Brief 17

3 Monate und 6 Tage ohne dich

Lieber Kian,

Ich weiß nicht, ob ich glücklich oder traurig bin. Ich wollte die letzten Wochen nichts lieber als dass sich endlich etwas tut. Aber heute ist so viel auf einmal passiert, dass ich damit nicht umgehen kann.

Der Aufklärungstrupp ist in voller Zahl zurückgekommen. Was wir von ihnen erfahren haben, ist sowohl erleichternd als auch besorgniserregend. Wir wissen nun, dass sich die Todeszone ständig verändert. Nichts bleibt für mehrere Stunden gleich. Daher war es schwer, Spuren von euch zu finden, aber sie wollten nicht umkehren, bis sie etwas Handfestes zu bieten hatten. Und so etwas fanden sie. Ein Lager, das relativ frisch gewesen sein muss, da es fast noch vollständig erhalten war. Ihr müsst sehr plötzlich aufgebrochen und in einen Kampf verwickelt gewesen sein.

Charlie ist der Meinung, ist seid davongekommen. Sie waren nicht weit von euch entfernt, glaubt Charlie, aber sie konnten euch nicht verfolgen, da sie selbst angegriffen wurden.

Der Trupp hat sich zurückgezogen, um Bericht zu erstatten und will sich auf ein weiteres, besser gewappnetes Vorstoßen vorbereiten. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Sie waren in eurer Nähe. Du bist irgendwo in der Todeszone, wurdest angegriffen und bist vielleicht verletzt. Und ich sitze hier und halte ein Bild in der Hand, das du gezeichnet haben musst. Es ist Blut darauf und Dreck. Aber ich erkenne mich wieder.

Das heißt, du denkst an mich. Und statt dich auszuruhen und dir wohlverdienten Schlaf zu gönnen, malst du mich. Du musst unbedingt zurückkommen, damit ich dir dafür eine Szene schieben kann. Und dann will ich dich in den Arm nehmen und küssen, solange, bis ich keine Luft mehr bekomme. Mir ist egal, dass du mich dann beißen willst. Mach doch. Gönn dir was von meinem leckeren Jägerblut. Aber bitte küss mich endlich.

Das klingt ganz schön verzweifelt. Merkst du, was du aus mir machst? Ich bettle um einen Kuss. Naja, ich schätze, es gibt für alles ein erstes Mal.

Ich muss dir noch was erzählen. Aber ich weiß nicht wirklich wie. Manchmal passieren Dinge, mit denen man absolut nicht gerechnet hätte. Und dann steht man da und hat keinen Plan, wie man damit umgehen soll.

Mir hat nicht irgendjemand das Bild gegeben. Es war Ben.

Als ich ihn beim Treffen gesehen habe, dachte ich ehrlich, ich verliere den Verstand. Er hat so getan, als würde er mich nicht kennen. Aber, als er an mir vorbeigelaufen ist und mir heimlich das Bild zugeschoben hat, war ich mir sicher, dass er es ist. Ich wollte ihn fragen, wie das sein kann und was passiert ist und und und. Aber er meinte nur „Nicht jetzt" und ist weitergegangen.

Er ist Teil der ADGD. So viel steht schon mal fest. Aber ich weiß nicht, ob er erwacht ist oder ob er vielleicht niemals tot war. Aber er ist am Leben. Und er hat vertuscht, dass du kleiner Romantiker deine wertvolle Zeit damit verbringst, mein Gesicht auf Papier zu kritzeln.

Ich weiß nicht, wie ich mich jetzt fühlen soll. Ich will mit Ben reden, aber der hat wahrscheinlich die nächsten Tage mit seinen Vorbereitungen für die zweite Mission in der Todeszone zu tun. Nicolo kann mir sicher Antworten geben, aber das ist doch irgendwie eine Sache zwischen Ben und mir... Und ich glaube, ich muss sichergehen, dass ich mir das alles nicht doch nur eingebildet habe.

Ich habe Monate gebraucht, um zu begreifen, dass er tot ist. Und dann steht er plötzlich vor mir und alles, was er sagt ist „Nicht jetzt".

Er war schon immer ein Dummkopf. Aber es ist ganz gut, dass er das Bild abgefangen hat, bevor es jemand anderes sehen konnte. Das hätte dir nur Probleme gemacht. Eigentlich bin ich Ben dafür einen Dank schuldig. Aber ich will mich nicht bei ihm bedanken. Ich muss morgen in die Schule und Amelie sehen und so tun als wüsste ich von nichts. Glauben würde sie mir, wenn ich es ihr sage, ohnehin nicht.

Wenn du zurückbist und wir Zeit für sowas haben, erzähle ich dir, warum Amelie mich so hasst. Ich bin echt alles andere als stolz darauf, aber ich will, dass du es weißt. Dass du weißt, was ich für Fehler gemacht habe und dass ich daraus gelernt habe. Ich will, dass du mich kennst. Alles von mir. Meine guten und meine schlechten Seiten, meine Gegenwart und meine Vergangenheit. Und ich weiß nicht, ob wir jemals eine Zukunft haben werden, aber es gibt nichts, das ich mir mehr wünsche als eine Chance.

Ich weiß, dass das nicht leicht wäre, aber ich glaube wirklich, dass wir das schaffen könnten, wenn wir es wollen. Und wenn du auch nur einen Bruchteil von meinen Gefühlen für dich erwiderst, dann willst du das definitiv. Ich weiß, dass du Angst hast und ich will nicht behaupten, dass es mir nicht so geht. Aber ich bin bereit zu kämpfen. Egal, was auf uns zukommen wird. Und ich bin mir bewusst, dass das einiges ist. Aber ich will es nicht leicht haben, wenn dich zu lieben bedeutet, den schweren Weg zu gehen.

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