Prolog - Wenn die Hoffnung versiegt
»Konora... du musst den Auser-«, der sandfarben gefleckte Kater hustete keuchend und spuckte etwas Blut aus, »Auserwählten... Sohn finden...« Der Anführer atmete noch ein paar Mal rasselnd ein und aus, bis ein letzter Schwall Blut aus seinem Rachen floss, sein Körper noch einmal zuckte und er schliesslich regungslos liegen blieb. Der Wolf, welcher den Toten zwischen seinen Pfoten hielt, stimmte ein trauriges Geheul an. Die anderen Mitglieder seiner Gruppe stimmten voller Trauer mit ein: »Hoch wandere der Anführer, jage er Seite an Seite mit den Katzen des SternenClans! Für immer ihm die Ehre gebühre, für ewig er in Erinnerungen weile, darauf, dass er in unseren Träumen wandle und uns die versprochene Zukunft weise.«
»Hallo... Hallo, Tulyp... Ich wollte nur sagen, dass- Es tut mir so leid!«, weinte eine kleine, grau gestreifte Kätzin. Ihr Fell schimmerte im Mondlicht, als wäre es flüssiges Silber und ihre leuchtenden, giftgrünen Augen stachen in den Schatten wie die Augen der Monster in nächtlicher Dunkelheit hervor. Ihr von Narben übersähter Körper drückte sich zitternd, verzweifelt schluchzend auf den eiskalten Steinboden und ihre Schnauze war tief im Fell ihres Gefährten vergraben.
»Ich wollte dich beschützen... Aber den Letzten hat niemand kommen sehen, und es war schon zu spät, mein Liebling. Es tut mir so leid! Ich habe alles getan, doch es war nicht genug... Jetzt bist du tot, und alles ist meine Schuld. Hätte ich ihn damals getötet, wärst du noch am Leben«, hauchte die Kätzin gegen den kalten Pelz des Toten. Der nächtliche Himmel erstrahlte klar über ihnen, die Sterne und der Mond leuchteten mehr denn je. Keine einzige Wolke war zu sehen, und der warme Wind prophezeite einen guten, nahrhaften Sommer voller saftigem Gras und fetter Beute. Die Wassertropfen auf dem Stein neben der Quelle glitzerten selbst in der nächtlichen Stille und der kleine Wasserstrom, welcher die Tropfen versprizte, plätscherte beruhigend vor sich hin. Nachtigallen sangen den Mond an, in der Ferne hallten die Rufe einer Eule wider.
Dieses wunderschöne Bild der ruhigen, sanften Natur wurde nur durch das einsame Schluchzen der Kätzin durchbrochen, und durch das leise Schnurren ihrer Schwester. Ihr dunkler Pelz glänzte im Licht der Sterne wie die Oberfläche des Wassers in der Sonne, ihre immerzu ausgefahrenen Krallen blitzten schneeweiss auf.
»Es wird alles gut werden«, hauchte die dunklere der beiden Kätzinnen sanft und leckte der anderen beruhigend über's Ohr, »Du wirst schon sehen.«
Die schluchzende schüttelte den Kopf kaum merklich und krallte sich in das Fell ihres toten Gefährten. Es war schon tränennass und verwuschelt, doch das störte die Trauernde nicht.
»Nichts wird gut, solange er nicht hier ist«, miaute die Hellgraue, nachdem sie ihren Kopf hob und tief in die Augen ihrer Schwester blickte.
Spät in dieser Nacht, Mondoch war schon längst vorbei, brachte ein schwarzer Wolf mit roter Unterseite den toten Kater in den Wald. Er hatte ihn auf seinen Rücken genommen und ihm folgten die zwei grauen Schwestern, eine braun gestreifte Wölfin, ein junger, schwarz-grauer Wolf und eine schwarze Wölfin mit weissem Gesicht. Sie alle trugen in ihrem Maul eine sorgsam getrocknete Blüte, alle in der Farbe des Himmels. Doch so gleich die Blüten auch waren, so hatten sie verschiedene Formen und Grössen, wie die Welt Wunder birgt. Sie hatten eine gleiche Farbe, wie die Mitglieder der Gruppe gleiche Herzen hatten, aber waren gleichzeitig so anders, wie jeder einzigartig war.
