4 - Wiedersehen der schlechten Art

„Was ist das für ein Drache auf deren Segeln...?", spricht Amelie die Frage aus, die auch Anni sich im Stillen gedacht hatte.
Nur war Annis Verwunderung über den unbekannten Drachen als Wappen eher von kurzer Dauer, kaum sah sie sich das Schiff genauer an und entdeckte auf dem Deck mehrere Käfige. Käfige, in denen sich Drachen befinden. Und das sehr wahrscheinlich gegen ihren Willen.
„Sieht so aus, als würde es sich bei denen um Drachenjäger handeln", dabei schwingt in Annis Stimme eine gewisse Anspannung mit. Gepaart von Fassungslosigkeit und Abscheu, dass es unabhängig von den Berserkern auch noch andere Wikinger gibt, die so mit Drachen umgehen.

Doch das bekommt Violene nicht mehr mit. Ihr Blick ist noch immer auf das Wappen gerichtet, während ihre Gedanken wieder und wieder Amelies Frage wiederholen: „Das Wappen zeigt einen Tiefseespalter..."
Obwohl sie ihre Antwort nicht sonderlich laut sagte, so bekommen Anni und Amelie diese doch mit und sehen erstaunt zu ihr rüber. Sich die nächste Frage stellen, woher Violene wiederum diese Art von Drachen kennt.
„Anni, du hast recht. Die Drachen auf dem Schiff sind in Gefahr, ich kümmere mich darum. Es dauert nicht lange!", bei diesen Worten zieht sie ihr Halstuch wieder hoch, bis über die Nase, um sich ausreichend zu vermummen. Den Blick von dem ihr nur zu gut bekannten Segel nicht abwenden.
„Vio Nein!", bestimmt sieht Anni zu ihr, was selbst Zickzack ein erstauntes Grummeln entlockt, „Wenn, dann retten wir diese Drachen da gemeinsam. Aber keine gefährlichen Alleingänge!"

Schweigend hält Violene inne, noch einmal das Segel mustern, dann das Schiff, bevor sie zu Anni sieht. Im Hintergrund wiederum beobachtet Amelie still die beiden, nicht verstehend, warum die beiden in dieser Sache so unterschiedlicher Meinung sind. Warum kennt Violene den Drachen, welches als Wappen das Segel ziert? Und warum will sie sich alleine darum kümmern...?
Viele Gedanken schießen Violene im selben Moment durch den Kopf, nicht wenige davon würde sie gerne als Antwort erwidern, so spontan. Doch etwas in ihr ruft sie zur Besinnung, hält sie zurück, was das angeht. Wenn ihr wüsstet, dass ich diese Wikinger persönlich kenne. Das ich gefühlt mein ganzes Leben bei ihnen verbracht habe. Das mein Onkel ihr Oberhaupt ist und ich in ihrem Namen Berk das erste Mal angriff. Das ich für diese Wikinger... schon andere... Das diese Sache eine... persönliche Sache ist.
„Du hast recht, Anni, entschuldige", erwidert Violene dann ruhiger, unter dem Halstuch ein Lächeln versuchend, „Wir sollten aufpassen, dass sie uns nicht auch noch erwischen. Sonst wird es noch schwieriger die Drachen zu befreien."
„Hm... wie wäre es, wenn Schocker und du die Wikinger übernehmt? Wenn ich mich richtig erinnere, kann Schocker ja andere paralysieren. Zickzack und ich könnten die ja zuerst mit einem direkten Angriff überraschen, dann sehen sie euch nicht kommen!"
„Skayla und ich würden dann versuchen, die Käfige zu öffnen, und die Drachen befreien", meint nun auch Amelie, mit entschlossener Stimme und Blick.
„Der Plan klingt gar nicht so schlecht", gesteht nun auch Violene mit einem unmerklichen Schmunzeln.

