9. 𝑯𝒂𝒑𝒑𝒚 𝑩𝒊𝒓𝒕𝒉𝒅𝒂𝒚

Ich habe immer gewusst, dass Eron merkwürdig ist. Ich schiebe es auf die Leute in Allmende, die ihn immer schlecht behandelt haben - ohne Grund so wie ich glaubte. Sollte sich herausstellen, dass sie doch alle Recht behalten? Oder hat Eron das nur gesagt, damit ich auf Abstand bleibe?

Er wird doch nicht wirklich jemanden umbringen. Zu gerne würde ich ihn davon abbringen.

Dieses merkwürdige Geständnis war vor drei Tagen. Danach bin ich ihm Gott sei Dank nicht mehr über den Weg gelaufen. Wie hätte ich auch vor ihm reagieren sollen?
Ich weiß es nicht.

Doch überschattet die Sorge um ihn ein bisschen meinen Geburtstag. Er ist so geheimnisvoll und so außergewöhnlich. Was ist es nur, das mich zu ihm hinzieht? Sein ungewöhnliches Aussehen? Seine anziehende Stimme? Oder sind es die tausend Fragen, die ich mir über ihn stelle?

Sicherlich von allem ein bisschen.

Ich bete, dass er keine Dummheiten macht und sich das mit unserer Freundschaft irgendwann anders überlegt. Bis dahin gilt es erst einmal meine Geburtstagsfeier auf die Beine zu stellen.
Ich habe nicht alle meine Freunde eingeladen - so wie eigentlich geplant. Das wären dann um die zwanzig Leute. Dafür miete ich lieber einen Partyraum oder gehe in die nächst größere Stadt zum feiern.

Das lohnt sich allerdings erst für einen runden Geburtstag. Ich werde noch nicht Dreißig. Meine Güte ich werde Neunundzwanzig, also kurz vor Dreißig. Dabei fühle ich mich eher wie Anfang Zwanzig. Vianne hat immer gesagt: Man ist nur so alt wie man sich fühlt.

Der Tag kommt schneller als erwartet. Außer Sascha und Maren kommen noch drei weitere Freunde. Milan, Valerie und Alain.
Sie stehen um kurz nach drei Uhr vor meiner Tür und präsentieren mir - abgesehen von einem riesigen Kuchen - ihre schön verpackten Geschenke.

Nachdem ich alle herzlich begrüßt und ihnen ganz kurz meine Wohnung gezeigt habe, nehmen wir der Reihe nach auf dem Sofa Platz. Naja, nicht alle. Alain und ich machen es uns auf dem Bett gemütlich, auf das ich zuvor noch eine Decke gelegt habe, damit es als zweites Sofa fungieren kann.

Natürlich zeigt mir Milan gleich seine neu bestückte Playlist von diversen Partyliedern und verbindet sie mit seiner mobilen Soundbox. Während wir uns genüsslich den echt leckeren Kuchen einverleiben, verteilt jeder sein Geschenk an mich und Maren kümmert sich darum, dass das Bier kalt gestellt wird.

Ich habe gleich zwei Kästen besorgt, weil ich weiß wie viel meine Freunde trinken. Erst recht wenn sie noch ein paar Stunden bleiben. Ich habe die Party mit Absicht etwas früher anfangen lassen, da einer von ihnen noch fahren muss. Alain hat seinen großen Van zur Verfügung gestellt und sich freiwillig bereit erklärt nüchtern zu bleiben.

Ich werde darauf aufpassen, dass das auch so bleibt.
„Mensch Nisha du hast eine echt coole Bude", staunt Valerie nicht schlecht.

Der große braunhaarige Milan sieht sich schon auf dem Balkon um und entdeckt sogleich die vorübergehend gelagerten Bierkästen.
„Also aus meinem Fenster sieht man direkt auf die Nachbarhäuser. So viel grün ist da nicht."
Er legt die Hand über die dunklen Augen und tut so als ob er in die Ferne späht. Dabei verzieht er sein rundes Gesicht.

