-2.3- Februar
Kuroo sagte nichts. Er musterte mich von oben bis unten und seine Augen spiegelten mehrere Emotionen wider. Wut, Angst, Mitleid, Sorge, erneut Wut.
Meine Unterlippe fing an zu beben und ich biss hinauf, ließ die Blicke des Schwarzhaarigen weiter stumm über mich ergehen.
„Warum hast du dich nicht gemeldet? Ich bin verrückt geworden vor Sorge."
Die Wut in ihm hatte also Oberhand gewonnen.
Ich fragte mich kurz, ob ich nicht auch das Recht hatte, wütend auf ihn zu sein. Denn offensichtlich hatte er sich ja an meinen Unterlagen zu schaffen gemacht, als er das erste Mal bei mir gewesen war. Aber ich schüttelte den Gedanken sofort wieder ab. Ich hatte die Klinikunterlagen offen auf dem Tisch liegen gelassen, wer hätte denn auch ahnen können, dass ich Besuch bekam und dann auch noch so unerwartet? Jeder an seiner Stelle hätte wohl einen neugierigen Blick darauf geworfen. Nur hätte nicht jeder an seiner Stelle daraufhin geschwiegen und mir die Gelegenheit gegeben es trotzdem selbst zu erzählen.
„Was machst du hier?" entgegnete ich wenig geistreich auf seine Frage, hatte er doch bereits gesagt, dass er sich Sorgen machte.
Kuroo schnaubte verärgert. „Was ich hier mache?" fragte er laut und sah mich ungläubig an. Er fuhr sich mit der linken Hand durch seine Haare und brachte sie noch etwas mehr durcheinander. „Meinst du das ernst?"
Ich schluckte und hatte Mühe seinem Blick standzuhalten. Am liebsten wäre ich einfach zusammengesunken und hätte mich in seine Arme fallen gelassen, aber ich hatte mich bereits für einen anderen Weg entschieden. Ich wollte ihn nicht weiter mit hineinziehen. „I-ich..." fing ich unsicher an, räusperte mich einmal, um mich zu sammeln. „Ich habe dich nicht gebeten hier zu sein, oder?" Ich versuchte jegliche Emotion aus meiner Stimme herauszuhalten und kühl zu klingen. „Müsstest du nicht außerdem beim Training sein?" Ich wartete nicht auf eine Antwort, sondern setzte mich in Bewegung und wollte an ihm vorbei zu meinem Zimmer laufen, ihn einfach im Regen stehen lassen.
Der Schwarzhaarige griff nach meinem Handgelenk, hielt mich zurück und sah mich traurig aus seinen haselnussbraunen Augen an. „Tu das nicht," flehte er leise.
Ich erstarrte schlagartig und ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. „Du solltest nicht hier sein..." flüsterte ich und spürte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten.
„Du auch nicht," entgegnete Kuroo und sah mich eindringlich an. Die Mauer fiel unter seinem intensiven Blick endgültig in sich zusammen und Tränen rannen mir über die Wangen. Ich wehrte mich nicht weiter gegen seine Anwesenheit, hatte nicht die Kraft, ihn weiter abzuweisen.
Er zog mich an sich und schloss seine starken Arme um mich. Ich vergrub meinen Kopf an seiner Schulter und schluchzte laut. Seine Hand streichelte sanft über meinen Hinterkopf.
Nach einer Weile räusperte sich jemand in unserer Nähe. „Ich störe wirklich nur ungerne..."
Ich gab ein ersticktes Lachen von mir, löste mich von Kuroo und sah Dr. Yoshida mit tränennassem Gesicht an. „Ich glaube Ihnen kein Wort..."
Der Arzt lachte. „Stimmt. Aber ihr verschreckt die Kinder. Außerdem habe ich deine Blutergebnisse." Dr. Yoshida drehte sich um, winkte mit seinem Klemmbrett und ging in Richtung meines Zimmers davon. Ich bedeutete dem irritiert dreinblickenden Kuroo mir zu folgen. Im Zimmer blickte ich als erstes um die Ecke, doch Miyu war immer noch nicht zurück. „Sie wird noch zwei, drei Tage auf der Intensivstation bleiben," sagte Dr. Yoshida, als er meinen Blick bemerkte.
