8. 𝑯𝒖𝒏𝒈𝒓𝒊𝒈𝒆𝒓 𝑾𝒐𝙡𝙛
Wie beflügelt laufe ich den Weg an der Weide zurück nach Hause. Allerdings habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich Eron so lange von seiner Arbeit abgelenkt habe. Sollte ich vielleicht einen Umweg einplanen und Trevor aus dem Weg gehen?
Nein. Wenn ich das mache, bekommt Eron wieder unglaublichen Ärger. Ich muss für ihn den Kopf hinhalten.
Der kleine kürbisköpfige Mann wartet auch schon ungeduldig bei dem Gemüsebeet. Er schaut mich kritisch an. Ja, an mir ist noch alles dran. Also ehrlich, langsam wird das lästig. Ich vertraue Eron. Irgendwann sollte Trevor auch damit anfangen.
„Entschuldigung, ich habe Eron von der Arbeit abgehalten, weil ich ihn etwas fragen wollte. Bitte schimpfen Sie nicht mit ihm, Trevor."
Er sieht verwundert aus.
„Sie scheinen die Einzige zu sein, die kein Problem mit dem Burschen hat."
Ja warum sollte ich auch. Er ist doch bloß so abweisend und mürrisch geworden, weil man ihm auch nichts anderes entgegen gebracht hat. Doch sobald man ihn als gleichwertig behandelt, sieht man wie umgänglich er sein kann. Naja weitestgehend.
Ich freue mich jedenfalls darauf, dass er meine Einladung nicht ausgeschlagen hat.
„Ich muss jetzt gehen, aber machen Sie sich keine Gedanken wegen des Zauns. Eron wird ihn definitiv noch fertig machen."
Mit diesem Versprechen lasse ich Trevor zurück und laufe eilig nach Hause. Schließlich muss ich das Essen vorbereiten. Es fühlt sich fast so an, als hätte ich ein Date. Leider ist es das nicht...oder doch? Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht ist es auch nur eine Gelegenheit Eron besser kennen zu lernen. Jedenfalls scheint er sich auch ein kleines bisschen für mich zu interessieren, sonst hätte er nicht nach meinen Träumen gefragt.
Eine halbe Stunde später stehe ich mit Kochschürze und Kochlöffel bewaffnet in der Küche und bereite einen Eintopf vor. Ich hoffe mal er mag Gemüse. Doch ein bisschen Fleisch gehört auch dazu. Ich entscheide mich für Lamm und schneide es in kleine Würfel. Ich gebe es in den Topf und lasse es ein wenig in der Gemüsebrühe schmoren, bevor ich das eigentliche Gemüse hinzugebe.
Das riecht so lecker. Wehe er isst es nicht.
Es ist schon nach Acht, als ich einen Blick auf die Uhr werfe. Oje, bei mir siehts noch immer ziemlich chaotisch aus. Während der Eintopf langsam vor sich hin köchelt, räume ich die Wohnung auf und versuche mein Äußeres zu retten. Die Locken flechte ich mir zurück – was besser als ein Knoten aussieht – und ziehe mir schnell noch frische Kleider an. Eine halblange helle Hose und ein weißes Shirt. Das ist besser.
Um halb Neun klingelt es an der Tür. Er ist wirklich gekommen. Ich kann nicht leugnen, wie sehr mich das freut.
„Hey!", grüßt er zurückhaltend und ich bitte ihn herein. Dabei fällt mir auf, dass er nicht mehr seine dreckigen Arbeitsklamotten an hat. Er hat sich umgezogen und geduscht. Er hat sich seine sonst so wild abstehenden Haare gekämmt. Sie fallen ihm immer noch strähnig ins Gesicht, sehen aber etwas ordentlicher aus.
Ich bin richtig beeindruckt.
„Hallo Eron! Du kommst gerade richtig."
„Ach ja?"
Ich nicke fleißig und schließe die Tür hinter ihm.
„Es gibt Eintopf und ich hoffe du hast nach der harten Arbeit Hunger mitgebracht."