„Das ist einer der Gründe warum ich hier her gezogen bin. Die fantastische Umgebung von Allmende. Allerdings ist der Wald nicht so friedlich, wie es den Anschein hat."

Ich zupfe mein knielanges Oberteil über der dunklen Leggins zurecht und folge Milan nach draußen.
„Wahrscheinlich leben dort einige Wildtiere", vermutet er richtig.
Ich nicke und erinnere mich an meine Träume, die leider immer noch nicht nachgelassen haben.

Ich erzähle meinen Freunden davon und vor allem von der aufregenden Begegnung mit dem Bären.
Sofort ist Maren Feuer und Flamme.
„Also hat Eron dich vor dem wilden Bären gerettet...wie romantisch. Ich sag ja du bist ein Glückspils."

Leider interpretiert Maren das völlig falsch. Mein ach so toller Nachbar hat das nicht getan, weil ich ihm so wichtig bin. Im Moment möchte ich gar nicht an ihn denken.
Zu spät. Ich kann ihn einfach nicht ignorieren, so ein Jammer.

Jedenfalls sind alle, nach dem ersten Schock über die gefährliche Situation mit dem Grizzly, neugierig über meinen mysteriösen Nachbar. Wer kann es ihnen verübeln. Ich bin es ja auch.

„Aber ist es nicht merkwürdig, dass du von diesem Ort im Wald träumst und kurze Zeit später dort landest und von einem Bären angegriffen wirst?", meint der schlanke Alain nüchtern und nimmt eine Denkerpose ein.
Seine kurzen blonden Haare stehen ihm sonst strak vom Kopf ab. Wie hat er sie nur gebändigt bekommen?
Er ist eher ein ruhiger und besonnener Typ.
„Dabei hast du doch von einem Wolf geträumt und nicht von einem Bär", stellt er weiter fest.

Ich finde das auch komisch, aber suche nicht nach der Verbindung.
„Im Traum hat mich der Wolf aber nicht angegriffen. Er ist auf mich zugelaufen und es sah für einen Moment so aus als wollte er mich angreifen, hat er aber nicht. Er ist mit einem eleganten Sprung über mich hinweg gesprungen und anschließend bin ich wach geworden."

„Hatte er wenigstens Ähnlichleit mit dem Bären? Also gleiche Fellfarbe und so?", fragt Maren neugierig.
„Eigentlich überhaupt nicht. Der Bär war braun und der Wolf hatte pechschwarzes, wunderschön glänzendes Fell. Eigentlich sah er ziemlich ungewöhnlich aus. Ich sage euch er war wirklich etwas Besonderes."

Die anderen müssen lachen.
„Du bist wohl der einzige Mensch, der einen Wolf als schön bezeichnen würde, Nisha."
„Kein Wunder, dass sie ewig Single bleibt. Sie verliebt sich in Wölfe anstelle von Männern", lacht Valerie laut.

Ich ziehe eine beleidigte Schnute. Sie wissen eben nicht was ich meine. Für ein Tier ist er wirklich schön gewesen. Aber es war ja auch nur ein Traum. Vermutlich habe ich mir den Bären auch nur eingebildet. Das Ereignis fühlt sich so seltsam weit weg an. So als wäre es nie passiert. Dabei sollte ich immer noch schlottern vor Angst.

Ich sehe nicht gerade ängstlich aus, stelle ich nach einem kurzen Blick auf mein Spiegelbild in der Glasscheibe fest. Ich sehe aus wie eine ziemlich entspannte junge Frau, die sich mit ihren Freunden einen schönen Abend macht.

Nachdem diese mich genug über mein neues langweiliges Leben gelöchert haben, bestehen sie darauf, dass ich meine Geschenke auspacke.

Von Alain, dem schlausten unter uns, bekomme ich gleich zwei Naturkundebücher. Das war von ihm zu erwarten. Er rückt sich seine eckige Brille zurecht und hebt ganz stolz den Kopf, als ich mich freudig bei ihm bedanke.

