Kapitel 26 - Freitag, 12.8.
Wie sehr ich sie liebe! dachte er als er am Morgen aufwachte.
Wie ich diesen wunderbaren Mann liebe, dachte sie, als sie am Morgen erwachte.
Sie lösten sich unwillig aus den Armen, duschten und gingen frühstücken.
Noch nie hatte ihnen etwas besser geschmeckt als die belegten Brötchen hoch über Deutschland. Ihr Dauerlächeln brachte das Personal dazu mitzulächeln. Ihre offensichtliche Verliebtheit erwärmte die Herzen aller um sie herum.
Dann starteten sie wieder in Richtung Inn.
Er simulierte lächelnd einige Wasserrettungen, flog den Heli lächelnd zurück, gab die Schlüssel lächelnd bei Tobias zurück.
Den Speck, die Würste und den Schnaps ließ er auf dem Standort, die vielen Mitarbeiter konnten die Menge eher vernichten als sie beide. Den Kuchen nahmen sie mit.
Lächelnd zogen sie sich um, Bea ließ sich nicht mehr blicken.
Lächelnd fuhren sie nach Hause.
„Ich liebe dich, Sina, süße Sina!" stieß er kurz vor der Autobahnausfahrt hervor, drückte ihre Hand, presste sie auf sein Herz. „Ich kann nicht mehr leben ohne dich!" Und er wusste, dass das die Wahrheit war.
„Das musst du ja auch nicht!" sagte sie leise. „Warum auch?"
In der Post fand Sina den Brief von ihrem Vater. Oben in der Wohnung las sie seine Zeilen, war aber vollkommen unberührt.
Jetzt! dachte sie. Jetzt fällt ihm das alles ein! Aber jetzt brauchte sie seine Worte nicht mehr. Jetzt hatte sie Tom.
Vor Wochen, Monaten, Jahren wären diese Worte wichtig für sie gewesen. Aber jetzt, heute war es zu spät. Vielleicht konnten sie sich irgendwann wieder annähern, vielleicht konnte sie töchterliche Gefühle entwickeln, aber im Augenblick war dieser Teil ihres Herzens leer.
Sie hielt Tom den Brief hin, er las verwundert. Dieser kalte, unhöfliche Mann hatte sich doch recht angestrengt. Ob das an seinem Ausbruch am Telefon lag?
„Und?" fragte er sein Mädchen.
„Interessiert mich momentan nicht wirklich!" antwortete sie.
„Aber er ist schon gewaltig über seinen Schatten gesprungen, oder? Ich meine, ich kenn ihn ja nur vom Telefon, aber das klingt sehr nach Einsicht, oder?"
Sina sah ihn an. „Späte Einsicht, ja! Vielleicht zu spät!" Sie stand auf. „Ich muss Patrick anrufen, ob er sich bei ihm auch gemeldet hat!"
Ihr Zwillingsbruder war nicht so unversöhnlich eingestellt wie Sina, aber er war ja auch immer der Kronprinz gewesen, dem alle Steine aus dem Weg geräumt worden waren. Außerdem freute er sich über die netten Worte, die sein Vater für Marie gefunden hatte. Endlich akzeptierte er, dass er dieses Goldstück einfach liebte.
Nur bei einem Punkt siegte sein Stolz über seine Bequemlichkeit. Die finanzielle Unterstützung wollte er nicht mehr annehmen. „Wenn du willst, leg das Geld an für dein Enkelkind!" schlug er seinem Vater am Telefon vor. „Und vielleicht kannst du jetzt auch mal an Sina denken, wenn du am Verteilen bist!"
Nachdem sie sich mit Patrick ausgetauscht hatte, rief sie bei der Stadt an, berichtete von der Möglichkeit, dass ihre Schwägerin in der Mittagsbetreuung arbeiten konnte. Der Sachbearbeiter war begeistert, versprach, sofort die Bewerbungsformulare an Marie zu schicken.
„Aber, nur damit Sie Bescheid wissen, Marie ist schwanger!"
„Das macht nichts! Hauptsache, wir haben zu Beginn des neuen Schuljahres jemanden, sonst verlieren wir die Zuschüsse." Er bedankte sich herzlich bei Sina, wünschte noch schöne Ferien.