„Du hättest dir wirklich nicht die Mühe machen müssen."
„Aber ich habe es doch angekündigt, also mache ich es auch. Bitte nimm Platz."
Ich deute auf einen der beiden Küchenstühle. Meine Küche ist zwar nicht sonderlich groß, aber für einen Zwei-Personen-Tisch hat es gereicht.
„Das ist das erste Mal, das mich jemand zu sich einlädt, geschweige denn für mich kocht."
„Wirklich?"
Das ist echt bedauernswert. Er hat keine Freunde. Wie hält man das aus? Ich freu mich schon auf meinen anstehenden Geburtstag nächste Woche und überlege, wie ich meine ganzen Freunde in meiner kleinen Wohnung unterbringe. Das sind Sorgen, die ein Mensch in unserem Alter haben sollte. Eron kennt sowas nicht. Ich finde das muss sich ändern.
„Hör mal, Eron", beginne ich und stelle die gefüllten Teller auf den Tisch. „Ich werde nächste Woche Mittwoch Neunundzwanzig. Ich würde gerne meine Freunde einladen und eine kleine Feier abhalten. Nichts außergewöhnliches, aber ich wollte...also ich...ähm...würde es begrüßen, wenn du auch kommst."
Nervös setze ich mich ihm gegenüber und warte auf seine Reaktion. Ist das jetzt zu viel für ihn? Schließlich kennen wir uns kaum.
Er scheint lange darüber nachzudenken und starrt auf das dampfende Essen.
„Nisha...ich weiß das echt zu schätzen, aber..."
Er wird es ablehnen. Nur warum? Will er ewig ein Außenseiter bleiben?
„Du musst natürlich nicht. Es ist schon okay", sage ich schnell, um es ihm leichter zu machen.
„Es wäre einfach keine gute Idee. Trotzdem danke."
Seine Dankbarkeit kommt aus tiefster Seele. Er lächelt unmerklich und sieht mir direkt in die Augen. Dann nimmt er den Löffel und probiert den Eintopf. Ich warte noch einen Moment und behalte ihn im Auge.
Er stutzt, nimmt noch einen Löffel und wagt einen überraschten Blick auf mich.
„Das ist echt lecker, Nisha. Du solltest bei Laurent im Restaurant arbeiten. Die Leute werden deinen Eintopf lieben."
„Oh, ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht, wo ich arbeiten werde. ich habe noch nie in einem Restaurant gearbeitet."
Er macht mir weiterhin Mut und langsam festigt sich die Idee in meinem Kopf. Ich kann es ja mal ausprobieren. Wäre mal eine Abwechslung zum Einzelhandel. Allerdings habe ich keine Erfahrung in der Gastronomie. Eron ist fest davon überzeugt, dass ich das bei Laurent nicht brauche. Findet er mein Essen so gut?
Er verschlingt den Teller innerhalb kürzester Zeit, also beantwortet das meine Frage. Als ich ihm einen Nachschlag anbiete, nickt er sofort.
„Meine Güte, du bist ja hungrig wie ein Wolf", bemerke ich, als er auch die zweite Portion hinunter schlingt, als habe er seit Tagen nichts gegessen.
Doch bei meiner Bemerkung verschluckt er sich ganz doll.
Als er mich entgeistert anguckt, kann ich nicht anders, als über ihn zu lachen.
„Erzähl mir lieber von deinen Träumen", grummelt er und ich wundere mich, dass er den Teller nicht noch ableckt, so sauber kratzt er ihn. Anscheinend hat es ihm wirklich geschmeckt.
„Hmm...ich weiß nicht genau, ob es nur Träume sind."
Jetzt habe ich seine volle Aufmerksamkeit. Er legt das Besteck nieder und schaut mich neugierig an.
„Wie meinst du das?"
„Naja, ich denke dass sie irgendwie...wahr werden."
Wahrscheinlich hält er mich jetzt für bescheuert. Nein, nicht Eron. Jeder andere, aber nicht Eron.
