22 - Verbannung von Berk

„Vio, was machst du hier?!", überrascht findet Amelie als Erstes ihre Sprache wieder. Es ist nicht so, als würde sie sich nicht freuen über Violenes Anwesenheit. Aber rückblickend an ihr Gespräch heute Morgen, wird sie so ein mulmiges Gefühl nicht ganz los. Außerdem steht ihr drittes Triomitglied nicht mit Schocker vor Ihnen, sondern mit dem Trampler Leevi.
Was also ist passiert?

Auch Anni scheint ähnliche Gedanken gehabt zu haben wie Amelie, denn sie mustert Violene ebenso besorgt wie sie selbst. Violene wiederum scheint ihre Schultern sacken zu lassen, Anspannung fallen lassend, als sie von Leevis Rücken runterklettert und einen halben Schritt auf sie zumacht. Kaum ist Violene diesen gegangen, ist Leevi auch schon verschwunden, was die anderen Reiter noch verwirrter drein gucken lässt.
„Ist eine lange Geschichte. Kurzgefasst könnte es sein, dass in den nächsten Minuten ein Leuchtender Fluch hier auftaucht. Wir wurden bei unserem Ausflug von... gegnerischen Drachen überrascht-", kaum hat Violene diese Worte ausgesprochen und dabei nicht nur die beiden Triomitglieder, sondern auch die anderen Reiter gemustert, ist ein Knall zu hören.

Staub wirbelt an der entsprechenden Stelle auf, passend zu dem dumpfen Aufprall, welcher die kurze Stille zerreißt. Besorgt beobachtet Amelie wie Violene sich im nächsten Moment panisch umdreht und direkt zur Ursache des Geräuschs rennt.
Erstaunt und verwirrt muss Amelie mit ansehen, wie Violene sich zu Schocker kniet, welcher wie aus dem Nichts dort auf einmal liegt. Der Drache selbst hat seine Schnauze durch den Aufprall schmerzverzerrt verzogen, als seine Reiterin ihn vorsichtig umarmt und seinen Namen murmelt. Kurz wechselt sie mit Anni wenige Blicke, wobei sie sich im Stummen einig sind.
Mit schnellen Schritten kommen die beiden bei Reiterin und Drache an, den Drachen augenblicklich musternd. „Diese Verletzungen...", beginnt Amelie, wobei Anni schnell ihrem Blick folgt und ihren Satz beendet: „... können von keinem Menschen kommen, aber auch von keinem uns bekannten Drachen."

„Was machst DU hier?!", donnert eine kräftige Stimme auf einmal über den Marktplatz.
Und es dauert nur wenige Augenblicke, als sich auch schon der dazugehörige stämmige und furchteinflößende Wikinger in ihre Sicht schiebt. Nicht gerade glücklich darüber Violene auf dem Marktplatz zu entdecken. Welche sich aus Reflex selbst wieder mehr anspannt.
„Du...", tief brummt die Stimme des Häuptlings, noch während er mit festen Schritten auf sie zu kommt. Es braucht keine Frage, noch eine Antwort, damit die anderen das Problem verstehen.
Bevor Haudrauf die kniende Violene erreichen kann, welche noch immer in zu großer Sorge um ihren Freund ist, stellen sich Zickzack, Annis Skrill und Skayla, Amelies Klingenpeitschling zwischen beide Parteien. Und doch lässt Haudrauf sich davon nicht beeindrucken, mit drohender Stimme: „Aus dem Weg Drachen! Das ist eine Sache zwischen ihr und mir!"
Bestimmt hebt Hicks urplötzlich seine Hand und meldet sich mit fester Stimme: „Vater, das reicht! Du siehst doch selbst, dass auch die Drachen das nicht wollen."

