Der Kriege Künstler - the wartist
Kunst ist Freiheit.
Die Freiheit, sich von niemandem vorschreiben zu lassen,
was Kunst ist.
Dort sitzt er. Mein Freund Ciernen. Genannt Cier'. Mein bester Freund. Mein allerbester. Ja, mein einziger, den man bedingungslos einen Menschen nennen kann. Dort sitzt er. Hinter Panzerglas. Ob er ahnt, dass er rund um die Uhr beobachtet wird? Bei einem Verbrecher solcher Stufe hielte ich es eigentlich für nicht unwahrscheinlich, aber Cier'... ist Cier'. Mein Cier'. Der naive, leichtgläubige, künstlerische Cier'; Cier', das Genie. Und ein solches darf so seine Marotten haben. Künstler sind oft exzentrisch und werden oft zu Lebzeiten nicht verstanden. Er ist da keine Ausnahme.
Dort sitzt er. Hinter Panzerglas. Seinem Spiegel, von dieser Seite aus durchsichtig wie ein Fenster. Kurzes schwarzes Haar, helle Haut, schmaler Teint, wie alle Mondmenschen. Neben ihm liegt sein altmodisches Komlog, diese Technik ist schon lange aus der Mode geraten. Es war nur eine kurze Erscheinung während des Wirtschaftswunders '03. 2103. Heutzutage haben alle Net Chips, Nachfolger der KnowChips; zusammen mit einem Bio-'dapter; direkt mit dem Hirn verbunden, alle Informationen sind jederzeit verfügbar.
Dort sitzt er. Er wirkt nervös, als er sich mit der Hand durch die Haare fährt, den Stift nimmt, und weiter kritzelt.
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Er schreibt. Und er kann es selbst nicht glauben, noch nicht wirklich. ICH SCHREIBE!, brüllt er sich selbst in Gedanken an, in Glückseligkeit versunken. Simon hatte ihm geraten, wieder damit zu beginnen, er solle sich von niemanden vorschreiben lassen, was richtig und was falsch war. Stimmt!
„Komlog", murmelt er, „wie viel Zeit noch?" „Zwei Gols", antwortet es, gemäß seiner Aufforderung, keine Einheit zu benutzen, sondern umgangssprachlich zu reden. Er setzt kurz ab, lässt sich wieder in Gedanken treiben.
Er hört die Gewehre. Das Stapfen der Soldaten, die wühlenden Pandeuspanzer, die illegalen altmodischen Energiepistolen der Zivilbevölkerung. Er sieht den wirbelnden Staub. Er greift wieder nach dem Stift, und er schreibt. Nur wenige benutzen noch Stifte, doch er mag das altmodische Medium.
Vereinzelte Schreie über den dunklen Geräuschen. Er schreibt; er schreibt Symphonien mit dunklen und hellen Tönen, starke und leidende Charaktere. Er denkt. Und er schreibt.
Was er schreibt, kann man Kriegspläne nennen. Doch vor allem sind es Bilder und Töne, sein Medium, die Gewehre werden gegen Berge eingesetzt, die Schreie sind Aufnahmen, was sogar an einem vorgegebenem Hintergrundrauschen erkennbar ist. Er plant keinen Krieg. Er schreibt Kunst.
Er bekommt viele Hassmails, Morddrohungen; doch ebenso viele Liebesbekundungen und Heiratsanträge. Er bekommt Angebote von Privatleuten, ihnen seine Werke zu verkaufen, um sie an „warmen Zielen" zu testen. Er weiß, dass der Rat des Mondes ihn überwacht, allen voran seine Präsidentin, Margot Nussian.
Einmal hatte ein Reporter ihn gefragt, wie er all das erfand, denn Wissenschaftler hatten einmal nach geprüft, ob solche Angriffe tatsächlich erfolgreich sein könnten. Es war als Witz gedacht, doch sie stellten fest, dass es klappen würde, und zwar wahnsinnig gut. Und es klang dabei noch so gut. Die ganze Welt war geschockt gewesen. Er nicht. Er hatte es von Anfang an gewusst, auch wenn es ihm nicht darum ging, nie darum gegangen war.
