ღ Kapitel 12 - Abschlussfeier ღ

19.10.2017

Heute war die Abschlussfeier. Ich konnte gar nicht glauben, wie schnell die Klassenfahrt vorbeigegangen war - Immerhin würden wir schon morgen wieder nach Hause fahren. Aber irgendwie war ich auch erleichtert.

Sich ein Zimmer mit Jenna zu teilen war nun einmal keine Erholung und auch wenn ich es nicht gerne zugab, vermisste ich meine Familie. Sogar Oliver, obwohl er es wahrscehinlich gar nicht verdiente und nicht einmal mitbekommen hatte, dass ich fort gewesen bin, weil er den ganzen Tag Chips essend vor seiner Konsole gesessen hatte. Meine Eltern hatten mich zwar jeden Tag angerufen und beteuert, wie sehr sie mich vermissen würden, aber ich hatte ihnen kaum zugehört. Das einzig Gute an dieser Klassenfahrt war sowieso nur, dass ich nun mein eigenes Zimmer, mein gemütliches Bett und Mams Essen wieder zu schätzen wusste. 

Das war es dann aber auch schon wieder. 

"Ich kann es einfach nicht fassen!", rief Elias gerade wütend und fuhr sich durch seine gegeelten, hellblonden Haare. "Wie kannst du so etwas nur zu einer Abschlussfeier tragen?!" Er deutete anklagend auf mein Top unter meinem dünnen Cardigan und auf meine Röhrenjeans. Gut, das Top hatte zwar einen etwas gewagteren Ausschnitt als sonst, aber er sollte sich nicht so anstellen! 

Noch ein Grund mehr,  sich auf das Ende dieser Klassenfahrt zu freuen.

Entrüstet stemmte ich mir die Hände in die Hüften. "Ich kann noch immer das anziehen, was ich möchte!" 

Jenna, die in unserer Nähe stand und im Takt zur Musik wie ein Huhn mit ihrem Kopf wackelte, lachte gehässig und verzog ihr Puppengesicht zu einer Grimasse, bevor sie sich zu Nele beugte, um ihr irgendetwas ins Ohr zu flüstern. 

"Du solltest so etwas ... Aufreizendes aber nicht tragen!", warf mir Elias vor und zupfte sein eigenes, maßgeschneidertes Hemdchen zurück, welches trotz mehrerer Tage im Koffer keine einzige Falte zu besitzen schien. Der helle Blautun brachte Elias eisige Augen noch mehr zum Strahlen, doch heute fand ich daran nichts Schönes. 

Ich seufzte gereizt und verschränkte meine Arme vor der Brust. "Spinnst du? An diesem Top ist nichts Aufreizendes dran! Es ist vollkommen normal! Wieso musst du dich immer so anstellen und wegen jeder Kleinigkeit einen Streit vom Zaun brechen?" Unwohl sah ich mich um, doch dank der lauten Musik schien niemand außer Jenna, Nele und Grace, die sich abseits hielt, von unserem Streit etwas mitzubekommen. 

Elias lief vor Wut rot an und ballte langsam seine Fäuste. "Wieso ich mich so anstelle? Weil du dich veränderst hast, Alyssa! Seit dem Unfall bist du einfach nicht wiederzuerkennen! Vorher hättest du nie so etwas ... etwas Schlampiges angezogen oder einem anderen Kerl hinterher geschaut, obwohl du einen Freund hast!" 

Mir blieb die Luft weg. "Wie bitte?", zischte ich mit brennenden Augen. "Hast du mich gerade schlampig genannt?" 

Elias wirkte beinahe schuldbewusst. 

"Oho", tönte Jenna von der Seite und lachte. "Ärger im Paradies!" 

"Sei ruhig!", zischte Grace und stellte sich so vor die Puppe, dass sie Elias und mich nicht mehr sehen konnte. "Das geht dich nichts an!"

"Ich ..." 

"Nein, Alyssa! Wage es nicht, mir schon wieder zu widersprechen!" Seine Hand schnellte vor und er packte mich grob am Arm, doch ich riss mich sofort von ihm los.

"Was bist du eigentlich für ein Arsch?!", spuckte ich und nun rollte doch die erste Träne über meine Wange. 

Die Musik war plötzlich verstummt. Alle aus unserer Klasse schauten zu uns, wie mir nun bewusst wurde. Ich war nur froh, dass sich Herr Müller mal wieder weggeschlichen hatte, um "heimlich" eine rauchen zu gehen. 

Jenna und Neles gehässiges Lachen zerriss die Stille. "Wie erbärmlich", brachte die Puppe mühsam hervor und wischte sich eine imaginäre Lachträne aus den Augen. 

Ich wirbelte herum und stürmte nach draußen. 

"Alyssa!", rief mir Elias wutentbrannt hinterher. "Bleib gefälligst stehen!" 

Aber ich hörte nicht. 
Alles, was ich wollte, war Abstand zwischen ihn und mir zu bringen. 

Ich hielt das keine Sekunde länger aus. 

Wann hatte ich die Kontrolle über mein Leben verloren? 

