ღ Kapitel 10 - Drohungen (Special) ღ
18.10.2017
Nachdem wir am nächsten Tag in unsere eigene Jugendherberge zurückgekehrt waren, war ich einfach nur froh, wieder in einem vernünftigen Bett schlafen zu können und meine Ruhe zu haben. Doch am Nachmittag sollte schon das nächste Problem auf Grace und mich warten: Eine Schnitzeljagd.
Das Gute war, dass Herr Müller es schaffte, unsere Klasse überraschend schnell in einzelne Teams zu teilen.
Das Schlechte an der ganzen Sache war, dass Grace und ich wie immer übrig geblieben waren, weil wir unbedingt zusammen in eine Gruppe wollten. Und so kam es, dass wir David und Kai zugeteilt worden, die wieder einmal zu spät gekommen waren.
Und ich hatte noch geglaubt, dass unsere Klassenfahrt nicht mehr schlimmer werden könnte ... Aber nein, jetzt musste ich auch noch mit den größten Idioten des Universums durch ein Wäldchen und eine nahe gelegene Stadt hetzen!
"Mach schneller, Alyssa!", knurrte David zum tausendsten Mal, als wir einen kleinen Hügel irgendwo im Nirgendwo hinaufwanderten, um dem dritten Hinweis nachzugehen. "Ich will das hier gewinnen!"
"Ja, das habe ich mittlerweile kapiert!", schoss ich sofort zurück und pustete mir eine honigblonde Strähne aus der Stirn. Natürlich machte ich nicht schneller. Diesen Triumph würde ich ihm garantiert nicht gönnen, auch wenn ich selber gewinnen wollte. David war einfach nur unerträglich. Was erlaubte er sich eigentlich? Er schien sich wirklich für den Mittelpunkt der Welt zu halten.
Grace neben mir rollte nur mit ihren Augen und starrte immer verzweifelter auf die Karte. Keiner von uns konnte richtig mit ihr umgeben, aber zumindest gaben wir unser Bestes. Obwohl unsere ganze Klasse es für Kindergartenkram und Zeitverschwendung hielt, wollten wir schon gewinnen. Denn das Team, welches als Erstes den "Schatz" finden würde, müsste am Ende der Klassenfahrt kein bescheuertes Referat über unsere Erlebnisse halten und das war bei unserem grauenvollen Klassenlehrer Herrn Müller tatsächlich ein Anreiz, sich einmal zu bewegen und durch die Natur zu schlagen.
Trotzdem hatten wir es uns einfacher vorgestellt.
Nachdem wir uns zum dritten Mal verlaufen hatten, weil wir wieder einmal der falschen Fährte folgten, lagen unsere Nerven blank.
"Meine Fresse, wie langsam kann man denn bitte sein?", rief David in diesem Moment und drehte sich wütend zu mir um. Seine dunkelblauen Augen durchbohrten mich, als wäre all das meine Schuld. "Meine Großmutter ist schneller als du, Primaballerina, und die sitzt im Rollstuhl!"
"Halt doch einfach deine Klappe, du Evolutionsbremse, und schau lieber, wo wir lang müssen!", herrschte ich ihn an und stemmte mir schnaubend die Hände in die Hüften. "Würdest du dich nicht alle zwei Minuten beschweren und wie ein kleines Kind herumheulen, wären wir schon wesentlich weiter!"
"Was hast du gesagt, du dumme ..."
"David", meinte Kai plötzlich und es war das Erste, was er sagte, seit wir aufgebrochen waren. "Sei einfach still und ignorier das Püppchen. Ich habe keinen Bock wegen der kleinen Ballerina ein Referat halten zu müssen und das Abendbrot zu verpassen."
David fuhr sich überrascht über seine dunklen, kurzgeschorenen Haare. Sein Kiefer malmte und seine Augen lösten sich für einen kurzen Moment von mir, um seinen besten Freund zu mustern. Schließlich wandte er sich kopfschüttelnd von mir ab. "Du hast Recht", murmelte er finster. "Die ist es echt nicht wert."
Mein Kiefer klappte nach unten und ich schob wollte zu einer unfreundlichen Antwort ansetzen, als mir Grace ihren Ellbogen in die Seite rammte. "Nein", zischte sie mir ins Ohr. "Lass diese Idioten einfach! Ich habe keine Lust, die ganze Zeit zu streiten und ich habe vielleicht sogar eine Idee, wo wir lang müssen ..."
Die Evolutionsbremsen drehten sich zweifelnd zu meiner besten Freundin, die sich nervös eine ihrer dunkelblonden Locken hinters Ohr klemmte.
David verschränkte seine muskulösen Arme und musterte sie mit schief gelegten Kopf. "Schieß los, Zwerg."
"Nein! Wir waren zuerst hier!", rief Jenna einige Stunden später wütend und piekste mir in meine Schulter.
"Lass das!", fauchte ich und schlug ihre Hand weg, während ich den "Schatz", welcher aus einer jämmerlichen Tüte Gummibärchen bestand, enger an mich presste. "Und hör auf, zu lügen!"
