16

Kian

Es war einer dieser Tage, an denen ich mit Terminen vollgeplant war. Im Stundenrhythmus hetzte ich durch den Palast, um vom einen Treffen zum nächsten zu kommen.

Der Vormittag beschäftigte sich hauptsächlich mit einem Thema: Der Hochzeit. Ich war in aller Frühe aufgestanden, um den Schneider zu empfangen und meine aktuellen Maße nehmen zu lassen. Seit dem letzten Termin hatte sich an meiner Statur zwar nicht viel getan, aber mein Vater hatte sichergehen wollen.

Das Hauptmerkmal meines Hochzeitsoutfits würde die Korsettweste darstellen. Sie sollte mir zu einer aufrechten Haltung verhelfen, meine Taille ein wenig schmälern und optisch für einen breiteren Rücken sorgen. Ihre vielen Stickereien und Verzierungen standen im Kontrast zu dem schlichten weißen Hemd darunter und der ebenso weißen Hose. Sogar meine Schuhe sollten weiß sein.

Wäre die Wahl bei mir gelegen, hätte ich mich für denselben Grünton entschieden, den meine Seidenhandschuhe hatten. Er kam Silas' Augen am nächsten. Alle anderen Farben sahen im Vergleich dazu grau aus.

Maddys Kleid sollte ähnlich aufgebaut sein wie mein Anzug. Sehr viel weiß, mit goldenen Elementen. Sie hatte neben mir auf einem Podest gestanden, während der Schneider und sein Assistent unsere Maße genommen hatten und wir hatten einander immer wieder verstohlen gemustert.

Das Besprechen der Gästeliste war, sowie alles andere, was mit der Hochzeit zu tun hatte, so abgelaufen, dass meine Eltern uns ihre Entscheidungen mitteilten und erwarteten, dass wir sie absegneten.

Auf meine Frage, warum wir die ADGD einladen mussten, waren weder mein Vater noch meine Mutter eingegangen. Mir war klar, dass ich es nicht verhindern konnte, ganz egal wie ungern ich diese Fremden an meiner Eheschließung dabeihätte. Ich wollte nur verstehen wieso.

Dass Silas' Familie eingeladen war, konnte ich nachvollziehen. Boris war Charlies Gefährte und Charlie war mein Pate. Edith, Alica und Silas kommen zu lassen, sollte dafür sorgen, dass Boris sich wohlfühlte.

Maddy teilte später den Gedanken mit mir, dass die Gästeliste und vor allem ihre Verteilung, primär auf politischen Hintergründen beruhte. So wie die gesamte Hochzeit.

„Am liebsten würde ich geheim heiraten. Sodass es keiner mitbekommt. Dann muss man sich wenigstens keine Gedanken darum machen, was andere davon halten und kann sich auf das wichtige konzentrieren."

„Das hätte schon was", stimmte Maddy mir zu. „Vielleicht kannst du das ja irgendwann haben. Mit jemandem, den du auch wirklich heiraten willst." Ihre Lippen lächelten. Ihre Augen nicht.

„Bist du traurig, wenn du an die Zukunft denkst?"

„Nein, nicht traurig. Ich hätte sie mir nur anders vorgestellt."

Ich nickte verstehend. Mir ging es genauso. Ich hatte nie damit gerechnet, einmal eine Frau zu haben. Es mir einfach nicht vorstellen können. Der Gedanke, morgens neben ihr aufzuwachen und mich abends zu ihr ins Bett zu legen, fühlte sich an wie ein Fremdkörper in meinem Kopf. Er gehörte dort nicht hin. Aber wenn ich ihn rauszog, lief ich Gefahr zu verbluten.

„Besser?"

„Ich weiß nicht. Ich werde einmal Königin sein. Ich schätze, das ist nichts, worüber man sich beschweren sollte."

Sie begleitete mich zum Mittagessen. Das überraschte mich. Ich hatte den Eindruck gehabt, sie würde den Umgang mit mir vermeiden.

Dass ich doch nicht ganz so schlimm auszuhalten war, war erleichternd. Vor allem für sie. Maddy sollte immerhin meine Frau werden. Wir sollten unser Leben zusammen verbringen.

Obwohl das Zeitfenster für mein Mittagessen nicht groß war, hielt ich an und fasste nah Maddys Unterarm, um sie ebenfalls zu stoppen. Ich wartete, bis sie mich ansah.

„Du wirst nicht nur Königin sein. Du kannst alles sein, was du möchtest. Ich werde einen Weg finden, dir alles zu ermöglichen, was du dir wünschst."

Ihre Wangen wurden rot und diesmal teilten ihre Augen das Lächeln ihrer Lippen.

„Ich weiß, was du für ein Opfer für mich bringst. Und ich will, dass du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst. Wenn du irgendetwas brauchst oder willst, dann sag es einfach. Ich versuche dich so glücklich zu machen wie es nur irgendwie geht."

Sie schniefte und richtete das Gesicht nach unten, um sich eine Träne von der Wange zu streichen. „Es macht mich schon unglaublich glücklich, das zu hören. Ich danke dir."

Einen Moment später umarmten wir uns. Ich hatte eine Hand an ihrer Schulter und die andere auf ihrem Hinterkopf, während ihr Gesicht an meine Brust drückte.

Mein Blick setzte sich an der hintersten Wand des langen Flures fest. Ich atmete tief durch.

Zwar waren diese Versprechen keine Entschuldigung dafür, wie ich mich ihr gegenüber verhalten hatte, doch ich hatte das Gefühl, dadurch hätte sich vieles zwischen uns geklärt.

