ღ Kapitel 20 - Schwanenbergs Schönheit ღ

06.11.2017

Am nächsten Morgen stiefelten Grace und ich schlecht gelaunt in den Raum, in dem uns Schwanenbergs Schönheit erwarten würde.

Grace war genauso begeistert gewesen wie ich, als ich ihr gestern erzählt hatte, wer sich ebenfalls für unser Projekt gemeldet hatte. Aber dann hatten wir uns gegenseitig davon überzeugt, das Beste aus unserer Situation zu machen und uns nicht wieder alles von den üblichen Verdächtigen ruinieren zu lassen.

Gut, Kai Porter war in unserem Projekt, aber das musste ja nicht gleich heißen, dass ich mich die gesamte Woche mit ihm herumschlagen müsste und alles in einem riesengroßen Streit enden würde.

Vielleicht würde es sogar ganz ... nett werden.

War ja irgendwie klar, dass ich damit sowas von falschlag.

Frau Andersen marschierte wie üblich vor unserer Gruppe ab. Insgesamt waren wir zu zwölft, Grace, Janina, Porter und mir eingeschlossen, aber die rothaarige Furie sprach wieder einmal so laut, als würde sie in der Aula vor der gesamten Schule eine Rede halten müssen: "Unser Thema ist Schwanenbergs Schönheit und genau damit werden wir uns den Rest der Woche beschäftigen! Freitag ist unser Schulfest und wir werden dann unsere Projekte vor allen anderen vorstellen! Das bedeutet, dass ich erwarte, dass jeder von euch Ergebnisse abliefert, die sich sehen lassen können! Manche von euch fragen sich sicherlich, wie man Schwanenbergs Schönheit darstellen könnte und ich habe schon einige Ideen, doch vorher seid ihr dran, verstanden?! Ich möchte, dass ihr Untergruppen bildet, Viererteams! Anschließend setzt ihr euch zusammen und denkt euch selber etwas aus! Euch sind keine Grenzen gesetzt, solange ihr Freitag etwas abgebt! Falls euch nichts einfällt, unterbreite ich euch nur zu gerne meine Vorschläge." Nachdem sie fertig war, lächelte die Frau diabolisch.

Ich war davon überzeugt, dass niemand von uns erfahren wollte, wofür sie uns notfalls einspannen würde, wenn uns keine besseren Ideen kämen ...

Missmutig radierte ich auf meinem Tisch herum, doch als mich die Erkenntnis traf, war es zu spät: Alle anderen Schüler in unserem Projekt hatten sich bereits in Viererteams geteilt und das bedeutete ...

"Mach keinen Scheiß", murmelte ich und drehte mich gleichzeitig mit Grace zu Porter und Janina um.

Während der schüchterne Karottenkopf mit den braunen Rehaugen einen relativ neutralen Eindruck machte, lehnte Porter mit verschränkten Armen und finsterer Miene an der Wand. Anscheinend war sogar ihm mit seinem Erbsenhirn aufgegangen, in welcher Lage wir uns gerade befanden.

Grace zog den verrutschten Ärmel ihres Pullovers sorgfältig über ihre Hände, damit niemand ihre Narben erahnen konnte. "Verdammt", jammerte sie anschließend. "Wir müssen aber auch immer Pech haben!"

"Worauf wartet ihr?!", trompetete in diesem Moment Frau Andersen. "Setzt euch zusammen! Hier ist genug Platz für alle!"

Kai verharrte einen Moment, dann bewegte er sich ruckartig und zog einen Stuhl für sich an unseren Tisch. Er setzte sich rittlings darauf und machte ein Gesicht, als würde die Welt untergehen. Was ja auch irgendwie der Fall war ...

Während alle anderen Gruppen fröhlich plauderten und Frau Andersen unauffällig unter dem Lehrerpult an ihrem Smartphone herumspielte, brüteten wir verbissen vor uns hin.

Das konnte doch nicht wahr sein!

"Also", Janina räusperte sich und hielt ihre warmen, hellbraunen Augen schüchtern auf die Tischplatte gesenkt. "Hat irgendjemand eine Idee, wie wir Schwanenbergs Schönheit darstellen können?"