Dem Reporter hatte er geantwortet, dass er es nicht erfand, tatsächlich ließen die Symphonien sich von ihm erfinden. Daraufhin wurde er als bescheiden gefeiert. Er selbst war nur die Feder, fügte er hinzu. Jemand schreibt mit mir, wie ich mit einem Stift. Das wiederum wurde als albern empfunden, und sooft er noch gefragt wurde, er hatte es nicht nötig, dem etwas hinzuzufügen oder gar etwas zu verändern.
Er schrieb wieder, dachte er sich, war das gut oder schlecht? Einerseits wollte es die Nussian von ihm, ein Grund, ihr keine derartige Waffe in die Hand zu drücken. Andererseits stimmte auch Simon ihr zu, wenn auch aus anderen Gründen. Würde Tannen, sein anderer Freund, ihm ebenfalls zustimmen? Er wusste es nicht. Andererseits hatte sich Tannen, dieser Arsch, seit seiner Verhaftung nicht blicken lassen. Nachdem es gelaufen war, hatte der ihn fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel.
Es... Gedankenverloren verloren starrt Ciernen in die Luft, er lässt den Stift kurz ruhen. Irgendein Witzbold hatte an die Decke eine fast zwanzig Jahre aus der Mode gekommene Hühnchentapete gemacht.
Es... War es richtig gewesen? Er ist sich nicht sicher. Tannen hätte ihm geantwortet, es war falsch gewesen. Tannen, dieser Arsch. Simon hatte gesagt, eigentlich konnte er nichts dafür; die Nussian und der Doktor wollten ihm das wichtigste im Leben nehmen, und gerade als er am verletzlichsten gewesen war, war jene Mail gekommen. Jene Mail, mit ihr hatte alles begonnen.
Vor fast zwei Wochen hatte er sie erhalten.
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An jenem Tag war er in einer verzwickten Situation gewesen. Er rüttelte an der Tür. Verdammt, Simon war gründlich gewesen. Keine Chance, zu entkommen. Er lächelte, trotz der Feststellung, dass er in seinem eigenen Arbeitszimmer fest saß. Simon hatte ihn besucht. Anders als Tannen, der hätte sich nie auf die Dark Site, die ewig schattige Seite des Mondes, verirrt. Insbesondere nicht in die einsame, nie besiedelte Gegend Linguis Platina.
„Fuck", murmelte er, doch seine Stimme war von so viel Melodie und Glück durchsetzt, dass er fast sang. Simon hatte ihm klar und deutlich gesagt, er solle jetzt endlich das neue Werk beenden, es war schon seit zwei Wochen bezahlt und in wenigen Tagen sei Abgabetermin. Simon war bei so etwas deutlich ernster als Ciernen selbst.
Er schrieb, als das Komlog piepte. „Neue Mail. Thema: Geheim. Absender: Anonym." Er legte den Stift beiseite, nicht im geringsten beunruhigt. Nicht alle Fans wollten sagen, wer sie waren, aus Angst vor Diskreditierung oder sozialem Abstieg; denn seine Kunst war auch politisch brisant, und häufig unbeliebt.
„Anzeigen", murmelte er, den Stift schon wieder in der Hand, bereit, die nächste Strophe der Symphonie zu notieren. „Ein Link zu einer verschlüsselten Website. Anzeigen, ja / nein?" Er nickte. Daraufhin flammte ein Holo mit altertümlichen Blaustich am Kopfende seines Schreibtischs auf. Es war ein altes Modell, ohne 3D Tondarstellung, kein Livebild, keine Originalfarben.
