Kapitel 4 - Die Tribute einer Prinzessin



Als Farah am nächsten Morgen erwachte, erwartete sie eine Überraschung.

Ronja, eine stämmige, schneeweiße Ponystute trug ein Silbertablett voller köstlicher Früchte in ihr Gemach und stellte es auf ihrem Nachttisch ab.

»Mit besten Grüßen des Prinzen. Er erwartet Euch nach dem Frühstück vor dem Thronsaal.«

»Für mich?«, staunte die junge Fuschsstute gähnend. Ronja nickte mit einem freundlichen Lächeln, dann machte sie einen Knicks und verschwand so schnell, wie sie gekommen war.

Hungrig machte sich Farah über das köstliche Obst her und als sie satt war, erwartete sie eine weitere schöne Entdeckung.

Zwei wundervolle Kleider lagen am Fußende ihres Bettes. Eines schöner als das andere.

Fröhlich tanzte Farah durch ihr Gemach und wandte und drehte sich vor dem Spiegel, um die herrlichen Schmuckstücke königlicher Nähkünste zu betrachten.

Schließlich entschied sie sich für ein hellgrün gemustertes Kleid und eine Kette aus echten Perlen. Dazu steckte sie sich einen Kranz gelber Blüten in den Schopf, die eigentlich zur Dekoration an ihrem Tellerrand gelegen hatten.

Mit einem überglücklichen Strahlen machte sie sich auf zum Thronsaal, wo Prinz Aino sie bereits erwartete.

»Das blühende Leben. Ihr seht bezaubernd aus, Mylady!«, schnaubte Aino und deutete eine Verbeugung an, die Farah lachend erwiderte. Sie drehte sich im Kreis, damit der Prinz sie von allen Seiten bewundern konnte.

»Ich war schon schlechter angekleidet!«, lachte sie. »Ihr wolltet mich sprechen?«

»Ich möchte Euch näher kennen lernen, Mylady«, antwortete Aino höflich, »Ich habe Euch seit der Verkündung der Allianz nicht gesehen und, ich meine-«

»Wir werden für eine sehr lange Zeit miteinander auskommen müssen, nicht wahr? Wolltet ihr das sagen?«

Aino ließ den Kopf hängen und nickte bekümmert. Farah schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln.

»Seid nicht so hart zu Euch selbst. Wir stehen alle in den Pflichten unseres Königreiches.«

»Es ist schön, dass ihr das so seht«, schnaubte Aino halbherzig, »Wenn Ihr denkt, dass die Monarchie noch eine Zukunft hat?«

Aino trat zum Fenster auf der anderen Seite des Ganges und blickte auf Kilgrim herab. Auf den Straßen des Dorfes tummelten sich die Bauern, die das Königshaus belieferten.

Sie waren schmutzig, abgemagert und ihr Fell war ohne Glanz.

Betreten gesellte sich Farah an die Seite ihres Verlobten und versuchte zu verstehen, was er fühlte. Doch in ihrem Königreich war alles anders. Ihr Volk war glücklich. Mit dem richtigen König könnte das Volk doch auch glücklich werden. Wieso sollte die Monarchie also dem Untergang geweiht sein?

»Lass uns nach draußen gehen«, schnaubte Aino schließlich mit einem letzten, schmerzvollen Blick auf sein Volk. Farah folgte ihm ohne Widerstand. Sie mochte den Prinzen und sie wollte es sich nicht mit ihm verscherzen.

Draußen angekommen, pikte er sie jedoch mit einem fröhlichen Grinsen in die Seite und begann zu rennen. Farah lachte und eilte ihm hinterher. Er führte sie in den königlichen Schlossgarten in der Nähe ihres Turmes. Die schönsten Wildblumen wuchsen auf den Wiesen und die Rosenranken wanden sich bis hoch an die Oberkante der massiven Burgmauern. Kichernd warf sich Farah mit all ihrem Gewicht auf den jungen Prinzen und zusammen kugelten sie über die herrlichen Blumenwiesen. Als sie da so inmitten all dieser Blumen lagen, da meinte Farah für einen Augenblick, dass ihr Leben als werdende Königin vielleicht doch gar nicht so schlecht war, wie sie es sich vorgestellt hatte.

»Gefällt es dir hier?«, fragte Aino lächelnd. Farah nickte mit strahlenden Augen.

»Euer Vater meinte, Ihr seid ganz verrückt nach Wildblumen.«

»Das ist wahr! Ich kann es kaum erwarten zu sehen, welch wundervolle Blumen außerhalb der Burgmauern wachsen. Vor allem an den schattigen Stellen am Waldrand wachsen meist die schönsten...«

»Farah, Ihr werdet diese Mauern als Prinzessin nicht mehr verlassen dürfen. Ihr steht dann unter dem Schutz meines Reiches. Wenn Euch etwas zustieße, könnte das einen Krieg mit den Keldors auslösen.«

Farah fiel das Lachen aus dem Gesicht.

