Kapitel 47 - Mittwoch, 24.8. (*3*)
Sie flogen nach Österreich, flogen ein paar Landeplätze an, durchquerten Schluchten, flogen eng an Bergrücken vorbei, überquerten einige Gipfel. Dann landeten sie, nahmen ihr Picknick mit und suchten sich eine schöne Stelle, an der sie ein wenig ungestört und blickgeschützt waren.
Gespannt packten sie das Essen aus. Liebevoll hatte Anna verschiedene Salate, geschnittenen Schinken und Käse in Würfeln, fertige Butterbrote, Trauben und Kuchen zum Nachtisch eingepackt.
Sie fütterten sich, streichelten sich verliebt, tranken Kaffee aus der Thermoskanne, neckten sich mit den Trauben, wurden immer atemloser, weil sie sich so nah waren, körperlich und seelisch.
„Ich liebe dich, kleine Krabbe!" konnte Tom schließlich nur noch flüstern, „Mein Gott, ich liebe dich so sehr!"
Er riss sie in seine Arme, würde verhungern, wenn er sie jetzt nicht küssen konnte, augenblicklich verdursten, wenn er ihre Haut nicht zu fühlen bekam.
Doch es kamen immer wieder Wandergruppen vorbei, viel Blickschutz bot die kleine Hecke nicht wirklich.
Sie mussten sich zusammenreißen! Es schmerzte fast körperlich, dass sie sich nicht lieben konnten, aber es ging wirklich nicht, hier auf diesem Berg.
Sie ließen sich ins Gras zurückfallen, hielten sich nur an den Händen, atmeten tief ein und aus, kamen langsam runter. Litten, genossen aber auch, wie sie aufeinander reagierten, wie sie sich erregen konnten. Beide hatten diese Dimensionen der Gefühle nie kennengelernt, nicht annähernd!
Sie sahen in den Himmel, die Wolken zogen vorbei.
„Und welche ist jetzt die Wolke sieben?" fragte er leise, erinnerte sich an die erste Liebeserklärung von seiner Süßen. Als er angerufen hatte in der Nacht, nachdem sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten.
Sie lächelte ihn an, dachte auch an diesen Tag. „Die ganz kleine da links, auf der man sich ganz eng zusammen kuscheln muss!"
„Ja, die gefällt mir auch!" erklärte Tom. „Und, gibt es da jetzt Telefon oder nicht?"
„Nein! Auf keinen Fall! Außer Tom ruft an! Das hat mich ja so gewundert! Dass da plötzlich ein Telefon war!" Sie strich über seine weichen Wangen. „Das war schön, das erste Mal!"
„Puh! Das kannst du laut sagen, Mäuschen! Das war atemberaubend!"
„Für dich auch?" Sie wusste es, er hatte es ihr schon oft gesagt, dass sie andere Gefühle in ihm erweckt hatte als andere Frauen das je getan hatten, dass sie ihn etwas ganz Neues fühlen ließ!
Aber sie konnte es nicht oft genug hören, dass das erste Mal mit ihr, der Unerfahrenen, für ihn den Erfahrenen, den Gutaussehenden, den Liebling der Frauen, etwas Besonderes gewesen war!
„Ja, kleine Krabbe! Für mich war es unendlich schön, unglaublich erregend, wahnsinnig erfüllend! Es war das Beste, was ich je erlebt hatte! Und vollkommen neu!"
Er hatte es ihr schon oft gesagt in den letzten Wochen, aber er würde es ihr auch immer wieder bestätigen, weil es ihr guttat, es zu hören, weil es ihrem Selbstbewusstsein guttat, weil es ihrer Seele, die so verletzt worden war, die so hungrig nach Bestätigung war, guttat, es zu hören!
„Ich habe mich mein ganzes Leben auf dich gefreut, Süße! Und als ich dich endlich gefunden hatte, war ich nur noch glücklich!"
Sie ließen ihre Gedanken auf die Wanderschaft gehen, sie flogen wie die Wolken am Himmel dahin.
Nach einer Weile kamen die von Tom bei der Auseinandersetzung wegen des Geldes für die Ringe an. Er wollte die schöne Stimmung nicht zerstören, aber er wollte auch, dass sie alles, was ihnen durch den Kopf ging, aussprachen.
