30. 𝑮𝒆𝒕𝒓𝒆𝒏𝒏𝒕𝒆 𝑾𝒆𝒍𝒕𝒆𝒏 𝒖𝒏𝒅 𝒅𝒐𝒄𝒉 𝒗𝒆𝒓𝒆𝒊𝒏𝒕

Für lange Zeit hat Eron nichts als Zorn und Hass in sich gespürt. Immer hat er Versuch das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur zu halten. Dabei hat er nicht gewusst, dass die Natur dazu fähig ist sich selbst zu heilen. Zumindest wenn es Menschen möglich machen.

Stets hat er sich gefragt, warum es die Menschen gibt, wenn sie doch nur alles zerstören können.
Heute weiß er es besser. Die Menschen sind nun mal da und sie werden immer eine Bedrohung sein. Die Natur wird auch immer eine Bedrohung für die Menschen sein. Doch ganz selten, können beide im Einklang leben.

Ein tröstender Gedanke.
Eron fühlt sich beruhigt. Nicht nur, weil sein Zuhause sich wieder erholen wird, sondern weil ein Mensch ihm wieder Mut gegeben hat. Ausgerechnet ein Mensch.

Nisha ist von Anfang an etwas besonders gewesen. Trotz seines natürlichen Misstrauens hat Eron etwas Neues in ihr gesehen. Letztendlich hat sie ihn nicht enttäuscht.

Allerdings ist es nicht nur ihr Mut und ihre Verbundenheit zur Natur, warum Eron sich zu ihr hingezogen fühlt. Nun da sein Schmerz verflogen ist, fühlt er ihre Wärme und ihre aufrichtige Zuneigung. Sie ist wunderschön, jung, ausgeglichen und absolut ehrlich. Sie hat sich nie von ihrem Kurs abringen lassen. Vielleicht ist es auch das, was ihn so beeindruckt.

Eron beschließt jedenfalls nicht mehr vor ihr wegzulaufen. Nisha verdient mehr.
Darum nimmt er sie in den Arm und gibt ihr endlich etwas Wärme zurück. Er hört aufgeregt ihr Herz pochen und schmunzelt für sich. Im nächsten Augenblick hört er sein eigenes Herz lauter schlagen.

Wieso hat er es die ganze Zeit nicht bemerkt, wie sehr er Nisha mag?
Ihre schönen Augen glitzern und verraten ihre Sehnsüchte und bald schon kann Eron sich nicht mehr zurück halten. Er muss diese zarten Lippen kosten. Eine Sekunde später tut er es auch schon.

Es fühlt sich leicht und tröstend an.

Sie schmiegt sich an ihn und vergräbt die Hände in seinen Haaren. Das ist so angenehm. Ihre Nähe ist berauschend. Eron will dieses Mädchen festhalten und beschützen. Ihr soll kein Leid geschehen. Sie verdient die größte Ehre.

„Eron..."

Wenn sie so liebevoll seinen Namen flüstert, weicht sämtlicher Kummer von ihm. Sie fängt ihn auf. Was für ein schönes und lang ersehntes Gefühl.

„Bleib bei mir, Eron", flüstert sie leise nach dem Kuss und legt ihren Kopf an seine Schulter.

Er denkt darüber nach. Eigentlich ist sein Leben bei den Menschen vorbei. Nichts zieht ihn nach Allmende zurück. Nur leider kann Nisha nicht wie ein Tier im Wald leben.

„Ich werde immer in deiner Nähe sein", Antwort er nach einer Weile und hält sie noch immer fest.
Doch Nisha hört den Unterton in seiner Stimme.
„Du wirst nicht nach Allmende zurückkommen", stellt sie fest. Sie sieht etwas enttäuscht aus.
Eron schüttelt bestätigend den Kopf.

„Ich kann nicht..."
„Schon gut", unterbricht sie ihn, bevor er es erklären kann. Vielleicht ist das auch gar nicht nötig.
„Ich habe den Waldgott um dein Leben gebeten. Es ist genug für mich."
„Du verstehst mich falsch, Nisha."
Sie legt den Kopf schief und wartet.
„Ich werde bei dir bleiben. Nur kann ich nicht meinen Wald verlassen."

Sie tritt zurück und nickt. Hat sie ihn wirklich verstanden?

