Kapitel 6

Ich hatte schon vor einer Weile aufgegeben, zu schlafen. Nicht einmal das Hören meines Lieblingsliedes auf Dauerschleife half. Deshalb sitze ich jetzt verwirrt und totmüde vor den Überresten des Papieres, aus welchem vor einer guten Stunde ein Strichmännchen auferstanden war.
Es sieht ein bisschen so aus, als hätte ich den Inhalt eines Staubsaugers auf den Teppich gekippt. Eigentlich eine Schande. Den Staub bekommt man bestimmt furchtbar schlecht aus den Flauschfasern raus. Vorsichtig tauche ich meine Finger in das graue Pulver. Aha, es ist genauso, wie ich es mir gedacht habe. Super Staub mit Spitzenqualität. Seufzend streiche ich das Zeug wieder von meinen Händen. Ich brauche mir ja selbst nichts vorzumachen. Ich habe absolut keinen blassen Schimmer von dem, was gerade passiert war. Fieberhaft versuche ich mich daran zu erinnern, was ich getan hatte, bevor ich aus Versehen meinen neuen Erzfeind beschworen hatte.
Langsam schleicht sich ein Gedanke in meinen Kopf. Theoretisch habe ich ja meine magische Fähigkeit gefunden. Ich kann meine Zeichnungen zum Leben erwecken. Wenn ich mich nicht irgendwie verrechne, kann ich außerdem bestimmen, welche Funktion diese Zeichnung annehmen soll. Vorhin hatte ich unbewusst einen Feind gemacht. Vielleicht gelingt es mir ebenfalls, einen Freund zu erschaffen.
Mit neuem Tatendrang stehe ich auf und begebe mich zu meinem Schreibtisch. Aus einer Schublade schnappe ich mir ein unbenutztes Blatt und aus einem Becher, der auf der Tischoberfläche steht, einen Bleistift. Auf meinem Stuhl vor mich hinkreiselnd, überlege ich, wie ich meinen Berater gestalten soll.
Ich entscheide mich für einen lustigen kleinen Kerl mit Nickelbrille und Glatze. Indem ich ihm runde Wangen zeichne, verleihe ich ihm ein freundliches Gesicht. Ansonsten male ich ihm einen Anzug mit Schlips und Lackschuhen. Nach ungefähr fünfzehn Minuten betrachte ich zufrieden mein Werk. Ich stehe kurz davor, den kleinen Mann auch noch auszumalen, doch nach einem Blick auf die Uhr, muss ich erschreckt feststellen, dass es schon zwei Uhr morgens ist. Zum Abschluss schreibe ich noch schnell den Namen 'Simon Knopf' in die untere Ecke und nicke bestärkt.
Nach dem das erledigt ist, folgt nun der schwierige Teil. Ich muss mich genau daran erinnern, was ich gesagt habe, bevor ich Tom entstehen ließ. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es etwas mit 'Simsalabim' und 'Schubidu' war. Wenn ich so darüber nachdenke, klingt das ziemlich bescheuert. Egal. Leider weiß ich die Reihenfolge nicht mehr, die den Zauber bewirkt hat. Naja, die zwei Versuche stehen mir doch garantiert zur Verfügung.
Ich stehe wieder auf, weil ich nicht möchte, dass dieser dicke kleine Mann meine Möbel kapputt macht oder alles durcheinander bringt, wenn ich ihn auf dem Schreibtisch herbeizaubere.
Okay, los geht's. Ich räuspere mich und sage: "Schubidu, Herr Knopf wird echt und simsalabim, er wird mein Berater."
Gebannt starre ich auf das Blatt Papier. Eine Minute verstreicht. Dann noch eine. Nichts passiert.
Offenbar war das die falsche Reihenfolge. Erneut konzentriere ich mich und sage es diesmal anders herum." Simsalabim, Herr Knopf wird echt und schubidu, er wird mein Berater." Im Stillen bete ich, dass man kein besonderes Ritual ausführen muss, denn an das könnte ich mich bei bestem Willen nicht erinnern. Doch meine Sorge scheint unbegründet, denn schon bald beginnt das Blatt zu zittern. Vorsichtig lege ich das Papier auf den Boden neben den Staubfleck meiner ersten Kreation und warte.
Zu meiner Überraschung ist Herr Knopf deutlich kleiner als Tom. Das Strichmännchen war ungefähr so groß wie ich, wenn nicht sogar nicht einige Zentimeter größer. Herr Knopf entspricht in seiner vollen Form der Länge meines Unterarms. Auch er reckt und streckt sich und auch bei ihm erscheint ein kleiner Notizblock in seiner Hand. "Ähem,", ist das Erste, was er sagt.
Mit einem britischen Akzent fährt er fort: "Oh Dear, ik kann mit dieser Brille ganz schlekt lesen. Aber anyway, Name: 'Simon Knoff' oder Knopp? I don't know." Erstaunt darüber, dass es tatsächlich geklappt hat, starre ich auf ihn herunter. Herr Knopf lässt sich davon nicht stören und liest einfach weiter. "'Funktion: Berater' und 'Art: kleiner dicker Mann'." Dabei rümpft er die Nase und schaut an sich hinab. Doch sein Aussehen stört ihn dann anscheinend doch nicht so sehr, denn er wendet sich ohne einen weiteren Kommentar zu mir um.
