ღ Kapitel 23 - Verlassen ღ

Obwohl wir den Berg wieder hinunter wandern und jeden Schritt sorgfältig wählen mussten, wenn wir nicht an Ästen oder in Löchern hängen bleiben wollten, schlug Kai ein schnelles Tempo an. Und zu allem Überfluss nutzten wir nicht den Hauptweg, sondern eine "Abkürzung" querfeldein, was diesen Gewaltmarsch nicht unbedingt besser machte. 

Natürlich fiel ich früher oder später immer weiter zurück. 

Grace drehte sich besorgt zu mir um und passte sich meinem Tempo an. "Alles okay?", fragte sie und deutete auf meine wackeligen Knie. "Du bist so blass."

 "Alles bestens", knurrte ich mit zusammengebissenen Zähnen und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, weil ich einfach zu stolz war, um mir einzugestehen, dass mir meine Knie auch nach all den Monaten noch Probleme machten. 

"Lüg mich bloß nicht an, Aly!", Grace wackelte drohend mit ihrem Finger vor meinem Gesicht herum. "Ich rieche deine Lügen schon drei Kilometer gegen den Wind! Immer, wenn du nicht die Wahrheit sagst, blinzelst du mehrmals hintereinander und schaust nach unten. Genau wie jetzt! Du brauchst eine Pause!" 

Ich seufte schwer, denn Grace hatte Recht. Meine Knie pochten und zogen schmerzhaft und immer wieder glaubte ich, dass mir der Boden unter den Füßen weggerissen werden würde. 

"Hey, Porter!", rief Grace in diesem Moment auch schon, weil Kai mal wieder vorgerannt war. "Aly braucht eine Pause!" 

Augenrollend hielt er auf einer kleinen Lichtung an und schielte auf seine Armbanduhr. "Ich habe nicht ewig Zeit", wiederholte er schließlich. 

Da war er, der Beweis, dass Kai immer noch ein egoistisches Arschloch war. Und ich hatte mich ernsthaft gestern darüber gefreut, dass ich mich in ihm getäuscht hatte, dass in ihm immer noch irgendwo der kleine Junge stecken könnte, mit dem ich meine Grundschulzeit und einen wunderschönen Familienausflug in Schweden verbracht hatte! 

"Nur fünf Minuten. Bitte", sagte ich leise und schluckte all meinen Stolz hinunter. Plötzlich war meine Kehle wie zugeschnürrt und ich wünschte imr, im Boden versinken zu können. Ich wollte mir selber beweisen, dass ich es schaffen könnte, aber ich wusste genau, dass ich es niemals bis nach Schwanenberg schaffen würde, wenn wir jetzt weiterliefen. Das ganze Bergauf und Bergab schien eben doch noch zu viel für mich zu sein. 

Wie sollte es dann bloß mit dem Tanzen werden? Wann könnte ich wieder anfangen? Würde ich es überhaupt jemals können? 

Ich hasste es einfach. Ich hasste alles. Meine Knie, den Unfall, Kais Verhalten ... 

Kai schien noch nervöser zu werden, als er es ohnehin schon war, denn er fuhr sich immer wieder durch seine dunkelbraunen Haare. Sichtlich hin- und hergerissen, murmelte er schließlich: "Okay. Fünf Minuten." 

Mit hängenden Schultern ließ ich mich auf einen umgestürzten Baum nieder. Was war nur mit Kai los?  Wieso war er heute so anders? Hatte ich irgendetwas falsch gemacht? Und warum ging mir das überhaupt so nahe, verdammt?! 

"Soll ... Soll ich Hilfe holen?", fragte Grace plötzlich. "Ich meine, du bist echt bleich, Aly. Und du hast eben so dolle gehumpelt ..." 

Auch Kai musterte mich nun beinahe besorgt. Seine Augen schienen sich zu verdunkeln und er zog seine Augenbraunen nachdenklich zusammen. Er öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, doch das Klingeln seines Handys unterbrach ihn. Ruckartig drehte er sich von mir fort und entfernte sich mit großen Schritten. 

Stumm beobachtete ich sein Telefonat. 

Kai wirkte ziemlich aufgebracht. Seine Schultern hoben und senkten sich ziemlich heftig. Leider konnte ich ihn über den Wind hinweg nicht hören. Ob er sich gerade stritt? Vielleicht mit einer ... Freundin? 

Als sich mein Herz verkrampfte, wurde mir wieder einmal bewusst, dass ich rein gar nichts über ihn wusste ... 

"Ich bringe morgen die Fotos mit!", rief Kai in diesem Moment. 