„Oh, ach so..." ich ließ die Schultern hängen und ließ mich auf mein Bett fallen. Der Arzt deutete auf den Stuhl daneben und sah Kuroo an. „Bitte, setz dich." Der Schwarzhaarige sah unsicher zu mir. Ich hob kurz die Schultern, nickte dann aber. Er wusste eh schon zu viel, dann kam es darauf jetzt auch nicht mehr an. Dr. Yoshida blätterte durch die Zettel auf seinem Klemmbrett. „Deine Werte sehen ganz gut aus, ich bin vorsichtig optimistisch, dass die Medikamente diesmal besser wirken." Ich hob den Blick und sah meinen Arzt an. „Dann kann ich bald nach Hause?"
Er nickte. „Ich denke schon. Aber frühestens am Mittwoch, nach einer erneuten Blutanalyse."
„Okay." Ich lächelte leicht. „Aber das klingt erst mal gut, oder?"
Dr. Yoshida nickte erneut. „Für den Moment auf jeden Fall." Er nahm seine Brille ab, rieb sich mit dem Handrücken über die Stirn und sah mich an. „Ich kann dir nichts versprechen, das weißt du. Aktuell sieht es gut aus, aber wir müssen die Wirkung der Medikamente einfach engmaschig überprüfen. Engmaschiger als vorher." Er drehte seine Brille zwischen den Fingern hin und her, während er den Blick auf mich gerichtet hielt. „Ich will ehrlich zu dir sein, dass das vorherige Medikament nicht so gewirkt hat, wie es soll, ist kein gutes Zeichen und spricht dafür, dass deine Form der Leukämie aggressiver ist als bei anderen CML Patienten. Vielleicht aber auch nicht. Das werden wir leider erst in ein paar Wochen sehen. Am Anfang hat das letzte Medikament auch gut gewirkt, wir müssen einfach abwarten." Ich nickte und senkte den Blick auf meine in meinem Schoß ruhenden Hände. „Verstehe."
„In Ordnung," sagte Dr. Yoshida und setzte sich seine Brille wieder auf. „Wenn vorerst keine Fragen da sind, mache ich jetzt Feierabend und wir sehen uns dann morgen."
„Okay," murmelte ich ein wenig enttäuscht, ich hatte mir etwas mehr erhofft.
Zu meiner Überraschung stand der Schwarzhaarige, der bisher schweigend gelauscht hatte, auf und sah Dr. Yoshida an. „Was kann ich tun, dass es ihr besser geht?"
„Für sie da sein und ihre Sturheit ertragen," sagte Dr. Yoshida ernst.
„Mehr nicht?" fragte Kuroo enttäuscht.
„Oh, ich denke ihre Sturheit zu ertragen ist Aufgabe genug." Mein Arzt grinste breit.
„Sie hat einen Namen! Und kann euch hören!" warf ich grummelnd ein, doch wurde weiterhin ignoriert.
Dr. Yoshida seufzte, als er Kuroos ernsten Blick sah.
„Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, aber sie muss regelmäßig Essen, ausreichend Trinken, Schlafen und..." Dr. Yoshida zögerte kurz und warf mir einen Blick zu. „...sich körperlich nicht verausgaben," schloss er seinen Satz. Sofort färbte sich mein Gesicht knallrot. Doch auch der sonst so coole Sportler war aus seinem Konzept gebracht. Seine Wangen leuchteten rosa. „O-Okay," sagte er stotternd, hatte auch er sofort begriffen, worauf Dr. Yoshida hinauswollte. Der Arzt klopfte mit der flachen Hand gegen sein Klemmbrett und grinste mich an. „Gut, dann bis morgen." Er drehte sich um und verließ das Zimmer.
„Du hast es ihm erzählt?" fragte Kuroo ungläubig. Ich stellte meine Beine auf, schlang meine Arme drum und legte meinen Kopf auf den Knien ab. „Er ist mein Arzt. Ich hatte keine Wahl."
