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Kian

Silas brauchte Zeit. Er bat mich, ihn alleine zu lassen und ich respektierte diesen Wunsch. Obwohl ich bei ihm bleiben wollte. Ich wusste, ich konnte ihm nicht dabei helfen, alles, was er erfahren hatte, zu verarbeiten. Ich konnte es ihm nicht abnehmen oder erleichtern. Doch ich hätte ihm gerne gezeigt, dass er dem nicht alleine gegenüberstand.

Ohne zu zögern machte mich auf die Suche nach Charlie und erklärte ihm, dass Silas unser Gespräch mitbekommen und mich zur Rede gestellt hatte. Charlie schaffte es wie immer, trotz aller Überraschung, einen klaren Kopf zu bewahren. Er machte mir klar, dass wir mit meinem Vater reden mussten und uns überlegen, wie es jetzt weitergehen sollte.

„Was das angeht... Ich habe nachgedacht und durch den Vertrag steht Boris zwar unter dem Schutz meines Vaters, aber Alica, Silas und Edith nicht. Angenommen, jemand macht jagt auf Druiden und Leute mit ihrem Blut-"

„Ich habe das bereits mit Benedict besprochen. Solange Boris zum Ball kommt, ist seine ganze Familie eingeladen und es wird für ihren Schutz gesorgt."

„Super", brummte ich. „Also hängt alles von einem kindischen Dickschädel ab."

Die Bedingung meines Vaters war eindeutig: Boris' Gehorsam für die Sicherheit seiner Familie. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es jemanden gab, der so stur war, das Leben der Leute, die er liebte, für seinen viel zu großen Stolz zu riskieren. Das durfte nicht sein. Ich musste ihm klarmachen, was seine derzeitige Einstellung nach sich ziehen würde.

Die Pause neigte sich dem Ende zu und ich konnte Boris nicht finden, selbst, als der Pausenhof sich langsam leerte. Mein Blick haftete sich an Silas. Er lief neben Tom zu den Parkplätzen. Tom legte einen Arm um seine Schultern und wuschelte ihm durch die Haare.

Etwas in mir krampfte bei diesem Anblick zusammen. Ich hatte zwar nie darüber nachgedacht, Silas die Wahrheit zu sagen, doch, wenn ich die Wahl gehabt hätte, dann wäre es definitiv nicht so abgelaufen.

„Er bringt ihn nachhause", teilte Charlie mir leise mit. „Es geht ihm wohl nicht gut."

„Es war heute echt viel für ihn. Ich hoffe, er kommt damit klar."

Ich sah Silas solange hinterher, bis Toms Auto nicht mehr zu erkennen war. Dass Maddy und Anna sich zu uns gestellt hatten, merkte ich erst, als Maddy mir eine Zeitschrift ins Gesicht knallte.

„Da steht drin, du hast eine geheime Freundin. Melody hat mir erzählt, dass sie gehört hat, dass du nicht mehr zur Schule gehst, weil du bald heiraten wirst."

„Das wüsste ich aber", murmelte ich benebelt und überflog den Artikel.

Ich hatte mich nie darum geschert, was über mich geschrieben wurde. Die Leute meines Vaters waren dafür zuständig, nach Aussagen über mich zu suchen und zu überprüfen, ob diese meinem Image entsprachen. Nur falls dem nicht der Fall war, wurde ich darauf hingewiesen und dazu angehalten, etwas dagegen zu unternehmen. Um aktiv für gute PR zu sorgen, fehlte die Zeit und meinerseits auch das Interesse.

„Das ist nicht das einzige Problem", meinte Anna. Sie riss mir das Prospekt aus der Hand und schlug es zu.

Trotz der unvorteilhaften Beleuchtung des Titelbildes erkannte ich Boris und Silas sofort. Sie saßen in einer großen Gruppe und Silas lag in den Armes eines jungen Mannes, von dessen Handrücken er mit einem kleinen Röhrchen eine weiße Substanz in die Nase zog.

Mein erster Gedanke galt Silas. Der Tatsache, dass es ihm mit einem veröffentlichten Bild, auf dem er mehr als offensichtlich Kokain nahm, sicher alles andere als gut ging. Dass alle darüber reden und urteilen würden, sicher noch für Wochen und dass ich nicht da sein konnte, um ihm zur Seite zu stehen. Vor allem, da das nur die Runde machte, weil er mit mir in Verbindung gebracht wurde.

