27

Kian

Ausgiebig Party machen, tanzen, trinken, feiern – das war nichts für mich. Ich stand lieber den gesamten Abend über an einem Ort und behielt die Menge im Blick. Oder wohl eher eine Person, die sich in der Menge bewegte.

Silas hatte Alica und Boris begrüßt, mit ihnen getrunken, geredet und getanzt. Er lächelte, die ganze Zeit über, und, wenn er lachte, dann bildete ich mir ein, den Ton über die Musik hinweg zu hören, so als stünde er direkt vor mir und um herum sei nichts als Ruhe.

Manchmal schaute er mich an. Ich schaffte es kein einziges Mal wegzusehen und atmete erst wieder, als er seinen Blick von mir losriss, um sich seinen Freunden zu widmen.

Maddy hatte ich bereits vor Stunden aufgetragen, den Abend zu genießen. Sie hatte zunächst gezögert und daran gezweifelt, ob es meinen Eltern gefallen würde.

Schließlich hatte ich sie davon überzeugen können, zu tun, wonach ihr war, indem ich sie daran erinnert hatte, dass meine Eltern, zum Ersten, nicht in Sichtweite waren und, zum Zweiten, zu sehr von ihrer Kooperation abhängig waren als ernsthafte Konsequenzen für sie daraus zu ziehen, dass sie Spaß hatte.

Außerdem hatte ich ihr versichert, die Schuld auf Charlie zu schieben, falls uns der Zorn meines Vaters treffen würde und sie hatte besänftigt gewirkt.

Seit sie sich Silas' Gruppe angeschlossen hatte, stand ich mit Charlie herum und fragte ihn hin und wieder, worüber sie sich unterhielten. Meistens ging es um banale Themen wie Outfits, Lieder oder Getränke. Fast so als sei aller Ernst für diese Nacht von ihren Zungen verbannt worden.

„Du hast Silas heute sehr glücklich gemacht", schob Charlie mir aus dem Nichts zu.

Er schaute die ganze Zeit über zu Boris und hatte seinen Cousin somit automatisch im Blickfeld.

Wie auf Kommando lachte Silas ein weiteres Mal und schwang seine Arme um Boris und Alica. Mein Herz stoppte für einen Moment, nur, um danach umso schneller weiterzuschlagen.

„Vielleicht solltest du mit ihm reden."

Charlie musste hören, wie mein Herz auf jede Regung von Silas reagierte. Vielleicht roch er sogar, wie sehr ich es genoss, ihn lachen zu sehen.

„Ich habe ihm nichts zu sagen."

Zum ersten Mal seit er sich zu mir gestellt hatte, löste er den Blick von Boris, um ihn auf mich zu richten.

„Er denkt, ich habe dafür gesorgt, dass Boris und Alica herkommen."

„Hast du doch auch." Ich erwiderte seinen Blick unwissend.

„Auf deine Bitte und Verantwortung hin."

„Das muss er nicht wissen."

Charlie begriff, dass ich nicht vorhatte, meine Augen zu ihm zu richten und lehnte sich seufzend zurück. „Du bist zu streng mit dir. Mit ihm zu reden wird nicht unmittelbar zu seinem Tod führen."

Ein stechender Schmerz durchzog meine Brust. Eiskalte Speere bohrten sich in mein Herz und rissen es in Stücke. Dort, wo eben noch der Ursprung für das leichte Lächeln auf meinen Lippen gelegen hatte, spross nun eine Quelle aus Gift, das sich rasend schnell durch meine Adern zog und jede meiner Zellen mit Dunkelheit erfüllte.

Meine Hand wanderte auf die Stelle, unter der mein Herz schlagen sollte. Sie rieb darüber, in dem Versuch, sie wieder zu erwärmen. Aber es gab nichts, das ich tun konnte, um diesem Schmerz zu entfliehen.

„Ich bin nicht bereit, dieses Risiko einzugehen."

Ehe Charlie noch etwas dazu sagen konnte, leistete Arian uns Gesellschaft. Er fragte, ob alles in Ordnung sei und er irgendetwas für uns tun konnte. Ich schüttelte den Kopf, ohne verbal darauf einzugehen.

