35
Silas
„Ich werde Charlie bitten, heute bei Boris schlafen zu dürfen. Du kannst dir überlegen, ob du es versuchen willst", schlug ich Kian vor, nachdem wir einander lange angesehen hatten.
Ich wusste, dass er seinen Wiederstand aufgegeben hatte. Dass er mich nicht mehr davon abhalten würde, ihn zu küssen. Aber ich wollte, dass er mich wollte. Er sollte meinen Kuss nicht nur zulassen, sondern mein Verlangen teilen und ebenso an dem Versuch zugrunde gehen dagegen anzukämpfen. Der Gedanke, mich zu küssen, sollte sich für ihn ebenso nach Erlösung anfühlen.
„Danke, dass wir mal wieder halbwegs normal miteinander reden konnten." Ich lächelte ihn an. Er sollte wissen, dass ich dazu bereit war, jede Kleinigkeit, die sich zwischen uns aufgetürmt hatte zu beseitigen. Ich hatte nicht aufgegeben.
Bis vor einem Moment war ich mir nicht sicher gewesen, dass ich mein Gespräch mit Maddy in meiner Betrunkenheit nicht nur phantasiert hatte, aber nun, als mir klarwurde, dass Kians Angst vor meinem Tod Realität war, schaffte ich es nicht mehr, ihn für sein Verhalten zu verfluchen. Klar hätte er mit mir darüber reden müssen. Jeder, der davon gewusst und es mir nicht gesagt hatte, war ein Idiot. Aber ich konnte ihn verstehen.
Ich ging zur Tür.
Ich hatte mich waschen wollen und mir die Klamotten ansehen, die ich hiergelassen hatte. Sie mussten irgendwo zwischen Kians liegen. Ich wollte mir etwas zum Anziehen holen und mich auf die Suche nach Boris machen. Er sollte wissen, dass es scheiße gewesen war, sich hinter meinem Rücken mit Kian zu verbünden und kein Wort darüber zu verlieren, warum er mich so verletzte.
Auch ihm war ich nicht böse. Aber ich hatte definitiv vor, ihm daran zu erinnern, dass wir uns geschworen hatten, keine Geheimnisse mehr voreinander zu haben.
Ich ging davon aus, Kian würde noch eine Weile versteinert dastehen und an einen Fleck starren. Er hatte einiges zu verarbeiten. Ich wollte ihm die Zeit geben, die er brauchte. Er sollte sich genau überlegen, ob er mich küssen wollte. Ob er das konnte, nachdem er wochenlang so getan hatte als wäre ich ihm egal.
Ich hatte die Zeit, die er brauchen würde, um einen Entschluss zu fassen, überschätzt. Ich war in seinem Schlafzimmer, auf dem Weg zum Ankleideraum. Etwa auf halber Höhe, griff er nach meinem Arm und riss mich zu sich.
„Stoß mich weg, wenn du hörst, dass ich dich beißen will."
Ich nickte, obwohl ich nicht vorhatte, das wirklich zu tun. Es war ein Reflex. Genauso wie meine Arme um ihn zu schließen, als er sich zu mir runterbeugte und genauso, wie ihm entgegen zu kommen.
Die Stellen, an denen seine Hände meine Schultern berührten, kribbelten. Mein Bauch sprang vor Freude auf und ab. Ich hielt den Atem an.
Es kam mir unfassbar lange vor, bis seine Lippen endlich auf meinen lagen. So als wären weitere Wochen zwischen seinen Worten und seinen Taten vergangen.
Dabei ging es ganz schnell.
Ich hatte nicht aufhören können zu nicken, da spürte ich bereits seinen Atem an meinem Mund und überwand die letzten Zentimeter zwischen uns zu einem Kuss.
Genauso plötzlich, wie er mich an sich gerissen hatte, ließ er mich auch wieder los. Durch schnelle Schritte zurück brachte Abstand zwischen uns. Dabei musterte er mich von oben bis unten.
Als er bemerkte, dass ich unversehrt war, ließ er die Luft gepresst aus seinen Lungen entweichen.
„Alles gut?", wollte ich von ihm wissen.
Kian nickte. Er wurde lockerer, mit jeder Sekunde, die verstrich.
Ich ging auf ihn zu. Mein Herz pochte so stark, dass ich mir sicher war, er musste es einfach hören. Als er in Reichweite war, griff ich nach seiner Hand und legte sie auf meine Brust. Dorthin, wo mein Herz versuchte meine Rippen zu durchhämmern.