Vielleicht war das die Möglichkeit, unsere Ehe ohne große Reue über die Bühne zu bringen. Offene Kommunikation. Und vielleicht war das der perfekte Zeitpunkt, damit anzufangen.

„Es tut mir leid, wie ich mich seit meiner Rückkehr verhalten habe", seufzte ich. Sie dabei weiterhin im Arm zu halten, machte es mir sehr viel leichter, Worte zu finden und den Mut aufzubringen, sie auszusprechen.

„Geht es dir denn jetzt besser?"

Ich schloss die Augen und ließ den Kopf langsam herabsinken, sodass mein Kinn für einen Moment auf ihrem Scheitel ansetzte.

Maddy hatte mir nie einen Vorwurf für mein Benehmen gemacht, selbst jetzt nicht, als ich zugab zu wissen, was ich falsch gemacht hatte. Sie hatte gewusst, dass ich einen Grund dafür hatte, mich so aufzuführen, wie ich es getan hatte und sie hatte mir die Zeit gegeben, damit auf sie zuzukommen. Ich war ihr dankbar dafür.

„Nicht wirklich. Aber ich mich dran gewöhnt."

Sie drückte mich fester. „Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann zögere nicht, es mir zu sagen."

„Ich will es dir erklären", murmelte ich. „Ist das okay?"

„Natürlich." Sie löste sich von mir, um mir ihr leichtes Lächeln zu zeigen und deutete in Richtung Küche. „Aber wir sollten dir etwas zu essen holen, sonst kommst du bis heute Abend nicht mehr dazu."

Da ich dem nicht widersprechen konnte, schloss ich mich ihr an. Wir liefen in die Küche, ich ließ mir die belegten Brötchen überreichen, die ich heute Morgen bestellt hatte, und setzte mich mit Maddy an den kleinen Tisch im Aufenthaltsraum der Küchenbelegschaft.

Die meisten von ihnen waren mit meinen Eltern und ihren Wünschen für meine Hochzeit beschäftigt, daher hatte ich um ein einfaches Mittagessen gebeten. Wenn ich alleine aß, dann zog ich mich immer in ihrem Pausenraum zurück.

Die Tafel im Speisesaal war viel zu groß, um alleine dort zu sitzen. Es fühlte sich einsam an.

Hier war es kompakt und gemütlich und die Bediensteten hatten mir versprochen, dass ich immer herkommen durfte, wenn ich wollte. Manchmal nahm ich still an ihren Pausen teil und beobachtete sie und manchmal gaben sie mir den Raum für mich allein.

Sie schienen immer zu wissen, was ich gerade brauchte. Viele von ihnen kannten mich womöglich besser als mein Vater und hatten auch deutlich mehr Zeit mit mir verbracht als er.

Ich hatte mir zum Beispiel einmal beibringen lassen, wie man Pfannkuchen machte. Eloise, eine der Köchinnen, war beinahe an meiner Talentfreiheit verzweifelt. Nun, etwa fünf Jahre später, hatte ich vergessen, was sie mir gezeigt hatte. Aber ich wusste, wenn ich etwas wollte, so musste ich es ihr bloß sagen.

Maddy von Boris' Visionen zu erzählen war leichter als zu lernen, wie man Teig rührte ohne sich dabei selbst in einen Kuchen zu verwandeln. Ich tat es einfach. Ich sprach es aus. Ohne zu zögern, ohne mich zu fragen, ob es richtig so war, ohne damit zu rechnen, sofort unterbrochen und gescholten zu werden.

„Wieso erklärt ihr Silas das denn nicht? Er hat ein Recht, das zu erfahren!" Maddy war blass geworden. Sie hatte mehrere Minuten gebraucht, um zu verarbeiten, was ich gesagt hatte. Nun suchte sie, wie alle Mitwissenden, nach einer Lösung

„Dann lebt er doch nur noch in Furcht. Er kann ja auch nicht mehr tun als wir."

„Aber er würde verstehen, warum du dich so verhältst wie du es tust. Glaubst du nicht, zumindest das steht ihm zu?"

Ich seufzte und vergrub meine Hand in den Haaren. „Ich habe dir das nicht erzählt, damit du über meine Entscheidungen urteilst."

Maddy schnaubte auf.

„Was?", fragte ich verwirrt.

„Du klingst wie dein Vater."

Ich schluckte und merkte, wie sich meine Mimik verhärtete. So etwas zu hören sollte mich mit Stolz und Freude erfüllen. Nicht mit Scham.

„Er ist ein guter König."

„Aber ein schlechter Ehemann und ein grauenvoller Vater."

Meine Augen weiteten sich vor Schreck und ich sah mich panisch um. Wir waren nach wie vor alleine und keines der Fenster war offen. Niemand konnte gehört haben, was Maddy gesagt hatte. Dennoch schlug mein Herz schneller als nach einem Rennen mit Charlie von der Stadt in das Reich.

„Keine Sorge, ich habe nicht vor, Probleme zu machen. Egal, was ich von deinem Vater halte. Und ich bin dir dankbar dafür, dass du dich mir anvertraut hast. Ich stehe hinter dir. Aber das bedeutet nicht, dass ich dich vor meiner Meinung verschonen werde."

Ich hatte schon immer auf Maddys Ehrlichkeit bauen können. Früher hatte sie sich die Mühe gemacht, diese nett zu verpacken. Das hatte sich geändert. Womöglich eine Nebenwirkung des Prinzessinseins. Oder der Zeit, die sie mit Silas verbracht hatte. Mit Sicherheit aber auch die Grundlage einer guten Königin.

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