Die Website war leer. Der Inhalt war eine Tonbotschaft, die sich selbst abspielte. „Du weißt vieles nicht, was um dich herum geschieht, ..." In diesem Moment hielt das Komlog inne. „Neue Botschaft", plärrte es. „Absender: Margot Nussian, Präsidentin des Mondrates. Betreff: Waffen. Priorität: Wichtig!" Er stöhnte auf, eigentlich wollte er die interessante wie rätselhafte Site erkunden, anstatt der Nussian zu erklären, dass er weiterhin Symphonien schreiben würde, vielen Dank. Egal, wie sie den interstellaren Frieden bedroht sah oder nicht.Außerdem war es blanker Hohn, das Wort „interstellar" zu benutzen, schließlich schloss es nur Erde und Mond mit ein.
„Ich fasse mich kurz:", begann sie zu sprechen. Ciernen stöhnte. Nicht nur, dass die meisten Nachrichten, die so begannen, sehr lang waren. Vielmehr störte es ihn, dass sie ihm eine Audio sendete. Er hasste Audios! Man konnte keine Texte überfliegen, gar nichts. Aber sie waren schnell einzusprechen. Na, vielen Dank auch.
„Wir haben eine Bombendrohung auf ihr Leben erhalten, sollten sie weiter ‚Symphonien' schreiben. Selbstverständlich gehen wir mit voller Härte gegen diese Selbsternannten ‚Friedensbewahrer' vor. Jedoch haben die uns ein Video zugeschickt, bei dem wir uns nicht sicher waren, ob sie es sehen sollten. Ich schicke es ihnen in Eigenverantwortung."
Neugierig klickte er auf das mysteriöse file. Es war schockierend wie abstoßend. Seine Eltern – seine Eltern! - waren auf einen kargen Felsen, vermutlich auf der Erde, gefesselt. Er hörte zuerst das Stampfen der Soldaten, dann das Surren der Helikopter. Fünf kurze helle Töne erahnte er schon, bevor sie erklangen: fünf schnelle Schüsse, die rasch töteten.
Sie brachen zusammen, lagen am Boden. Die Musik blendete aus.
Es war sein eigenes Stück, die Ouvertüre der vorletzten Symphonie, „Gruß an den Tod". Ihm war schlecht. Er duschte sich, denn er fühlte sich unrein, verdorben. Es half nicht. Mit letzter Kraft legte er sich schlafen, er wollte nicht weinen, auf keinen Fall. Er bekam kein Auge zu. Er verdrängte jeglichen Gedanken, schlang die Arme so fest um das Kissen, als wäre es seine einzige Chance, zu überleben.
Irgendwann begann die nächste Zeiteinheit, die automatische Lichtanlage leuchtete, um Tages- und Nachtzeit zu simulieren; die es hier auf der ewig dunklen Dark Site nicht gab. Lustlos setzte er sich an den Schreibtisch, in der Hoffnung, auf andere Gedanken zu kommen. Natürlich erinnerte er sich immer wieder an die einzelnen Momente, die Klänge. Ihm wurde klar, dass er diese Ouvertüre niemals wieder kalten Herzens würde hören können.
„Neue Nachricht", plärrte das Komlog. „Absender: M. Nussian. Betreff: Vertrag." Die Nachricht enthielt eine kurze Textbotschaft, er solle die vorgegebenen Zeiten einhalten; laut ihres Vertrages zum neuen Stück. Welches sie militärisch nutzen wollte. Ihm wurde übel.
Er blickte erst auf sein Komlog, dann auf seinen Schreibtisch. Auf das provisorische Bett, welches am Boden stand. Auf die verschlossene Tür. Simon hatte ihn hier eingesperrt, damit er genau dieses Werk beenden sollte. Simon. Er verdrängte den Gedanken an seinen Freund, da er nicht hören wollte, dass... Er verdrängte den Gedanken.
Er stand auf, ging auf und ab. Er wollte nichts für die Nussian schreiben. Seine Eltern waren umgebracht worden, und die hatte die Unverfrorenheit, ein neues Stück zu fordern. Natürlich würde er keines schreiben. Doch wie sollte er ihr das sagen?
