32
Kian
Zu wissen, dass Silas in Sicherheit war, trug nur mäßig dazu bei, mich zu beruhigen. Jede meiner Zellen schrie, während ich ruhig dasaß. Es kostete mich meine gesamte Konzentration, nicht aufzuspringen und mir mit eigenen Augen anzusehen, dass es Silas in Sicherheit war. Zuzuhören war mehr als ich leisten konnte. Dennoch zwang ich mich dazu. Es war wichtig. Wir mussten rausfinden, wie die Aufständischen in die Stadt gekommen waren.
„Kyle und Kristin müssen geahnt haben, dass ich Kontakt zu euch aufgenommen habe", sagte Tom, mit dem Blick auf meinem Vater.
Ich wusste nicht, wovon er redete. Ich meine, ja Tom hatte Kontakt zu uns aufgenommen. Er hatte eine Audienz bei meinen Eltern verlangt und diese erhalten. Er wollte ihnen Informationen über den Anführer der Aufständischen anbieten und hat dafür Schutz für Amelie gefordert. Aber die Namen Kyle und Kristin waren in meiner Anwesenheit nicht gefallen.
„Wer wusste alles von unserem Deal?", überlegte Charlie und begann meinen Vater, meine Mutter und sich selbst aufzuzählen. „Wir haben nicht mal Kian richtig eingeweiht."
Plötzlich lagen drei Augenpaare auf mir. Ich sah mich dazu verpflichtet zu reagieren, wusste aber nicht wie.
„Es wird schon eine Vermutung gereicht haben", meinte Tom. „Amelie ist Alvars einziges Druckmittel gegen mich. Ich habe sonst nichts, das mir was bedeutet. Der kleinste Verdacht, dass Prioritäten nicht mehr bei Alvar liegen, reicht ihm als Grund, Unschuldige abzuschlachten."
Als ich meinen Vater tief durchatmen hörte, blickte ich zu ihm. Er zeigte einen ungewöhnlich deutlichen Ausdruck von Erschöpfung. „Wir konnten nicht rausfinden, wie Alvar mit seinen Leuten in der Stadt kommuniziert. Wir haben jede Art der Verbindung zur Außenwelt für die Aufständischen gekappt und tauschen unsere Wachleute ständig aus, damit niemand in die Versuchung kommt, sich beeinflussen zu lassen. Wie kann Alvar immer noch die Strippen ziehen?"
Ich musterte meinen Vater. Es beunruhigte mich, dass er seine Ratlosigkeit so deutlich machte. Wenn er keine Ahnung hatte, was hier vor sich ging, dann konnte es keiner wissen.
„Ich habe keine Ahnung, aber ich werde meinen Teil der Abmachung natürlich einhalten und alles tun, was ihr verlangt, um gegen Alvar vorzugehen."
Mein Blick schoss zu Tom. In der Schule hatte er nie so ernst gewirkt. Um genau zu sein, schien dieser junge Mann nichts mehr mit dem dauerlächelnden Schülersprecher, der Silas immer einen Ticken zu nah gewesen war gemeinsam zu haben.
Ich dachte darüber nach, wie ich danach verlangen konnte, aufgeklärt zu werden, ohne zuzugeben, wie überflüssig meine Anwesenheit an diesem Tisch war. Bevor ich eine Lösung fand, klopfte es an die Tür und sie wurde unverzüglich geöffnet.
„Ich will nicht gestört werden", machte mein Vater klar.
„Ich weiß, aber ich befürchte, das lässt nicht auf sich warten. Wir brauchen Charlies Expertise."
Charlie wartete auf ein Nicken von meinem Vater, um sich zu erheben. Während er ging, schob auch mein Vater den Stuhl zurück und sagte: „Ich muss nachdenken."
Er lehnte sich mit den Händen auf den Tisch und schaute Tom an. „Klär Kian über unseren Deal auf. Erzähl ihm alles, was wichtig ist und falls dir noch mehr einfällt, dann das auch."
Tom nickte und mein Vater verließ den Raum, bevor ich begriffen hatte, was er gesagt hatte und vor allem was das bedeutete.
