Kapitel 49 - Donnerstag, 25.8. (*1*)
Am nächsten Morgen schafften sie es doch tatsächlich, zur Frühstückszeit nach unten zu kommen.
Die Kinder umringten Sina. „Wo warst du gestern?" fragten sie leise.
„Wir waren müde! Wir mussten früh schlafen gehen!" erklärte sie lächelnd.
„Noch früher als wir?" Ein Mädchen schien das nicht recht glauben zu wollen.
„Na, der Tom hat doch wieder einem Mann das Leben retten müssen!" erklärte der Bruder.
Aha, die Geschichte hatte schon wieder die Runde gemacht. „Ja, stimmt! Und weißt du, das viele Hubschrauberfliegen ist auch sehr anstrengend!"
Das konnten die Kinder sich vorstellen! Die schwere Kiste da in der Luft zu halten, konnte nicht einfach sein!
„Der Tom ist toll!" schwärmte eine etwa Zwölfjährige.
„Ja, der ist supertoll!" stimmte Sina zu.
Dann setzte sie sich zu dem supertollen Mann, ließ sich alles schmecken, was er für sie vom Büffet geholt hatte. Er wusste mittlerweile schon, was sie gerne mochte. Müsli und Obst konnten getrost dort bleiben. Wurst und Käse war ihr schon lieber.
„Heute machen wir Pause, Engelchen, sonst platzt das Krankenhaus aus allen Nähten, wenn wir dauernd Patienten anschleppen!"
Als Sanitäter hatte er sich einen leicht schwarzen Humor angewöhnt, anders konnte manchmal auch all das Schwere nicht ertragen.
„Kriegst du eigentlich Umsatzbeteiligung?" Sie ging auf seinen lockeren Ton ein.
Er lachte. „Nein, nicht direkt! Aber von den Krankenkassen kriege ich pro Patientenrettung eine Fallpauschale, knapp 1000 Euro! Ich bin ja jetzt freier Pilot!"
„Wow! Super!" Sina freute sich wirklich, noch mehr nach dem gestrigen Gespräch!
Josie und Inga kamen mit dem Tablett von oben, setzten sich zu den beiden. „Na, da hatten wir wohl die richtige Idee!" flachste Inga.
„Oh, ihr habt uns das Leben gerettet! Vielen Dank!" lachte Sina.
„Nichts zu danken! Dann sind wir jetzt ja quitt!" Josie lächelte Tom an. „Zwei Leben gegen zwei Leben!"
Er strich ihr übers Haar.
„Nein, das war nur ein Spaß, weil's halt heute grad so gepasst hat! Wir werden nie quitt sein! Wir werden dir das nie vergessen!"
„Ihr müsst mir nicht euer Leben lang dankbar sein!"
„Doch natürlich müssen wir das! Ohne dich wären wir jetzt schon ein Jahr tot! Und unsere Eltern wären sehr traurig! Und Kilian auch!" sagte Josie sehr bestimmt und sehr erwachsen.
„Und du weißt, dass es für dich auch wirklich knapp war, als der Rotor an den Berg kam!" fügte Inga hinzu.
Sina gefror das Blut in den Adern. Das hatte er ihr verschwiegen!
Tom sah sie entschuldigend an, Inga merkte, dass sie sich verplappert hatte.
„Sorry!" flüsterte sie.
„Was ist passiert?" fragte Sina.
Jetzt konnte er ihr auch die ganze Wahrheit erzählen. „Ich musste sehr nah an den Fels, weil der Landeplatz wahnsinnig eng war, und beim dritten Versuch habe ich eine Felsnase übersehen, habe touchiert und wäre beinahe abgeschmiert. In letzter Sekunde konnte ich den Heli hochziehen!"
„Und dann hat er noch zwei Versuche gemacht, bis er es geschafft hatte. Er hätte auch noch hundert gemacht! Er ist eben Tom Bergmann, der coolste Typ von allen Piloten!" war sich Josie sicher.
„Wenn alle anderen kneifen, wird er erst richtig wach!" stimmte Inga zu.