Es klopfte an der Tür. „Herein", antwortete er, weil er nicht daran dachte, dass die Tür verschlossen war. Von Simon. Wäre er nur hier. Tannen besuchte ihn fast nie, dieses Arschloch. Als er das Kratzen des Schlüssels hörte, machte sein Herz Luftsprünge. Simon war hier! Wenige Momente darauf trat er in das Zimmer. Er hatte eine ähnlich schmale Statur wie er selber, auch er war auf dem Mond geboren. Er hatte kurze, krause schwarze Haare.
„Und? Bist du schon fertig?" Hätte ihn das irgendjemand anders als sein bester Freund gefragt, so wäre er in die Luft gegangen, dessen war er sich sicher. „Meine Eltern", begann er, sackte auf den Schreibtisch, denn er realisierte die schreckliche Tatsache erst allmählich. Nie wieder Besuche von ihnen! Nie wieder ihre Versuche, ihm die Kunst auszureden, nie wieder politische Debatten mit seiner Mutter, nie mehr welche über den Raketenbau mit seinem Vater.
„Simon, meine Eltern... sie sind umgebracht worden." „Ach so", erwiderte dieser betroffen. „Soll ich ihr mitteilen, dass du eine Pause brauchst." „SIE SIND MIT MEINER KUNST UMGEBRACHT WORDEN! MEINST DU ETWA, DA SOLLTE ICH NOCH WEITERSCHREIBEN?" „Ja", antwortete dieser schonungslos. „ABER", setze Ciernen noch an, doch Simon unterbrach ihn. „Deswegen willst du dein Leben aufgeben? Deine Kunst? Das, was dir wertvoll ist? Wegen etwas, dass nicht mehr zu ändern ist? Und außerdem", seine Stimme wurde sanfter. „was kannst du denn dafür? Du bist doch nur die Feder, du erfindest doch nicht!" Das Vertrauen tat ihm gut, nicht einmal Tannen hatte ihm geglaubt, dass er es nicht selbst erfand.
Ciernen war sich unsicher, was er davon halten sollte. Sollte er schreiben? Oder besser nicht, damit niemandem mehr das selbe geschehen konnte wie seinen Eltern? Andererseits waren sie tot, jetzt konnte es auch nicht mehr schaden, seine aktuelle Symphonie zu beenden. Oder?
Er setzte sich. Er war sich unsicher, was richtig war, und was nicht. Er schloss die Augen, ließ einige Sekunden verstreichen. Als er sie wieder öffnete – er würde schwören, dass nur Sekunden vergangen waren – war Simon fort und es war dunkel. Anscheinend war die Standartlichteinheit verstrichen.
„Verschlüsselte Nachricht erhalten. Öffnen, Ja/Nein?", plärrte das Komlog. Das musste der alte Bug sein, der bereits erhaltene Nachrichten nach einigen Stunden wieder auf ungelesen setzte; der Bug war nie gefixt worden, da die Komlogs schon aus der Mode geraten waren. Ein Flachholo mit Blaustich flammte auf.
Es war noch immer leer, die Tonbotschaft spielte sich ab. „Ich habe etwas gefunden, dass dich vielleicht interessieren dürfte", erklang in einer grauenhaft verzerrten Stimme. Dutzende von Knöpfen zu einzelnen Datensätzen erschienen.
Ganz oben war ein Datensatz von einem streng geheimen Mailverkehr zwischen der Mondpräsidentin Margot Nussian und einem Psychoarzt namens Dr. Marcel. Die ersten zehn Mails waren mit einem Kommentar „belanglose Konversation" versehen. Er beschloss, sie sich später anzugucken, damit er nichts wichtiges vergaß. In der ersten als „wichtig" markierten Mail schrieb der Doktor an die Nussian, sie solle bei ihm eine Symphonie in Auftrag geben. „Jugendliche neigen zu Trotzreaktionen." In der nächsten Mail schrieb der Doktor, er wolle IHN – die Zielperson war immer in Großbuchstaben geschrieben – unschädlich machen. ER müsse seinen eigenen Schrecken begreifen. „Am besten an jemandem, der ihm nahe steht." In Nussians Antwort war das Video mit seinen toten Eltern; er klickte es schon nach wenigen Sekunden weg, er wollte es nicht noch einmal sehen.