Sie rief noch einmal bei ihrem Bruder an, berichtete Marie von ihrem Telefonat. Bei ihrem Vater meldete sie sich nicht, hatte einfach nicht das Bedürfnis dazu.
Tom nahm sie in den Arm. „Na, Engelchen, wieder ein bisschen die Welt gerettet?"
Sie lächelte ihn nur an. Sie war kein Engel! Sie war sehr irdisch glücklich! Sehr irdisch verliebt, verknallt.
Plötzlich fiel ihm ein, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatten. Zum Mittagessen hatte es nur ein paar Küsse und ein paar streichelnde Hände gegeben. Ihm würde das im Moment zwar auch genügen, vielleicht ein bisschen knabbern dazu, aber seine Süße brauchte Futter. Sie hatte mit Sicherheit abgenommen, und sie war eh nur ein Floh, zwar ein sehr gutgebauter Floh, aber mehr Gewicht sollte sie nicht verlieren!
„Gehen wir etwas essen?" fragte er leise.
„Aber wir können auch zu Hause was machen! Das geht ganz schön ins Geld, immer weggehen!"
Tom lachte. „Du kannst mich ja einladen!"
„Okay! Versprochen?"
„Ja, du lädst mich ein, und ich zahle!"
„Kasper!" Sie lachte ihn an. Das war schon klar! Schon ein paar Mal hatte sie versucht, in einem Lokal zu bezahlen, doch das konnte ein Tom Bergmann nicht ertragen!
Sie fuhr ihm zärtlich mit der Hand über das Gesicht. Mein Gott, wie umwerfend er aussah! Was für ein Mann! Aber sie konnte ihn nicht schon wieder ins Bett locken, obwohl sie es gerne getan hätte.
Sie musste dringend Kalorien tanken. Sie hatte schon ein paar Kilo abgenommen in den verrückten letzten Tagen. Aber es war schön zu wissen, dass sie es ganz leicht geschafft hätte, ihn rumzukriegen!
Sie, Sina Christen, konnte diesen hübschen Mann um den Finger wickeln!
Der Gedanke ließ sie lächeln, und dieses Lächeln brachte ihn wieder einmal an den Rand der Beherrschung.
Du wirst jetzt hart zu dir selbst sein, dachte er bei sich. Du wirst nicht an den strahlenden Augen hängen bleiben. Du wirst ihren wunderschönen Lippen widerstehen! Du wirst deine Hände von dem lassen, was unter dem entzückenden Kleidchen ist!
„Also komm!" Er musste sich räuspern.
Sie tanzten durch die Straßen der sommerwarmen Stadt, drehten sich im Kreis, hielten sich schweratmend im Arm, küssten sich, es wurde sehr gefährlich, trennten sich wieder, um Beherrschung ringend.
Sie waren jung, frei, verknallt, verliebt, verrückt nach einander, und sie hatten sich tatsächlich gefunden!
Irgendwann einmal lockten sie die Düfte eines Thailänders an. Sie fanden einen freien Tisch, hielten sich an den Händen.
„Das waren wieder wunderschöne Tage, kleine Krabbe!" flüsterte er und fuhr mit der Hand durch ihre Locken. „Kleine, wunderschöne Krabbe! Das machen wir jetzt jeden Monat! Fliegen ist schon toll, aber mit dir zu fliegen, ist noch besser!"
„Ja, aber wenn ich wieder arbeiten muss, wird es von der Zeit her nicht mehr so einfach werden!"
„Das wird sich ergeben! Planen bringt bei uns ja eh nichts!"
Sie aßen scharfes Thai Food, fütterten sich mit den verschiedenen Gerichten, küssten sich lachend die Sauce von den Lippen. Sie strich über seinen Zweitagesbart, der ihn noch unwiderstehlicher machte.
„Du magst das?" fragte er.
„Ja!" hauchte sie. „Das lässt dich so gefährlich aussehen!"
„Gefährlich?" Er musste lachen. „Nicht mehr hübsch?"
„Hübsch gefährlich! Gefährlich hübsch!"
Vorsicht!
Schau wo anders hin!
Sieh nicht in ihre Augen, nicht auf ihren lächelnden Mund!
Schau in den Himmel, ob es da Wolken gibt, oder Vögel, oder Sterne!
„Was ist da oben?" fragte sie, als sie seinem Blick folgte.
