53

Silas


Benedict hielt sich für einen schlauen Mann. Er tat so als würde er alles tun, um sein Reich und die Leute, die darin wohnten, zu schützen. Er stellte sich als selbstlos dar, als vorausschauend und verantwortungsvoll. Aber, dass er mich in diesen Raum sperrte und glaubte, ich würde dort herumsitzen und darauf warten, mitgeteilt zu bekommen, was er mit mir vorhatte, bewies, dass seine Meinung von sich selbst Realitätscheck erforderte.

Natürlich dachte ich darüber nach, ob es nicht für alle besser wäre, wenn ich mir anhörte, wie Benedict weiter verfahren wollte. Es war auch nicht so, als würde er mir viel Handlungsspielraum lassen. Die Türen zu dem Raum, in den er mich gebracht hatte, waren verschlossen. Die Fenster ließen sich zwar öffnen, aber waren zu weit oben, um auch nur daran zu denken, runterzuspringen. Mein Handy hatte keinen Empfang - sowie immer, wenn Benedict mich irgendwo einsperrte, weil er vorhatte, sein Königsspiel zu spielen.

Trotzdem war ich nicht komplett aufgeschmissen. Ich hatte damit gerechnet, irgendwann an einem Punkt zu stehen, an dem ich unkonventionelle Mittel nutzen musste, um mit meiner Familie zu kommunizieren.

Bei unserem Frühstück am Morgen hatte ich sie über meine Ideen dazu aufgeklärt. Ich hatte die Talismane, die meine Oma für sich, Boris, Alica und mich hergestellt hatte zur Kommunikation nutzen wollen, hatte gewusst, dass es mit Energien zusammenhing und dadurch, dass wir alle mentale Kräfte hatten, einfacher werden musste, auf diesem Weg einen Zugang zueinander zu finden.

Meine Oma war überrascht gewesen, dass Benedicts Schriften so viel unverschlüsseltes Druidenwissen enthielten, hatte mir aber auch mitgeteilt, dass es, sowie ich das vorhatte, nicht funktionieren konnte. Noch während sie mir erklärt hatte, dass die Talismane dafür modifiziert werden mussten, hatte sie unseren Schmuck vor sich hingelegt und begonnen, mit der Nadel ihrer Brosche ein Zeichen reinzukratzen.

Boris hatte sich das kritisch angesehen und gemeint: „Als ob das funktioniert."

„Das tut es und das wüsstest du, wenn du dich mal mit unserem Erbe auseinandergesetzt hättest", hatte Alica zurückgeben. Ihre Stimme hatte deutlich weniger vorwurfsvoll geklungen als ihre Worte, während sie Oma neugierig über die Schulter geschaut hatte.

Ich hatte versucht, Boris zu erklären, was es damit auf sich hatte, ohne ihm alle Thesen und Vorstellungen der Druiden beibringen zu müssen. 

Im Grunde hatte unsere Großmutter die Talismane so verändert, dass sie eine Art Durchwahl darstellten. Das Material wurde warm, wenn jemand von uns versuchte, eine Verbindung herzustellen und wir konnten diesen Versuch mithilfe der richtigen Menge an Konzentration entweder abblocken oder zulassen.

Das mussten wir üben, hatte meine Oma uns erklärt. Es erforderte ein großes Maß an Kontrolle, die Verbindung zuzulassen und die eigenen Gedanken dann von den Mitteilungen der Kommunikationspartner zu unterscheiden. Sie selbst kannte diesen Weg zu kommunizieren bereits und ich setzte mich seit fast zwei waren damit auseinander, mein mentales Geschehen einzuordnen.

Aber, und das war das entscheidende Problem: Ich war aus der Übung. Die letzten Monate war ich kaum unter Menschen gewesen und wenn, dann hatte ich mich hinter meiner gedanklichen Barriere versteckt.

Letzte Nacht war ich nicht dazu im Stande gewesen, diese Barriere aufrecht zu erhalten. Ich hatte Kians Gedanken nur so in mir aufgesaugt, hatte am liebsten immer mehr von ihm hören wollen.

Wie er auf meine Warnung, dass das passieren konnte, reagiert hatte, hatte mir nicht nur die Möglichkeit gegeben, seinem Körper unglaublich nahe zu kommen, sondern auch seinem Geist. Ich hatte sämtliche Bedenken über Bord geworden, jeglichen Zwang zur Konzentration aufgegeben und es genossen, physisch und mental mit ihm zu verschmelzen.

Dadurch hatte ich mehr über meine Kraft gelernt als die Jahre zuvor. Der einfachste Weg, den Zugang dazu zu finden, war loszulassen. Genau das wollte ich nun auch versuchen.

Ich wusste genau, wie ich vorgehen musste. Mich hinsetzen, tief durchatmen und meine Gedanken entspannen. 

Ich versuchte, meine Wut auf Benedict zu unterdrücken. Ich schätze, genau das war das Problem. Unterdrücken war so ziemlich das Gegenteil von loslassen. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum dieser Mann so handelte, wie er es tat. 