Die! Sie hatten seine Eltern getötet, nur um ihn am schreiben abzuhalten, die Nussian hatte nur etwas bestellt, damit er sich weigern würde, es zu schreiben! Warum? Warum stand gerade er im Fokus der Regierungen? Er wusste es, doch er wollte es nicht hören. Wollte nicht hören, dass er ihnen eine Gefahr war. Und das Gefahren kontrolliert oder ausgeschaltet werden mussten.
Schon fast mit Abscheu, aber dennoch neugierig, wählte er den zweiten Datensatz an. Der stammte von einer Organisation, bei der er bisher gedacht hatte, es gäbe sie gar nicht. Sie nannten sich „Freimaurer". Er wusste, dass es sie bis ins späte einundzwanzigste Jahrhundert gegeben hatte, doch er dachte, sie wären ausgelöscht worden.
Auf den Köpfen ihres – digitalen – Papiers waren ihre Ideale verewigt: „Unser Universum. Den Menschen den Ruhm. Den Menschen die Menschheit, den Menschen die Menschlichkeit. Den Verrätern, die die Menschheit aufgegeben haben – die keine Menschen mehr sind, die sich selbst verändert haben -, Entmenschlichung."
Ciernen verstand, was das hieß. Es richtete sich gegen die Universe Natives, die er bis jetzt auch nur für ein Gerücht gehalten hatte. Die Universe Natives betitelte eine Gruppe Individuen, die in das All geflüchtet waren. Sie hatten sich angeblich selbst genetisch verändert, um unter den dortigen extremen Bedingungen zu überleben.
Er war sich selbst nicht sicher, warum er dem anonymen Absender vertraute, aber er tat es. Natürlich war das dämlich, doch das scherte ihn nicht.
Die Papiere stammten von einem ziemlich hohen Tier, er hieß Finnigan. Er saß auch im Mondrat. Er war also ein Unterstellter von der Nussian. Ob der seine Finger auch mit da drin hatte? Unter den vielen Unterlagen war ein Brief an einen Untergebenen als wichtig markiert. In diesem Brief stand, dass sie eine besondere Waffe oder eine besondere Taktik benötigten. Der Untergebene Simon Farksten sollte diese von einem Genie besorgen.
Ihm fiel nicht zuerst ins Auge, dass er als Genie betitelt wurde. Ihm fiel zuerst ins Auge, dass Simon nicht sein Freund war, vielleicht nie sein Freund gewesen war. Sollte er dann besser doch nicht mehr schreiben? Keine Symphonien mehr? Im ersten Moment fühlte er sich leer. Aber er wollte keine Marionette sein, und er machte lieber eine komische Therapie mit, egal wie brutal sie war, als solchen Leuten zu helfen. Er verstand nun, warum die Nussian zu solch radikalen Mitteln gegriffen hatte.
Alle wollten seine Kraft. Auch sie, die er als Freunde sah. Ob Tannen auch so einer war? Andererseits hätte er dann versucht, Kontakte zu pflegen.
Stundenlang saß er selbst auf seiner provisorischen Matratze. Irgendwann, mehrere Zeiteinheiten später, begann er zu schreiben. Es waren verlorene, helle Klänge in einer schwachen, düsteren Umgebung. Irgendwann verklang das Helle ganz.
Und irgendwann ergriff der Wahnsinn ihn, er konnte den Schmerz über den Tod der Eltern, den Verrat der Freunde, den Komplott der Regierungen nicht mehr ertragen. Irgendwann kramte er tief in seinem Schrank nach seinem alten, illegalen Energiegewehr, von dem er sich selbst immer versichert hatte, er besäße es nur aus anschaulichen Zwecken.