Kurz und knapp berichte ich ihm von meinen Träumen, in denen ich jedes Mal ein anderes Tier gewesen zu sein scheine. Er lehnt sich auf dem Stuhl zurück und lauscht aufmerksam meinen Worten, bis ich zu der Geschichte mit der Schlange komme.
Ab da wird er auf einmal blass und starrt mich ungläubig an. Klingt das zu abgedreht? Wahrscheinlich.
„Ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll. Vielleicht ist es ja nur ein Zufall, aber es hat sich jedes Mal so echt angefühlt. Dann war ich auf den Hügeln und bin eingeschlafen. Ich habe von einem schwarzen Wolf geträumt. Lustiger Weise genau an dem Ort, wo wir dem Bären begegnet sind. Ich habe genau von diesem Ort im Wald geträumt. Auch wenn ich mich dort nicht auskenne, so würde ich ihn dennoch wiedererkennen."
Ich schaue in Erons bleiches Gesicht. Was ist denn los mit ihm? Wieso sieht er so aus, als ob ihm schlecht wäre?
Er hält angespannt die Hände vor seinem Gesicht gefaltet und stützt seine Arme auf dem Tisch ab. Seine Augen starren so ernst auf mich, dass ich unsicher werde.
„Hey, ist alles okay? Du nimmst das doch nicht ernst, oder? Du kennst dich zwar dort draußen aus, aber solche Dinge passieren doch nicht wirklich, nicht wahr? Ich meine...wie verrückt wäre das bitte?"
Eron sagt nichts. Er schweigt still in sich hinein und mustert mich mit ernster Miene. Zumindest hat er mich noch nicht für verrückt erklärt. Vielleicht ist er auch nicht mutig genug es mir ins Gesicht zu sagen.
Sein Schweigen macht mich nervös.
„Hältst du mich für bescheuert?", frage ich nun ganz offen. Dabei weiß ich nicht, ob ich seine Antwort verkrafte.
Er lehnt sich wieder zurück und lässt die Arme neben dem Teller auf den Tisch sinken, anschließend räuspert er sich und der Ausdruck seiner Augen wird weicher. Trotzdem bleibt seine Anspannung.
„Nein, halte ich dich nicht. Ich kann dir nur keine Erklärung dafür geben. Manchmal haben wir Träume, die uns eine bestimmte Richtung zeigen sollen. Manchmal werden sie auch wahr. Das sind eben solche Dinge, die wir nicht erklären können. Es gibt so viele Wunder dort draußen, die wir nicht einmal annähernd verstehen. Die Natur ist so unglaublich groß. Wer sagt denn, dass wir bereits alles über die Welt dort draußen wissen?"
Er hätte vielleicht lieber Philosoph werden sollen, so wie er redet. Trotzdem beruhigen mich seine Worte.
Plötzlich steht er auf.
„Tut mir leid, Nisha, ich sollte gehen. Danke für das Essen. Es war wirklich...ich meine es hat echt lecker geschmeckt. Doch werde ich das nicht wiederholen."
Wie jetzt? Was hat das auf einmal zu bedeuten?
„Wieso, Eron?"
„Ich möchte, dass du dich vom Wald fern hältst."
„Du wiederholst dich", antworte ich enttäuscht.
„Weil ich es ernst meine."
Eron stützt sich mit den Armen auf den Tisch und sieht mir tief in die Augen. „Bitte lass dich von diesen Träumen nicht beunruhigen. Das geht bestimmt vorbei."
„Was haben meine Träume damit zu tun, dass du nichts mit mir zu tun haben willst? Ich meine...was muss ich denn tun, um deine Freundschaft zu gewinnen?"
Das klang jetzt etwas kläglicher als beabsichtigt. Eigentlich sollte man jemanden nicht zur Freundschaft zwingen, wenn er sich standhaft wehrt.
Bestimmt gibt es auch andere nette Leute in Allmende, die sich darum reißen Zeit mit mir zu verbringen.
„Es ist besser wenn wir keine Freunde werden."
Also mit anderen Worten: Eron hat nicht das geringste Interesse an mir. Ist überhaupt jemand gut genug für ihn?