Der Schwarzhaarige ließ sich wieder auf den Stuhl sinken und sah mich an. Ich mied seinen Blick und wir schwiegen eine Weile. „Du kannst gehen, wenn du möchtest," sagte ich leise und ließ mich nach hinten in die Kissen fallen, den Blick an die Decke geheftet. Kuroo legte die Ellenbogen auf seine Knie und stützte seinen Kopf mit der Stirn auf den Händen ab. Wieder breitete sich Schweigen zwischen uns aus. Nach einer Weile stand der Schwarzhaarige auf und setzte sich zu mir auf die Bettkante. „Ich werde nicht gehen, egal wie gemein du zu mir bist." Ich starrte weiter an die Decke. „Du hast die Unterlagen gesehen als du bei mir warst, oder?" fragte ich schließlich, die Frage brannte mir auf der Zunge, auch wenn ich die Antwort bereits kannte.
„Natürlich habe ich sie gesehen, sie lagen offen auf dem Tisch. Ich wollte dir die Chance geben, es mir freiwillig zu erzählen. Aber das hast du nicht und dann bist du einfach nicht mehr in der Schule aufgetaucht, bist nicht an dein Handy gegangen und zu Hause warst du auch nicht." Kuroo fuhr sich mit der Hand durch die Haare und fixierte dann einen Punkt auf dem Boden. „Ich bin fast umgekommen vor Sorge, also bin ich hierher. Gestern schon, aber da durfte ich nicht zu dir."
Ich wischte mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht, die Stumm über meine Wangen liefen. „Was hätte ich denn sagen sollen? >Oh hey, danke, dass du mir geholfen hast, übrigens, ich bin unheilbar krank< auf jeden Fall ein Gesprächsthema, das jedes Eis bricht."
Der Schwarzhaarige zog seine Schuhe aus, schwang sich zu mir aufs Bett und zog mich in seine Arme. „Es hätte nichts geändert, es ändert jetzt nichts," murmelte er in meine Haare und hauchte einen Kuss auf meine Stirn.
„Es ändert alles," schluchzte ich in sein T-Shirt. Er streichelte sanft durch meine Haare. „Für mich ändert sich nichts. Nichts an dem, was ich für dich fühle oder daran, dass ich mir dir Zusammensein will." Ich drückte mich näher an ihn, seine Worte sickerten nach und nach in mein Bewusstsein. Ich fuhr mit dem Kopf ruckartig hoch und drückte mich, mit den Händen in die Matratze gepresst, in eine aufrechtere Position. „Du willst mit mir zusammen sein?" fragte ich mit erstickter Stimme und sah den Schwarzhaarigen verheult an. Kuroo schenkte mir sein schiefes Grinsen. „Manchmal bist du wirklich nicht besonders klug."
„Hey!" ich schlug ihm empört gegen die Brust, musste aber Lachen. Er grinste unbeirrt weiter, legte eine Hand eine meine Wange und näherte sich langsam. Mein Atmen beschleunigte sich und meine Hände krallten sich in sein T-Shirt. Als seine Lippen meine berührten, entfuhr mir ein zufriedener Seufzer.
Am Dienstag klopfte es gegen Mittag an meiner Tür. Ich sah verwundert von meinem Buch auf. „Ja?"
Die Tür öffnete sich und eine blonde, etwas beleibtere Frau trat in den Türrahmen. „Entschuldige, ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt? Ich bin Miyus Mutter."
„Nein, ich lese nur etwas, bitte kommen Sie rein. Sie wollen sicher ein paar von Miyus Sachen holen?" Die blonde Frau trat kopfschüttelnd ein. „Eigentlich wollte ich zu dir. Ich habe leider erst heute von Miyus Arzt erfahren, dass du dabei warst, als sie den Anfall hatte. Ansonsten hätte ich schon früher nach dir gesehen." Ich sah sie überrascht an, klappte das Buch zu, setzte mich dann auf meine Bettkante und ließ die Beine hinunter baumeln. Ich wies auf den Stuhl neben meinem Bett. „Setzen Sie sich doch, wenn Sie möchten." Sie nahm das Angebot dankbar an und ließ sich auf dem Stuhl nieder. Ich lächelte die Frau unsicher an. „Wie geht es Miyu denn?" Kein gutes Thema. Sofort traten der Frau Tränen in die Augen. „Die Ärzte meinen ihr Zustand sei stabil und ich solle mir keine Sorgen machen. Aber seit der OP war sie erst einmal ganz kurz wach und da macht man sich dann natürlich schon Sorgen. Aber wenn die Ärzte sagen, dass das normal ist, werde ich das glauben müssen, oder nicht?"