Er begann zu lächeln und nahm sich meine andere Hand, um sie auf sein Herz zu legen. Es schlug genauso heftig wie meines.
Wir sahen uns solange innig in die Augen, bis Kians Blick auf meinen Mund fiel. Seine Hand legte sich an meinen Hals und strich mit dem Daumen meine Unterlippe entlang.
„Willst du nochmal?", fragte ich mit einem breiten Lächeln.
„Hörst du das nicht in meinen Gedanken?"
Ich schüttelte den Kopf. „Ich kann es abstellen."
Plötzlich riss er die Hand von mir und wich zurück, so als hätte er sich an mir verbrannt.
„Kian-"
„Ich berühre dich nur, wenn ich sicher sein kann, dass du rechtzeitig hörst, ob ich vorhabe, dich zu beißen", stellte er klar.
„Vielleicht gefällt es mir ja, wenn du mich beißt?", schlug ich vor.
Er riss die Augen auf. „Du bist wahnsinnig!"
„Ich bin offen für alles", entgegnete ich möglichst schmeichelhaft. „Du, dagegen, bist ein feiges Würstchen." Ich verschränkte meine Arme. „Du bereust was, das du noch gar nicht getan hast. Das ist verrückt."
„Kannst du mich denn gar nicht verstehen?" Seine Schultern sackten herab. Das Strahlen, das eben noch auf seinen Augen gelegen hatte, war verschwunden. Das Blau seiner Iris hatte selten so trüb gewirkt wie in diesem Moment.
„Doch Kian, ich verstehe dich. Aber du musst auch mich verstehen." Ich hielt ihm die Hand hin. „Ich werde sterben. Das kannst du nicht verhindern. Und ich weiß, dass es verdammt viel gibt, was ich bereuen werde, aber dir zu vertrauen, wird nicht dazu gehören."
Kian schaute auf meine Handfläche, tatenlos. „Wie kannst du so überzeugt davon sein? Ich war schrecklich zu dir. Ich habe unverzeihliche Dinge gesagt. Ich war bereit, dich verbannen zu lassen. Dir ein Brandzeichen zu verpassen." Er presste die Augen zu, so als würde das helfen, die Erinnerungen an seine Worte zu eliminieren.
„Ich weiß, wer du bist", antwortete ich ihm.
Seine Augen flatterten auf. Verständnislosigkeit darauf.
„Egal, was du tust oder sagst, ich weiß, was für ein Herz in deiner Brust schlägt. Ich weiß, worunter du leidest. Ich weiß, wovor du Angst hast. Ich weiß, wofür du kämpfst. Ich weiß, wie hart du kämpfst. Ich weiß, wer du bist. Und ich vertraue dir."
„Scheiße", presste er hervor, während er sich eine Hand in die Haare krallte und die andere in seine Brust, dorthin, wo meine kurz zuvor gelegen hatte. „Ich habe so Angst, dich zu verlieren."
„Ich weiß." Ich machte einen kleinen Schritt zu ihm. „Aber ich bin hier. Und ich will bei dir sein."
Seine Hand bewegte sich zurück zu meiner Schulter. Die Berührung war hauchzart, ebenso wie die seiner Lippen es gewesen war. Ich sah ihm tief in Augen und versuchte ihn dadurch zu ermutigen. Erst, als er seine Hand vollständig sinken ließ, legte ich meine an seine Seite.
„Denk einfach nicht nach", flehte ich. „Sei bei mir."
Sein Blick hatte sich an meinen Lippen festgesetzt und er schaffte es nicht mehr, ihn davon zu lösen.
Als er die Lippen diesmal auf meine legte, verweilte er dort. Der Kuss war sanft, aber nicht mehr so zaghaft wie vorher
Mein Herz begann erneut zu rasen, so schnell, dass es wehtat. Aber ich genoss den Schmerz. Ich würde töten, um diesen Schmerz ewig spüren zu können.
Ich vereitelte seinen Versuch, sich aufzurichten, indem ich die Hände in seinen Nacken legte und ihn zu mir runterzog. Im selben Moment begann ich, meine Lippen zu bewegen. Seine Schonfrist war vorbei. Ich wollte ihn richtig küssen. Ihm zeigen, was so ein Kuss anrichten konnte.