»Ich darf die Burg nicht mehr verlassen? Nie wieder?«

Aino legte ihr zum Trost einen Huf auf das Bein, doch Farah sprang auf und blickte voller Zorn auf den Prinzen herab.

»Ihr wollt mich für alle Ewigkeit hier einsperren?«

»Ihr könnt gehen, wohin auch immer es Euch beliebt, wenn Ihr erst Königin seid«, entgegnete Aino mit zittriger Stimme. »Hört zu, ich weiß, es mag vielleicht für ein paar Jahre etwas eng werden, aber ich verspreche Euch, wenn Ihr Euch um unsere Fohlen kümmert, dann wird Euch gar keine Zeit mehr bleiben, über die Wildblumen auf der anderen Seite der Mauer nachzudenken. Und wie Ihr bereits sagtet: ‚Wir stehen alle in den Pflichten unseres Königreiches!'«

»Hört Ihr Euch eigentlich zu?! Wisst Ihr wie es ist, wenn die ganze Welt von einem verlangt, etwas zu sein, was man nicht ist? Ich bin keine Prinzessin! Ich will keine Königin werden und ich werde Euch ganz bestimmt nicht heiraten und Fohlen mit Euch bekommen!«

»Mylady!«, rief Aino ihr verzweifelt hinterher, als Farah davon rauschte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so gedemütigt gefühlt.

Und wo war ihr Vater, wenn sie ihn brauchte? Er saß gewiss noch immer mit Eirik in seiner Tafelrunde, die er seit Tagen nicht verlassen hatte.

Als sie an ihrem Turm im Ostflügel vorbeistelzte, fiel ihr ein Pfeil auf, der im Gemäuer stecken geblieben war. Sie zog ihn mit den Zähnen heraus und steckte ihn unter ihr Kleid, damit ihn niemand bemerkte, denn sie hatte keine Zeit, ihn sich näher anzusehen.

Immer noch wutschnaubend stürmte Farah in den Thronsaal, wo die beiden Könige lachend bei Tische saßen und ihre Sorgen in Wein und einem Übermaß an Speisen ertränkten, die sie ungezügelt in sich hinein stopften. Farah ekelte es bei dem bloßen Anblick ihrer fetten Bäuche und ihrer besoffenen Grimassen.

»Vater, ich möchte nach Hause – sofort!«

Eirik und ihr Vater blickten von ihren Tellern auf und prusteten lauthals los.

»Aber Liebchen, wir können nicht gehen, morgen ist deine Hochzeit.«

»Ich werde nicht heiraten!«, wieherte Farah entschlossen, »Und wenn wir nicht auf der Stelle abreisen, dann laufe ich eben davon!«

»Na hör mal, Malik, hast du deiner Tochter etwa keine Manieren beigebracht?«, schnaubte Eirik mit deutlicher Verstimmung in seinem Unterton. Farahs Vater schlug mit seinem Huf so fest auf den Tisch, dass die Tischplatte vibrierte.

»Farah von Keldor! Du gehst auf der Stelle auf dein Gemach und kommst gefälligst nicht mehr heraus, bis die Feierlichkeiten morgen beginnen!«

Ein Leibwächter mit gescheckten Schultern trat an ihre Seite und drängte sie zum Gehen. Farah konnte es nicht fassen. Sie hasste alles an diesem verfluchten Königreich und es war ihrem Vater einfach egal. Es kümmerte ihn nicht!

Stattdessen stopfte er sich den Ranzen zusammen mit diesem Hinterwäldlerkönig voll, der sein Volk ohne Gnade ausbeutete. Es stand fest. Sie wollte niemals Königin werden! Niemals!

Der Leibgardist namens Sir Leon begleitete sie zu ihrem Gemach, wo er seinen Posten einnahm, um sicherzugehen, dass Farah auch dort blieb.

Mit zornigem Schnauben verwüstete die junge Stute ihr gesamtes Gemach, riss sich das Kleid mit den Farben ihres Königreiches vom Leib, hielt jedoch inne, als der Pfeil aus einer der Stofffalten heraus fiel.

Die Initialen RN waren fein säuberlich in das Holz geritzt. Blitzschnell schlug Farah mit klopfendem Herzen ihr Geschichtsbuch auf und verglich die Initialen des Pfeils mit einer der Illustrationen aus den Aufzeichnungen von Erren, dem Räuber.

Sie waren völlig identisch. Erren war vor ihrem Zimmerfenster gewesen. Wie er es angestellt hatte, wusste Farah nicht, aber er war es gewesen. Wie sonst hätte der Pfeil auf die Innenseite der Burgmauern gelangen sollen? Der Winkel, in dem der Pfeil in der Mauer gesteckt hatte, schloss eindeutig aus, dass Erren ihn über die Mauer geschossen hatte.

»Er war hier«, murmelte Farah, »Und wenn er hier herein gekommen ist, ohne dass die Wachen ihn bemerkt haben, dann komme ich auch unbemerkt aus dem Schloss heraus.«

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