"So, ik soll also dein Berater sein? Interesting. Wärst du so freundlik und würdest mik bitte auf Augenhöhe bringen?" Ich knie nieder und lasse ihn auf meine Handfläche laufen. Mit ihm zusammen setze ich mich zurück an den Schreibtisch und er hüpft auf den Tisch und macht es sich dort im Schneidersitz bequem.
Doch nun kann ich nicht mehr an mich halten und beginne eilig und leise loszuflüstern. "Also Herr Knopf- oder soll ich Sie lieber Mister nennen, wo sie doch bristisch klingen?" "Herr is fine, schließlik ist es der Name, der dir vorschwebte, als du mik riefst." "Okay, nochmal. Ich habe heute entdeckt, dass ich magische Kräfte habe und vorhin habe ich dann zum ersten Mal meine Zauberkraft benutzt und habe ausversehen meinen Erzfeind erschaffen.", ich deute auf den Staubhaufen auf meinem Teppich. "Er ist ein Strichmännchen und heißt Tom. Er ist offenbar furchtbar aufgebracht über seine Erscheinungsform und hat mir Rache geschworen. Anschließend ist er durch das Fenster verschwunden. Nun habe ich das Problem, dass ich keine Ahnung von dem ganzen Magie-Zeug habe, weil ich erst heute davon erfuhr. Also habe ich mir gedacht, ich frage am besten jemanden, aber halb drei in der Nacht ist das ein bisschen schwieg. Können Sie vielleicht Licht in mein Dunkel bringen?"
Herr Knopf sitzt einen Moment schweigend da und scheint zu überlegen. "Oh boy.", sagt er nach einer Weile. "Du bist Mayla, riktig?" Ich nicke. "Ik muss als erstes klarstellen, dass du ziemlik Mist gebaut hast, Mayla." "Wie das?", frage ich erstaunt. "Du gehörst offensiktlik zu der Gruppe der Erwecker.", beginnt er zu erklären. "Das kann zwar alles bedeuten, von Leuten, die Statuen erwecken können oder Menschen, die Pflanzen lebendig machen können. Dok das Prinzip ist immer das selbe. Der erste Erweckte, bleibt für immer wach. Alle anderen gehen wieder." Langsam nimmt mein Gehirn die gesagten Sätze auf. "Das heißt, ich habe jetzt für immer ein wahnsinniges Strichmännchen am Hals?" Vor meinem inneren Auge kann ich schon die Zeilen auf meinem Grabstein erkennen. 'Mayla Engels, gestorben durch die Rachsucht eines Strichmännchens, das wegen seiner Frisur verärgert war'.
Doch dann sinkt auch etwas anderes bei mir ein. "Warten Sie. Bedeutet das, Sie werden wieder verschwinden?" Dahin schwimmen die Vorstellungen von selbstgemalten Häusern, Autos und Essen. Das ganze schöne ausgedachte Essen. Ein Jammer.
"Das stimmt fast.", sagt Herr Knopf. "Jeder Erweckte, bis auf der erste, hat am Anfang eine Wachzeit von einer Stunde. Dann kehrt er auf sein Papier zurück und kann noch zwei weitere Male erweckt werden. Allerdings halbiert sich dabei die Wachzeit. Das heißt, beim zweiten Mal beträgt sie nur eine halbe Stunde und beim  dritten Mal fünfzehn Minuten, alright?" Wenn ich so darüber nachdenke, erscheint mir das sogar sinnvoll. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn sich jemand einfach die Armee zusammenmalt, die er braucht, um die Weltherrschaft an sich zu reißen oder was auch immer Bösewichte so tun.
Aber andererseits ist es natürlich ziemlich blöd, dass der einzige Erweckte, der für immer wach bleibt, außgerechnet ein Erzfeind ist. Und dann auch noch ein Strichmännchen! Hätte ich das vorher gewusst, wäre mein erster Erweckter ein super loyaler Typ gewesen, der mit mir durch dick und dünn geht, mich vor Gefahren beschützt und Humor hat. Außerdem hätte ich deutlich länger damit verbracht, ihn zu zeichnen. Aber daran kann ich jetut wohl nichts mehr ändern.
"Also gut, welche Regeln gibt es noch?", frage ich, um mich von all den dummen Gedanken abzulenken. "Ein Erweckter, der wieder schlafen gegangen ist, kann für 24 Stunden nicht wieder aufgeweckt werden, ansonsten könntest du ja alle Wachzeiten gleik hintereinnander nutzen. Du kannst keine Gegenstände erwecken, auch kein Essen.", fügt er hinzu, als er sieht, dass ich eine Frage stellen will. Enttäuscht ziehe ich eine Schnute. "Außerdem musst du immer-", aber er kann nicht zu Ende sprechen, denn wir hören, wie die Tür nebenan aufgeht

und ein Lichtschalter mit einem leisen Klicken betätigt wird.

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Ich bin begeistert von mir selbst, dass ich für dieses Kapitel nicht wieder ein halbes Jahr gebraucht habe. Fehler und Meinungen in die Kommentare. (Das 'k' bei jedem weichen 'ch' von Herrn Knopf, ist Absicht)

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