Sina konnte schon wieder lachen. Die Mädels waren schon zauberhaft in ihrer Bewunderung!
„So jetzt fliegt ihr aber mal ab!" schimpfte Tom. „Einem Mann darf man nicht so viele Komplimente machen, das verträgt die männliche Seele nicht!"
Die beiden nahmen das Tablett und flitzten in die Küche. Es gab viel Arbeit vor dem großen Fest.
Tom griff nach Sinas Hand. „Süße, das war wirklich das einzige Mal, dass ich so viel riskiert habe. Die beiden lagen schon ein paar Stunden ohnmächtig von den Schmerzen in einer Wasserpfütze, Regen drohte, sie wären ertrunken oder erfroren, ich musste alles versuchen!"
„Natürlich musstest du das! Und wenn wieder so ein Notfall eintritt, musst du es wieder tun!" Sie sah ihn ernst an. Es war Tom, und Tom war so! Und es war gut, dass es Männer wie ihn gab! Aber dass es diesen Mann in ihrem Leben gab, war immer noch ein Wunder!
„Ich liebe dich!" flüsterte sie ihm zu.
„Ja, das tust du! Ich sehe es in deinen Augen!" flüsterte er zurück.
Kilian kam angesaust. „Hat es geschmeckt heute Nacht?"
„Nie hat etwas besser geschmeckt!" beteuerte Sina.
„Die Brote hab ich geschmiert! Die Beiden wollten euch nur Nudelsalat bringen, da hab ich gesagt, die Sina ist so dünn, die braucht was Gescheites!" berichtete er.
Tom lachte. „Give me five!" sagte er zu dem Jungen und klatschte ihn ab. „Wir Männer wissen eben, was Frauen brauchen!"
Kilian grinste, und Tom hoffte, dass der Zwölfjährige das jetzt nicht zweideutig verstanden hatte.
Aber wahrscheinlich war er gerade im Bravo-Alter und hatte schon so gewisse Vorstellungen davon, was Frauen außer Griebenschmalzbroten brauchten!
Anna und Christian setzten sich auch noch dazu, bedankten sich bei Tom, dass sie gekommen waren und heute mit ihnen feiern konnten. Er stellte lieber nicht klar, dass er eigentlich das Datum vergessen hatte. Er wollte die Freude der beiden nicht trüben.
„Die ganze Verwandtschaft kommt! Da haben wir heute ganz schön zu tun in der Küche!" stöhnte Anna.
„Ich würde ja meine Hilfe anbieten, aber die Gäste sollen das Essen ja überleben!" meinte Sina trocken.
Die Wirtsleute lachten. „Ja, soweit kommt's noch, dass die Freundin von unserem Ehrengast in der Küche arbeitet!" wehrte Anna ab.
„Ach, Anna, macht doch nicht so ein Getue um mich! Ich mag das nicht!" Tom war alles sichtlich unangenehm. Jetzt auch noch Ehrengast!
„Dann hättest du die beiden eben liegen lassen müssen wie die anderen, dann wäre dir der heutige Abend erspart geblieben!" stellte Christian fest, klopfte Tom auf die Schultern und ging in die Küche, weil seine Augen schon wieder schwammen.
„Ich glaube, er hätte das nicht überlebt, wenn den Mädchen etwas geschehen wäre. Es hat fünf Jahre gedauert, bis ich endlich schwanger geworden bin. Dann gleich Zwillinge, wahrscheinlich wegen der Hormonbehandlung, Risikoschwangerschaft, ich musste viel liegen, dann Kaiserschnittgeburt Ende des siebten Monats, sie waren so winzig! Damals war man noch nicht so weit mit der Frühchenmedizin. Wir haben einen Monat lang um ihr Leben gebangt! Dann bekamen wir sie nach Hause, Christian hat alles gemacht, sie gefüttert, sie gewickelt, sie stundenlang herumgetragen, als sie Zähne bekamen, er ist der perfekte Vater, und eigentlich die Mutter dazu. Ich habe lang nicht so ein Getöns gemacht um die beiden wie er.
