ღ Kapitel 1 - Erkenntnisse ღ

23.08.2017

Kennst du diese Momente, in denen du in eine Schockstarre verfällst und die ganze Welt für einen winzigen Augenblick stehen zu bleiben scheint?
Das hier war einer dieser Momente.

"Und deswegen wird Alyssa wahrscheinlich niemals mehr so tanzen können wie vor ihrem Unfall", erklärte der Arzt unbarmherzig und warf mir einen schonungslosen Blick aus seinen verkniffenen, dunkelblauen Augen zu. "Die Operation ist zwar gut verlaufen, doch ihr Knie wird durch die Rupturen am vorderen und hinteren Kreuzband niemals mehr so stabil sein wie zuvor", er räusperte sich. "Deswegen solltest du bist zum Ferienende auch täglich zur Reha kommen, Alyssa, und zweimal wöchentlich zu einer Physiotherapie, um schnellstmöglich mit dem Muskelaufbau zu beginnen. Zudem werden wir die externe Stabilisierungen verschreiben, eine Orthese, also eine Art Schiene, und Unterarmstützen für die ersten paar Tage", er musterte mich, als wäre er nicht sicher, ob ich ihn verstünde. "Wenn alles gut verläuft, solltest du in sechs Wochen mit den ersten sportlichen Aktivitäten beginnen können, in drei Monaten eventuell mit leichten Lauftraining und in sechs Monaten vielleicht sogar wieder springen können. Die vollständige Einheilung erwarten wir in einem Jahr, was ebenfalls der Zeitpunkt ist, wo ich empfehlen würde, langsam wieder mit dem Tanzen zu beginnen ..."

Ich hörte längst nicht mehr zu.

Nie wieder tanzen wie zuvor ... Mindestens ein Jahr überhaupt nicht ...
Meine Hände verkrampften sich in meinem Schoß und ich starrte hasserfüllt auf mein frisch operiertes, rechtes Knie.

Wieso ausgerechnet ich?!

"Alyssa, hörst du überhaupt zu?", fragte meine Mutter klagend und lehnte sich auf dem Stuhl neben meinem Krankenbett vor, um mit ihren Fingern vor meiner Nase schnippsen zu können. "Ein wenig mehr Aufmerksamkeit, wenn ich bitten darf."

 Ich widerstand dem Drang, meine Augen zu verdrehen und richtete meinen verschwommenen Blick auf die Witzfigur von einem Arzt. "Dann war die Operation also umsonst", stellte ich dumpf fest. "Ich werde nicht mehr so tanzen können wie früher."

"Sie war nicht umsonst. Junge, aktive Menschen wie du profitieren später davon. Du wirst wieder tanzen können", versicherte Doktor Bach hastig und fuhr sich über seine glänzende Glatze. "Allerdings mit gewissen Einschränkungen."

Er wollte mich doch verarschen! Wie sollte ich das denn bitte überleben?!

"Ich werde nie aufholen können, was ich in diesem Jahr verpasse!", platzte es aus mi heraus. "Wahrscheinlich werde ich nach diesem ... diesem dummen Unfall niemals an eines der hohen Häuser und in den bekanntesten Kompanien tanzen dürfen! Ich kann alles vergessen, wofür ich jahrelang gearbeitet habe!"

"Nun sei nicht so zickig, junges Fräulein", zischte Ma sofort und funkelte mich wütend aus ihren sturmgrauen Augen an. "Doktor Bach kann ja wohl nichts dafür, dass dein naiver Traum endgültig geplatzt ist! Und du solltest froh sein, dass es dich nicht schlimmer getroffen hat! Du könntest jetzt auch sabbernd im Rollstuhl hocken ..."

Doktor Bach räusperte sich peinlich berührt. "Auf mich ... warten noch andere Patienten. Wir sehen uns morgen Alyssa. Einen schönen Tag noch, Frau Kästner, es war mir wie immer eine ... Freude."

Meine Mutter sprach unbeeindruckt weiter, während der Arzt fluchtartig den Raum verließ: "Nichts gegen Rollstuhlfahrer, aber ich meine ja nur. Es hätte uns schlimmer treffen können."

"Du verstehst das nicht, Ma", flüsterte ich mit Tränen in den Augen. "Das hast du noch nie getan."