Im Sturzflug peilen Anni und Zickzack das feindliche Schiff an. Direkt vorneweg zum Bug, raus aus den Wolken. Gischt beginnt unter ihnen aufzuspritzen, als die Besatzung mit lauten Zurufen realisiert, dass sich ihnen gerade ein Drache nähert. Einer von ihnen rennt zum Bug und starrt verbissen in die Richtung der beiden, die sich immer mehr dem Schiff nähern, um zu erkennen, was genau sich ihnen da nähert.
Andere rennen über das Deck durcheinander, einer von ihnen verschwindet schnell zwischen zwei Fässern, andere suchen nach passenden Waffen, die sie gegen den drohenden Angreifer einsetzen könnten. Wiederum andere Besatzungsmitglieder beginnen eine schwere, lange Kette in die Hand zu nehmen.
„Nur noch einen kurzen Moment, gleich ist es so weit Zickzack...", angespannt hat sich Anni tief in den Sattel gebeugt, damit der Flugwind so wenig wie möglich an ihr zerrt. Die Nerven zum Zerreißen gespannt beobachtet sie, wie die Männer nach Waffen und anderen Sachen suchen. Es dauert nicht mehr lange, nur noch wenige Meter.... „Jetzt!"
Im selben Moment schießt Zickzack einen ab und macht eine Kehrtwende, so schnell wie möglich zurück in die Luft, zurück Richtung Himmel! Getroffenes Holz splittert, Wasser spritzt auf und lenkt die Männer für einen Moment ab.

Einen Moment zu lang.
Wie geplant klettert Schocker nur wenige Sekunden nach dem Schuss von der anderen Seite auf das Schiff und beginnt die Besatzung nacheinander mit seinem Nebel zu paralysieren. Seine Reiterin wiederum kämpft sich währenddessen zum Bug durch, mithilfe eines Schwertes, das sie so lange von einem paralysierten Wikinger ausgeliehen hat. Im Grunde genommen braucht er es aktuell ja sowieso nicht.
„Na sieh mal einer an!", höhnisch grinsend verschränkt der Anführer seine Arme vor der Brust und dreht sich langsam zu ihr um, „Die kleine Verräterratte lässt sich auch mal wieder blicken. Wie du siehst, schaffen wir es auch, ohne dich Drachen zu fangen."
Kaum sieht Violene sein direktes Gesicht, spannt sie sich mehr an. Sie kennt diesen Wikinger, der die Besatzung hier anführt. Dabei handelt es sich um Kol, einer der treuesten Männer ihres Onkels.
„Das werde ich zu verhindern wissen", angespannt richtet Violene das Schwert auf ihn, versuchend das unmerkliche Zittern zu unterdrücken, „Ich lasse nicht zu, dass ihr den Drachen schadet...!"
„Ist dem so?", wo eben noch ein spöttisches Grinsen das Gesicht des Anführers zierte, ist nun reine Abscheu zu sehen, „Dein Onkel wird sich sehr dafür interessieren, dass du noch immer unter den Lebenden bist. Und was du gerade so machst. Argh!"
Kaum hat Kol die letzten Worte ausgesprochen, zieht er sein Schwert und lässt es auf Violene niederrasen. Er weiß, dass ihr Stammesoberhaupt Grodan der Despot, schon über jeden gefangenen Drachen mehr als zufrieden ist. Aber wenn er ihm auch noch seine totgeglaubte Nichte mitbringen würde, so würde er dafür gewiss eine große Belohnung erhalten!