Jenna lief dunkelrot an, was mit den Tonnen von Make-Up in ihrem Gesicht ziemlich hässlich aussah. "Du kleiner, mieser Krüppel ..."
"Alyssa hat aber Recht", meinte David nur, der hinter mir aufgetaucht war. "Wir haben gewonnen."
Grace nickte zustimmend und stellte sich neben den Idioten. "Genau, sieh es endlich ein, du dumme Pute."
Milde überrascht schaute ich über meine Schulter zu den Beiden, die mich in Schutz nahmen. Mit Graces Unterstützung hatte ich gerechnet, immerhin konnte ich mich auf sie ja immer verlassen, aber dass auch David für uns Partei ergriff, war nun doch ein wenig seltsam. Wahrscheinlich wollte er einfach nicht dieses dumme Referat halten. Unvorstellbar, dass er sich ausnahmsweise aus reiner Herzensgüte für jemanden einsetzte ...
Mit einem kurzen Seitenblick stellte ich fest, dass Kai alles nur schweigend beobachtete. Er fuhr sich gelangweilt durch seine zerzausten, dunkelbraunen Haare und lehnte an einem Baum in der Nähe, als ginge ihn als das nichts an.
"Das stimmt nicht! Wir waren schon fast an der Stelle, bis du", Jenna zeigte anklagend auf mich. "Dich vorbeigedrängelt und den Schatz einfach an dich gerissen hast!"
"Ich bitte dich, wie soll denn der Krüppel schneller gewesen sein als du?", fragte Kai augenrollend und stieß sich nun vom Baum ab, um ein wenig näher zu kommen. Dann ragte er auch schon neben mir in die Höhe.
Ein winziger Stich jagte durch mein Herz, aber ich zwang mich, ihn zu ignorieren, immerhin war das ein Argument. Es machte keinen Sinn, was Jenna behauptete. Selbst wenn ich es wollte, wäre ich niemals schneller als sie.
Ich machte einen winzigen Schritt auf sie zu und atmete tief ein, während ich in ihr perfektes Gesicht starrte und mir wünschte. "Pass auf, du hirnamputierte Puppe, wir wissen alle, dass du eine verdammt schlechte Verliererin bist, aber selbst du solltest langsam einsehen, dass ..."
Jenna ballte ihre Fäuste. "Du miese Schlampe!"
Ihre beste Freundin Nele griff nach ihren Arm und hielt sie zurück. "Hey", murmelte sie kreidebleich, als Jenna nach ihr schlug. "Bleib ruhig, Jen. Es ist doch nur eine Packung Gummibärchen und ein dummes Referat!"
Ohne mit der Wimper zu zucken riss sich die Puppe von ihrer Mitläuferin los und taumelte auf ihren hohen Schuhen einige Schritte zur Seite. "Du verstehst das nicht!", fauchte sie und verschränkte trotzig ihre Arme. "Hier geht es ums Prinzip, denn die da", wieder deutete sie anklagend auf mich. "Bekommt immer alles in den Arsch geschoben!"
"Ist das dein Ernst?!", platzte es aus mir heraus.
Auch Grace schüttelte ungläubig ihren Kopf. "Wie verblendet kann man eigentlich sein?"
Jenna stampfte auf mich zu. "Pass mal auf, Krüppelchen. Du hast gewonnen, okay. Friss deine dummen Gummibärchen und werde noch fetter als du es ohnehin schon bist. Mir doch egal. Aber ich verspreche dir, dass du es bereuen wirst, dich jemals mit mir angelegt zu haben!"
"Wow!", zischte ich. "Sind wir wieder im Kindergarten angekommen oder was?"
Jenna musterte mich abwertend. "Du wirst es bereuen! Warte es nur ab, du wirst dir noch wünschen, niemals auch nur eine negative Sache über mich verbreitet zu haben! Das, was du kannst, kann ich schon lange!", sie atmete tief ein. Ihre giftgrünen Augen funkelten. "Es wird Zeit, dass du aufwachst und auf dem harten Boden der Realität landest! Aber keine Sorge, Krüppel, ich werde dir dabei helfen."
Jenna P.o.v.
Nachdem ich behauptet hatte, dass es mir nicht gut ginge, wartete ich geduldig, bis der Krüppel und die graue Maus das Zimmer verließen und zum Abendbrot marschierten.
Nachdem die Tür unseres gemeinsamen Zimmers endlich hinter den Beiden zugefallen war, schwang ich meine Beine auch schon aus dem Bett und tapste zu Alyssas riesigen Koffer. Glücklicherweise wusste ich ganz genau, wo das war, was ich suchte.
Ein winziges Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich das kleine, blaue Büchlein ans Tageslicht zog. Perfekt.
Alyssa hatte immer bekommen, was sie wollte und das, obwohl sie eine kranke Psychopatin war. Es wurde Zeit, dass die Welt erkannte, was für eine gestörte Person die Ballerina tatsächlich war und ich ... ich würde dabei helfen.
Ohne den Hauch eines schlechten Gewissens schlug ich die ersten Seiten auf und ließ meine Augen über die verschlungenen Zeilen wandern. Sogar ihre Schrift war makellos perfekt. Alles an Alyssa war perfekt. Ihr ganzes Leben war perfekt.