Er war unbeholfen, natürlich. Gleichzeitig seufzte er wohlig auf. Ein angenehmer Schauer rannte über meinen Körper und ich presste mich an ihn. Seine starken Arme umschlossen mich. Ich verstand nicht, wie sein Griff so fest und zugleich so sanft sein konnte.
Ich ließ erst zu, dass wir uns voneinander lösten, als wir begannen, zwischen unseren Küssen nach Luft zu schnappen.
Kian ließ mich trotzdem nicht los und ich genoss es, meine Hände auf seine nackte Brust legen zu dürfen.
„Alles gut?", fragte ich erneut. Nur um sicher zu gehen.
Er nickte, mit verklärtem Blick.
Ich hatte seine Haare ein wenig zerzaust. Seine Wangen waren ganz rot und seine Lippen leicht geschwollen.
„Nochmal", murmelte er, während er sich wieder runterbeugte.
Ich grinste in den Kuss hinein. Kian knurrte frustriert, weil ich es nicht schaffte zu erwidern.
Seine Hände strichen meinen Rücken entlang. Ich packte mir seine Hand und drückte sie auf meinen Hintern, während ich ihn küsste. Er griff zu und presste dadurch meine Hüfte an seine. Sein Handtuch schaffte es nicht, seine Erregung zu überdecken und ich war mir sicher, durch meine Jeans konnte man meinen Zustand ebenso erahnen.
„Willst du mhm...", nuschelte Kian an meinen Mund, ohne die Lippen davon zu lösen. „Dich ausziehen?"
Ich zog den Kopf zurück, um ihm zu antworten, rechnete nicht damit, dass er nicht aufhören würde mich zu küssen. Er senkte seine Lippen auf meinen Mundwinkel. Auf meine Wange. Auf meinen Kiefer. Auf meinen Hals.
Ich vergas, was ich hatte sagen wollen. Es konnte nicht wichtig gewesen sein.
Ein leises Stöhnen wich von meinen Lippen, als Kian erneut in meinen Hintern kniff. Ich streckte ihm willig den Hals entgegen, während ich mit bebenden Fingern meine Hose öffnete.
Er half mir, sie runterzuziehen und ich kickte sie zur Seite. Als er mich diesmal an sich presste, hatte er keine andere Wahl als zu spüren, wie hart ich war.
„Die auch", murmelte er und zupfte an meiner Unterhose. Dabei riss er sich das Handtuch vom Leib und warf es rücksichtslos in den Raum.
Plötzlich stieß er mich von sich. Ich stolperte aus meiner Boxershorts heraus und landete mit dem Rücken im Bett. Kian stand wenige Meter davor und musterte mich mit Feuer in den Augen.
Er zog die Unterlippe zwischen die Zähne, als er auf mich zukam und mich so intensiv ansah, dass es sich so anfühlte, als würde er mich berühren. Überall.
Er sah schöner aus als ich es gewagt hatte, mir vorzustellen. Vor allem mit den Wasserperlen, die seine Muskeln zierten.
Er kniete auf die Bettkante, meine Beine zwischen seinen.
Er legte eine Hand auf meinen Bauch und ließ sie an meinem Körper entlang nach oben gleiten, während er sich runterbeugte. Seine eine Hand versenkte sich in meinen Haaren, während er die andere nutzte, um sich neben mir abzustützen.
Aber ich wollte nicht, dass er sich abstützte. Ich wollte ihn spüren. Selbst, wenn das bedeutete unter seinem Gewicht begraben zu werden.
Kian küsste mich. Es war anders als zuvor. Er wurde mutiger. Leidenschaftlicher. Mit jeder Sekunde, in der unsere Lippen miteinander verbunden waren, schien etwas mehr Angst von ihm zu weichen.
Er presste seine Hüften an meine. Ich stöhnte leise auf. Unsere empfindlichsten Bereiche berührten sich. Er beantwortete es mit einem dunklen Knurren. Der Ton ließ jede meiner Zellen vor Erregung vibrieren.
Mir kam der Gedanke, wohin das führen sollte. Ich war absolut nicht darauf vorbereitet gewesen, dass Kian und ich sowas überhaupt jemals tun würden.
Aber jetzt lag er nackt auf mir und ich nackt unter ihm und ich wollte ihn so nah bei mir haben wie möglich.
Klopf. Klopf. Klopf.
Kian erstarrte.
Klopf. Klopf.
„Kian? Benedict hat den Inneren Kreis zusammengerufen. In zehn Minuten im Tafelsaal."