„Nichts! Keine blauen Augen, keine purpurroten Lippen, keine wunderschöne Sina!" antwortete er.
Na, heute hatte er es aber wieder einmal drauf mit Worten!
Tom bestellte noch zwei Gläser Champagner, wollte den Tag feiern, sie, die Liebe, das Glück! Sie stießen miteinander an, ihre Blicke versanken tief ineinander.
„Schau an, die kleine Nutte!" drang plötzlich ein Stimme an ihre Ohren. „Ihr Mann ist noch nicht unter der Erde, und sie turtelt schon mit dem nächsten!"
Sie kamen zurück in die Wirklichkeit. Zwei bullige Männer mit hässlichen Frauen hatten sich neben ihrem Tisch aufgebaut.
O Gott! Seine Brüder! fuhr es ihr durch den Kopf.
Was wollen die denn von uns? dachte Tom erschrocken.
„Lasst uns in Ruhe!" Sina sprach leise.
„Dich in Ruhe lassen, du Hure? Die unseren Bruder auf dem Gewissen hat? Vergiss es!" Er zog sie an den Haaren nach oben. Sie verzog schmerzerfüllt das Gesicht.
Tom sah rot. Ohne einen Gedanken zu verschwenden, gab er dem Angreifer einen Kinnhaken, der ihn krachend auf den Nachbartisch stürzen ließ. Sina zog er mit sich. Die anderen Gäste schrien erschreckt auf, einer rief geistesgegenwärtig die Polizei.
Der zweite Bruder stürzte sich auf Tom, ein paar Jiu-Jitsu-Griffe später lag er am Boden. Die beiden Frauen kreischten laut, Tom wollte nur Sina aus dem Griff des Kerls befreien, doch der hielt sie eisern fest.
„Hab ich dich, schöne Sina! Blödes Weib, das der Polizei erzählt, dass Max sich umgebracht hat, dass auch die Lebensversicherung nicht zahlt!"
Der zweite Bruder hatte sich aufgerappelt, ein Bierglas gegriffen und wollte es Tom gerade über den Schädel ziehen, als ein Passant seinen Arm festhielt. Sein Begleiter nahm den ersten Bruder in Würgegriff, bis er Sina losließ. Der dritte und Tom hielten die Tobenden mit fest.
Da sah Tom, dass die unwiderstehlichen Drei ihnen zu Hilfe gekommen waren.
Mittlerweile war ein Polizeiwagen angekommen, zwei Beamte kamen angerannt, erkannten Tom, den Rettungssanitäter, mit dem sie schon viele Einsätze gehabt hatten.
Sie wussten, dass er mit Sicherheit nicht Täter, sondern Opfer war.
Sie legten den beiden ungepflegten Typen Handschellen an, verfrachteten sie in den Wagen, nahmen Zeugenaussagen auf.
Tom hielt die zitternde Sina im Arm, die sich den Kopf rieb. Die beiden Frauen wollten auf sie losgehen, Ben und Oli hielten sie fest.
Nick baute sich vor ihnen auf. „Haut ab! Lasst unsere Freundin in Ruhe, ihr hässlichen Weiber!" brüllte er.
„Die Nutte wird zahlen!" brüllte die eine zurück.
Nick gab ihr eine Ohrfeige. „Und sag nie wieder Nutte zu ihr!"
Tom beobachtete die Szene. Eigentlich wäre das ja seine Aufgabe gewesen, Sina zu verteidigen, aber er musste sie festhalten, dass sie ihm nicht wieder umkippte. Aber der Auftritt der drei gefiel ihm.
Ohne nachzudenken hatten sie geholfen, ihm und seiner Süßen. Das würde er ihnen nie vergessen! Die drei Hallodris waren echte Kerle!
Die Polizisten verwarnten die beiden Frauen, drohten ihnen an, noch einen Wagen anzufordern, sie mit aufs Revier zu nehmen.
Die anderen Gäste erwachten aus ihrer Schockstarre. Das war schon heftig gewesen, wie der auf die Kleine losgegangen war! Die Kellner räumten die Scherben weg, Tom bezahlte, sie gingen zu fünft weiter, beruhigten sich langsam wieder.
Sina nahm einen nach dem anderen in den Arm, küsste sie auf eine Wange. „Danke!" flüsterte sie.