Diese Frage hämmerte sich durch meinen Schädel, als ich am Strand entlang wanderte. Der Mond strahlte über mir am Himmel und der eisige, nach Salz schmeckende Wind zerrte an meinen viel zu dünnen Klamotten, doch ich ging immer weiter und weiter. 

Leise schluchzend schlang ich meine Arme um mich. 

Wieso musste alles nur so kompliziert sein? Warum konnte ich nicht die letzten paar Monate rückgängig machen, wieder tanzen und eine glückliche Beziehung mit Elias führen, während Grace keinerlei Probleme mit ihrer Familie hätte und ... 

Ich blinzelte überrascht, als ich über einen Stein stolperte und beinahe hinfiel. Schniefend schleppte ich mich weiter. 

Es wurde immer später und später, doch ich wollte noch nicht umkehren. 

Elias kochte sicherlich vor Wut und würde mir nur eine Standpauke halten wollen, Grace würde vor Sorge umkommen und Jenna, Nele, David und Tim würden sich köstlich über meinen Ausbrach amüsieren. Porter ... Kai würde dabei vermutlich nur zusehen. 

Plötzlich glaubte ich, neben mir in der Böschung etwas Knacken zu hören. Erschrocken wirbelte ich herum und griff nach meinem Smartphone. Mit bebenden Händen und die zahlreichen Nachrichten von Grace ignorierend, aktivierte ich die Taschenlampe und zerriss so die Dunkelheit unter den Bäumen, dort, wo kein Mondlicht mehr durchkam. 

"Hallo?", krächzte ich. "Ist das jemand?" 

Mittlerweile zitterte ich am ganzen Körper und der kalte Wind wurde immer heftiger, aber ich hörte nichts mehr. Kopfschüttelnd schaltete ich die Taschenlampe wieder aus und setzte meinen Weg, doch ich hatte das Gefühl, nicht länger alleine zu sein ... 

Langsam machte ich mich auf den Rückweg, um nicht noch mehr Ärger zu bekommen, als mich ohnehin erwarten würde. 

Währenddessen haderte ich damit, wie schrecklich ich in den letzten Monaten alle anderen behandelt hatte. 

Ich war nicht für Elias da gewesen und auch nicht für Grace, obwohl sie mich brauchte. Ich war viel zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt gewesen und mit der Tatsache, dass ich wahrscheinlich niemals mehr so tanzen können würde wie vor meinem Unfall, um zu erkennen, wie es den anderen ging. 

Ich war eine schreckliche, egoistische, verblendete Freundin. 

Ohne Rücksicht auf die Menschen, die mir am Herzen lagen, hatte ich alles um mich herum zerstört. 
Zuhause stritt ich nur noch mit Mam und Paps, wenn Oliver und ich uns einmal unterhielten, schrien wir uns immer nur an und versuchten, uns gegenseitig eins auszuwischen. Wenn ich mit Grace unterwegs gewesen bin oder mit ihr im Express-O gesessen hatte, hatten wir immer nur über meine Probleme gesprochen, während sie nie zu Wort gekommen ist, obwohl sie selber so viel durchmachen musste. 

Ich war ja so blind gewesen! 

Elias hatte sich immer bemüht, etwas mit mir zu unternehmen und mich sogar zu diesem beschissenen Mortals and mutants Film eingeladen, den ich nicht gucken wollte, nur, um mir wieder näher zu kommen, aber ich hatte ihn vor den Kopf gestoßen. Wieder und wieder. 

Ich war für niemanden da gewesen, obwohl sie alle zur Stelle waren, als ich Hilfe brauchte. 

Und das alles nur, weil ich geglaubt hatte, dass ich alleine mit den größten Problemen zu kämpfen hatte, während niemand anderes ähnliche besaß. 

Ich hatte immer geglaubt, ich wäre bestraft oder irgendwie verflucht. Ich war so von diesen Gedanken besessen gewesen, dass ich dabei vergessen hatte, dass auch meine Freunde und meine Familie eigene Sorgen hatte. 

Vielleicht hatten Jenna, Nele, Tim, David und Kai ja immer Recht gehabt. Vielleicht war ich tatsächlich nur eine verblendete Ballerina, die alles in den Arsch geschoben bekam, obwohl sie von all dem nichts verdient hatte. 

Denn ich hatte die Menschen, die mir geblieben waren, doch gar nicht verdient, oder? 
Ich war ein schrecklicher Mensch und ich hatte alles kaputt gemacht. 

Ich hatte immer geglaubt, der Unfall hätte mein Leben zerstört, aber das stimmte gar nicht. 

Es war niemals der Unfall gewesen. 

Es war alles meine eigene Schuld. 


H

ey!
Dieses Mal wieder ein eher nachdenkliches Kapitel.
Was haltet ihr vom Streit? 
Und sind Alyssas Gedanken berechtigt? 

Wenn euch das Kapitel gefallen hat,  würde ich mich sehr über euren Vote freuen. ^^

Ansonsten wünsche ich euch eine tolle Woche,
Kathy. ❤

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