Milan und Valerie schenken mir jeweils eine gute Flache Wein. Es ist vielleicht einfallslos, aber ich bin schon froh überhaupt etwas von ihnen zu bekommen. Ach was rede ich da. Hauptsache sie sind da. Ich brauche keine Geschenke. Ich habe alles was ich brauche.

Sascha und Maren haben ihre wenige Zeit genutzt und mir ein Fotoalbum erstellt. Darin befinden sich die Bilder aus den letzten fünf Jahren. Ich kann mich nicht erinnern so viel mit ihnen erlebt zu haben. Anscheinend war es eine Menge. Ich freue mich total über das Album. So kann ich mich immer wieder an alte Zeiten erinnern und werde meine besten Freunde nie vergessen.

„Das ist so schön. Danke! Echt, vielen Dank!"
Ich falle beiden abwechselnd um den Hals.

Dann soll erneut angestossen werden.
„Wartet, ich hole euch noch etwas zu trinken."
Ich verteile die nächsten kalt gestellten Getränke und gehe auf den Balkon um Nachschub zu holen.

Es ist angenehm warm draußen, dabei hat sich die Sonne schon längst verabschiedet und hat dem hellen Halbmond Platz gemacht. Huch, die Zeit vergeht aber auch schnell.

„Hast du keine Angst vor dem Wolf?"
Diese warme und angenehme Stimme lässt mein Herz für eine Millisekunde höher schlagen. Ich drehe mich um und sehe Eron der sich lässig mit dem Rücken an den Rand seines Balkons lehnt und zu mir herüber schaut.

Hat er vorhin etwa zugehört? Was frage ich überhaupt, natürlich hat er das. Seine Tür steht wie immer offen. Wir sind so laut, das kann man gar nicht überhören.
„Äh...nein, eigentlich nicht", entgegne ich etwas perplex. Wollte er nicht eigentlich, dass ich ihn in Ruhe lasse?

Auch wenn es bei ihm dunkel ist, sehe ich wie er schwach lächelt. Was soll ich denn jetzt davon halten?
Mir kommt unser Gespräch in der Küche wieder in Erinnerung. Eron hat mir offenbart, dass er jemanden umbringen wird. Das hat so entschlossen geklungen, so überzeugt und überhaupt nicht so als ob er einen Scherz machen wollte.

Nur wen möchte er umbringen?
Doch nicht etwa Trevor? Nein, das kann nicht sein. Auch wenn die beiden sich nicht sonderlich gut verstehen, ist das kein Grund ihn umzubringen. Zumindest sehe ich das so. Kann ja sein, dass Eron das anders sieht. Oder da ist noch mehr im Busch. Etwas von dem ich bisher keinen Schimmer habe.

Während ich weiter darüber nachdenke, starrt Eron mich weiterhin an. Normalerweise würde mir das unangenehm werden, doch in diesem Moment forschen wir beide in den Augen des jeweils anderen, um uns mehr Klarheit zu verschaffen. Ich hoffe er hat damit mehr Erfolg als ich. Ich verstehe Eron einfach nicht. Trotzdem kann ich nicht leugnen wie sehr mein Herz klopft unter seinem intensiven Blick.
Er ist so mysteriös und weckt meine Neugier immer mehr.

„Du solltest Angst haben."
Huch! Wieso sagt er das? Es klingt ähnlich wie die Leier, dass ich nicht in den Wald gehen soll. Was ist dort draußen, was mir und allen anderen Bewohnern von Allmende schaden könnte?

„Habe ich aber nicht", sage ich halb nachdenklich und halb entschlossen.
„Ich denke nicht, dass er mir schaden wird."
„Woher willst du das wissen?", fragt Eron sofort und das schwache Lächeln verschwindet.
„Ich spüre das."
Abgesehen davon ist es nur ein Traum.
Er zuckt skeptisch mit der Augenbraue. Dann macht er Anstalten hinein zu gehen.

„Bon Anniversaire, Nisha!"
Diese einfachen und netten Worte bohren sich direkt in mein Herz und die Art wie er meinen Namen ausspricht bringt es zum Schmelzen.