Er hatte überreagiert wegen der Sache mit ihrer Periode nächste Woche, weil er gedacht hatte, sie würde ihm etwas unterstellen, aber sie hatten offen darüber gesprochen.
Sie hatte überreagiert wegen der Sache mit dem Geld für den Ring, aber auch das konnten sie ausdiskutieren.
Doch etwas in diesem Zusammenhang quälte ihn noch, und es musste raus.
Er war sich schon bewusst, dass es viel Geld war, was sie da heute ausgegeben hatten, dass es in ihrer Situation vielleicht unvernünftig war, aber es waren die Ringe ihrer Liebe, ihres gegenseitigen Versprechens, er wollte etwas Besonderes, keinen billigen Tand!
Er wollte ihr auch in Zukunft Geschenke machen können, ohne das Gefühl zu haben, sie von ihrem Geld bezahlt zu haben. Es ging klar, vollkommen klar, wenn sie für ihren Lebensunterhalt sorgen würde, auch für die Klamotten, das wäre überhaupt kein Problem.
Er würde ja in ein paar Jahren wieder Geld verdienen und nicht wenig als Notarzt und Pilot, er konnte das dann locker wieder ausgleichen. Er wollte nicht aufrechnen, aber diese Sicherheit machte es ihm überhaupt erst möglich, fünf Jahre von ihrem Geld zu leben.
Doch was er nicht konnte, war, darauf zu verzichten, ihr eine Freude zu machen, hin und wieder. Er hatte bisher noch keine Gelegenheit gehabt, Geschenke für sie zu kaufen, aber er wusste, dass er das machen wollte und würde.
Oder solche Dinge, wie sie mit einer Party zu überraschen, mit ihr ein paar Tage wegzufliegen, sie zum Essen auszuführen, das musste er tun können! Sie würden ein Kind haben, er wollte auch für dieses Kind etwas kaufen, von seinem Geld! Er hatte einiges erreicht in seinem Leben, trotz des Fehlers mit Simone.
Er war 30 Jahre alt, er konnte nicht so ganz wie ein mittelloser Student leben! Nicht, was sie anbetraf oder das Kind! Das würde sein Stolz auf Dauer nicht ertragen.
Er wusste nur nicht, wie er das formulieren sollte!
„Du, wir werden zwar von deinem Geld leben, aber was ich bekomme, will ich für mich!"
Blöder konnte man ja nicht argumentieren! Aber es traf nun einmal den Nagel auf den Kopf!
Er musste versuchen, es irgendwie zu formulieren, dass sie verstand, was in ihm vorging. Und er hoffte von Herzen, dass er es schaffte!
Sinas Gedanken waren nach einer Reise durch die letzten Wochen bei der Auseinandersetzung heute wegen des Geldes für den Ring oder die Ringe angekommen. Sie versuchte, sich in Tom hineinzuversetzen.
Er war ein Mann, der seit vielen Jahren finanziell unabhängig war, der sehr gut verdient hatte, der auch einen großen Brocken angespart hatte, wie sie auf der Bank gesehen hatte, als sie die Vollmachten unterschrieben hatten. Sie lebte in seiner Wohnung, die er vom Erbe seiner Eltern gekauft hatte.
Sie war durch den Hausverkauf und den Zuwendungen von ihren Eltern zu Geld gekommen, mit dem sie nie gerechnet hatte. Deshalb fiel es ihr leicht, es mit ihm in den nächsten Jahren zu teilen.
Es war ja nur auf Zeit, er würde seine finanzielle Unabhängigkeit zurückbekommen!
Er war gewaltig über seinen Schatten gesprungen, als er zugestimmt hatte, die nächsten Jahre von ihrem Geld zu leben, sie wusste das, und sie wusste das auch zu schätzen!
Aber das mit dem gemeinsamen Konto war ein Fehler gewesen! Das klappte wohl bei Patrick und Marie, die zusammen erwachsen geworden waren, bei denen nie einer ein unabhängiges Leben geführt hatte.
Bei ihnen lag der Fall aber ganz anders.