Dann fragte ich mich, wer die Person war, auf deren Brust Silas lag und erst dann fiel mir auf, dass ich mit jemandem abgeblichtet worden war, der alles andere als gut dastand. Mein Vater würde toben.


Da niemand auf mein Eintreffen vorbereitet gewesen war, wurde meine Ankunft erst mit dem Moment verkündet, als ich den Thronsaal betrat. Ethan war mir, seit ich angekommen war, hinterhergerannt und hatte versucht, mir mit zu reden. Er plapperte irgendwas darüber, wie aufgebracht der König sei und dass er mir raten würde, ihn sich erst beruhigen zu lassen.

„Wo ist er?", fragte ich schlicht.

Ethan begriff, dass er mich nicht aufhalten konnte. Er führte Charlie und mich durch den Palast und direkt in den neuen Anbau, der in einigen Monaten eingeweiht werden sollte. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass mein Vater daraus eine Technikzentrale gemacht hatte, bis ich auf der Plattform mitten im Raum stand und mich erstaunt umsah. Ich konnte kaum glauben, noch in demselben Schloss zu stehen, in dem ich aufgewachsen war. Das hier sah aus, als stamme es aus einer anderen Welt.

„Wusstest du davon?", flüsterte ich Charlie fragend zu. Er schüttelte den Kopf.

Gemeint waren nicht nur ein paar alte Computer, sondern duzende hochmoderne Bildschirme, Bildmaterial, Kameraaufnahmen, Überwachungsequipment und Personal.

Charlie stupste mich an und deutete mit einem Nicken zu einer Ecke des weiten Raumes. Mein Vater stand mit dem Rücken zu uns und sah seinen Arbeitern zu. Sie öffneten einen Beitrag nach dem anderen, Texte, Artikel und Videos.

Während Charlie und ich uns annäherten, wurden duzende Bilder geöffnet. Bilder, auf denen Silas diesen unbekannten Jungen küsste. Auf denen sie feierten und lachten und kuschelten und am liebsten wollte ich schreien, als ich sie sah. Mir hätte klar sein müssen, dass es für Silas ein Leben vor mir gegeben hatte. Eine Liebe. Aber ich war nicht darauf vorbereitet gewesen, das so plötzlich ins Gesicht geschmettert zu bekommen.

„Benedict." Charlie stellte sich neben meinen Vater und legte ihm von hinten eine Hand auf die Schulter. Aus dem Augenwinkel musste er zwar sehen, dass ich auf seiner anderen Seite stand, doch keiner von uns bekam auch nur das geringste bisschen Aufmerksamkeit.

„Lass uns darüber reden", versuchte Charlie es wieder und drückte seine Schulter.

Statt ihm zu antworten, drehte er sich zu mir. Charlies Hand rutschte herab. Er sah hilflos aus, genauso wie ich mich fühlte.

„Ich will nicht hören, was du zu diesem Problem zu sagen hast." Seine Stimme klang emotionslos und ebenso waren seine Blicke. Mir wurde schlagartig eiskalt. Ich begann zu zittern. „Das einzige, worüber wir reden werden, ist die Lösung."

Er gab mir nicht die Chance, etwas dazu zu sagen. Die Situation überhaupt richtig zu erfassen, damit ich mir überlegen konnte, wo meine Möglichkeiten lagen zu agieren.

„Bevor du zu Jayna gehst, verkünden wir deine Verlobung."

Ich schluckte, begann mit dem Kopf zu schütteln, doch wusste nicht, was ich sagen sollte. Nur durch Charlies Nachfrage, erfuhr ich, wer meine Zukünftige sein dürfte.

„Maddy. Deine Mutter mag sie und mir ist es gleich, solange sie sich gut macht."

Mein vehementes Kopfschütteln stellte sich nicht ein. Ich spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete, sah, wie meine Sicht verschwamm und hörte wie schnell mein Herz schlug.

„Und was ist mit mir?"

Es war nur ein Hauchen. Ja, es klang richtig erbärmlich. Ein Wunder, dass mein Vater sich die Mühe machte, überhaupt darauf zu antworten.

„Hinter verschlossenen Türen bist du ein freier Mann. Aber in der Öffentlichkeit, bist du glücklich mit Maddy und freust dich, sie nach deiner Rückkehr zur Frau nehmen zu dürfen."

Das klang so gnädig aus seinem Mund. So einfach.

„Du weißt doch gar nicht, ob Maddy das überhaupt will."

„Sie wird wollen."

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