19
Kian
Ich war mir sicher, dass der Termin mit meinen Eltern zugunsten von Tom ausgehen würde. Es gab keinen Grund, seine Bitte um Schutz abzulehnen. Wir hatten genug Ressourcen, um uns um Amelie und ihr Kind zu kümmern, und dass Menschen bei uns im Palast leben konnten, hatten wir durch Familie Jachan auch gesehen.
Die Informationen, die Tom über den Anführer der Aufständischen hatte, würden meinen Vater sicher interessieren. Alles, was ihm Kontrolle gab, würde ihn interessieren.
Ich wäre gerne dabei gewesen. Nicht nur, um Partei ergreifen zu können, sondern auch, um meinem Vater zu zeigen, dass es mir egal war, wie er auf mich reagierte. Seine Launen würden mich nicht davon abhalten zu tun, was ich für richtig hielt.
Damit meinte ich nicht nur, niemanden abzuweisen, der uns um Hilfe bat, sondern auch meine Beziehung zu Silas. Ich hatte die Anweisung, ihm wieder nahezukommen, sofort abgewiesen und meine Meinung seitdem nicht geändert. Wie mein Vater sich mir gegenüber verhielt, bestätigte mich darin nur.
Es fühlte sich gut an, seiner Ablehnung so entschieden begegnen zu können. Mein Aufbegehren hatte schließlich einen Grund. Und dieser gab mir Kraft und Durchhaltevermögen, sodass nichts, nicht einmal die Angst vor meinem Vater, mich von meinem Ziel, Silas zu beschützen, abhalten konnte.
Kein Ort im Palast war so ruhig und doch so belebt wie die Bibliothek. Keiner konnte so viele Charaktere beherbergen, so viele Geschichten, so viele Lehren.
Es war bereits spät abends, als das letzte Gremium endete. Ich hatte vergebens dafür plädiert, die Aufklärungsmissionen für die Todeszone abzusagen und uns darauf zu konzentrieren, hier eine starke Verteidigung aufzubauen, statt unsere Truppen durch den Abzug zu schwächen.
Keiner hatte auf mich gehört.
Mir war aufgefallen, dass niemand von denen, die sich gegen mich ausgesprochen hatten, mit mir in der Todeszone gewesen war, geschweigedenn jemals dorthin gehen würde.
Sie waren Bürokraten, die aufgrund ihres Alters, ihrer Erfahrung und ihrer Loyalität zu meinem Vater in die Kommissionen berufen wurden, aber außer große Reden zu schwingen nichts weiter taten.
Die meisten von ihnen steckten noch in ihren Denkmustern der letzten Jahrhunderte fest. Alles, was von einem Jüngling wie mir kam, prallte daran mühelos ab.
Auf meinem Weg in die Bibliothek schaute ich bei meiner Mutter vorbei. Edith überreichte ihr gerade eine ihrer Blut-Kräuter-Mischungen und klärte sie darüber auf, dass diese sie Stärken sollte.
Ihre Beiträge waren immer hilfreich, aber nur Austins Behandlung hatte den Zustand meiner Mutter tatsächlich verbessert.
Was genau er in ihren Sitzungen tat, wusste ich nach wie vor nicht. Ich hatte mich damit abgefunden, dass er sein Versprechen an Jayna, mit niemandem zu teilen, was er von ihr gelernt hatte, bewahrte und versuchte nicht mehr, ihn durch ständiges Fragen und Nachbohren zu sabotieren.
Seine Fortschritte bedeuteten, dass seine Abreise immer näherkam. Ich wusste nicht, wie lange es noch dauern würde, bis er meine Mutter vollständig geheilt hatte und zurück zu Jayna gehen würde. Ob es Wochen oder Monate waren. Aber ich wusste, dass dieser Tag mich mit genauso viel Freude wie Trauer erfüllen würde.
Nach einer kurzen Unterhaltung und einem Kuss auf ihre Stirn, verabschiedete ich mich wieder von meiner Mutter. Immerhin hatte ich noch etwas vor und sie war in guter Gesellschaft.
Ich hatte drei Tage Zeit, um einen Beweis dafür zu liefern, dass die Todeszone ihren Namen nicht nur einem Hang zur Dramatik zu verdanken hatte.
72 Stunden.
Dann würde der Aufklärungstrupp aus ausgewählten Kämpfern der ADGD und unserer Armee die Todeszone erneut betreten.
Ich brauchte etwas Handfestes, um dieses Vorhaben zu verhindern. Etwas, das mehr Wert war als die subjektiven Eindrücke eines verängstigten Prinzen. Etwas, das keiner verleugnen oder relativieren konnte.
In der Schublade meines Lieblingsschreibtisches der Bibliothek hatte ich alles zusammengetragen, was ich an Recherche geleistet hatte. Bilder von den Pflanzen und Tieren dort, Skizzen, um die Veränderung der Umgebung abzubilden und Stichpunkte, um sie zu erklären.
Dieser Schreibtisch aus schwarzem Ebenholz stand im Mittelpunkt der Bibliothek. Er war von Geschichten umzingelt und lieferte einen perfekten Blick auf die Tür des Saales.