~
Sein Verhalten schmerzt sie mehr als er erwartet hat. Dank seiner übermenschlichen Sinne spürt er wie enttäuscht sie ist. Es sollte ihn freuen, ja sogar schmeicheln, dass sie sich für ihn interessiert und das tut sie. Schon beim Einzug haben sie und ihre Freundin ihn mit offener Neugier und auch mit Interesse gemustert.
Nur darf Eron nicht einfältig werden. Er lebt bloß bei den Menschen, bis er jemanden gefunden hat, der ihm helfen kann. Mag sein, dass sogar Nisha dieser Mensch ist. Allerdings wird er sich niemals aus anderen Gründen für die Menschen interessieren.
Wenn Nisha irgendwann erfährt wer er wirklich ist und was in Allmende alles vor sich geht, wird sie vermutlich eh nichts mehr von ihm wissen wollen. Also geht er kein Risiko ein und bleibt auf Abstand. Egal wie schwer es ihm fällt.
Ja es wird ihm schwer fallen den ersten und einzigen Menschen von sich zu stoßen, der keine Angst vor ihm hat - zumindest bis jetzt - und sogar Freundschaft anbietet.
Doch er darf seine Prioritäten nicht aus den Augen verlieren. Viel Zeit bleibt ihm nicht. Vielleicht noch ein paar Monate, wenn's hoch kommt ein Jahr. Vielleicht auch viel weniger.
Nisha lässt den Kopf hängen.
„Ich habe verstanden. Dann werde ich dich in Ruhe lassen."
Sie versteht überhaupt nichts. Sie nimmt es persönlich.
„Bitte glaub mir, es hat nichts mit dir zu tun. Nur glaube ich nicht, dass du meine Freundin sein möchtest, wenn du ein bisschen mehr über mich erfährst."
„So schlimm kannst du doch nicht sein, Eron", murmelt sie und räumt die Teller zusammen.
„Du hast ja keine Ahnung, Nisha. Ich...ich will dich nicht verletzen. Das wird aber passieren, sobald ich dich nahe genug an mich heran lasse."
Zum Glück hat er bis jetzt niemanden verletzt. Doch gerade weil Nisha ihn immer gut behandelt hat, will er sie nicht in Gefahr bringen. Sie verdient es einfach nicht.
„Du hast bloß Angst vor dem Unbekannten. So leicht bin ich nicht zu verletzen. Außerdem macht es doch eine Freundschaft aus, dass man jemanden hat, der einem vergibt. Egal was man anstellt."
Sie steht auf und hantiert in der Küche herum. Eron weiß, dass sie es nicht versteht. Würde er vermutlich auch nicht, wenn er an ihrer Stelle wäre.
„Würdest du mir auch vergeben, wenn ich...jemanden umbringe?"
Das ist die richtige Frage. Ihre Augen werden groß und sie sieht ihn entsetzt an.
„Das würdest du nicht tun."
„Nein...ich werde."
Sie stellt das schmutzige Geschirr in die Spüle und schaut ihn total entgeistert an.
„Das...das ist ein Scherz oder? Eron sag mir nicht..."
Er lächelt sie beruhigend an und nimmt seine Hände vom Tisch.
„Zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Es wird niemand sein, den du kennst."
Er hat ihr gerade gesagt, dass er vorhat einen Mord zu begehen. Entweder sie glaubt ihm nicht oder sie ist so geschockt, dass sie nicht weiß, wie sie reagieren soll. Jedenfalls starrt sie ihn erschrocken an ohne ein Wort zu sagen.
„Danke für das Essen, Nisha", sagt er bevor er ihr den Rücken zukehrt und leise die Wohnung verlässt.
Vielleicht war es ein Fehler ihr das zu erzählen, denkt Eron sobald er in seiner eigenen Wohnung ist. Wenn morgen die Polizei vor seiner Tür steht, weiß er wie er Nisha einschätzen soll.
Diese Nacht wird er wohl die Alpträume haben.
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