Grimmig sieht der große Häuptling zu seinem Sohn, nicht gerade glücklich über dessen Reaktion.
Ehe Haudrauf zu einer Antwort ansetzt, sieht er noch einmal von seinem Sohn zu den Drachen und den anderen Reitern, bis sein Blick auf Violene ruhen bleibt. „Du bist hiermit endgültig von Berk verbannt. Wenn ich dich noch ein einziges mal auf dieser Insel sehe, garantiere ich für nichts mehr." „Er ist verletzt und ich werde nicht ohne meinen Freund gehen." Es ist der Versuch, ihrer zitternden Stimme einen Hauch Ernsthaftigkeit zu verleihen, trotz der enormen Anspannung, die sich durch ihren Körper frisst. Unwohl hält sie seinem Blick stand, nicht nachgeben wollend.
Die Sekunden ziehen sich wie zähflüssiges Alptraumgel, wobei Haudraufs Blick stumm auf der jungen Reiterin ruhen. „Seine Wunden dürfen notdürftig versorgt werden, aber dann verschwindet ihr beiden sofort!"

Es Violene gleichtuend hat Amelie die Situation schweigend beobachtet, wie Haudrauf sich daraufhin abwendet und nichts mehr dazu sagt. Jetzt hat Amelie erst das Gefühl, so richtig verstanden zu haben, warum Haudrauf auch Oberhaupt des Stammes ist.
Mit mulmigem Gefühl über seine Worte und Violenes plötzliche Verbannung von Berk bemerkt sie, wie diese sich ihrem Drachen wieder zuwendet. Unmerklich nickt sie Anni zu, worauf die beiden erneut Schockers Wunden begutachten. Sie hatte schon viele verschiedene Wunden in ihrem Leben als junge Heilerin gesehen, aber diese Art von Wunde ist ihr tatsächlich noch nie so untergekommen.
Ratlos sehen die wenigen anderen anwesenden Reiter dem Trio zu, bevor Hicks erneut das Wort übernimmt. „Braucht ihr noch etwas? Ich... muss mich für meinen Vater entschuldigen, er-"
Doch Violene unterbricht ihn kurzerhand. „Du musst dich nicht für deinen Vater entschuldigen. Er hat Recht, ich hätte nicht einfach hier auf Berk auftauchen dürfen."
„Aber warum?!", entfährt es Amelie nun doch, die entsetzt von der notdürftigen Behandlung aufsieht, „Warum ist Haudrauf so schlecht auf dich zu sprechen? Was ist denn das Problem?"
„Erzähle ich euch ein andern mal", mit diesen Worten ist das Thema für Violene beendet. Was sie auch damit unterstreicht, das sie sich ihrem Kumpel wieder zuwendet.

Schweigend machen Anni und Amelie sich weiter an die Arbeit, die Wunden versuchend so gut wie möglich zu behandeln. Mit Salbe, Gel und notdürftigen Verbänden, die am Ende doch mehr einer Art Abdeckung dienen, damit nicht noch mehr Dreck in die Wunden geraten kann und diese so wenigstens etwas heilen können.
Nach mehreren Minuten stiller, intensiver Arbeit hören die beiden auf. Die anderen Reiter, die währenddessen noch anwesend waren, haben sich längst zurückgezogen, um den dreien etwas Ruhe und Raum zu geben. „Willst du so wirklich mit Schocker weg? Er bräuchte viel mehr Ruhe, am besten ihr beide." Diesmal ist es Anni, die das Wort ergriffen hat, wenn auch sanft.
„Ihr habt Haudrauf gehört, ich kann hier nicht bleiben. Wir ziehen uns auf eine nahe Insel zurück, wo Schocker sich erholen kann. Und dann gucken wir mal. Ihr kennt mich. Und wartet nicht auf mich, wenn ihr euch die nächsten Tage auf den Rückweg macht. Wir werden schon nachkommen."
Skeptisch betrachten Anni und Amelie ihre Freundin, das dritte Mitglied des Trios. Auch wenn noch nicht mal zwei volle Jahre vergangen sind, seitdem sie gemeinsam unterwegs sind, kennen sie den Sturkopf von Reiterin und Drache nur zu gut.
„Versprich uns, dass ihr gut auf euch aufpasst", erwidert Amelie dann und umarmt sie noch einmal.
„Und meldet euch, auch wenn ihr nicht sofort zurückkommt!", fügt Anni mit einem leichten Grinsen noch hinzu.