Früher hatte ich mit dem Rücken zum Eingang gesessen. Einfach so getan, als sei ich in einer anderen Welt und als müsste ich sie niemals verlassen.
Nun fürchtete ich mich zu sehr vor dem, was in meiner Unachtsamkeit durch die Tür kommen konnte und behielt sie daher lieber im Blick.
Mir fiel sofort auf, dass etwas anders war, als ich durch die Reihen lief. Die Tore waren offen gestanden, die Lichter an und ich hörte jemanden aus der hinteren rechten Ecke fluchen.
Die normale Reaktion wäre gewesen, nachzufragen, wer hier war. Oder es einfach ignorieren und mich weiter um meine eigenen Anliegen zu kümmern. Aber, was hier passierte, gefiel mir nicht. Das hier war mein Ort. Niemand durfte es wagen, die Türen einfach offen stehen zu lassen, sodass der Geruch nach altem Papier entweichen konnte und die Elektrik zu nutzen, statt Kerzen anzuzünden und das Ambiente dadurch zu zerstören.
Ich schlich also in die Richtung, aus der ich das Summen vernahm. Je näher ich kam, desto besser erkannte ich die Stimme des Eindringlings und spürte, wie sich meine alarmierten Zellen langsam beruhigten.
„Austin? Was willst du denn hier?"
Er steckte bis zum Bauch in einem Regal und schlug sich, als er sich aufrichten wollte, den Hinterkopf daran an.
Ich zog ihn raus und musterte ihn dabei, wie er sich mit verzogenem Gesicht den Schädel rieb.
„Ich habe nach einem Buch gesucht. Was soll ich sonst hier machen?"
Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Du liest doch gar nicht."
„Oh doch, doch, die letzte Woche bin ich fast nur dabei in deinen Büchern herumzustöbern. Manche sind ganz interessant."
Er zeigte mir den Thriller, den er in der Hand hatte und stellte ihn dann wahllos in eine Lücke zwischen den Fantasyromanen des Regals links von uns.
„Das gehört da nicht hin", schnaubte ich und nahm es wieder raus. „Leg die Bücher, die du dir rausnimmst, auf den Tisch in der Mitte. Ich räume sie dann auf."
„Tut mir leid, ich kann mir einfach nicht merken, wo ich die herhatte. Ein paar sind wahrscheinlich auch schon voll falsch reingeräumt."
„Du kannst froh sein, dass du mein bester Freund bist. Sonst würde ich dich dafür vierteilen lassen", machte ich ihm klar.
Er zog den Kopf ein. „Klingt nicht schön."
„Das wäre noch eine sehr milde Strafe für dein Verbrechen." Ich deutete ihm durch ein Nicken, mir zu folgen und führte ihn zu der richtigen Reihe für Thriller.
Meinen Hinweis, dass er sich an den Schildern orientieren konnte, beantwortete er, begleitet von großen Augen, wie folgt: „Das klingt so leicht aus deinem Mund."
Ich konnte bloß den Kopf schütteln, räumte das Buch auf und ging weiter zum Schreibtisch.
Austin folgte mir. „Am besten, du schaust nach den falsch reingeräumten Büchern, wenn ich nicht mehr da bin. Dann werde ich es vielleicht in einem Stück zu Jayna schaffen."
„Wann gehst du?"
Meine Frage klang beiläufig, ja fast schon desinteressiert. Ich schob dabei alle Zettel in der Schublade zu einem Stapel zusammen und nahm diesen hoch.
„In ein oder zwei Wochen. Kommt auch darauf an, wann dein Vater mich gehen lässt."
„So bald schon?" Diesmal war ich es, der ihn aus großen Augen ansah. Meine Blätter fielen mir fast aus der Hand.
Austin nickte. „Deiner Mutter geht es gut. Ich muss sie nur noch stabilisieren."
Ich nickte verstehend, merkte dabei, wie meine Schultern nach unten sanken und ich den Kopf hängen ließ.
„Hey, jetzt mach mir kein schlechtes Gewissen, Großer. Du wirst auch ohne mich klarkommen."
„Ich weiß", murmelte ich. Aber ich will nicht. „Können wir, bevor du gehst, wenigstens noch Zeit zusammen verbringen?"
Sein Finger unter meinem Kinn drückte mein Gesicht so weit nach oben, dass ich ihn ansehen musste. Er lächelte. „Natürlich. Ich werde dir so auf die Nerven gehen, dass du froh sein wirst, mich loszuwerden."
„Das will ich hoffen."
Er lachte. „Hast du heute Abend noch was vor?"
Ich nickte und zeigte ihm meine Sammlung. „Ich will damit zu Kasimir und ihn dazu bringen, meine Lücken zu füllen."
Austin ließ seinen Blick über das oberste Blatt wandern. Er stellte sich dazu näher zu mir und nahm mir den Stapel ab, um ihn einmal durchzublättern.
„Ich komme mit", beschloss er dann. „Wir machen das gemeinsam."
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