„Mein Team würde sich gerne in einen ruhigeren Raum zurückziehen. Die Jachans auch. Habt ihr etwas dagegen, mitzukommen?"

„Um ehrlich zu sein, würde ein wenig Ruhe uns sehr gut tun", erwiderte Charlie mit einem diplomatischen Lächeln.

Arian spiegelte dieselbe Neutralität wider.

Wir folgten ihm im geringen Abstand aus dem Saal. Silas' Gruppe schloss sich uns an und Maddy hakte sich, wie vereinbart, wieder bei mir unter, sobald sie in Reichweite war.

Da sie sich gerade in einem Gespräch mit Silas befunden hatte, lief er neben uns her und quittierte Maddys Geste mit einem abwertenden Blick, ehe er sein Glas in einem Zug leerte und es gegen Benjamins austauschte.

„Viel zu schnulzig!", brüllte er in Maddys Erläuterungen über die Bedeutung, die hinter verschiedenen Blumen stecken konnte. „Und überflüssig. Wieso muss man mit Blumen eine Botschaft überbringen? Kann man nicht einfach sagen, was man zu sagen hat und gut ist?"

„Das ist sehr pragmatisch", schmunzelte Maddy. „Aber manchmal gibt es für bestimmte Dinge keine Worte. Dann helfen solche Gesten, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen."

Silas blies die Wangen auf und ließ sie Luft gepresst zwischen seinen Lippen entweichen.

Auf dem Weg durch die schmalen Flure fiel mir auf, dass er mehr torkelte als tatsächlich zu gehen und sich an jeder Ecke an der Wand abstützen musste, um die Kurve zu kriegen.

Einmal stolperte er über seine eigenen Füße und Maddy riss ihren Arm aus meinem, um Silas aufzufangen. Danach hängte er sich an Boris und ließ sich von ihm in den Raum schleppen, indem sich die Gruppe zurückziehen wollte.

Es stellte sich heraus, dass der Grund für den Ortswechsel hauptsächlich darin lag, dass Benjamin und Nicolo sich darin duellieren wollten, wer im betrunkenen Zustand besser Messer werfen konnte.

Ich äußerte meine Bedenken dazu nicht, sondern setzte mich zu Maddy und Charlie in die Loge der Trainingshalle und sah dabei zu, wie Boris Silas mit einem angestrengten Laut auf das in die Polster des Sofas warf.

„Mann, bist du schwer."

Alica setzte sich neben ihren Cousin und befreite sein Gesicht von dem Fell aus Haaren, das sich daraufgelegt hatte.

„Brauchst du ein Glas Wasser?"

Silas lag in unveränderter Pose mit ausgebreiten Armen da und drehte den Kopf hin und her, um zu verneinen.

Cédric setzte sich auf seine andere Seite, warf ihm einen kurzen Blick zu und rutschte dann ein Stückchen von ihm ab, ehe er wahllos nach einem der Gläser griff, das alle beim Reinkommen auf dem Tisch abgestellt hatten, und daraus trank.

Noch bevor ich das erste Messer in das Holz einschlagen hörte, zuckte Charlie neben mir zusammen und verzog gequält das Gesicht. Beim zweiten Messer hielt er sich die Hände auf die Ohren.

„Das war keine gute Idee."

Benjamin und Nicolo veranstalteten ihren sinnlosen Wettbewerb, Ezra, Boris und Arian schauten dabei zu, Alica versuchte Silas davon überzeugen, Wasser zu trinken, Maddy schlug ihr vor, es ihm einfach einzuflößen, Charlie versuchte die ihm schmerzhaften Geräusche auszublenden und ich bemerkte, wie närrisch Cédric ihn anschaute. Er ließ ihn keine Sekunde aus den Augen.

Ich stieß Charlie mit dem Ellenbogen an und deutete mit einem Blick zu Cédric, bevor ich ihm vorschlug, an die frische Luft zu gehen.