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter, wusste nicht, was ich erwidern sollte. Aber es war gar nicht nötig, dass ich etwas sagte. Miyus Mutter fuhr einfach fort und erzählte mir schließlich Miyus Geschichte von Anfang an. Was für ein fröhliches kleines Mädchen sie gewesen sei, wie aufgeweckt und klug sie schon immer war und dann die nicht mehr weggehenden Kopfschmerzen, die irgendwann im Laufe des zweiten Jahres der Mittelschule auftraten. Der erste Arzt verschrieb Miyu nur schmerzlindernde Medikamente, meinte sie dürfe sich nicht so viel Stress machen. Doch es wurde nicht besser, also gingen sie zu einem anderen Arzt, das gleiche Spiel von Vorne und erst der dritte Arzt hatte sie ernst genommen und schließlich den Tumor entdeckt. Schwierig gelegen, nicht operabel, also Chemotherapie. Seit dem immer wieder der Versuch das Wachstum des Tumors zu stoppen und schlussendlich der Entschluss, zumindest einen Teil zu entfernen. Doch, bevor der geplante Eingriff stattfinden konnte, kam der Anfall.
Ich wollte das alles eigentlich gar nicht hören und mein Magen verkrampfte sich, je mehr Miyus Mutter erzählte. Aber ihr tat es offensichtlich gut darüber zu sprechen, also presste ich einfach meine Lippen fest zusammen und hörte der Frau aufmerksam zu. Als sie Miyus Geschichte beendet hatte, fragte sie mich nach meiner. Ich sah sie unschlüssig an, beschloss dann aber ihr den Gefallen zu tun. Kurze Zeit später wünschte ich mir, ich hätte mich dagegen entschieden.
Miyus Mutter fing an zu weinen, als sie erfuhr, dass ich keine Eltern mehr hatte, meine Tante wer weiß wo unterwegs war und ich keinen Erwachsenen hatte, der mich unterstützte. Ich sah sie hilflos an, wusste nicht, was ich tun sollte, damit sie sich wieder beruhigte. Die Situation war mir mehr als unangenehm.
„Oh Gott, entschuldige mein Kind," schniefte sie, als sie meinen Blick bemerkte. „Es ist nur alles so grausam. Kinder in eurem Alter, sollten andere Dinge im Kopf haben und nicht ihre Zeit im Krankenhaus verbringen." Sie suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch
Ich nickte langsam. „Aber im Grunde ist Krebs immer grausam, unabhängig vom Alter, oder?"
Sie wischte sich die Wangen trocken und nickte mich mit einem traurigen Lächeln an. „Das ist wohl wahr." Es bereitete sich eine kurze Stille zwischen uns aus. Dann zog sie einen Zettel aus ihrer Tasche und schrieb etwas auf. „Ich weiß, dass du vermutlich morgen entlassen wirst. Das hier ist Miyus Handynummer, ich bin sicher, sie würde sich freuen, von dir zu hören. Und vielleicht würde es dir auch guttun." Ich nahm ihr überrascht den Zettel ab. Miyus Mutter lächelte mich an. „Ich wünsche dir alles Gute."
„D-danke..." murmelte ich verlegen und sah der Frau hinterher, als sie das Zimmer wieder verließ.
Am Mittwoch entließ mich Dr. Yoshida spät nachmittags, nachdem er mir morgens noch einmal Blut abgenommen hatte und er mit den Ergebnissen zufrieden war. Kuroo war gekommen, um mich nach Hause zu begleiten. „Du hättest nicht herkommen müssen..." murmelte ich, als er sich meine Tasche schnappte. Er legte seinen freien Arm um meine Taille, zog mich an sich und sah mich eindringlich an. „Du gehörst jetzt an meine Seite, Kätzchen, gewöhn dich daran, dass ich mich um dich kümmere." Ich lief rot an, drückte ihn von mir weg und drehte ihm den Rücken zu. „Du bist so kitschig," murrte ich, aber ein breites Lächeln legte sich auf mein Gesicht, was Dr. Yoshida genau sehen konnte, denn er stand an der Tür und wartete auf uns. Mein Arzt konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und der Schwarzhaarige lachte hinter mir. Ich grummelte laut und stapfte los, ohne auf einen der beiden zu warten. „Denk dran, wir sehen uns am Freitag! Und nicht zu sehr anstrengen!" rief Dr. Yoshida mir hinterher und ich konnte sein Grinsen förmlich hören. Ich stapfte mit hochrotem Kopf weiter und verfluchte ihn leise.