Eigentlich versuchte er nur das Richtige zu tun, da war ich mir ganz sicher. Es hatte Momente gegeben, da war er beinahe nett zu mir gewesen. Auf seine Art. 

Allein, dass er mich während Kians Reise monatelang im Prinzengemach hatte schlafen lassen, musste dafürsprechen, dass er mich und meine Gefühle für Kian gar nicht so sehr verabscheuen konnte, wie es meistens schien. 

Er versuchte ständig Dominanz zu zeigen, aber ich hatte mich damit abgefunden, das auf ein geringere Selbstsicherheit zu schieben.

Kian hatte mir selbst gesagt, dass sein Vater ein Kontrollfreak war. Das konnte er von mir aus gerne sein, solange es mich nicht betraf. 

Zu versuchen, alles zu kontrollieren, war, fand ich, weniger schlimm als davon überzeugt zu sein, es stünde ihm zu, Gewalt anzuwenden, um durchzusetzen, was er wollte. Vor allem gegenüber seinem Sohn, der zu ihm aufsah und alles tat, um ihn zufrieden zu stellen.

Es war nicht fair. Selbst, wenn Kian das Unrecht, das Benedict ihm antat, nicht sehen wollte. Mich machte es umso wütender.

Bei meinen gedanklichen Achterbahnfahrten schaffte ich es nicht, den passenden Zustand für eine Kommunikation über den Talisman zu erreichen. Es war zu wenig Zeit dafür, mit meinen Emotionen und Gedanken so weit Frieden zu schließen.

Die Türe öffnete sich und Kian kam hindurch, gefolgt von seinen Eltern und von Charlie. Ich schaute nur Kian an, wusste, dass der Blick zu seinem Vater mich nur weiter aufwühlen würde.

„Hat Ethan Austin nicht gefunden?", fragte ich ihn und stand auf, um auf ihn zuzulaufen. 

Er hatte sich in der Zwischenzeit das Blut weggewischt, doch sein Gesicht war nach wie vor von dem Schlag seines Vaters gezeichnet. An seinen Wunden biltete sich eine Kruste und, wenn Austin sie nicht bald heilte, dann würden sicher Narben bleiben. 

„Ich denke, er treibt irgendwo in den Flüssen herum. Das macht er manchmal", antwortete Kian und versuchte, mir ein zuversichtliches Lächeln zu zeigen.

Wir erreichten einander. Er blieb etwa einen halben Meter vor mir stehen, weiterhin in dieser zum Kotzen aufrechten Haltung, die er immer annahm, wenn er glaube, jemand sein zu müssen, der er nicht war.

„Tut es sehr weh?"

Kian setzte zu einer Antwort an, wurde aber durch die Stimme seines Vaters unterbrochen. „Wir haben etwas zu besprechen."

Ich ignorierte ihn. „Du solltest damit zu Ruth. Die gibt dir eine Paste und was gegen Schmerzen."

Genauso, wie sie mir geholfen hatte, bis Benedict durch seine Aktion dafür gesorgt hatte, dass meine Wunden aufgerissen waren. Glück für mich, dass sie durch Ruths Hexeri so weit geheilt waren, dass ich es überleben würde.

„Wir müssen uns erstmal um die Markierung kümmern." Kian legte seine Hand auf den Stuhl neben sich und blickte hinweisend zu dem Platz, an dem ich zuvor gesessen hatte.

Ich stieß geräuschvoll den Atem aus, unzufrieden mit allem und jedem.

„Wir sollten längst an der Hütte sein", merkte ich an, um allen zu verdeutlichen, wie egal mir dieses Gesprächs sein würde. Wir konnen unsere Zeit besser nutzen.

„Wir haben das Treffen auf später verschoben", teilte Kian mir mit.

Seine Eltern und Charlie setzten sich ebenfalls. Sie wirkten nicht so als hätten sie vor, mehr zu tun als störend anwesend zu sein.

Kian übernahm das Reden und er sagte Worte, die mir nicht gefielen.

„Wir haben alle Möglichkeiten durchdiskutiert und können dir zwei Optionen anbieten." Seine Stimme klang viel zu ruhig und beherrscht. In seine Augen zu sehen fühlte sich an, wie gegen eine Glasscheibe zu laufen. Ich konnte sehen, was dahinter war, aber konnte es nicht erreichen. Er ließ mich nicht durch.

„Erstens: Du verschiebst deine Ausbildung und bleibst auf unbestimmte Zeit hier. Solange du am Hof bist und nur Kontakt mit bestimmten Leuten hast, können wir geheim halten, dass ich dich markiert habe. Wenn du das nicht willst, müssen wir die Markierung entfernen." 

Zur zweiten Option sagte er nicht mehr, so als sei er sich sicher, dass ich mich für diese ohnehin nicht interessierte.

„Wie soll das aussehen, hierbleiben und nur zu bestimmten Leuten Kontakt haben? Werde ich eingesperrt?"