Oje, ich werde mich doch nicht etwa in Eron verlieben. Ich kenne ihn kaum. Ich habe mich noch gar nicht richtig an die Stadt gewöhnt und habe hier kaum Freunde. Von Anfang an habe ich mich nur auf ihn konzentriert. Doch ich glaube ich bin gerade dabei mich zu verlieben. In einen sturen und introvertierten Mann, der sich nicht die Bohne für mich interessiert.

Ein leises Seufzen entschlüpft mir, kaum dass Eron in seiner Wohnung verschwunden ist und die Balkontür geschlossen hat.

„Hey, Nisha, was machst du denn so lange?", fragt Maren ungeduldig von drinnen.
Ich bereue Eron nicht gefragt zu haben, ob er vielleicht zu uns herüber kommen möchte. Doch er hätte es vermutlich eh abgelehnt. Er will einfach keine Freunde haben. Als ob er nichts mit Menschen zu tun haben möchte.

Also lass ich ihn in Ruhe und bringe zwei Flaschen Bier in die Küche und stelle sie kalt.
„War das eben dein Nachbar, mit dem du gesprochen hast?", will Maren neugierig wissen und lehnt sich an den Türrahmen.
Ich nicke unmerklich. Natürlich ist Maren sofort Feuer und Flamme und fragt mich Löcher in den Bauch. Allerdings habe ich keine Lust mehr über Eron zu reden. Der Mann bereitet mir Bauchschmerzen.

Für den restlichen Abend gelingt es mir Eron aus meinem Kopf zu verbannen. Ich genieße die Gesellschaft meiner Freunde, blühe auf und lache viel. Gegen Zehn Uhr verabschieden sich alle von mir, weil sie noch so weit nach Hause fahren müssen. Ich hätte sie gerne bei mir nächtigen lassen, allerdings habe ich in meiner kleinen Wohnung nicht Platz für alle. Also lasse ich sie schweren Herzens wieder gehen. trotzdem war es schön.


~



Er hat es ganz deutlich gehört, wie sich ihr Herzschlag beschleunigt hat. Zuerst hielt Eron es für Einbildung, aber dann wurde ihm klar, dass seine übermenschlichen Sinne ihn nicht täuschen. Nisha war eindeutig nervös. Liegt es daran, dass er ihr gesagt hat er wolle jemanden umbringen?

Ehrlich gesagt hat er damit gerechnet, das die Polizei bei ihm auftauchen würde, doch wie es aussieht hat Nisha ihn nicht verraten. Vielleicht hat sie es auch nicht ernst genommen. Eron ist zunehmend verwirrt über dieses Mädchen.

Erst recht, weil sie noch immer keine Angst oder Ablehnung ihm gegenüber zu haben scheint. Interessiert sie sich wirklich so sehr für ihn? Kann es sein, dass sie...dass sie...Gefühle für ihn hat? Es ist nicht das erste Mal, dass sich eine Frau zu ihm hingezogen fühlt. Allerdings war es noch nie ein Mensch.

Nisha hat heute so schön ausgesehen, mit ihren hochgesteckten Locken, den leicht geschminkten Augen und die Art wie sie ihn angesehen hat, ging Eron unter die Haut. Erst recht ihre Erzählung von dem schwarzen Wolf. Ihre Art von Tieren zu sprechen und sie als schön oder besonders zu bezeichnen tröstet ihn.

Wenn sie nur eine Ahnung hätte was sie da vorhin von sich gegeben hat. Keine Angst vor einem Wolf zu haben ist etwas leichtsinnig und woher will sie wissen, dass dieser Wolf ihr nicht bei der nächsten Gelegenheit die Kehle durchbeißst?

Eron schüttelt den Kopf und rauft sich die Haare. Er will sich das nicht vorstellen. Wie entsätzlich wäre das denn. Er hofft Nisha vor den Gefahren des Waldes beschützen zu können. Das wäre um einiges leichter, wenn sie nicht in den Wald gehen würde. Doch wenn Eron sie richtig einschätzt, wird sie sich nicht daran halten.

Er muss also in ihrer Nähe bleiben. Schließlich dürfen nicht noch mehr Menschen im Wald sterben.

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