Kuroo holte mich schnell ein, griff nach meiner Hand und Seite an Seite verließen wir die Klinik.
Wir fuhren mit dem Bus, ich hatte mich geweigert ein Taxi zu nehmen. Ich fühlte mich erstaunlich gut und empfand es als unnötige Geldausgabe, die einfach nicht sein musste, auch wenn ich es nicht hätte bezahlen müssen, wie der Schwarzhaarige mir mehrfach versicherte. Für mich machte es das nur noch schlimmer und so hatte ich mich vehement dagegen gewehrt, bis Kuroo schließlich zugestimmt hatte, den Bus zu nehmen.
Wir saßen eng beieinander, Kuroo am Fenster und ich zum Gang. Ich hatte meinen Kopf auf seine Schulter gelegt und er hielt noch immer meine Hand, malte kleine Kreise mit seinem Daumen in die Handfläche. Eigentlich hatte ich mich viel zu schnell damit abgefunden, dass der Schwarzhaarige mich als seine Freundin bezeichnete, wir hatten nicht einmal vernünftig darüber geredet. Aber ich fühlte mich so unfassbar wohl in seiner Gegenwart, dass mein Widerstand sich in Luft aufgelöst hatte und es einfach akzeptierte. Doch immer wieder zwischendurch plagte mich in den letzten beiden Tagen das schlechte Gewissen, ich wollte nicht, dass er in all das mit hineingezogen wurde. Wir waren beide noch so jung und zumindest er würde noch ein langes Leben vor sich haben, es war egoistisch von mir ihn an meiner Seite zu akzeptieren. Aber dann küsste er mich, oder schenkte mir ein Grinsen und ich vergaß, worüber ich mich sorgte, genoss einfach seine Nähe.
Kuroo sah mit gelangweilter Miene aus dem Fenster und ich studierte seine Gesichtszüge mit einem seichten Lächeln auf den Lippen. Er tat mir gut, er tat mir so unfassbar gut.
Als wir an der Haltestelle bei mir in der Nähe ausstiegen, dämmerte es bereits und die Straßenlaternen schalteten sich nach und nach an. Nur widerwillig ließ der Schwarzhaarige meine Hand los, doch auf dem Gehsteig war nur ein sehr schmaler Pfad vom Schnee geräumt, den hätten wir unmöglich nebeneinander begehen können. Ich kramte nach meinen Schlüsseln und schloss die Tür des Wohnhauses auf. Kuroo ging direkt zur Treppe hinüber, doch ich steuerte die Briefkästen an, wollte nachsehen, ob Post für mich gekommen war. Ich zog mehrere Briefe hervor und erstarrte, als ich den Stempel auf einem der Umschläge erkannte.
„Kommst du?" fragte der Schwarzhaarige, noch immer am Treppenabsatz wartend. Aber ich war wie gelähmt und starrte nur mit aufgerissenen Augen weiter auf das weiße Papier in meiner Hand. Schließlich blinzelte ich ein paar Mal und erwachte wieder zum Leben, als Kuroo mich sanft an der Schulter berührte. „Alles okay?" fragte er leise. Ich nickte stumm und sah mir die anderen Briefe an. „Die sind von den Unis..." flüsterte ich. Kuroo wartete, ob ich noch mehr sagen würde, doch ich sah weiterhin nur ehrfürchtig auf die Umschläge hinab, die so wichtig waren, die meinen Weg für die Zukunft enthielten. Der Schwarzhaarige legte seine Hand auf meine, die das Papier umklammerte. „Komm."
Ich blinzelte erneut. „O-okay..." Langsam setzte ich mich in Bewegung und wir erklommen die Stufen bis in den vierten Stock. Ich schloss die Tür zu meiner Wohnung auf und eine stickige Wärme empfing uns. Ich hatte vergessen die Heizung runterzudrehen und so lief sie seit Tagen ununterbrochen und ohne, dass mal frische Luft in die Räume gelassen wurde. Wir zogen unsere Schuhe aus und schlüpften aus den Jacken. Kuroo nahm mir meine ab und hängte sie mit an einen Haken. Ich ging zu dem Tisch hinüber und ließ mich daran fallen. Meine linke Hand legte ich auf die Tischplatte, den Blick nachdenklich auf die weißen Umschläge gerichtet, die meine Finger fest umklammerten.
