Hallo, denke ich

Hallo! Ich heiße Merle Marit, 16 Jahre alt, gehe in einer 10. Klasse auf einer gewöhnlichen Realschule und bin Autistin*. Nur eine Sache vorweg, "Marit" ist mein Zweitname, nicht mein Nachname!

Manche fragen sich vielleicht, wie es ist, Autistin zu sein, oder wie man es am Besten beschreiben kann..

Die Antwort: Es ist schwierig.
Denn nicht jeder Autist, ist genau gleich, sondern jeder sieht, denkt und handelt anders, insbesondere gibt es auch komplette verschiedene Verhaltensweisen zwischen den Geschlechtern.

Trotzdem gibt es gute Beispiele, die am Besten erklären, wie es ist, Autist zu sein.

Dazu die Frage, kennt ihr die Werbung von "Babble"? Diese Sprach-Lern App? Wo dieser Außerirdische versucht mit anderen Menschen zu kommunizieren?

Ich glaube, diese Werbung ist den meisten Personen bekannt.
Wenn ich es wieder in euren Gedächtnis gerufen habe, und ihr es nicht wolltet, "Sorry, not sorry", wie man es so schön sagt.

Jedenfalls wird an einer Stelle folgendes gesagt:

"Wenn du die Sprache nicht kannst, kommst du dir wie ein Außerirdischer vor" - Babbel

Ihr fragt euch bestimmt, was genau die Werbung mit Autismus zu tun hat.

Ganz einfach, als Autist kommst du dir in diese Welt wie ein Außerirdischer vor, der auf einen fremden Planeten gelandet ist, und um sich verständigen zu können, die 'Sprache' erlernen muss.

In der Realität, sieht es etwas anders aus. Um hier klar zu kommen, musst du nicht nur die Sprache erlernen, sondern auch das Verhalten, Umgang, Traditionen, und vieles mehr. Harte Realität.

Stelltes euch doch so vor: Du kommst eigentlich von ein vollkommen anderen Planet, wo es andere Sitten, Verhaltensweisen, Traditionen oder Sprachen gibt. Und urplötzlich findet ihr euch auf einem fremden Planeten wieder. Es gibt kein Weg zurück in eure Heimat, das bedeutet, dass ihr erstmal alles wieder neu erlernen müsst.

Der Gedanke ist nicht nur beängstigend, in der Realität ist es auch purer Stress, weil man versucht in der Gesellschaft hineinzupassen. Sich anpassen zu wollen, dazugehören und akzeptiert zu werden, klappt nicht so, wie man es sich wünscht.

Du wirst wütend über dich selbst, verlierst kurz deine Fassung und sofort halten dich alle für "weird". Und alles muss wieder von vorne anfangen. Es ist wie ein Teufelskreis.

So fühle ich mich manchmal.. Aber wenn Menschen dafür Verständnis haben, fällt es einen nicht so schwer, für mich zumindest.

Kleiner FunFact am Rande, wenn wir schon bei Außerirdischen sind: Autismus ist auch unter dem Namen "(Oops-)Wrong-Planet-Syndrom" bekannt. Wenn man das googlet, findet man automatisch Webseiten, die über Autisten berichten.

(Ein Beweisfoto)

Wie gesagt, das ist nur ein Beispiel, aber es richtig zu verstehen, kann man nicht wirklich, außer man ist Autist. Ja ist, nicht hat! Autismus ist keine Krankheit, daher sagt man nicht, man hat Autismus, sondern man ist ein Autist. Und auf jeden Fall, ist man nicht "kaputt" als Autist.

Man ist besonders. Eine besondere Person, eine Sonderanfertigung.

Da fällt mir noch was ein!

Falls ihr Leser denkt, dass Autisten - keine Ahnung - Unmenschen seien, dann hier bitte - Da ist die Tür, fühlt euch nicht gezwungen zu bleiben!

Aber, jetzt mal weg von der Blutdruckerhöhung, und kommen wir mal zu mir, zu mein Leben mit Autismus!

Nun, wenn man mich beschreiben würde, würde dabei raus kommen, dass ich sehr viel rede, optimistisch, temperamentvoll, sehr emotional, sehr naiv, freundlich, verrückt bin und offen mit der "Diagnose" umgehe.

Nicht "typisch" autistisch? Wie bereits erwähnt, nicht jeder Autist ist gleich! Wenn ihr euch den "typischen" Autisten vorstellt, an wem denkt ihr dann?

Zu einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, ist es Sheldon Cooper, nicht wahr? Oder Shaun Murphy aus der Serie "The Good Doctor"? Kennt überhaupt jemand die Serie? Auch wenn es heißt er hat das Savant-Syndrom, übersetzt Inselbegabung, sind 50% davon Autisten! Und er ist ein Autist! Autisten an die Macht!
(Ich rede mal wieder um den heißen Brei.)

Aber zurück zu mir!

Zu der Sache mit der Offenheit möchte ich gerne noch was hinzufügen. Ja, ich gehe offen damit um, wie hier zum Beispiel in diesem Buch, aber auch mit anderen Personen. Da wahrscheinlich jetzt die Frage auftaucht, warum ich so einfach damit umgehe, hier die Antwort:

"Warum nicht?"