Ich war mir sicher, Tom konnte mir ansehen, dass ich überfordert war. Es interessierte mich nicht, was er zu erzählen hatte. Ich hatte mich schon vor Wochen damit abgefunden, dass mein Vater nicht gewollt hatte, dass ich es erfuhr
„Bist du grade aufnahmefähig?" Tom hatte die Augenbrauchen zusammengezogen und versuchte sich an einem unsicheren Lächeln.
Die gesamte Situation war seltsam. Als wir uns das letzte mal gesehen hatte, hatte ich ihn mit meinen Blicken getötet, während er zu meinen Eltern in den Thronsaal geführt worden war und ich nicht.
Er wusste mit Sicherheit, dass ich ihn nicht leiden konnte. Und das, obwohl ich selbst keine Ahnung hatte warum.
„Ich bin, was ich sein muss", erwiderte ich, ohne mir Gedanken darüber zu machen, wie viel ich dadurch von mir offenbarte.
Tom sah auf die Tischplatte. „Das kenne ich."
Ich hörte mich schnauben. „Komm zur Sache, Tom. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit."
Ich war selbst ein wenig schockiert davon, wie kalt ich klang. Nach all den Wochen hatte ich mich noch immer noch ganz an diese Facette gewöhnt.
Aber das hier war anders als niemandem zeigen zu wollen, was in mir vor sich ging. Ich hatte tatenlos zusehen müssen, wie Silas' Leben bedroht worden war. Und das, nachdem ich ihn wochenlang ignoriert, verletzt und von mir ferngehalten hatte, um sicher zu gehen, ihn nicht in Gefahr zu bringen. Selbst zu wissen, dass so er nicht sterben würde, hatte nicht geholfen, meine Angst irgendwie zu minimieren.
Ich hatte mich nicht nur davor gefürchtet, zusehen zu müssen, wie Silas von den Aufständischen in Stücke gerissen und ausgesaugt wurde, sondern auch davor, nie wieder seine Stimme hören zu können, wenn er mir etwas über eine Serie erzählte, die er die ganze Nacht durchgesuchtet hatte. Ich hatte mich davor gefürchtet, nie wieder in seine Augen sehen zu können, wenn er lächelte. Ich hatte mich davor gefürchtet, ihn zu verlieren. Nachdem ich so viel getan hatte, um ihn zu beschützen.
In diesen Minuten hatte ich es bereut, mich jemals wo anders zu haben als in seiner direkten Umgebung. Jemals etwas anderes angesehen zu haben als ihn. Jemals etwas anderes gehört zu haben als seine Stimme. Jemals etwas anderes wahrgenommen zu haben als seine Berührung.
Was auch immer Tom zu erzählen hatte, es kam mir bedeutungslos vor.
„Naja, also wie schon gesagt wurde, habe ich einen Deal mit deinen Eltern. Ich beliefere sie mit Informationen über Alvar und seine Machenschaften und sie beschützen Amelie und unser ungeborenes Kind."
Ich schüttelte leicht den Kopf, in dem Versuch, meine Gedanken an Silas zu vertreiben. Ich war der Prinz eines Reiches, das mit den Aufständischen verfeindet war. Teil unseres Vertrages mit der Stadt der Menschen war es, sie vor den Aufständischen zu schützen. Dennoch hatten die Aufständischen es geschafft, dort einzufallen und zwei Menschen zu töten. Darauf musste ich mich konzentrieren.
„Woher hast du deine Informationen über Alvar und seine Machenschaften?"
Tom schluckte. „Ich habe für ihn gearbeitet."
„Und wieso glaubt mein Vater dir auch nur ein einziges Wort?"
Er zog die Augenbrauen zusammen. „Ich weiß, dass es nicht gerade vertrauenserweckend ist zu erfahren, dass ich für den Anführer der Aufständischen gearbeitet habe, aber du redest mit mir, als sei ich hier der Böse."
„Woher soll ich wissen, dass du das nicht bist?", wollte ich tonlos von ihm wissen.
„Das Leben meiner Freundin und meines Kindes hängt davon ab, dass ich hier gerade die Wahrheit sage."
„Das könnte nur eine Masche sein." Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht bedeutet Amelie dir nichts und du nimmst sie als Vorwand, Alvar mit Informationen über zu versorgen, statt uns mit Informationen über Alvar."