Bald schon kam die kleine Gruppe an einem schmalen Bach an. Es gab wenige Stellen von frischer Erde, auf jeder stand ein Ast mit einer braunen und einer schwarzen Feder. Im Boden steckten auch andere Zweige mit dem gleichen Schmuck, alle waren fein säuberlich mit zwei Wolfslängen Abstand in einer geraden Reihe aufgestellt worden. Dies waren die Gräber der Gruppe, und es war wieder an der Zeit, ein neues Grab zu schaufeln und es mit dem Schmuck eines anderen zu kennzeichnen.
Der schwarze Wolf, welcher den toten Kater getragen hatte, liess ihn sanft von seinem Rücken gleiten. Die zwei Wölfinnen hatten schon angefangen ein Loch zu graben, der kleinere Rüde begann ihnen zu helfen. Geduldig standen die anderen drei daneben und warteten, bis sie fertig waren.
Sobald das Grab genug tief war, schob der Schwarze den Toten sorgfältig hinein und machte seine Position zurecht. Der leblose Körper lag zusammengerollt da, als würde er schlafen.
Trauernd legten alle ihre Blüten auf das sandfarbene Fell des Katers. War jede der einzelnen Blüten aus den Schnauzen der Umstehenden verschwunden, begannen sie alle, das Grab mit Erde zu schliessen.
Zuletzt drückte die dunkle Kätzin noch etwas Erde fest und positionierte einen der geschmückten Äste, welche sie von einem der älteren, schon längst verwachsenen Gräber holte.
Ihre Schwester blieb als Letzte zurück, nur der schwarze Wolf wartete auf sie.
»Du musst ihn gehen lassen«, flüsterte er und lächelte betrübt, »Er würde nicht wollen, dass du so schnell aufgibst, stimmt's?«
»Aber wie kann ich weiterhin leben, wenn meine Welt gestorben ist?«, stellte sie leise weinend eine Gegenfrage und blinzelte ihren viel grösseren Freund verzweifelt an.
»Indem du deine Welt endlich fallen lässt und dir eine neu aufbaust«, hauchte dieser nur und stand auf.
»Gefallene der Vergangenheit, sammelt euch zu einem Treffen aller, denn der SternenClan wünscht es so!«, rief der schwarze Wolf mit erhobenem Kopf und sprang sogleich auf den Felsen inmitten der Höhle, sodass das Licht der Sonne seinen Pelz weisslich schimmern liess. Die Katzen und Wölfe trudelten langsam ein.
Die dunklere der beiden Schwester hatte der anderen ihren Schweif auf die Schulter gelegt und zog sie aus ihrem Bau. Diese murrte nur irgendetwas unverständliches, lief ihr aber hastig nach und setzte sich in die Nähe des Felsens. Dort starrte sie betrübt ein Loch in das Gestein vor ihrer Nase und seufzte. Wäre es doch nur einfacher, wärst du doch noch bei mir..., spann sie ihre Gedanken und bemerkte gar nicht, wie die anderen erwartungsvoll auf das Wort ihres neuen Führers warteten.
»Wie ihr alle wisst sind wir heute hier, weil ich heute, einen Mond nach meiner Ernennung, nun endlich einen neuen Helfer wählen darf. Mein Sohn ist zu jung, also habe ich jemand anderen gewählt«, der schwarze Wolf machte eine lange Pause, in welcher nichts als das Atmen zu hören war und man die Anspannung nur zu gut fühlen konnte. Sie spannte sich förmlich zwischen den Wölfen und Katzen, als wäre sie ein unsichtbares Spinnengewebe.
Samul starrte seinen früheren Mentor, welcher jetzt oben auf dem Felsen stand, mit leuchtenden Augen an. Seine Schwester Andelu funkelte ihn mit wütenden Augen an, die anderen warteten regungslos und ohne ihre Miene zu zeigen.
