Kapitel 5

In dem ich herausfinde, dass ich kein Blitzmerker bin

Es ist frustrierender zu wissen, dass man etwas können sollte, aber nicht weiß wie, als nur den Wunsch zu haben etwas zu können. Ich lege nun schon seit einer Stunde im Dunkeln und versuche herauszufinden, welche magische Kraft ich besitze. Durch das offene Fenster weht der Wind in mein Zimmer und pustet meine letzte Skizze vom Schreibtisch. Es funktioniert einfach nicht. Diese ganzen Menschen, die mir heute gesagt haben, dass ich etwas besonderes bin, hatten Unrecht. Schon bald brennen meine Augen und ich merke, wie sich die Tränen sammeln. So ein Scheiß. War doch klar, dass es so endet. Sobald sich die Hoffnung manifestiert kann es ja schon nicht mehr klappen. Morgen werde ich zu Herrn Foster gehen, ihm erklären, dass er sich geirrt hat und hoffen, dass Teds Drohung nicht wahr gemacht wird. Um mich von diesen dunklen Gedanken abzulenken, stehe ich auf und habe das heruntergefallene Blatt Papier vom Boden auf. Es ist das Strichmännchen. Lächelnd fahre ich mit dem Finger darüber.
Wenigstens kann ich malen. Wer kann das schon? Und außerdem, was soll an Magie denn so toll sein? Abrakadabra, ich kann aus dieser Socke eine Picknickdecke zaubern. Oder Ping Peng Puff, dieser Teppich wird zu einer Blumenwiese. Ich muss grinsen. Eine dumme Idee nach der anderen nistet sich in meinem Kopf ein und lässt mich kichern.
"Simsalabim, das Strichmännchen wird echt und schubidu es wird mein Erzfeind!", pruste ich schon fast, weil die Vorstellung einfach dämlich ist.
Das Papier zittert und es sieht fast so aus, als würde es mit mir zusammen stumm vor sich hin lachen. Magie? Pfah, wer braucht das schon? Mitten in der Nacht inmitten eines unordentlichen Zimmers zu stehen und sich die Seele aus dem Leib zu freuen ist viel besser. Inzwischen habe ich Schluckauf bekommen. Plötzlich niest das Blatt Papier, das ich in den Händen halte. Urkomisch.
Ich halte mir die Hand vor den Mund, denn meine Familie soll mich nicht hören, obwohl es immer schwieriger wird nicht in schallendes Gelächter auszubrechen.

Dann fällt es auch mir aus. Das Papier hat geniest. Das ist nicht normal. Das geimeine Druckerpapier niest nicht. Beziehungsweise, es kann gar nicht niesen. Vor Schreck lasse ich es wieder auf den Boden fallen.
"Jetzt hat es auch der Blitzmerker mitbekommen", sagt es. Es klingt dumpf, so als würde eine Person durch eine Glasscheibe in einem undichten Fenster sprechen. Doch meins steht offen. Das kann nicht sein. Ist meine magische Fähigkeit etwa, Papier zum sprechen zu bringen? Wow, das klingt ja aufregend. Ich wollte mich schon immer mal mit einem Stück Klopapier unterhalten. Obwohl, die Frau heute im MVS konnte sich das Wetter vorlesen lassen. Das ist bestimmt super praktisch. Seufzend beuge ich mich runter, um das Blatt wieder aufzuheben und ihm ein paar Fragen zu stellen. Aber bis dahin komme ich in meinem Plan nicht, denn es fängt wieder an zu zittern und ich kauere mich daneben, nur um gebannt und verwirrt dabei zuzusehen, wie das Strichmännchen auf dem Bild verschwimmt und in Kringeln auf der weißen Fläche herumwirbelt. Dann verschwindet es ganz und zurück blieb ein leeres Blatt. Doch ich habe nicht die Zeit, mich zu wundern, denn aus der Leere des Papieres schießt auf einmal eine graue, längliche Form, ungefähr in dem Maß von meinem Arm und ich zucke zusammen. Das Ding scheint in der Luft etwas in der Luft zu suchen, denn es rudert herum. Doch dann knickt es sich in der Mitte und stützt sich auf dem Teppich ab. Das Blatt fließt inzwischen auseinander und wird rund. Ich will schreien, doch wenn meine Eltern hier auftauchen würden, hätte ich noch ganz andere Probleme, als dieses hier. Deshalb begnüge ich mich damit, mich rasch zu erheben und auf mein Bett zu flüchten. Dann kann man eine neue Form erkennen. Aus der runden Papierpfütze erhebt sich langsam eine Kugel. Nach einiger Zeit kann man darauf zwei Punkte und einen gebogenen Strich erkennen.
Mit einem hatte das Papier Recht, ein Blitzmerker bin ich wirklich nicht. Ausversehen hatte ich in meinem nächtlichen Gebrabbel das Strichmännchen auf dem Bild zum Leben erweckt.
Fasziniert beobachte ich, sie sich nach und nach ein zweiter Arm bildete und ein aus Strichen bestehender Körper, wie aus einem Abgrund nach oben gedrückt wird. Schließlich setzt sich das Männchen auf meinen Teppich und scheint einen Moment lang mit seinen Beinen im Papier zu baumeln. Dann zieht es ein dünnes Bein nach dem anderen aus dem Papier, welches einen Moment blau aufleuchtet und zu Staub zerfällt.