Und, als die zwei dann da unten lagen, habe ich gedacht, er dreht durch! Sie mussten ihm eine Beruhigungsspritze geben. Er hat die Piloten beschimpft, wollte sie zwingen, weiter zu machen!"
Tom hatte die ganze Geschichte, die ganze Dramatik noch nie gehört. Es war sonst immer sehr locker und lustig gewesen, wenn er hier war. Aber der Jahrestag hatte wohl alles wieder aufgewühlt.
„Und dann hat die Katrin gesagt, versucht halt den Tom Bergmann herzubekommen, der hat den Josef damals auch geflogen, als keiner sich das zugetraut hat. Wenn sie einer rausholen kann, dann er.
Dann haben wir uns die Finger wundgewählt. Er ist nach Straubing geprescht, hat, glaube ich, auch noch einen satten Strafzettel kassiert und ein paar Punkte, hat sich den Heli geschnappt und ist los!"
Tom grinste schon wieder etwas verlegen. „Beinahe hätte ich mir noch eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung oder Körperverletzung eingehandelt, weil die Polizisten mich so lange aufgehalten haben. Ich habe dann den Polizeichef von Regensburg angerufen, der mich gut kennt, der hat ein gutes Wort für mich eingelegt. Der Strafzettel verschwand dann auch wie durch ein Wunder!"
„Na ja, und dann lagen unsere Mädchen im Krankenhaus, mit jeweils zwei operierten Beinen, aber es ist alles gut geworden. Sie waren so schwer unterkühlt, sagten die Ärzte, dass sie die nächste halbe Stunde wohl nicht überlebt hätten!" Sie strich Tom übers Haar. „Und ich glaube, seitdem arbeitet Christian an deiner Heiligsprechung!"
Sina hing die ganze Zeit an den Lippen der Frau. Wahnsinn! Wie gut, dass es ihren Tom gab! Ja, meinen Tom, dachte sie, er gehörte wahr und wahrhaftig zu ihr.
Sie drückte seine Hand ganz fest. Da sah Anna die Ringe. „Ach da schau her! Wolltet ihr wohl eure Verlobung verschweigen!"
„Nein, Anna, wir sind nicht verlobt, weil wir nicht heiraten werden! Wir haben beide schlechte Erfahrungen mit einer Ehe hinter uns, von mir weißt du es ja, und Sina hat noch viel mehr mitgemacht als ich! Also lassen wir das lieber! Aber das sind Liebesringe, weil wir uns versprochen haben, uns immer zu lieben!"
Jetzt hatte Anna Tränen in den Augen. Mein Gott, das junge Ding! Sie nahm Sina in den Arm. „Da hast du dir den Richtigen ausgesucht zum immer lieben!" sagte sie leise. „So jetzt muss ich aber in die Küche!"
„Was gibt es denn heute?" wollte Tom neugierig wissen, fragte auch, um die Sentimentalität ein wenig zu vertreiben, die entstanden war.
„Alles, was du gerne magst! Wir haben genau Buch geführt bei deinen Besuchen!"
Tom schüttelte den Kopf. Diese Familie war schon etwas ganz Besonderes. Das Ehepaar war zwar nicht alt genug, aber zu ihnen zu kommen war immer wie zu Eltern zu kommen, heimzukommen!
Sina und Tom gingen hinaus auf die Terrasse, schon wieder wurde sie umringt von den Kindern.
„Sina, spielst du mit uns?"
So spielten die beiden Fangen, Blinde Kuh, Topfschlagen, Verstecken mit den Kleinen.
„Das hat Spaß gemacht!" stellte Tom nach zwei Stunden fest.
„Da konntest du gleich üben!" Sina grinste ihn an. Sie war es ja gewohnt Kinder zu beschäftigen, er würde sich noch wundern!
Es gab nur ein schnelles Mittagessen, viel Zeit hatten sie heute in der Küche nicht, hatten nur einen Eintopf gekocht, einen großen Topf rausgestellt, jeder musste sich selbst bedienen.
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