Gerade noch so schafft Violene es Kols Schwerthieb zu blocken.
Noch nie hatte sie sich mit einem Schwert verteidigen müssen, etwas, was sich jetzt wiederum rächt. Und doch weiß sie, wenn sie es nicht schafft seine Angriffe abzuwehren, so sind ihre Chancen gleich null. Dann wird er sie nicht nur schlagen können, sondern sicherlich auch wieder zu ihrem Onkel bringen. Etwas, was sie unbedingt verhindern muss. Koste es, was es wolle!
Mit aller Kraft, die sie aufbringen kann, stemmt sie die Schwertklinge gegen seine. Das Geschehen um sich herum ausblendend. Etwas, was Kol mit einem siegessicheren Grinsen quittiert, als er den Druck noch einmal verstärkt, nur um dann plötzlich erneut auszuholen. Durch das fehlende Gegengewicht kommt Violene kurzerhand ins Straucheln, versucht sich schnell wieder zu fangen, um seinen nächsten Schlag abwehren zu können.
Doch da kommt nichts mehr. Ruhe kehrt auf dem Schiff ein, als plötzlich eine hellblaue Schnauze sich unter ihren Arm schiebt und sie vorsichtig anstupst. Erst jetzt bemerkt sie den Drachenkörper, der ihr grummelnd Halt gibt.

„Schocker! Oh Thor sei Dank...", erleichtert lässt Violene das Schwert fallen und streicht dem Drachen über die Schnauze, den Blick langsam hebend.
Kol, der eben noch zu einem weiteren Schlag ausholte, ist paralysiert. Aber nicht nur er, sondern auch die anderen Wikinger auf diesem Schiff sind allesamt bewegungsunfähig. Er war wirklich schnell bei der Sache, dass... das ist gut. Das ist sehr gut...
„Vio, seid ihr so weit, dass wir wieder abhauen können?", erwartungsvoll und besorgt sieht Anni vom anderen Ende des Schiffes zu dem Duo rüber, als Amelie und Skayla gerade den letzten Käfig öffnen. Dabei lassen die befreiten Drachen nicht lange auf sich warten und ergreifen sofort die Flucht Richtung Himmel, Hauptsache so weit weg wie möglich von diesem Schiff.
„Ja! Ja... wir kommen", antwortet Violene ihr erst mit lauter Stimme, worauf sie die letzten Worte mehr murmelt. Noch immer diese Begegnung mit Kol nicht ganz verdaut habend. Schweigend setzt sie sich in Schockers Sattel, kaum fliegt Schocker los und schließt am Himmel zu den anderen beiden Drachen auf.

Er weiß, dass ich noch lebe. Er weiß, dass Schocker noch lebt und ich mit Anni und Amelie unterwegs bin. Was ist, wenn sie meinetwegen jetzt in Gefahr sind? Wenn er all das meinem Onkel verrät? Wobei... ist Grodan überhaupt mein Onkel? Auf dem Anhänger war kein Tiefseespalter abgebildet, sondern ein Leuchtender Fluch... Und nicht einmal Rikke konnte mir damals etwas über meine Eltern erzählen. Irgendetwas stimmt an der ganzen Geschichte doch nicht...
Mit einer unscheinbaren Bewegung kontrolliert sie noch einmal, dass sich alle Sachen unter der Rüstung da befinden, wo sie sein sollen.

„... doch super funktioniert, oder? Vio?", abwartend sieht die rothaarige Reiterin zu Violene, welche seit dem Verlassen des Schiffs durchgehend auf Schockers Schuppen starrt. Wieder kommt bei Anni dieses dumpfe Gefühl auf, das da irgendwie noch mehr ist, was Violene zu beschäftigen scheint. Und nicht nur Anni hat dieses Gefühl, auch Amelie kann das nicht ganz ablegen.
Grummelnd schüttelt Schocker sich etwas, um seine Reiterin so aus ihren Gedanken zu reißen. „Woah, ähm, ... was? Entschuldige Anni, ich war grade etwas... abwesend", unter dem Tuch entschuldigend lächeln sieht sie zu Anni und Amelie rüber.
„Ich meinte, das war doch echt gute Teamarbeit, wie wir die Drachen da befreit haben", wiederholt Anni nochmal, nicht aber ohne eine gewisse Besorgnis in der Stimme, „Ist wirklich alles in Ordnung, Vio?"
„Ja, ja, es... es ist nur, die Begegnung heute hatte mich an etwas erinnert. Aber nicht so wichtig", entschieden schüttelt die Angesprochene den Kopf.
„Du kannst jederzeit mit uns reden, Vio, ja?", meint nun auch Amelie, wobei Skayla zustimmend gurrt.
„Danke euch, Leute", leiser, aber ehrlich nickt Violene etwas. „Aber wenn mich nicht alles täuscht, sollten wir die bekannten Gewässer endlich hinter uns gelassen haben, das heißt, wir könnten schon bald auf neue Inseln stoßen!"
„Das klingt super, auf ins Abenteuer!", ruft Anni enthusiastisch, wobei Zickzack sich mit einem Grinsen anschließt.
„Wie wäre es noch einmal mit einem Wettfliegen? Vielleicht können wir ja so ein paar Manöver ausprobieren und lernen!", schließt Amelie sich begeistert an.