Tom brauchte einen gewissen finanziellen Spielraum, das begriff sie in diesem Augenblick glasklar! Er brauchte ein eigenes Konto für die 1000 Euro im Monat, die er von der Klinik bekam und für das Geld, das er für Rettungseinsätze bekam!
Sonst würde er die nächsten fünf Jahre auf Sparflamme leben, trotz aller guten Vorsätze, und dafür war das Leben zu kurz! Sie würden, so Gott wollte, ein Kind haben. Er würde auch für dieses Kind Geld ausgeben wollen, sein Geld! Er war ein 30jähriger Mann, kein Junge, dem man Taschengeld anbot! Und er war ein stolzer Mann, konnte es ja auch sein.
Sie dachte auch an Nicks Worte, damals, auf der Bank an der Donau: „Er will dir die Welt zu Füßen legen, nicht von deinem Geld leben!"
Sie musste mit ihm darüber sprechen, offen und ehrlich! Aber wie sollte sie das formulieren?
„Ich würde vorschlagen, wir leben von meinem Geld, weil du ja in ein paar Jahren nicht schlecht verdienen wirst, aber ich möchte, dass du das Geld, das du in den Jahren bis dahin bekommst, für dich hast?"
Er würde sie vierteilen und in der Luft zerreißen! Aber sie musste es wagen! Vielleicht konnte er verstehen?
„Du Sina....!"
„Du Tom....!"
Sie begannen gleichzeitig zu sprechen, wollten das Problem jetzt sofort aus der Welt schaffen, wollten versuchen, sich klar auszudrücken, zu erklären, wie sie dachten!
Sie lachten, spielten Tic-Tac-To, wer anfangen sollte, Sina gewann.
„Also, Liebe meines Lebens! Das wird jetzt eine längere Ansprache, und du wirst mich ausreden lassen, ohne mich zu unterbrechen und ohne beleidigt zu sein, versprochen?" bat sie. Sie hielt seine Hand, sah ihm in die Augen, hoffte so sehr, die richtigen Worte zu finden.
Oh oh! dachte Tom. Das klang aber sehr ernst!
„Versprochen! Ja, ich verspreche es!" sagte er leise, mit ein wenig Panik in der Stimme.
Sina erklärte ausführlich ihre Gedankengänge . Sie argumentierte so, wie im Gespräch mit sich selbst, wählte ihre Worte vorsichtig, einfühlsam, wollte ihn um nichts auf der Welt verletzen oder bloßstellen.
Sie sah ihn die ganze Zeit aufmerksam an, versuchte in seinem Gesicht zu lesen, fürchtete, Abwehr zu erkennen, war froh, keine darin zu lesen.
Im Gegenteil! Seine Züge schienen sich zu entspannen, je länger sie sprach. Seine Augen hielten ihre fest, er wich ihrem Blick nicht aus. Der Knoten in ihrem Magen lockerte sich ein bisschen.
„Das mit dem gemeinsamen Konto war ein Fehler! Das klappt bei Patrick und Marie, weil sie zusammen erwachsen geworden sind! Aber wir waren zwei fertige Menschen, als wir uns getroffen haben! Du brauchst einen finanziellen Spielraum, um mir die Welt zu Füßen zu legen und auch unserem Baby!" schloss sie ihre lange Rede.
Tom hatte ihr zugehört, war immer atemloser geworden, immer fassungsloser! Als sie fertig war mit ihren Ausführungen, liefen ihm Tränen über sein Gesicht.
Das konnte es nicht geben, nicht im wirklichen Leben! Er hatte sich sein Gehirn zermartert, wie er ihr seine Gefühle klar machen sollte, und sie hatte diese Gefühle in Worte gefasst, seine intimsten Gedanken ausgesprochen!
„Ich kann das jetzt gerade nicht fassen, Sina, Liebe meines Lebens, ich pack das im Moment nicht!"
Gott sei Dank, er ist nicht sauer! dachte sie erleichtert.
Er heulte wie ein Sechzehnjähriger, der von Gefühlen überschwemmt wurde, und es machte ihm nicht das Geringste aus, hielt sie dabei fest in den Armen, küsste ihr Haar, küsste ihre Lippen, konnte nicht aufhören, brauchte ein Ventil!