Kian und ich sahen einander aus geringster Distanz an. Ich spürte seinen schweren Atem an mein Gesicht prallen. Sein Körper hob und senkte sich schnell und sein Glied lag ruhig, beinahe versteinert an meinem. Er hatte mich unter sich in der Matratze vergraben, bedeckte mich mit seinem Körper. Sein Blick war benebelt, seine Wangen rot und seine Haare zerzaust.
„Kian?"
Ich piekte ihm in die Seite. „Sag was!"
Sein Mund klappte auf „Eh-"
Ich verdrehte die Augen und schob ihn mit aller Kraft von mir. Ich wusste nicht, ob es mir physisch und psychisch schwerer fiel, ihn wegzudrücken.
Ich rutschte von ihm ab, so weit das Bett es zuließ. Kian sah an sich herab und dann an mir. Seine Zunge glitt über seine Lippe, während sein Blick sich an mir festsetzte.
Fassungslos knallte ich ihm ein Kissen ins Gesicht. „Reiß dich zusammen!"
Kian schüttelte den Kopf, eindeutig überfordert.
Klopf. Klopf.
„Kian? Bist du da?"
Ich zeigte zur Tür, um ihm klarzumachen, dass er etwas sagen sollte, bevor Ethan reinkam.
„Äh ja, ich habe dich gehört!", rief er schließlich. Er klang total heißer.
„Hast du geschlafen?" Ethan klang amüsiert.
„Nein."
Ich knallte mir die Hand an die Stirn.
„Äh ja. Ja, doch ich habe geschlafen", stammelte Kian. Er sah mich verzweifelt an, absolut unfähig, sein Hirn in den Normalzustand zurückzuversetzen.
„Dann tut es mir leid für die Störung", meinte Ethan. „Aber wie gesagt, in 10 Minuten im Tafelsaal."
„Okay!"
Ich hörte leise Schritte, die sich von der Tür entfernten und atmete erleichtert auf.
Kian hatte wieder begonnen, mich mit seinen Blicken zu penetrieren. Ich warf ihm das andere Kissen gegen den Kopf.
„Aufhören!"
Er schluckte und schaute runter, auf die Matratze zwischen uns.
Ich wusste, ich musste handeln. Kian war nicht in der Verfassung zu realisieren, dass er keine Zeit hatte, sich darüber bewusst zu werden, was wir gerade getan hatten und welche Bedeutung wir dem zuschreiben wollten. Er konnte seinem Vater unmöglich so wie er gerade vor mir lag unter die Augen treten.
Ich tat also, was ich tun musste und zwang mich dazu, vom Bett zu rutschen und mich anzuziehen.
Als ich mich zu Kian drehte, erkannte ich, dass er mich aus dem Augenwinkel gemustert hatte. Sein Versuch, dies zu vertuschen, indem er das Gesicht in den Kissen vergrub, die ich nach ihm geworfen hatte, war nicht erfolgreich.
„Denk an was Ekliges", forderte ich von ihm, während ich zu seinem Ankleidezimmer ging und nach etwas suchte, das Kian einigermaßen präsentabel aussehen ließ. Im Sinne von er hatte sich kurz zuvor nicht wild an einem Jungen gerieben und dabei beinahe seine Unschuld verloren.
„Zieh das an." Ich warf ihm die Klamotten zu und ging weiter ins Badezimmer, um einen Waschlappen mit kaltem Wasser zu befeuchten.
Als ich zurück in sein Gemach kam, saß er auf der Bettkante und zupfte unzufrieden an seinem Schritt herum, in dem sich seine Beule spannte.
Ich setzte mich zu ihm und drückte ihm den Waschlappen ins Gesicht. Er musste abkühlen und vor allem seine geschwollenen Lippen irgendwie beruhigen.
„Sehe ich so schlimm aus?"
„Schlimmer."
Er nahm das Handtuch vom Gesicht und musterte mich vorsichtig. „Bist du sauer?"
„Wieso sollte ich sauer sein?" Ich sprach weiter, bevor er auf die Idee kommen konnte, sich irgendwelche absurden Gründe aus dem Arsch zu ziehen. „Ich bin schockiert, überwältigt und sexuell frustriert. Aber nicht sauer."
Ein zögerliches Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Ich fand es schön."
Obwohl mir nicht danach zu Mute war, brachte er mich zum Schmunzeln. „Ich auch."
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