Natürlich haben die Drachen es sich nicht nehmen lassen mit Ehrgeiz und ihren Reitern auf den Rücken an den verschiedenen Herausforderungen teilzunehmen. Wobei der ein oder andere Wettflug, wenn es um die Schnelligkeit geht, doch immer wieder knapp ausfiel. Bei den Manövern hatten Zickzack und Anni wiederum noch immer die meiste Übung drin, wobei Anni bei jeder weiteren Übung zufrieden erkennen konnte, dass auch die beiden gute Fortschritte darin machen.
Nur der Vertrauensfall, also sich mitten im Flug von seinem Drachen fallen lassen und darauf vertrauen, dass dieser einen auffängt, da waren alle drei Drachen sich gleichermaßen einig. Niemals würden sie es darauf ankommen lassen, dass ihr Reiter dabei zu Schaden kommt oder verloren geht.
„Das macht ziemlich Spaß, das gestehe ich", kommentiert Violene zufrieden, während sie ihre Arme einmal streckt, „So was könnte man echt als Übungsprogramm machen. Ich glaub, es würde uns nur zugutekommen. Oder?"
Zustimmend nickt Anni: „Ja, auf Berk haben die anderen Reiter und ich uns dafür immer in der Arena getroffen. Dort haben wir dann verschiedene Manöver oder eben auch diesen Vertrauensfall geübt."
„Es gibt also noch mehr Wikinger, die auf Drachen reiten?", erstaunt horcht Amelie bei diesen Worten auf, „Ich dachte immer, mein Stamm wäre der einzige!"
„Jaaaaa", antwortet Anni gedehnt, mit verlegener Stimme, „Auf Berk sind es noch fünf weitere. Aber zwei davon sind Verwandte von mir. Das ist dort aber auch nur möglich, weil Hicks, der Leiter unserer Gruppe vor wenigen Jahren einen Drachen zähmte, anstatt gegen sie zu kämpfen. Und so nahm die Geschichte dann ihren Lauf."
„Klingt sehr spannend, die anderen Reiter würde ich gerne mal kennenlernen!", meint Amelie daraufhin vorfreudig, lächelnd.

Als Violene zu einem Kommentar ansetzen will, lässt eine Bewegung aus dem Augenwinkel sie innehalten. Mehr den Griff von Schockers Sattel umklammernd sieht sie dorthin, versucht, in der dichten Wolkendecke etwas zu erkennen.
„Vio?", leiser sagt Anni ihren Namen, das angespannte Verhalten bemerkend und daraufhin selbst sich mehr umsehend.
„Ich dachte, ich hätte neben uns etwas gesehen...", murmelt die Angesprochene, den Blick nicht ganz von besagtem Punkt abwenden können.

Erstaunt beobachtet Amelie währenddessen, wie jemand in einer silbernen Rüstung vor Skayla auftaucht und der Klingenpeitschlingdame langsam die Hand entgegenstreckt.
Wodurch nicht nur Skayla, sondern auch Schocker und Zickzack innehalten. Während um sie herum weitere Menschen in silberner Rüstung und mit silbernen Helmen aus den Wolken auftauchen. Bis auf die Frau, die sich vor Skayla befindet.

„Wer seid ihr?"

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