Schließlich versiegten seine Tränen, das Glücksgefühl sprengte fast seinen Brustkorb. Dieses Mädchen war unglaublich, diese Frau war unfassbar!
Endlich war er fähig zu sprechen. „Sina, mir sind gerade all diese Gedanken durch den Kopf gegangen! Ich wusste nicht, wie ich sie dir erklären sollte! Dabei hattest du schon längst verstanden, und ich muss gar nichts erklären, meine Süße!"
Sie lächelte ihn glücklich an. „Dann ist es beschlossene Sache? Wir machen zwei Konten? Eines fürs Normale, und eines für Tom?"
„Ja, Sina! Und ich danke dir, für dich und für dein Verständnis! Für deine Liebe und dafür, dass du meine Liebe so annimmst!"
In diesem Augenblick wusste er vollkommen sicher, dass er angekommen war, dass diese Liebe für immer war, dass sie ihr Leben miteinander verbringen würden.
Und falls er je zweifeln sollte, würde er sich diese Minuten auf dem Berg ins Gedächtnis rufen, als sie in ihm gelesen hatte wie in einem Buch, als sie seine innersten Gefühle gespürt hatte, als sie genau die Worte gefunden hatte, die sein Herz frei machten für die Zukunft.
Sie kannten sich noch nicht einmal vier Wochen. In diesen wenigen Tagen war ihr Leben zu einer Achterbahn geworden, eine Kurve folgte auf die nächste, die Loopings nahmen ihnen oft den Atem.
Sie waren eigentlich erst hier in den Bergen ein wenig zur Ruhe gekommen. Und hier hatten sie endgültig ihren gemeinsamen Weg gefunden!
Ihre Liebe, die an einem Montag in einem Club begonnen hatte, hatte in den Himmel geführt!
Das kleine Engelchen war in seinem Herzen gelandet, mittendrin! Und aus seinem Herzen ließ er sie nie wieder raus! Die Türe hatte sich heute endgültig geschlossen!
Er musste bei seinen Gedanken lächeln. Tom, wirst du jetzt auch noch ein Poet? So denken doch Männer nicht!
Doch! antwortete er sich. Genau so denken Männer, die lieben!
„Warum lächelst du denn so?" fragte Sina, die sein Mienenspiel beobachtet hatte.
Er lächelte noch intensiver, sprach die Worte aus, die er eigentlich nicht einmal denken sollte als erwachsener Mann, als taffer Kerl, der er jahrelang gewesen war, der sich aber in nichts aufgelöst hatte, der zu einem Typen geworden war, der nur noch lieben wollte. Diese kleine unglaubliche Krabbe lieben wollte, für immer.
Sina streichelte sein hübsches Gesicht. Dieser Wahnsinnsmann hatte sie in sein Herz gelassen, war in ihres gekommen, sie würden sich nie wieder verlieren! Glücklicher als hier auf diesem Berg würde sie im Leben nie wieder sein, wahrscheinlich, vielleicht? Na, wissen konnte sie das bei Tom nie ganz sicher!
„Komm, Krabbe, essen wir die Reste auf!" Sie ließen sich noch schmecken, was sie übrig hatten, tranken den restlichen Kaffee, suchten automatisch nach einer Zigarette, lachten, als sie sich erinnerten, dass sie ja Nichtraucher geworden waren, weil es für die flotten Jungs und die Mädels besser war.
„Vielleicht sollten wir zurückfliegen und ein wenig üben? Nicht dass wir es in zweieinhalb Wochen verlernt haben, wie es geht, ein süßes Baby zu machen!" schlug er vor.
„Du hast vollkommen Recht! Die Gefahr ist schon sehr groß!"
Sie packten zusammen, machten sich auf den Weg zum Heli, hielten sich verliebt im Arm.
Da hörte sie aufgeregte Stimmen hinter sich. „Hallo! Hilfe! Können Sie uns bitte helfen?"
Ein junger Mann und eine Frau führten einen älteren Mann zwischen sich, der sich offensichtlich kaum noch auf den Beinen holen konnte.
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