„Natürlich nicht." Kian schob seine Hand zu meiner, nur so weit, dass sich unsere Fingerspitzen berührten. „Wir überlegen uns etwas, damit du dich hier wohlfühlst. Du könntest dir zum Beispiel einen Bereich im Palast aussuchen und wir richten den so ein, wie es dir gefällt. Du bekommst alles, was du willst. Eine Parcourshalle, Fernseher, Musik, Bücher, Blumen... In diesen Bereich dürften dann außer dir nur deine Familie und ausgewählte Angestellte."

„Ich bekomme also einen goldenen Käfig?"

Kian rutschte etwas näher zu mir. „Mit mir in der Nähe könntest du natürlich auch rausgehen und alles andere machen, wonach dir ist. Es geht nur darum, dass keiner mich wahrnehmen soll, wenn ich nicht anwesend bin. Das wäre verdächtig."

„Verdächtig", schnaubte ich. „Das klingt so als hätten wir etwas verbrochen."

Ich konnte mich nicht mehr davon abhalten, Benedict einen verhassten Blick zuzuwerfen. Er erwiderte ihn unberührt.

Als ich wieder zu Kian sah, rutschte ich an ihn heran, schaute ihm in die Augen und wollte, dass er mir in die Augen schauen schaute. Ohne etwas dazwischen.

„Was, wenn uns kein anderer Weg einfällt, mit der Markierung umzugehen? Soll ich dann für immer hierbleiben?"

„Wäre das so schlimm?"

Kian wusste alles, was mich an diesem Palast und dem Leben hier stören würde. Die ständige Anwesenheit seines Vaters und den Zwang, mich seinen Regeln zu unterwerfen waren bloß der Anfang einer langen Liste, die beschrieb, warum ich hier niemals glücklich werden könnte, selbst, wenn Kian mir alles bieten würde, wonach ich verlangte. 

Ein hübsch eingerichtetes Gefängnis war nach wie vor ein Gefängnis. Selbst mit Freigang.

„Ich bin hier", schob Kian hinterher. „Du wärst bei mir."

„Du bist in ein paar Monaten verheiratet. Was bin ich dann? Deine Mätresse?"

„Das klingt so herablassend."

„Weil es das ist!" Ich warf die Hände in die Luft. „Wach endlich auf, Kian! Das ist doch kein Leben, verdammt!"

„Du wärst bei mir", wiederholte er.

Mein Herz krampfte sich in meiner Brust zusammen. Mein Hals schnürte sich zu, aber ich weigerte mich, mich von diesem Schmerz verstummen zu lassen.

„Aber du wärst nicht bei mir."

Er senkte den Kopf und zog seine Hand zurück. Ich wollte nichts lieber, als diese Distanz zwischen uns zu überwinden. Ihn in den Arm zu nehmen und mich an seine Brust zu schmiegen und alles um uns herum zu vergessen. Aber das würde es nicht verschwinden lassen. Es wäre immer noch da und würde versuchen, uns auseinander zu zerren.

„Du entscheidest dich also für die zweite Option?" Von Benedict klang das so als würde er diese Entscheidung für mich fällen.

Ich versuchte ihn durch meinen Blick zu töten. Scheiterte.

Das waren keine Optionen.

Ich schob meinen Stuhl zurück, stand auf, machte einen Schritt zu Kian und kniete mich vor ihm auf den Boden. So konnte er mich ansehen, ohne den Kopf heben zu müssen. Er konnte mir zeigen, was er fühlte, holte mich hinter die Glasscheibe und ließ seine Eltern davorstehen.

Ich nahm mir seine Hände und drückte sie fest, um die Trauer und Verzweiflung auf seinem Blick zu vertreiben.

„Ich weiß, du kannst nicht mit mir zu ADGD kommen. Das würden die niemals zulassen. Aber ich kann denen sagen, dass ich es mir anders überlegt habe."

Er begann, den Druck meiner Hände zu erwidern. „Würdest du das?"

Ich nickte. „Wir lassen alles hinter uns und gehen zurück in die Stadt."

Blanke Furcht ergriff Besitz von seinem Gesicht.

„Mein Vater hat mir eine Wohnung hinterlassen und eine Menge Geld. Du kannst den ganzen Tag malen, Bücher lesen, mit mir kuscheln und alles tun, was du willst. Da sagt dir niemand, was du tun sollst und wie du sein sollst. Du kannst rausfinden, was dich glücklich macht und wir bauen uns da ein Leben auf."

„Das ist doch lächerlich", stieß Benedict aus.

Ich flehte Kian durch meinen Blick an, seinem Vater keine Beachtung zu schenken. 

Er schluckte, drehte den Kopf leicht, um aus dem Augenwinkel zu seinen Eltern zu sehen.

„Deine Mum kann uns jederzeit besuchen kommen. Und Charlie ist auch willkommen. Meinetwegen sogar dein Vater, wenn er sich an unsere Regeln hält."

„Du glaubst doch nicht ernsthaft, du könntest ihm diesen Schwachsinn einreden." Benedicts Stimme ging einfach an mir vorbei. Er war so unwichtig. Bedeutungslos. Nur ein Störgeräusch.

Ich legte meine Hand an Kians Wange und drehte sein Gesicht zurück zu mir.

„Gib mir eine Chance, dich glücklich zu machen."

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