Ma stieß einen geplagten Seufzer aus und presste ihre weiße Designer-Handtasche enger an sich, bevor sie meine Hand tätschelte, als wäre ich ein Hund, mit dem sie nicht im Geringsten etwas anfangen könnte. "Ach, Alyssa. Warum musst du alles nur immer so unnötig kompliziert machen?", sie linste auf ihre teure Armbanduhr und strich ihren makellos gebügelten Stiftrock glatt. Ja, meine Mutter war sogar zu einem bescheuerten Krankenhausbesuch overdressed. "Wie auch immer. Ich muss Oliver von Tim abholen. Du kommst hier ja anscheinend auch ohne mich zurecht und ich glaube, draußen warten noch zwei auf dich, die dich unbedingt sehen wollen. Ich komme morgen wieder und bis dahin versuch einfach, nicht überall dein Gift zu verspritzen und das arme Personal in den Wahnsinn zu treiben. Haben wir uns verstanden?"

Schweigend starrte ich auf das Fußende meines Bettes, dann zum Fernseher, der gegenüber von mir an der Wand hing und zum Fenster.

Nie wieder tanzen wie zuvor ...

"Alyssa? Ich rede mit dir!"

Ich blinzelte langsam, obwohl ich innerlich vor Wut kochte. Ich wollte schreien, wollte irgendwo drauf einschlagen, ich wollte weinen, doch ich konnte nur da sitzen und daran denken, dass von nun an nichts mehr so sein würde wie vorher.

"Ja, Ma", murmelte ich heiser. "Ich habe verstanden."

"Aly!", rief Grace, als sie in den Raum platzte. Ihre straßenköterblonden Locken standen zu Berge, als sie schlittenrd vor meinem Bett hielt und mich aus aufgerissenen, bläulichen Augen besorgt musterte. "Siehst du scheiße aus ... Wie geht es dir? Ist alles gut gelaufen? Wie sieht es aus?"

Elias schlendete langsamer durch die Tür und schenkte mir ein halbes Lächeln. Seine hellblonden, fast weißen Haare waren wie immer penibel ordentlich zurückgegeelt und betonten seine eisblauen, durchdringenden Augen umso mehr, die sich nun so prüfend in mich bohrten, als wollten sie mich analysieren. "Hey", murmelte er schließlich und kam näher, bevor er einen kleinen Strauß blutroter Rosen auf den Tisch neben mir stellte.

"Hey", flüsterte ich matt und starrte auf die Blumen, die ich eigentlich gar nicht mochte. Nein, das stimmte nicht. Ich hasste Rosen. Sie waren einfach viel zu klischeehaft für meinen Geschmack, viel zu unpersönlich. Das gewohnte Kribbeln in meinem Magen, als mir mein Freund einen flüchtigen Kuss auf die Lippen drückte, fehlte heute auch noch.

Elias setzte sich vorsichtig neben mir aufs Bett, während sich Grace in den Stuhl lümmmelte, auf dem eben noch Ma gesessen hatte. "Nun sag schon", forderte meine beste Freundin und zappelte nervös herum. "Was hat der Arzt gesagt?"

Unfähig, auch nur einen von beiden anzugucken, schwieg ich einige Sekunden lang. Als ich sprach, zitterte meine Stimme so stark, dass ich glaubte, sie würde brechen: "Ich ... Ich werde wahrscheinlich nie wieder so tanzen können wie vorher ..."

Plötzlich war es so still, dass man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Sogar die blöde Uhr an der Wand schien stillzustehen, obwohl sie sonst immer laut tickte.

"Nein!", hauchte Grace und sprang auf, um mich vorsichtig zu umarmen. "Oh nein, das tut mir so leid, Aly!"

Mein Freund schwieg, bevor er sich leise räusperte und fragte: "Und ansonsten? Wird es wieder?"

Zorn loderte in meinem Inneren auf und ich ballte unter meiner weißen Bettdecke die Fäuste. "Natürlich wird es wieder", knurrte ich und meine Sicht verschwamm erneut. "Ich werde laufen können, in einigen Monaten kann ich wieder springen und irgendwann werde ich auch wieder anderen Sport machen können. Aber mein Knie wird niemals so stabil sein wie vor dem Unfall und niemand kann mir sagen, ob es kräftig genug sein wird, damit ich wieder klassisches Ballett tanzen kann. Spitzentanz ..."

 "Eines nach dem anderen", unterbrach mich Elias und zupfte sein dunkelblaues Hemd zurecht. "Alles, was vorerst zählt, ist, dass es dir gut geht."