Ehrlich gesagt fiel mir zu diesem Thema wirklich nichts ein. Schwanenberg war einfach nicht schön. Es war eine kleine Stadt irgendwo im Nirgendwo, umgeben von Wiesen und Wäldern und noch mehr Wiesen und Wäldern. Es war das reinste Hinterland.

"Wir könnten Fotos schießen", meine Grace gelangweilt und fuhr mit ihren Fingern das Gekritzel auf unserem Tisch nach. "Macht sicherlich niemand."

Ich zog meine Augenbrauen zusammen und schüttelte meinen Kopf. "Fotos wovon? Von dem ekligen Ratsteich?"

"Was ist mit der Aussichtsplattform?" Es war das erste Mal, dass sich Porter zu Wort meldete und dementsprechend erstaunt schauten wir alle zu ihm. "Von da aus könnten wir Schwanenberg von oben fotografieren, wenn wir Glück mit dem Wetter haben."

Janina nickte vorsichtig. "Keine schlechte Idee, aber ernsthaft, ich glaube, jede Gruppe wird Fotos schießen, oder nicht?"

Tatsächlich stellte sich heraus, dass eine der zwei anderen Gruppen lieber irgendeine langweilige Präsentation am Computer machen wollte und die andere die Fotos nicht schießen durfte, weil sie noch zu jung waren, um tagelang außerhalb des Schulgeländes Fotos zu schießen - Zumindest in den Augen von Frau Andersen. Und somit wurde uns als "Ältesten" die Ehre zu teil, eine Collage über Schwanenberg zu erstellen.

Ich hätte kotzen können. Wenn es etwas Schlimmeres gab, als eine ganze Woche mit einem Mädchen zu verbringen, von dem ich nicht wusste, was ich von ihm halten sollte, weil es so gut wie jeden dritten Tag krank war, und einen Idioten, der es sich anscheinend zur Lebensaufgabe gemacht zu haben schien, mich in den Wahnsinn zu treiben, dann wäre es wohl, zusammen mit ihnen durch Schwanenberg zu watschelten und irgendwelche beschissenen Fotos von noch beschisseneren Orten zu schießen!

Aber Porter schien gerade erst warm zu werden. Er lehnte sich sogar halbwegs interessiert vor, als wollte er uns überzeugen. "Also, dann hätten wir schon einmal die Aussichtsplattform, die wirklich nicht schlecht ist", er warf einen winzigen Blick in meine Richtung. Seine brauen Augen verdunkelten sich kurz. "Den Ratsreich können wir uns wirklich sparen, an dem ist nichts Schöner. Aber es muss doch noch mehr geben, was wir hier fotografieren können ..."

"Hat jemand von euch überhaupt eine Kamera?", fragte ich gelangweilt und gähnte. "Unsere Smartphones reichen sicherlich nicht für die Aussichtsplattform."

"Ich habe eine", meinte Kai ohne mit der Wimper zu zucken und fuhr sich durch seine dunkelbraunen, zerzausten Haare.

Ich lächelte spöttisch. "Du fotografierst ernsthaft?" Eigentlich hätte es mich nicht überraschen müssen, immerhin hatte ich auf der Klassenfahrt gesehen, wie er in dieses komische Fotografiemuseum gegangen ist, doch irgendwie hatte ich nicht erwartet, dass Porter es so offen zugeben würde, nach allem, was mit Katrin geschehen war ...

"Hast du ein Problem damit, Primaballerina?" Und da war er wieder, sein Arschloch-Modes, mit dem üblich genervten Tonfall, wenn er mit mir sprach. War ja fast zu schön gewesen, um wahr zu sein ...

"Nein", erwiderte ich also süßlich. "Du siehst nicht aus wie jemand, der fotografiert." Das war natürlich Schwachsinn, aber ich war viel zu beschäftigt, über dieses Paradoxon nachzudenken. Wie komisch war es bitte, dass ausgerechnet Porter fotografierte? Immerhin hatte Katrin ihn ja genau dafür zusammen mit seinem Vater zurückgelassen, welcher zu einem Trinker mutierte, über dem die peinlichsten Geschichten in Schwanenberg kursierten ...