„Komm, ich bringe dich zurück nach Hause. Du sollst noch ein paar Stunden Schlaf bekommen."

Er begleitet sie nach Hause und wartet, bis sie erschöpft und glücklich ins Bett fällt.
„Lass immer deine Tür offen, Nisha", sagt er ihr leise.
Sie nickt müde.
Eron bleibt an ihrer Seite, bis sie eingeschlafen ist und geht dann lautlos über den Balkon hinaus.

Es ist frisch draußen, doch sein Herz ist so warm wie schon lange nicht mehr.

Heute Nacht will er in Nishas Nähe bleiben, aber bald sollte er das Rudel besuchen. Sira wartet bestimmt auf Neuigkeiten.
Eron schaut auf die schwarzen Tannen, die sich am Horizont in den funkelnden Himmel strecken. Bald wird es wieder einen Lebensbaum geben. Bald wird es wieder sein wie früher. Nur ein paar Jahre, dann würde es hier ganz anders aussehen.

Er lächelt, als er sich geschickt über die Brüstung schwingt und ohne Taumeln auf dem Boden aufkommt. Dann nimmt Eron seine wahre Gestalt an und läuft nach Hause. In seinen schützenden Wald.



~



Als ich aufwache, bin ich alleine. Sofort sehe ich mich nach Eron um. Er hat sich wohl davon geschlichen.

Müde kämme ich mir die Haare mit den Fingern zurück und stehe auf. Erst denke ich einsam zu sein. Doch dann fühle ich mich seltsam leicht. Die Erinnerung an den Kuss ist noch allzu präsent. Ein Lächeln zuckt über meine Lippen, die noch immer Erons fühlen.

Er mag mich, sage ich mir immer wieder und beginne den Tag. Er mag mich genug, um bei mir zu bleiben.

Ich frage mich wann ich ihn wieder sehen werde. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten.
Nach der Arbeit eile ich nach Hause und sehe ihn lässig vor meinem Haus an einen Baum gelehnt. Hat er keine Angst, dass man ihn sieht? Oder ist es ihm egal?

Die Leute halten ihn für tot oder denken er sei abgehauen. Ihn so lässig dort stehen zu sehen, würde meine Nachbarn sicher verwirren.
Ihn scheint das nicht zu kümmern.
„Hallo!", grüßt er freundlich und kommt mir die letzten Schritte entgegen.

„Bonjour!", antworte ich lächelnd. Es ist so schön ihn wieder zu sehen.
„Kannst du mir einen Gefallen tun, Nisha?"
Ich nicke eifrig.
Er druckst etwas verlegen herum und tut sich schwer mit der Frage.
„Sag's doch einfach."
„Also gut. Kannst du etwas kochen?"

Ich stutze überrascht. Das habe ich nicht erwartet.
„Ich will noch einmal diesen Eintopf essen", gesteht er und kann mir nicht in die Augen schauen. Dabei sollte es ihm nicht unangenehm sein.
Ich brauche eine Sekunde, dann fange ich herzhaft an zu lachen.

„Natürlich, Eron. Doch ich habe auch eine Bitte."
Diesmal nickt er erwartungsvoll.
„Ich will ihn mit dir im Wald essen. Als ein Picknick sozusagen."
„Was ist ein Picknick?"
Oje, der ärmste. Er hat wirklich was verpasst.

„Lass dich überraschen", grinse ich. „Ich treffe dich später an der Grenze zum Wald. Such du nur ein schönes Fleckchen aus, welches vielleicht nicht verbrannt ist."

Eron verspricht das zu tun und gibt mir ein paar Stunden Zeit mich und das Essen vorzubereiten. Dabei bin ich so nervös. So nervös wie schon ewig nicht.

Als ich noch in der Küche stehe und regelmäßig im großen Topf rühre, klingelt mein Handy.
„Hallo, Maren!", grüße ich meine beste Freundin.
„Oh Nisha, Du klingst ja schon viel besser. Ist alles in Ordnung zwischen dir und Eron?"
Sie trifft mal wieder den Nagel auf den Kopf.

„Ja, es könnte gar nicht besser sein."
„Ach ja?", fragt sie neugierig nach.
„Du bist so neugierig", lache ich und stelle den Herd aus.
„Erzähl schon. Nur weil du jetzt weit weg wohnst, heißt das doch nicht ich darf nicht mehr an deinem Leben Teil haben."