Gerade, als er mich fragte, ob ich denn wisse, wie wir hier rauskämen, gesellte sich Ezra dazu und bot an, uns den Weg zu zeigen.

„Wir kommen auch mit", beschloss Alica, warf Silas' Arm über ihre Schultern und schleppte ihn hinter sich her.

Wir ließen Cédrics unerklärliches Starren also hinter uns und zogen uns an einem tatsächlich ruhigen Ort zurück.

Ezra öffnete die Türen des Wintergartens und ließ einen Schwall warmer Luft daraus entweichen. Sofort wurde es frisch im Inneren der Glaswände.

Auch hier fanden wir großflächige Sitzgelegenheiten, auf denen wir Platznehmen konnten.

Was darum herum vor sich ging, konnten wir durch die Spiegelung der Fenster nicht erkennen. Draußen war stockfinster.

Maddy fragte mich allen Ernstes, ob wir ein paar Schritte gehen wollen. Dabei fror sie bereits hier extrem.

„Wenn du willst", antwortete ich unentschlossen.

Sie nickte, stand auf und ging voran. Ich folgte ihr.

Ein paar Meter von der Tür entfernt, wartete sie auf mich und, als ich sie erreichte, deutete sie mit einer Fingerbewegung an, dass ich mich zu ihr runterbeugen sollte. Verwirrt leistete ich ihr Folge.

„Nach eingehender Recherche kann ich dir versichern, dass Silas nach wie vor nur Augen für dich hat."

Ich schüttelte den Kopf, doch sie ließ mich nicht zu Wort kommen.

„Ezra ist seine Cousine dritten Grades und selbst in eine komplizierte Liebesangelegenheit verstrickt. Und an Ben zeigt Silas keinerlei Interesse. Er weist ihn ständig ab."

„Wieso erzählst du mir das?"

Sie legte den Kopf schief, so als könne diese Bewegung meine Frage beantworten. „Tu nicht so als hätte dich das nicht beschäftigt."

Wieder bekam ich keine Gelegenheit, dem etwas zu entgegnen.

„Silas hat noch lange nicht mit dir abgeschlossen. Und das wird er auch in nächster Zukunft nicht."

Diesmal wartete ich nicht auf die Chance zu reden. Ich nahm sie mir einfach. „Warum redet ihr alle mit mir über Silas? Erst Charlie, jetzt du. Was bringt euch das?"

Maddy warf die Hände in die Luft und klammerte die Arme dann um ihren bebenden Körper. „Kannst du einfach tatenlos wegsehen, wenn du siehst, wie jemand, der dir wichtig ist, leidet?"

„Ich leide nicht."

Sie stieß einen mir bis dato unbekannten Ton aus. Zunächst hielt ich ihn für Belustigung. In Wahrheit war es Frust.

„Oh doch, Kian. Du leidest. Und jeder, der dich kennt, weiß das. Du bist nicht so schauspielerisch begabt, wie du glaubst. Und wenn dir jetzt immer noch nicht klargeworden ist, dass es Silas mindestens genauso schlecht geht, dann bist du noch dazu auch noch dumm."

Kurz nach ihrer Äußerung riss sie Augen auf und schlug sich eine Hand auf den Mund.

Je mehr Zeit verging, desto besser verstanden wir beide, dass ich dazu nichts zu sagen hatte. Ich sah keinen Grund, mich für etwas zu verteidigen, das außer mir keiner verstehen konnte. Maddy zu verbieten, sich in diese Angelegenheit einzumischen, war ebenso sinnlos. Ich hätte nicht erwarten dürfen, dass ich sie ins Bilde holen konnte ohne, dass sie sich dazu Gedanken machen würde. Maddy war noch nie jemand gewesen, der leise in der Ecke stand, und zusah.

Nur dieser Kampfgeist war neu. Und warum er sich ausgerechnet und für mich und meine Beziehung zu Silas zeigte, wunderte mich auch.

Aber im Gegensatz zu ihr hatte ich keine Kraft eine Schlacht zu kämpfen, die bereits verloren war.

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