Der Schwarzhaarige lief zu den Fenstern hinüber, riss sie auf und ließ frische Luft hinein, dann verschwand er in der Küche. Als er mit zwei Tassen frisch gekochtem Tee wieder kam, saß ich noch immer in genau derselben Position an dem Tisch und starrte auf meine Hand hinab. „Ich kann sie nicht aufmachen..." sagte ich kaum hörbar. Kuroo stellte die Tassen ab, schloss die Fenster wieder und ließ sich dann ebenfalls am Tisch nieder. Er nahm mir sanft die Briefe aus der Hand und legte sie flach auf die Platte. „Dann lass es."
Ich ballte meine nun leere Hand zur Faust und wurde wütend auf mich selbst, Tränen schossen mir in die Augen. Warum war ich nicht in der Lage diese einfache Sache auszuführen? Eine Weile verging, in der nichts passierte. Kuroo sah mich einfach nur stumm an und ich presste die Lippen aufeinander, starrte wütend auf meine geballte Hand hinab.
„Hey..." Der Schwarzhaarige legte seine Hand auf meine und drückte sie.
„Ich bin nicht mal fähig diese Umschläge zu öffnen..." sagte ich wütend und zog die Stirn kraus.
„Sie enthalten bedeutenden Inhalt," sagte Kuroo und drückte noch einmal meine Hand. Ich ließ den Kopf hängen und Tränen liefen mir über die Wange. Ich verzog das Gesicht zu einem verbitterten Lächeln. „Das ist lächerlich." Ich schloss die Augen und schniefte. „Ich bin lächerlich."
„Du hast Angst," sagte Kuroo mit ruhiger Stimme. Ich nickte und schniefte erneut, wischte mir mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht und sah Kuroo an. „Was ist, wenn sie mich nicht wollen?" Er wollte zu einer Antwort ansetzten, doch ich war noch nicht fertig. „Oder was ist, wenn sie mich wollen? Was ist, wenn sie mich wollen, aber ich den Abschluss nicht schaffe...nicht machen kann? Wenn ich..., wenn ich meinen Traum nicht leben kann?" Ich kniff die Augen zu hielt mir den linken Arm vor mein Gesicht und schluchzte laut. Ich schämte mich dafür, heulend vor dem Schwarzhaarigen zu sitzen, schon wieder. Doch Kuroo griff nach meinen Armen und zog mich kurzerhand zu sich rüber, auf seinen Schoß. Er schlang beide Arme fest um mich, legte seine linke Hand an meinen Kopf und drückte ihn sanft gegen seine Schulter. „Es ist okay, dass du Angst hast," sagte er sanft und hauchte einen Kuss auf mein Haar.
Wir blieben lange so sitzen, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Kuroo hielt mich einfach fest und spendete mir Trost, streichelte mir in gleichmäßigen Bewegungen über den Rücken. Irgendwann richtete ich mich auf, wischte mir über das Gesicht und sah in Kuroos braune Augen. „'Tschuldige..." flüsterte ich leise und setzte ein gequältes Lächeln auf. „Ich schätze, ich bin im Moment sehr nah am Wasser gebaut."
„Du musst dich nicht dafür entschuldigen, dass du mit dieser neuen Situation überfordert bist." Er hielt kurz inne, fixierte meine Augen. „Aber wir werden lernen damit umzugehen." Ich senkte traurig den Blick. „Möchtest du das wirklich, Tetsurou?" fragte ich leise. „Du kannst gehen, jederzeit, das weißt du, oder?"