Das Werk für die Nussian war vergessen. Das Jüngste, „Ich gegen Alle", verlangte nach einer Aufführung an warmen Zielen. Und die wollte er jetzt geben.
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Es kam, wie es kommen musste, denkt er. Sein aktuelles Werk, an dem er in größter Heimlichkeit arbeitet, geht es um Freundschaft und um zusammen stehen. Es ist das Gegenteil des Werkes, dass ihn damals derart aggressiv gemacht hatte. Oder hatte er es geschrieben, weil er schon aggressiv gewesen war? Er ist sich nicht sicher. Wohl beides, vermutet er.
Er setzt den Stift ab. Ist es überhaupt richtig, zu schreiben? Vielleicht hat die Nussian doch Recht, dass es zu gefährlich ist. Er selbst hatte dem Verlangen, die Kunst an warmen Zielen zu testen, nachgegeben. Wie kann er dann von anderen Enthaltsamkeit verlangen?
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Nachdem er den grausigen Entschluss gefasst hatte, war er schnurstracks in die City gefahren. Er war einfach in die Mitte des Parlaments getreten, und mit der Waffe auf alles gezielt, was sich bewegte.
Finnigan war als erstes zu Boden gegangen, dann Dr. Marcel. Die Namen der übrigen kannte er nicht, er hatte seine Opfer nicht gezählt. Nach wenigen Minuten der Panik – die anderen waren in Panik verfallen, er selbst nicht – hatten die Graumäntel ihn in Gewahrsam genommen. Sie waren rundherum metallen gepanzert, daher der Name.
Und dann hatten sie ihn in U-Haft gesteckt; es war mehr ein Apartment denn eine Zelle, noch dazu war sie geschmackvoll eingerichtet. Welch ein Hohn.
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Er blickt wieder an die Hühnchentapete, die er schon beim betreten des Zimmers verachtet hat. Schreiben – ist das die richtige Wahl?, denkt er. Und doch: welche Wahl hat er schon? Simon hatte oft mit darüber gesprochen, und ihm erklärt, dass er es wie automatisch tue, ohne Chance zur Gegenwehr. Hat er Recht? Simon ist ein Verräter, so viel weiß er. Er sollte nicht mehr so viel an ihn denken.
Besser, er konzentriert sich auf seinen anderen Freund, Tannen, diesen Arsch? Er ist kein Arsch, scheltet er sich selbst, doch er weiß genau, dass er das nur macht, um sich selbst zu überzeugen. Tannen... ist kein Arsch? Bestimmt ist er nur nicht gekommen, weil er nicht darf, Simon gehörte ja zu Finnigans Taktik; diesem Idioten von totem Freimaurer.
Aber warum war er dann nicht nach Lingius Platina gekommen? Bestimmt weil das Parlament ihn damals schon unter Aufsicht hatte – verdammt, wem mache ich hier etwas vor?, denkt er wütend. Niemandem, außer sich selbst, denkt er, fast unabsichtlich.
Der Stift ist vom Tisch gerollt, das Schreiben, seine Kunst, seine Symphonien, seine Musik hatten das Unheil erst heraufbeschworen. Es war besser, sich von den Tatsachen lehren zu lassen und den selben Fehler nicht noch einmal zu begehen.
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Dort sitzt er. Cier'. Der Stift ist ihm vom Tisch gerollt. Bestimmt hasst er mich, aber ich habe mich bei ihm ja auch viele Schwünge lang nicht gemeldet. (Es war unsinnig, wenn man selbst auf dem Mond war, von Monaten zu reden.) Ich hatte zu viel zu tun, in meiner Position als Botschafter der Universe Natives.
Ich atme noch einmal tief durch. Er hat lange genug dort gesessen. Es wird jetzt Zeit. Hinter mir stehen keine Wachen, ich habe sie schon längst weg gelockt, wenn ich mich nicht beeile, kommen sie aber schon bald zurück.
