich so - dringenden Gesprächsbedarf hatte.

„Also, Patrick, Sina und ich, wir sind schwanger!" platzte Tom heraus.
Patrick blieb einen Moment die Sprache weg, dann lachte er laut los. „Na ihr... ihr... verliert ja wirklich keine Zeit!" Er konnte kaum sprechen.

Tom erzählte von ihren Planungen, von den unzuverlässigen Kondomen, die ihre Pläne zunichte gemacht hatten, von seinem riesengroßen Glück, von seiner riesengroßen Liebe.
Patrick ließ ihn reden, Glückstränen liefen über seine Wangen. Er hatte auf Lautsprecher gestellt, hielt seine Marie in den Armen.

„Du musst bitte im Internet etwas heraussuchen für mich! Ich muss wissen, ob sie noch Heli fliegen darf, meine Süße! Und dann, ob diese schnelle und intensive Reaktion bei dem Test womöglich bedeutet, dass meine Maus Zwillinge bekommt!"

Patrick gab den ersten Suchauftrag ein. „O je! Da gibt es eine Menge Seiten! Scheinbar werden mehr Hubschrauberpiloten Väter, als ich dachte!" gab er lachend durch. Er versprach, sich umfassend zu informieren, auch über die andere Thematik.

„Ich rufe in einer Stunde noch einmal an, ja?" schlug Tom vor.
„Klar! Bis dann!" stimmte Patrick zu. „Herzlichen Glückwunsch, übrigens!" Seine Stimme sollte flapsig klingen, aber Tom hörte die Freudentränen heraus.
„Danke! Ich bin zur Zeit vor lauter Glück etwas sprachlos!"
Er radelte wieder nach oben, kam ziemlich atemlos an, was aber nicht nur an dem steilen Berg lag!


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