Warum sollte ich mich hinter Lügen verstecken? Zum einen, es ist kein Tabuthema, zum anderen muss man es so betrachten: Wenn deine Freunde herausfinden, dass du Autist bist und dann nichts mehr mit dir zu tun haben wollen, dann sind sie keine richtige Freunde. So einfach ist das.

Und wer sagt schon, ob sie dich wirklich anders behandeln, wenn sie es wissen? Der Vorteil ist: sie können einen besser verstehen, warum man gerade, in einer bestimmten Situation, so reagiert oder handelt.

Wir leben im 21. Jahrhundert, in einem Zeitalter, in dem Akzeptanz groß geschrieben wird. Warum sollte es dann mit Autismus anders sein?

Außerdem: Was ist besser? Wenn euer Freundeskreis es nicht weiß und euch als 'komische' Person abstempelt, oder sollen sie es erfahren, sodass sie euch besser verstehen und euer Verhalten damit begründen können?

Letztendlich muss jeder Autist selbst darüber entscheiden.

Ich selbst muss aber auch gestehen, ich war nicht immer so offen. Es war komplett anders.

Als kleines Kind war ich deutlich temperamentvoller, als jetzt. Damals wollte ich, dass nämlich mein Tagesablauf (Ja, ich hatte einen als Kind) immer eingehalten wird.

Es war keine wirkliche Tagesablauf, eher eine Routine. Wenn, jetzt als Beispiel genommen, meine Mom in die Küche ging, wollte ich für sie immer einen Kaffee machen, weil ich das einmal für sie machen durfte, oft ließ sie es mich machen. Wenn meine Mutter dann mal 'Nein' sagte, wurde ich wütend und mich zu beruhigen war dann sehr immer anstrengend für sie.

Kein Scherz. Und wenn ihr jetzt meint:

"Wenn kleine Kinder wütend sind, lass sie doch wütend sein! Die beruhigen sich schon!"

Eh, nein. Nicht ich.

Ich habe, anstatt mich zu beruhigen, mich immer mehr hinein gesteigert, und sogar manchmal den Kopf irgendwo gegen gehauen. War schon schlimm mit mir, ich weiß.

Man kann wirklich sagen: Ich war wirklich ziemlich anstrengend!

Wie hätte ich zu anderen sagen können: "Ich bin Autistin. So what?" Dafür war ich viel zu unsicher. Ich hatte ja eh schon Angst, wie man mich mögen könnte, so anstrengend wie ich mich verhalten habe. Wie hätte ich da den Mut finden sollen, Anderen von meiner Behinderung zu erzählen?

Aber hey! Ich habe dazu gelernten und haue mein Kopf nicht mehr gegen irgendetwas beim Wütend werden, oder rasste aus! Nagut, ich kann noch etwas ausrassten...

Aber lassen wir das außenvor!

Um dieses und weitere "Probleme", zu in dem Griff zu kriegen habe ich eine Therapie! Dort gehe ich hin, seit Ende 2010, eine lange Zeit wöchentlich und jetzt alle 14 Tage. Und nein, die Therapeuten dort versuchen nicht, meinen Autismus zu "heilen" - Wie auch immer es klappen sollte - die wollen mir nur helfen, besser mit meinen Problemen und mit Menschen umgehen zu können.

Um zurück auf diese "Heilung" zu kommen, Autismus ist, wie weiter oben schon mal gesagt, keine Krankheit! Und man kann es nicht heilen! Es geht einfach nicht, etwas zu reparieren, was nicht kaputt ist! Warum sollte man es auch wollen?

Meine Therapeutin heißt Frau Mittwoch** und was wir dort so machen?

Nun zu einen, an meinen Problemen arbeiten, über meine Gefühle und Probleme sprechen und... Spiele spielen. Kein Scherz.

Beim Spiele spielen, lernt man Geduld zu üben, mit anderen zu kommunizieren, sich zurückzunehmen und auch zu akzeptieren, wenn man verliert.

Erinnert mich ein wenig an den Kindergarten, um ehrlich zu sein.. Aber wenn's hilft, dann ist es mir auch vollkommen recht!

Und die Therapeuten machen wirklich eine sehr gute Arbeit! Sind sehr, sehr nett und ich bin wirklich gerne dort (Wollte immer hin, kein Scherz)! Ohne die Therapie wäre ich lange nicht so weit, wie ich es jetzt bin. Bei solch einer schwierigen Aufgabe so viel Liebe hinein zu stecken, kann ich nur sagen: "Hut ab! Ihr macht es großartig!"

Dennoch stellt ihr, die Leser, vielleicht noch die Fragen: "Wie läuft es denn so in der Familie, mit einer Autistin? Wie läuft es privat oder in der Schule? Wie einfach bzw. schwierig ist das Leben, mit der Diagnose? Wie reagieren andere auf dich und deiner Offenheit dazu? Wie stehst du zu den Vorurteilen/Behauptungen?" etc.

Und genau darauf werde ich in den folgenden Kapiteln kommen.

Ich hoffe, dass euch dieser Anfang gefallen hat und wir sehen uns auf der nächsten Seite!


~Merle~


*Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wird meisten auf die geschlechtsspezifische Schreibweise verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind im diesem Buch somit geschlechtsneutral zu verstehen.

**Name wurde geändert

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