Ich öffne die Tür mit dem Zahlencode, der unter den Datenkolonnen des Parlaments versteckt war. Ich sehe mich um. Es ist ein altmodisches, aber geschmackvolles Appartment, ich habe es ja schon über die Überwachungsbildschirme gesehen.
„Cier?", rufe ich. Geschockt dreht er sich um. „Tannen...", flüstert er noch, als er sich mit geweiteten Augen auf einen Stuhl sinken lässt. Zu jeder anderen Zeit hätte ich mir diesen Gesichtsausdruck unbedingt gemerkt, doch dazu war keine Zeit. „Komm mit", sage ich, und fasse ihn am Arm.
„Tannen...", flüstert er erneut fassungslos, „was machst du denn hier?" „Erstens, ja, so heiße ich", erwidere ich, als ich ihn vom Stuhl ziehe und aufrichte, er steht da wie eine Marionette. „Und zweitens, wonach sieht's denn aus? Dich befreien, und jetzt komm!"
Allmählich setzt er sich in Bewegung. Ich wundere mich immer noch, wie einfach es gewesen war, alles von hier fort zu kriegen. Doch das ist eine Geschichte für andermal. Wir wandern durch die menschenleeren, ovalen, weißlich sterilen Forschungskorridore, die nicht für die normalen, zivilen Zwecke genutzt werden.
Am Ende parkt mein Raumschiff, dass heißt, das meiner Organisation, ein privates wäre viel zu teuer, als dass ich mir eines leisten könnte. Er lässt sich in einen Stuhl fallen, ich setze mich an das Steuerpult. Ich ziehe mir einen Hybridhautanzug über – das Modell, dass noch zusätzlichen Schutz für nicht gänzlich veränderte wie mich hat – und gebe ihm einen Dosenanzug, die klobige, weiße Sorte, auch wenn der schon weitaus eleganter sein dürfte als alles, was Ciernen sonst so kennt.
Ich starte das Schiff, nach den vielen Flügen macht mir der Druckunterschied kaum noch etwas aus, doch ich sehe, wie Cier' sich krümmt.
Als wir in der Schwerelosigkeit angekommen sind, gehe ich mit ihm in einen anderen Raum. Dort liegen Tinte und Feder. „Was soll das heißen?", fragt er verständnislos, „meinst du etwa auch, ich solle schreiben? Alle, die das wollten, haben mich bisher verraten. Und meine Eltern wurden damit umgebracht!" Man sieht ihm an, dass er mit sich kämpft.
Ich muss, trotz der Lage, lachen. Ich sehe, wie er wütend wird. Mühsam kämpfe ich mir die Lachtränen nieder.
„Erstens", beginne ich, mit erheiterter Stimme, „deine Eltern leben noch. Hervorragende Fotobearbeitung, findest du nicht?"
Er lässt sich in seinen Sessel fallen, die Luft weicht aus ihm. „Zweitens würde so etwas früher oder später sowieso geschaffen werden. Drittens bist du doch sowieso nur die Feder...", herausfordernd blicke ich ihn an und ziehe eine Augenbraue hoch; „und viertens bist du immer unglücklich, wenn du es nicht tust, also los!"
Er sieht mich unsicher an, doch ich weiß, dass ich es geschafft habe.
„Weißt du was", murmelt er plötzlich. „Wenn man solche Freunde wie dich hat, braucht man keine Feinde. Und außerdem: wieso willst du mir sagen können, was Kunst ist?" Ich lasse mir Zeit mit meiner Antwort. „Weil alles Kunst ist. Egal, was man tut. Es muss keinen anderen Zweck verfolgen. Denn..."
„Kunst ist Freiheit.
Die Freiheit,
sich von Niemandem vorschreiben zu lassen,
was Kunst ist."
(ausblenden)
„Unter die Poeten gegangen, was?" „Klappe!"
Und das Raumschiff driftet davon, in die Weiten des Alls, weit weg von allem, was der geneigte Leser zu kennen glaubt...
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