Geschockt blicke ich das Strichmännchen an. "Was zur Hölle?", schleicht sich über meine Lippen. Ich kann meine Augen nicht von dem wenden was da gerade passiert ist. Meine Starre wird aber jäh unterbrochen, als meine Zeichnung plötzlich gähnt und sich streckt. Dabei werden die Augen aus Bleistift zusammengedrückt und in seinem Mund ist eine gemalte Zunge zu sehen. Dann erscheint aus dem Nichts ein Notizblock in der Hand des Männchens. Beziehungsweise schwebt der Notizblock eine Handbreit über dem Strich, der den Arm darstellen soll. "So, was haben wir den da?", fragt es in einer Stimme, die nach einem Jungen in meinem Alter klingt. Ein bisschen tiefer vielleicht. Und ziemlich heiser. Aber wer bin ich schon, dass ich über die Stimme eines lebenden Strichmännchens philosophiere?
"Okay, hier steht 'Name: Tom, Funktion: Größter Erzfeind'. Na Halleluja." Es streicht sich mit seinem freien Arm über den Kugelkof. Man könnte es als durch-die-Haare-streichen interpretieren, doch es sieht ein bisschen lächerlich aus. Tom liest weiter auf seinem Block. "'Art: Strichmännchen'. Warte was?" Mit der Strichmännchen-Version eines geschockten Gesichtausdrucks blickt er- darf ich es 'er' nennen? Scheiß drauf, ich habe ihn gezeichnet - mich an. "Ist das dein Ernst? Ein Strichmännchen?" Ich bin immer noch zu baff um etwas geistreiches zu sagen, also zucke ich nur mit den Schultern. "Hast du einen Spiegel?", fragt Tom mit gestresster Stimme. Stumm deute ich auf einen Ganzkörperspiegel neben meiner Tür. Tom hetzt dorthin, blickt sich an und beginnt sofort an zu jamnern. "Nein, nicht meine Haare! Meine wunderschönen Haare! Das kann doch nicht sein. Wozu war ich die letzten Monate im Fitnessstudio? Für nichts und wieder nichts, verdammt noch mal!"  Stocksauer dreht er sich zu mir um. "Das wirst du bereuhen, das wirst du so hart bereuhen!" Nach einem wilden Blick durchs Zimmer nimmt er Anlauf und hechtet durch das offene Fenster. Ich bleibe noch ungefähr fünf Sekunden sitzen, aber dann renne ich ans Fenster. Ich blicke nach unten und sehe Tom im Garten unseres Wohnhauses stehen. Er dreht sich um und sieht zu mir hoch. Zum Glück wohnen wir im Erdgeschoss und ich kann ihn gut erkennen und hören. "Weißt du, was ich gerade am meisten bedauere?" Es ist eine Frage, auf die er offenbar keine Antwort haben will, den er brüllt sofort weiter. "Dass ich keine Hände besitze.

Denn sonst würde ich dir jetzt mit absoluter Garantie den Mittelfinger zeigen." Damit ist er in der Dunkelheit verschwunden.

---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Freunde, ich bin nicht tot! Von wegen nur noch abtippen. Es tut mir ehrlich leid, für die zwei Leute, die das hier tatsächlich lesen, aber Schule ist etwas furchtbar stressiges. Und Ferien auch. Insgesamt das Leben. Egal, ich hoffe euch hat die Einführung des neuen Charakters gefallen. Er sollte eigentlich deutlich böser werden, aber wie soll man ein Strichmännchen böse wirken lassen?
Rechtschreibfehler und Meinung in die Kommentare und bis nächstes Mal (also in zwei Jahren oder so)

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top