Nick grinste Tom an. „Wann hast du vor, dich das nächste Mal zu prügeln?" Er fuhr über die Wange, wo sie ihn geküsst hatte. „Dafür könnte ich auch einen Kinnhaken riskieren!"
Alle lachten sich befreit den Schrecken von der Seele. Sie setzten sich noch an einen Tisch vor einer Bar, bestellten eine Runde Kaffee und Cognac, rauchten eine Zigarette. Sina und Tom erzählten ihre Geschichte in Kurzform. Die unwiderstehlichen Drei hörten zu, ohne Einwurf, ohne einen Witz zu reißen, waren getroffen von Sinas Schicksal. Und sie wussten, dass Nick die Wahrheit gesagt hatte, als er sie ihre Freundin genannt hatte.
Die Flirterei war ein Gag gewesen, sie hatten schon erkannt, dass das mit ihr und Tom etwas Festes war, hatten in seinen Augen etwas anderes gesehen als bei den Mädchen vor ihr.
Aber sie mochten die Kleine wirklich! Sie war lustig, schlagfertig, intelligent. Dass sie auch noch wunderschön war, mussten sie halt ertragen!
Tom hob sein Glas. „Auf die Freundschaft!" sagte er.
„O Gott! Jetzt wird er uns gleich küssen!" meinte Oli, wollte die Rührung überspielen.
Wieder mussten alle lachen.
Beim Abschied hielt Nick Sina seine Wange hin. „Wenn dich ein schönes Mädchen auf die eine Backe küsst, halte ihr auch die zweite hin! So heißt es doch im Neuen Testament, oder?"
„So ähnlich, ja!"
„Na ja, so ganz bibelfest bin ich nicht!" scherzte er
Sina gab jedem noch ein Küsschen, ging mit Tom nach Hause.
Sie nahmen sich jeder ein Stück von Annas Kuchen, eine Flasche Wasser und gingen auf die Terrasse.
Sie aßen, unterhielten sich noch über den schrecklichen Teil des schönen Abends, hielten sich an den Händen, sahen in die Sterne.
Dann fielen Sina langsam die Augen zu. Im Wohnzimmer nahm Tom sie in die Arme, küsste sie. Doch dann fühlte er ihre Müdigkeit.
„Komm, Süße, gehen wir schlafen!" flüsterte er.
Sie fühlte seine Erregung, als er sich an sie presste, aber in ihr war nur Erschöpfung. Kurz überlegte sie, ob sie ihm Erleichterung verschaffen sollte, aber dann gab sie sich selbst ein Versprechen.
Nie wieder würde sie sich zur körperlichen Liebe überreden, um einem Mann gut zu tun, auch nicht bei Tom! Und zugleich wusste sie, dass er es bemerken würde - und dass er es hassen würde!
Tom fühlte ihr Zögern. Er war erregt, natürlich, wie immer, wenn er sie nah bei sich hatte! Aber sie war kaputt, nie im Leben hätte er jetzt erwartet, dass sie sich von ihm lieben ließ! Doch sie schien gezögert zu haben.
Und das wäre das Schlimmste, was ihm passieren konnte, dass sie irgendetwas ihm zu Liebe machte! Das könnte er nicht ertragen! Er musste ihr das jetzt einschärfen, sonst würde er immer wieder zweifeln, er musste sicher sein!
Er setzte sich auf einen Sessel, zog sie auf seinen Schoß, sah sie ernst an.
„Sina, du musst mir jetzt etwas versprechen, und zwar ganz fest und für immer! Wenn ich einmal Liebe von dir möchte, und du kannst oder willst nicht, dann musst du mir das sagen, wenn ich es nicht selbst merke! Es würde mich sehr verletzen, wenn ich mitbekommen würde, dass du irgendetwas wegen mir tust! Auch kein Anfassen oder ein blow-job, wenn du nicht voll und ganz dabei bist, ja?"
Sie sah ihm in die wunderschönen Augen. „Ich habe mir das gerade selbst versprochen, Tom, und ich verspreche es dir auch!" Was für ein Mann! dachte sie.
Tom wusste, dass sie die Wahrheit sagte, las es in ihren dunkelblauen Augen, dass er ihr jetzt und in Zukunft vertrauen konnte, nie wieder zweifeln musste.
„Danke!" sagte er nur.
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