Kuroo legte seine Hand unter mein Kinn und hob meinen Kopf leicht an, sodass ich ihn ansehen musste. „Ich möchte aber hier sein," sagte er ohne Zweifel in der Stimme, dann presste er seine Lippen sanft auf meine und küsste mich. Ich legte meine Hände auf seine Brust und erwiderte seinen Kuss. Der Schwarzhaarige umfasste mein Gesicht mit beiden Händen, löste seine Lippen von meinen und lehnte seine Stirn gegen meine. Ich atmete schnell und sog dabei begierig seinen süßen Duft mit ein, mein Herz raste. Kuroo hielt seine Augen geschlossen, aber ein zufriedenes Grinsen zierte sein Gesicht. Dann lehnte er sich wieder zurück, nahm seine Hände runter und sah mich eindringlich an. „Ich bin hier, weil ich hier sein will, bei dir sein will. Zweifel nicht daran."
Unter seinem intensiven Blick lief ich rot an und sah verlegen an ihm vorbei. „Okay..." hauchte ich, mit einem seichten Lächeln auf den Lippen.
Der Schwarzhaarige griff an mir vorbei, langte nach den Umschlägen und zog sie zu sich. „Bereit?" fragte er leise. Ich schüttelte den Kopf, lehnte mich wieder gegenseine Brust und legte eine Hand auf seinen Arm, der die Briefe hielt. „Abermach sie trotzdem auf."
Nach ein paar Minuten hielt ich die Zulassungsbescheide für die Aufnahmeprüfungen von der Touhoku Universität in Sendai, der Universität Kyoto und, was mich am meisten überraschte, da die Anforderungen dort sehr hoch waren, der Universität Tokio in der Hand. Jeweils für meinen Traumstudiengang: Architektur. Ich starrte regungslos auf die Briefe hinab. In mir bereitete sich Freude aus, gepaart mit Angst, Verzweiflung und Panik. Ich war zu den Aufnahmeprüfungen für gleich drei renommierte Universitäten zugelassen, wie sollte ich das schaffen?
„Ich wusste nicht, dass du dich für Architektur interessierst," riss Kuroo mich aus meinen Gedanken und musterte die Briefe etwas genauer. Ich kratzte mir verlegen an der Nase. „Die Architektur von Gebäuden hat mich schon als kleines Kind fasziniert, für mich kam eigentlich nie etwas anderes in Frage...während andere sich für Puppen, Autos oder Actionhelden begeisterten saß ich in der Bausteinecke und habe Gebäude nachgebaut, oder mir Bücher darüber angesehen."
„Wow. Du musst auf Kindergeburtstagen ein richtiger Partykracher gewesen sein..." Ich kniff Kuroo ins Bein. „Kann ja nicht jeder so cool wie du sein!" rief ich empört, grinste ihn aber breit an. Er lachte. Als er sich wieder beruhigt hatte lächelte er mich an. „Ich war als Kind richtig schüchtern."
Ich zog eine Augenbraue hoch. „Du willst mich verarschen?" Doch er schüttelte den Kopf. „Nein, du kannst Kenma fragen, der wird dir das Bestätigen." Ich sah den Schwarzhaarigen skeptisch an. Ich konnte mir so gar nicht vorstellen, dass Kuroo jemals in seinem Leben schüchtern gewesen war. „Du meinst das ernst, oder?" Kuroo nickte.
„Tja..." ich stand von seinem Schoß auf und streckte mich. „Ich war jedenfalls wirklich ein Partykracher und immer gern gesehen!" Ich streckte ihm die Zunge raus und ging dann, begleitet von Kuroos Lachen, zu einem meiner Regale hinüber. Dort zog ich ein altes Notizbuch heraus, kehrte damit zum Tisch zurück und setzte mich.
„Was ist das?" fragte Kuroo neugierig, während ich in den Seiten blätterte. Als ich gefunden hatte, wonach ich suchte, legte ich das aufgeklappte Buch lächelnd auf den Tisch und drehte es zu Kuroo. „Das sind mein Vater und ich. Damals war an meinem zehnten Geburtstag Tag der offenen Tür an der Tokioer Universität, eigentlich natürlich für zukünftige Studenten, aber mein Vater hat uns reingeschmuggelt und ist mit mir zu einer der Vorlesungen über Architektur gegangen. An diesem Tag war Rafael Viñoly als Gastredner geladen." Ich zeigte auf den anderen Mann auf dem Foto. „Mein Vater sprach ihn nach der Vorlesung an, wir unterhielten uns und machten dieses Foto. Nach diesem Tag stand endgültig fest, dass ich Architektin werden wollte."