Tom öffnete den Mund, aber er sagte nichts. Sein Kopf begann sich zu schütteln, erst langsam, dann immer schneller.
„Das kannst du unmöglich ernstmeinen. Wie könnte jemand zu sowas abartigem im Stande sein?"
Ich schnaubte. „Wie könnte jemand zu sowas abartigem im Stande sein, überhaupt für Alvar zu arbeiten?"
Noch immer schüttelte Tom den Kopf. „Du bist so überheblich. Ich könnte echt kotzen bei dem Gedanken daran, dass du mal König werden sollst."
„Brauchst du einen Eimer?"
Er blinzelte schnell, ehe etwas murmelte von „Nicht zu fassen." Dann sprach er verständlich weiter.
„Ich habe für Alvar gearbeitet, weil ich nach meinem Erwachen nichts Anderes kannte als ihn und das, was er mir vermittelt hat. Ich habe geglaubt, was er erzählt und als er meinte, ich sei der einzige, der jung genug aussieht, die Stadt zu infiltrieren, dachte ich, wenn ich zustimme, kann ich was Gutes tun. Wenn ich das nicht gemacht hätte, würde ich heute immer noch glauben, dass dein Vater das Arschloch in der Geschichte ist."
„Und was glaubst du jetzt?"
„Alvar ist durchgeknallt." Tom tippte an den Kopf. „Er ist total fanatisch. Genauso wie William."
„Wer ist William?", fragte ich. Mir dröhnte der Schädel.
Tom schluckte und behauptete: „Nicht so wichtig. Alvar ist der, der das Sagen hat."
Damit gab ich mich zufrieden.
„Sonst noch was, was du loswerden musst?"
Er schüttelte den Kopf.
Ich stand auf und teilte Tom mit, dass er hierbleiben sollte, bis Ethan Zeit für ihn hatte. Ich konnte ihn natürlich auch zu Amelie bringen, aber die Vorstellung, ihn hier schmoren zu lassen, gefiel mir besser.
Seine Meinung dazu, was für einen überheblichen König ich abgeben würde, hatte mich mit etwas konfrontiert, mit dem ich mich nicht beschäftigen wollte. Wahrscheinlich hatte er keine Ahnung, was er durch diese Kritik in mir ausgelöst hatte. Wahrscheinlich hatte er es nicht einmal so gemeint, wie es bei mir angekommen war.
Ihn jetzt dafür zu bestrafen, dass er mir klargemacht hatte, was er von mir hielt, kam einer Unterdrückung gleich. Aber, verdammt, ich konnte ihn einfach nicht leiden.
Ich einigte mich mit mir selbst darauf, die Zeit, bis ich Ethan dazu auffordern würde, sich seiner anzunehmen, auf eine Stunde zu verkürzen, statt den gesamten Nachmittag. Das würde reichen, um Tom bewusst zu machen, dass ich am längeren Hebel saß, ihn aber nicht unnötig lange auf die Folter spannen.
Ich schnaubte, als mir bewusstwurde, wie erfreut mein Vater über diese Gedankengänge wäre. Noch bevor ich in meinem Gemach angekommen war, hatte ich mein Handy gezückt und Ethan Bescheid gegeben, dass er Tom, so schnell wie möglich zu Amelie bringen sollte. Ich dachte sogar darüber nach, umzudrehen und Tom selbst zu ihr bringen. Nicht, weil ich mir beweisen wollte, dass ich nicht so war wie mein Vater, sondern, weil ich erkannte, dass von Amelie getrennt zu sein, sich ebenso schrecklich für Tom sein musste, wie meine Trennung von Silas sich für mich anfühlte. Und, wenn ich verhindern konnte, dass jemand unter diesem Gefühl leiden musste, dann hatte ich keine andere Wahl als es zu tun. Alles andere wäre grausam. Und ich wollte nicht grausam sein. Tom und Amelie konnten nichts dafür, dass sie etwas hatten, das ich niemals haben würde. Und Tom konnte nicht wissen, wie sehr er mich getroffen hatte, weil ich mich weigerte, jemandem zu zeigen, was in mir vor sich ging.
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