"Wie sieht denn jemand aus, der gerne fotografiert?" Kai legte seinen Kopf schief, als würde er ernsthaft über meine Aussage nachdenken.

Ich rollte mit meinen Augen. "Freundlicher."

"Freundlicher", wiederholte Porter kopfschüttelnd. "Etwas Besseres ist dir jetzt nicht eingefallen, du ..."

"Könnt ihr einmal mit eurem Zickenkrieg aufhören?", fragte Grace und rieb sich in einer beiläufigen Bewegung über ihre Arme, als würden sie schmerzen, bevor sie sowohl Porter als auch mir einen warnenden Blick zuwarf.

Ich schluckte. In den letzten Wochen hatte ich mich nie getraut, zu fragen, ob sie sich noch immer ritzte, denn ich hatte Angst vor der Antwort. Obwohl Grace mir manchmal erzählte, dass ihre Eltern sich noch immer ziemlich stritten, verlor sie kaum ein Wort mehr darüber und ich wusste noch immer nicht, was ich dagegen unternehmen könnte. Wie konnte ich jemanden helfen, der keine Hilfe wollte?

"Hat jemand eine Füllerpatrone für mich?"

Ich warf einen genervten Blick zu Janina, die gerade in ihrer Federtasche kramte und alles penibel ordentlich mitgeschrieben hatte, was wir besprachen. Unser Streit schien sie nicht im Geringsten zu interessieren.

"Okay", ich hob abwehrend meine Hände und reichte Janina eine Patrone. "Ich bin ja schon ruhig."

Kai hatte schon wieder sein schiefes Grinsen aufgesetzt und musterte mich mit funkelnden Augen. "Das wäre ja mal etwas ganz Neues ..."

Sofort schnappte mein Blick zu ihm und ich setzte bereits zu einer weniger freundlichen Antwort an: "Hör mal zu, du Evolutionsbremse ..."

Grace schlug sich in gespielter Verzweiflung die Hände vors Gesicht. "Das überlebe ich nicht", murmelte sie vor sich hin und obwohl es sicherlich nur ein Spaß war, klang es ganz und gar nicht danach.

Ein kalter Schauer kroch über meinen Rücken und ich fragte mich, wie viel Grace noch aushalten könnte, bevor sie endgültig aufgab. Was konnte ich tun, verdammt? Es musste doch etwas geben, mit dem ich ihr helfen könnte!

Porter musterte mich stirnrunzelnd, als würde er versuchen, zu verstehen, was hier vor sich ging. Sicherlich hatte sogar er bemerkt, dass meine Stimmung schlagartig gekippt war, aber mir war egal, was er von mir dachte.

Nachdenklich stützte ich mein Kinn auf meine Hände und riss meinen Blick gewaltsam von Grace los.

Wieder einmal wurde mir bewusst, dass ich nicht die Einzige war, die Probleme hatte. Jeder hatte seine eigenen Probleme, jeder musste irgendetwas in seinem Leben überwinden oder aushalten oder auch ... akzeptieren.

Ich bereute es, in das ganze Jahr über so blind gewesen zu sein.

Aber manchmal kamen solche Erkenntnisse eben viel, viel zu spät ...

Hey!

Dieses Mal wieder ein dramatischeres Ende. Wie fandet ihr es?

Unglaublich! Wir haben Kapitel 20 erreicht! Vielen Dank, dass ihr mich jetzt schon so lange begleitet. ^^ Ohne euch wäre ich niemals bis hierhin gekommen und ich freue mich auf das, was noch auf uns alle zukommen wird. :)

Mh, da mir keine Frage einfällt, die ich euch stellen könnte, habe ich einen Vorschlag: Wie wäre es, wenn du stattdessen mir eine Frage stellst? Ich versuche, so viele wie möglich zu beantworten, solange es nicht zu privat ist. ;) Bin gespannt, was ihr gerne von mir wissen möchtet!

Alles Liebe,

Kathy.


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