Kuroo sah mich fragend an. „Und wer ist der Kerl?"
Ich lachte. „Rafael Viñoly ist der Architekt des International Forums hier in Tokio, er gewann damals mit seinem Entwurf einen Wettbewerb. Er lebt in den USA, eigentlich stammt er aber aus Uruguay..." ich sah den Schwarzhaarigen verlegen an, ein rosa Schimmer legte sich auf meine Wangen. „Ist ja auch nicht so wichtig..." beendete ich lahm meine Rede und zog das Notizbuch wieder zu mir zurück. „Das langweilt dich bestimmt nur..." Doch Kuroo schob meine Hände beiseite und zog das Buch zu sich zurück und blätterte darin herum. Ich sah ihm überrascht zu, wie er neugierig die Seiten betrachtete. „Sind die Skizzen von dir?"
„Ja..."
„Ich versteh da nicht viel von, aber die sehen fantastisch aus."
„Danke..." murmelte ich und lief rot an.
Kuroo blätterte unbeirrt weiter. „Das heißt, wenn du im Unterricht nicht aufpasst, zeichnest du Gebäude?"
„Ähm..."
„Einer der Lehrer hat dir mal so ein Buch weggenommen."
Ich sah ihn verwundert an. Das hat er bemerkt?
„Also... ähm, vielleicht zeichne ich manchmal im Unterricht...ja." Ich rieb mir verlegen den Hinterkopf und lächelte leicht. Der Schwarzhaarige blätterte ein paar Seiten weiter, seine Augen vergrößerten sich, als er erkannte, was die Skizze darstellte. „Oh Gott!" rief ich erschrocken, schnappte mir das Notizbuch, knallte es zu und lief knallrot an. Ich hatte diese Skizze ganz vergessen und dass sie sich in diesem Buch befand. Ich klammerte mich an dem schwarzen Buch fest und starrte mit hochrotem Kopf auf meine Hände hinab. Kuroo sah mich überrascht an, ein leichter rosa Schimmer hatte sich auf seine Wangen gelegt. „Darf...darf ich es noch mal sehen?" fragte er leise, legte seine Hände auf meine und lächelte mich an. Ich schüttelte den Kopf und mied seinen Blick. Er drückte meine Hände. „Bitte?"
Ich seufzte, ließ die Schultern hängen, lockerte den Griff um das Buch und schob es schweigend zu ihm hinüber. Kuroo suchte nach der richtigen Seite und als er sie fand legte er das Buch aufgeklappt auf den Tisch. „Das ist Wahnsinn...fast wie ein Spiegel," murmelte der Schwarzhaarige leise und betrachtete das Bild eingehend.
„Das ist unfassbar peinlich..." entgegnete ich leise und wäre am liebsten im Boden versunken. Ein Portraitbild von ihm selbst blickte Kuroo aus dem Buch entgegen, angefertigt von mir, in einer der Unterrichtsstunden. Kuroo hob den Blick. „Von wann ist das?"
Ich zuckte unbeholfen mit den Schultern, griff nach dem Buch und sah mir das Bild noch einmal an. „Dieses ist aus der ersten Klasse, schätze ich..." sagte ich verlegen, den Blick fest auf die Seiten geheftet. „Dieses?" fragte Kuroo grinsend. „Es gibt noch mehr?"
Ich erstarrte, die Hitze in meinen Wangen wurde unerträglich, dann sah ich auf und schüttelte leicht den Kopf. „N-nein?" Doch leider kam es mehr als Frage heraus. Kuroo grinste breit. „Du malst also seit der ersten Klasse Bilder von mir?" Er wollte mich damit aufziehen, doch der eindeutig erkennbare rosa Schimmer auf seinen Wangen, verriet, dass es ihn ziemlich verlegen machte.
„Und wenn schon..." sagte ich trotzig, schnappte mir das Buch, stand auf und stellte es zurück ins Regal. Ich atmete einmal tief ein und aus, versuchte mich zu beruhigen. Dann spürte ich Kuroo hinter mir. Er drehte mich zu sich, zog mich in seine Arme und küsste mich sanft. Mein Herz überschlug sich in meiner Brust und mein Atmen ging schlagartig schneller.
„Das ist unfassbar süß..." murmelte er leise und legte seine Lippen erneut auf meine.
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