„Ihr kennt mich", schmunzelnd erwidert Violene die Umarmung und sieht noch einmal zu den beiden, worauf sie sich dann mit einem leisen Murmeln Schocker zuwendet.
„Genau deswegen!", entfährt es den beiden nur lachend. Aber auch Zickzack und Skayla nutzen den gemeinsamen Moment und verabschieden sich mit einem leisen Grollen voneinander.
Mit einem Lächeln schwingt Violene sich vorsichtig in den Sattel, worauf Schocker mit kraftvollen Flügelschlägen in den Nachthimmel verschwindet. Zusammen mit seiner Reiterin.
Nachdenklich sehen Anni und Amelie, zusammen mit ihren Drachen, den beiden nach. Bis sie das sturköpfige Duo im Nachthimmel verlieren, sich abwenden und zu den anderen Drachenreitern dazustoßen.
Ich verstehe das Ganze nicht..., schießt es Amelie dabei durch den Kopf, Was verschweigst du uns, Vio...? Was ist zwischen dir und Haudrauf passiert, das er dich von hier verbannt? Ist es wirklich nur wegen dem, was du damals für Dagur und deinen Onkel hier machen solltest?

Gequält lächelnd hebt Hicks etwas die Hand zur Begrüßung: „Tut mir echt leid wegen vorhin. Ich weiß auch nicht, was in meinen Vater gefahren ist, das er so heftig reagierte... Hatte Violene euch noch etwas erzählt?"
„Nein", entschuldigend schüttelt Anni den Kopf, „Kein Wort darüber, was bei ihr und Schocker vorgefallen sei. Aber vielleicht erzählt sie uns mehr, wenn wir uns auf der Drachenbasis wiedersehen."
„Habt ihr auch diesen fremden Drachen am Anfang gesehen?", hibbelig mischt Fischbein sich in das Gespräch mit ein, bis eben gerade noch knapp seine Vorfreude über eine neue unentdeckte Drachenart zurückhalten können, „Hoffentlich kann sie uns zu diesem Drachen dann auch mehr erzählen. Vielleicht sehen wir ihn da ja auch wieder! Oh man, ich kann es kaum erwarten!"
Kopfschüttelnd oder ein stückweit auch die Begeisterung von Fischbein teilen können, mischen die anderen Reiter sich daraufhin mit ein und starten eine etwas größere Diskussion.

Ihre Chance nutzend, zieht Amelie Anni ein paar Schritte mit sich abseits, weg von den anderen. Fragend sieht die Skrill-Reiterin zu der jungen Heilerin, während Besorgnis in ihren Augen aufblitzt.
„Du, Anni", beginnt Amelie dann flüsternd, „War Haudrauf wirklich nur wegen dem so wütend, was Violene uns damals auf der Tiefseespalter-Insel erzählte? Oder gibt es da doch noch andere Dinge, die wir nicht wissen? Es... es wirkte so übertrieben, wenn es nur deswegen wäre."
„Ich habe es damals nur am Rande mitbekommen, wie wenig ihr damaliges Verschwinden ihm gefallen hatte. Aber... es gab da mal etwas in der Großen Halle. Da hatten Haudrauf und die anderen Entscheider von Berk über Violenes Schicksal diskutiert. Sie hatten es uns nie wirklich erklärt, aber einer unser Stammesältesten bezeichnete sie als 'der Fluch selbst'. Aber ob es damit zusammenhängt, weiß ich nicht..."

Kurz sieht Astrid zu den beiden rüber, bevor sie die paar Schritte auf sie zugeht: „Hey, die Drachendiskussion der Jungs wäre endlich fertig. Und wir wollten noch einen Rundflug machen, solange Orendels Feuer am Himmel scheint. Seid ihr dabei?"
„Natürlich", versucht Anni ein Grinsen, wobei sie Amelie aufmunternd zunickt.

Ein bisschen Abwechslung würde ihnen allen gerade guttun.
Und was auch immer zwischen Violene und Haudrauf vorgefallen war, sodass er sie eben direkt verbannte, erfahren sie hoffentlich noch früh genug von ihrer Freundin.

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