Aber ich würden das ändern.
Mein Lächeln wurde ein wenig breiter.
Das hier war sogar noch besser, als ich erwartet hatte.
Zufrieden schnappte ich mir mein Smartphone und begann, eine Seite nach der anderen abzufotografieren - aber nicht, ohne immer wieder nervös auf die Uhr zu linsen. Es war zwar unwahrscheinlich, dass Alyssa das Abendbrot vorzeitig verließ, aber ich wollte mir nicht ausmalen, was passieren würde, wenn sie mich hierbei erwischte ...
"Sehr gut", murmelte ich und atmete auf, als ich endlich fertig war und klappte das Büchlein zuklappen konnte. Wie lange hatte ich auf diesen Moment gewartet?
Ich erhob mich zufrieden, presste das kleine Buch enger an mich und marschierte schließlich aus dem Zimmer. Eigentlich hatte ich es anfangs nur abfotografieren und es wieder wegstecken wollen, aber irgendwie hatte ich das Verlangen, Alyssa noch mehr zu schaden. Je länger ich darin gelesen hatte umso bewusster wurde mir, dass es für Alyssa noch viel schlimmer wäre, diese Erinnerungen zu verlieren als alles andere. Und das würde ich ausnutzen.
Leise pfeifend zog ich durch die Gänge der Jugendherberge, in dem Wissen, dass alle anderen gerade am Essen wären. Doch als ich um die nächste Ecke bog, knallte ich prompt gegen jemanden.
Scheiße!
"Kannst du nicht aufpassen, du verdammter ...", ich stockte, als ich Kai erkannte und entspannte mich wieder. Auch, als sein Blick auf das kleine Tagebuch in meinen Händen fiel, auf dem Alyssas Name in goldenen Buchstaben stand, blieb ich cool. Kai würde das verstehen. Er hasste Alyssa mindestens genauso sehr wie ich. Wer weiß, vielleicht würde er ja sogar mit mir kommen und helfen.
"Jenna?", fragte Kai verwirrt und fuhr sich durch seine dunkelbraunen Haare. "Was wird das hier?"
"Dasselbe könnte ich dich fragen", erwiderte ich frostig, weil er komischerweise gar nicht begeistert aussah. "Solltest du nicht beim Abendbrot sein?"
"Hab keinen Hunger und jetzt spuck es schon aus, was soll das?!"
Ich lächelte und flüsterte geheimnisvoll: "Es ist Zeit, dass der Krüppel all das zurückbekommt, was er uns angetan hat! Ich weiß genau, dass es dich genauso sehr nervt wie mich, dass Alyssa alles bekommt. Sie ist ja so perfekt, selbst mit ihrem scheiß kaputten Knien und allem! Alle sehen immer nur das Beste in ihr! Alle halten sie für eine perfekte, zerbrechliche Ballerina aus feinem Hause mit einem noch feineren Freund und perfekten Leben! Und es geht mir so auf den Keks, dass sie immer die Gute ist! Ich weiß, dass das nicht stimmt und hier ist der Beweis! Sie ist krank! Sie ist eine Psychopatin!", ich wedelte mit dem Buch herum. "Ihre Freunde sollten wissen, was für ein verlogenes Miststück sie eigentlich ist! Ich habe alles, was ich wollte - genügend Informationen, um ihr perfektes, erbärmliches Leben zu zerschlagen!", ich räusperte mich. "Jetzt bin ich gerade auf dem Weg, um dieses dumme Buch zu versenken. Du könntest mitmachen, wenn du willst. Jeder weiß, wie sehr du Alyssa verabscheust und glaub mir, es wird so gut tun, zusehen zu können, wie Alyssas Leben, ihre wichtigsten Erinnerungen Stück für Stück versinken", ich lächelte diabolisch. "Also, was meinst du? Du hasst sie. Sie hasst dich. Ganz klare Sache." Als ich endete, lächelte ich noch breiter. Es war einfach nur perfekt.
Kai runzelte seine Stirn. "Ich hasse Alyssa nicht", meinte er schließlich eindringlich. "Lass den Mist, Jenna."
Es war wie ein Schlag in die Magenkuhle. Ungläubig zog ich meine Augenbrauen zusammen. "Wie bitte?! Natürlich hasst du den Krüppel! Schon seit Ewigkeiten! Ich ... ich verstehe das gerade nicht ..."
"Musst du auch nicht", knurrte Kai und riss mir kurzerhand das Tagebuch aus der Hand. "Halte dich einfach von Alyssa fern."
Hey!
Ich wollte mich einfach mal mit diesem kleinen Special aus Jennas Sicht bei euch bedanken! ^^
Danke, dass du meine Geschichte bis hierhin verfolgt hast und vielen Dank für die ganzen lieben Kommentare und Votes!
Ihr seid wirklich unglaublich. :*
Heutige Frage an euch: Wenn ihr eine Superkraft auswählen könntet, welche wäre es?
Bis zum nächsten Mal,
ღ Kathy ღ
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