Mein Blick schnellte hoch und verhackte sich mit seinem, als er sich langsam umdrehte und kommentarlos im Dickicht verschwand. 

War das sein Ernst?! 

"Ich fasse es nicht!", rief Grace in diesem Moment und sprang wutentbrannt auf. "Was für ein Arschloch! Er kann uns doch nicht einfach hier sitzen lassen! Nicht unter diesen Umständen!" 

"Und wie er das kann. Siehst du doch", erwiderte ich tonlos und versuchte, meine brennenden Augen zu ignorieren. Verdammt, ich wollte doch einfach nur noch Hause und mich unter meiner Bettdecke verkriechen, bis ich wieder klar denken konnte! Warum ging mir all das so nahe? 

"Was haben wir auch erwartet? Er ist und bleib ein Arschloch!", grummelte Grace und ließ sich wieder neben mich plumpsen. "Ignorier den Vollpfosten einfach. Es ist ja nicht deine Schuld, dass wir ein wenig länger brauchen als geplant. Und auch ohne Knieoperation ist diese Weg die reinste Folter. Was denkt der Depp sich eigentlich?!" 

Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und wünschte mir, Kais zerrissenen Blick aus meinen Gedanken verbannen zu können. 

Irgendetwas musste passiert sein, sonst hätte er uns niemals zurückgelassen. Oder?! 

Wir brauchten eine Ewigkeit, bis wir die Straße nach Schwanenberg erreichten. Und obwohl Grace und ich wirklich versucht hatten, das Beste aus unserer Situation zu machen, waren wir extrem niedergeschlagen und abgekämpft. 

Unten wartete schon meine Großmutter Celine in ihrem kleinen, blauen Auto. Als sie uns sah, stieg sie umständlich aus, um mir meinen Rucksack abzunehmen, als wäre ich noch ein Grundschulschüler, den sie gerade von der Schule abholte. Ihre großen, grauen Augen wirkten ziemlich besorgt und sie hatte ihre schmalen Lippen gespitzt, wie sie es immer tat, wenn sie verärgert war. Ich schluckte und erwiderte ihren stechenden Blick mit ausdrucksloser Miene. Wie immer hatte Oma ihre hellgrauen Haare zu einem strengen Dutt gebunden, doch heute sah ich ausnahmsweise einmal eine Strähne, die sich aus ihm löste. Sie musste wirklich wahnsinnig vor Sorge gewesen sein ... 

"Was habt ihr euch nur dabei gedacht?", fragte sie vorwurfsvoll, als wir alle im Auto saßen. "Euch hätte wer weiß was passieren können! Und du kannst doch nicht einfach diesen ... diesen Berg erklimmen, wenn du noch nicht einmal wieder springen darfst, Aly! Ihr hättet zumindest die Wege nutzen können, anstatt euch mitten durchs Gebüsch zu kämpfen!" 

Ich biss mir auf die Unterlippe und starrte trotzig aus dem Fenster. Es dämmerte bereits, wie ich schaudernd feststellte. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie spät es tatsächlich schon war ... 

Grace, die neben mir saß, drückte stumm meine Hand und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Sie bemerkte es immer, wenn es mir schlecht ging. 

Plötzlich fühlte ich mich wieder unendlich schuldig. Grace war immer für mich da, verdammt. Sie wusste genau, wann ich log oder etwas verbarg. 

Ich hatte nicht einmal vermutet, dass sie sich ritzte. Und jetzt, wo ich es wusste, unternahm ich rein gar nichts! 

Ich war eine schreckliche beste Freundin. Aber ich wusste noch immer nicht, wie ich ihr helfen könnte. 

Ich wusste ja nicht einmal, wie ich mir selber helfen konnte! 

Oma warf mir einen besorgten Blick durch den Rückspiegel zu, doch sie verbiss sich weitere Kommentare. Sie sah mir an, dass ich nicht reden wollte. 

Gedankenverloren starrte ich in die hereinbrechende Finsternis außerhalb des Autos. 

Während der gesamten Fahrt hingen meine Gedanken bei Kai, obwohl ich wirklich versuchte, ihn endlich zu vergessen. 

Warum hatte er uns zurückgelassen? Warum war er so anders gewesen als gestern? Was hatte er zu verbergen? 

Seufzend senkte ich meinen brennenden Blick, aber insgeheim schwor ich mir etwas. 

Ich schwor mir, herauszufinden, was Kai Porters Geheimnis war. 

Hey! 

Dieses Mal ein dramatischeres Ende! :) 

Wie hat es euch gefallen? 

Habt ihr schon Vermutungen, warum Kai das getan hat, was er getan hat? 

Bin ziemlich gespannt! :D 

Alles Liebe, 
Kathy. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top