»Andelu wird die neue Helferin sein!«, jaulte er und die anderen Mitglieder der Gruppe verbeugten sich vor der frisch ernannten Helferin. Nur ihr Bruder blickte sie mit wütend und gleichzeitig enttäuscht funkelnden Augen und zusammengebissenen Zähnen an, als er von unten zu ihr aufschaute. Sie jedoch grinste ihn nur voller Schadenfreude an: Hab ich's doch gewusst!
Die hellgraue Kätzin hingegen war so in Gedanken versunken, dass sie die Ernennung erst mitbekam, als ihre Schwester sie hastig umdrehte und auf den Boden drückte. Sie schüttelte kurz den Kopf, um ihre Gedanken zu verscheuchen und verbeugte sich dann ehrfürchtig vor der nun Ranghöheren.
»Terris! Ich möchte dich noch sprechen«, erklärte der Führer und blickte die Kätzin an. Diese schnippte mit dem Schweif als eindeutiges ›ja‹ und der schwarze Wolf nickte als Zeichen, dass die Versammlung beendet war.
»Konora, was ist nun?«, murmelte Terris fragend, als er seinen schweren Schweif auf ihre Schultern legte und sie aus der Höhle hinaus begleitete.
»Schau, ich verstehe deine Sorgen und deine Trauer. Trotzdem ist Tulyp jetzt tot und wir können nichts machen. Du musst es akzeptieren, Terris, es ist nicht deine Schuld, aber du musst es akzeptieren. Es ist schon fast einen ganzen Mond her, dass er gestorben ist, und das weisst du auch. Jetzt lass ihn gehen. Bitte, ich brauche dich in meiner Gruppe, du bist einer der wichtigsten Bestandteile«, seufzte der grosse Wolf und überblickte die Steinwüste voller kleinen, einsamen Nadelwäldchen.
»Stell dich nicht so an, wir beide wissen, wie schwer das ist. Warst du nicht der Traurige und Verzweifelte, als du von deiner Familie getrennt wurdest? Bist nicht du derjenige, der noch Zukunften danach einfach darüber weint und sich nach ihr sehnt? Versteh meinen Schmerz doch einfach, wie ich deinen verstehe, Konora!«, fauchte die Kätzin verzweifelt und drehte sich zu dem Wolf um, warf seinen Schweif von ihren Schultern, »Und dass ich es dir nun auch einmal gesagt habe: Diese Gruppe kümmert mich einen Fuchsdreck, solange sie es nicht schafft, diesen dummen Auserwählten zu finden und endlich eine gute Zukunft schafft.« Rasend vor Wut und knurrend sprang Terris die Steine hinab und kroch in eine der vielen Felsspalten im Gesteinsmeer um sie herum.
»Warte doch! Terris, du musst den Auserwählten finden. Nur wir kennen ihn, und denkst du etwa, ich kann unsere Gruppe einfach so aufgeben? Niemals. Du nimmst Samul und gehst ihn suchen. Mach, dass du bei Sonnenaufgang aus dem Territorium bist, ich kann dich so nicht mehr sehen«, knurrte Konora nur und stürzte zurück in die Höhle, aus welcher ein aufgebrachter Samul stolperte und fast den Steinhaufen zu Terris runterstürzte. Schliesslich sprang er hastig hinunter und legte sich auf den Stein über der Kätzin.
»Was hat er diesmal gemacht?«, fragte der graue Wolf mit grasgrünen Augen, welche im Licht der untergehenden Sonne wie zwei Edelsteine glitzerten, mit zusammengebissenen Zähnen.
»Sieht nicht ein, wie starrköpfig er ist. Nur er darf trauern«, miaute Terris mit einem zornigen Unterton und seufzte, »Ich bin doch nicht blöd, ich weiss, dass er sich nur Sorgen macht. So hilft er aber gar nicht...«
»Er hat nie geholfen, nicht einmal seinem eigenen Schüler«, murrte Samul, die Ohren betrübt anlegend.
»Wir müssen los, den Auserwählten suchen. Komm!«, Terris schloss ihre Augen und öffnete sie wieder, rappelte sich auf, »Und los, darauf, dass wir als Helden gefeiert werden.«
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