"Es geht mir aber nicht gut!", rief ich fassungslos. "Wie soll es mir gut gehen, wenn ich niemals mehr so tanzen kann wie vorher?!"

"Nun übertreib doch nicht schon wieder", Elias hob seine Hände und musterte mich beinahe mitleidig. "Ich kann verstehen, dass du aufgewühlt sein musst ..."

"Elias", unterbrach Grace ihn ohne mit der Wimper zu zucken. "Ich glaube, Aly könnte etwas zu trinken gebrauchen, aber ihr Glas ist leer. Möchtest du nicht etwas Neues holen?" Sie warf ihm einen auffordernden Blick zu.

Elias wirkte einen Moment verwirrt, dann erhob er sich rasch. "Natürlich", sagte er und musterte Grace wütend. "Ich bin sofort wieder zurück, Schatz."

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, atmete ich beinahe erleichtert auf.

"Wie kannst du diesen rückratlosen Schnösel nur ertragen?", fragte meine beste Freundin kopfschüttelnd und fuhr sich durch ihre dunkelblonden Locken, bevor sie abwertend die Rosen musterte. "Er kriegt es ja noch nicht einmal auf die Reihe, dir die richtigen Blumen zu schenken."

"Er gibt sich Mühe", widersprach ich mit dünner Stimme und blinzelte einige Male, um die Tränen zu vertreiben.  "Was soll ich denn jetzt machen, Grace? Ich werde bis zum Ende der Sommerferien in irgendwelchen Therapien steken und auch danach werde ich noch monatelang mit den Knien zu kämpfen. Vielleicht werde ich nie wieder tanzen können! Ich weiß nicht ..."

"Das wird schon", murmelte Grace und ihre schmalen Lippen verzogen sich zu einem gequälten Lächeln. "Wir schaffen das schon irgendwie und ich bin mir sicher, wenn du viel an dir arbeitest, wirst du es auch irgendwann wieder schaffen, auf einer Bühne zu stehen. Wer weiß, wenn du die Therapien und alles mit machst, vielleicht kannst du dann ja sogar irgendwann wieder Spitzentanz machen!"

Ich zuckte mit meinen Schultern und wünschte mir nichts sehnlicher, als die letzten Wochen rückgängig machen zu können. Dann wäre ich niemals in das verdammte Auto gestiegen ... Plötzlich war meine Kehle wieder wie zugeschnürrt und ich schluchzte auf.

"Oh, Aly", murmelte Grace und nahm mich erneut in den Arm.

Ich fing bitterlich an zu weinen.

Nie wieder tanzen wie zuvor! Das war doch nicht zum Aushalten ... Ich brauchte das Tanzen wie die Luft zum Atmen! Das Tanzen war alles, was meinen Alltag erträglich machte und alles, worin ich halbwegs begabt war. In Allemn musste ich hart dafür arbeiten, auch nur mittelmäßig zu sein, doch beim Tanzen konnte mir niemand so schnell etwas vormachen.

Aber jetzt, jetzt würde ich meine Ziele vielleicht niemals erreichen können ... Wahrscheinlich würde ich nie als Tanzlehrerin arbeiten oder als gefragte Ballerina an einem der hohen Häuser tanzen können - Der Pariser Opera, der Berliner Staatsoper, dem Moskauer Boschoitheater ...

Jahrelang hatte ich mir die Füße blutig getanzt, nur, damit innerhalb von wenigen Sekunden mein gesamtes Leben zerstört wurde.

Ich hatte alles gegeben und nie etwas zurückbekommen.

Alles, was jetzt noch blieb, war diese Leere in meinem Inneren, die mir verdeutlichte, dass etwas fehlte, was durch nichts und niemanden mehr ersetzt werden könnte ...

Das glaubte ich zumindest.

ღ  Hey!  ღ

Erst einmal vielen Dank, dass du dich dazu entschieden hast, meiner Geschichte eine Chance zu geben. ^^ Ich hoffe sehr, dass sie dir gefällt und natürlich auch, dass du mir ein wenig Feedback hinterlässt.

Wenn du Fragen an mich hast, schreib sie einfach in die Kommentare und ich versuche, so vieles wie nur möglich zu beantworten! Die Update-Tage sind immer aktuell auf meinem Profil zu finden. ^^

Ansonsten wünsche ich dir ganz, ganz viel Spaß beim Weiterlesen und freue mich darauf, dass du mich auf dieser kleinen Reise begleitest. ♥.♥

ღ Kathy ღ

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top