„Ja schon gut. Also wenn du es unbedingt wissen willst..."
Ich gehe ins Wohnzimmer. Mein Blick bleibt am Balkon hängen.
Ich weiß nicht, wann er sich dort hingelegt hat.
Eron bewegt nur leicht die zotteligen Ohren. Sein Kopf liegt zwischen den gigantischen Pfoten und seine Augen verfolgen jede meiner Bewegungen. So wartet er ganz entspannt auf mich.

„Nisha?"
Ich habe Maren für einen kurzen Moment vergessen.
„Ich...habe gleich ein Date", sage ich etwas von Eron abgelenkt. Er ist so schön. Der schönste Wolf weit und breit und noch dazu sehr stark. Ich fühle mich wirklich beschützt.

„EHRLICH?"
Maren ist voll aus dem Häuschen.
Ich bezweifle, dass Eron die Bedeutung meiner Worte kennt. Zumindest reagiert er nicht darauf.

„Mit Eron? Erzähl mir alles, Nisha."
„Nicht jetzt, Maren. Ich muss noch was vorbereiten."
„Okay, aber du musst das unbedingt nachholen."
„Versprochen."
„Das muss ich unbedingt Sascha erzählen. Der wird staunen."

Sie legt bald auf und ich kümmere mich wieder um meinen Eintopf. Nebenbei schleicht sich der hungrige Wolf in meine Küche und reckt neugierig die Nase in die Luft.
„Riecht lecker, nicht?"
Er leckt sich die Schnauze als Antwort und bringt mich zum Lachen. Wie kann er nur so tierisch und gleichzeitig so menschlich sein?

Als er sich umdreht und leicht mit dem Schweif wedelt, fegt er fast die Teller vom Tisch. So ein riesiges Tier gehört nicht in meine Küche. Er kommt herein und der Raum ist voll.
„Ich bin noch nicht ganz fertig. Bitte warte doch draußen auf mich."
Maulend gehorcht er mir und lässt mich alleine.

Eine halbe Stunde später laufe ich über die Felder und drücke den großen Holzkorb an mich. Darin klappern die Schalen und der Topf. Ich habe auch etwas Wein und eine Decke eingepackt - so wie sich das gehört. Ich weiß gar nicht, ob Eron Wein mag. Auf keinen Fall will ich ihn wieder betrunken machen.

Ich treffe ihn, sobald ich die grünen Bäume erreiche. Diesmal zeigt er sich als Mensch.
Ich folge ihm ein Stück tiefer in den Wald, bis wir eine schöne Lichtung erreichen. Sie ist zwar nicht so magisch, wie die Lichtung beim Lebensbaum, aber sie sieht einladend aus. Der Boden ist trocken. Zwischen den hohen Grashalmen wachsen vereinzelte Blumen und die Laubbäume strecken ihre Äste schützend über uns, als ich die Decke ausbreite und alles vorbereite.

„Du hast dir viel zu viel Mühe gegeben", meint Eron als er sich im Schneidersitz an den Rand der Decke setzt.
„Das war kaum der Rede wert."
Außerdem mache ich das gerne.

Ich gebe ihm eine Schale von dem leckeren Essen, was er abermals verschlingt. Last bloß kein Lamm in seine Nähe, denke ich bei mir und schmunzle.

Ich genieße es mit ihm zu essen, wobei es mir etwas seltsam vorkommt. Ich bin angespannt. Irgendwie weiß ich gar nicht was ich sagen soll. Dabei könnten wir doch jetzt über alles reden.

„Willst du Wein?", frage ich unsicher.
Eron nickt vorsichtig.
Ich reiche ihm einen Schluck und er probiert.
Scheint ihm zu schmecken. Erleichtert trinke ich ebenfalls einen Schluck.

Es ist ein ganz normales Date, oder nicht? Naja abgesehen von der Kulisse und der Tatsache, dass mir ein Gestaltwandler gegenüber sitzt.

„Können wir das öfter machen?", bittet er und ich bemerke das schon leere Glas.
Er ist ja so ein Feinschmecker. Er mag Lamm-Eintopf und Wein. Das kann nur passen.
„Gerne. Heißt das ich darf öfter herkommen?"
„Nisha, du bist wohl der einzige Mensch dessen Gegenwart hier ohne weiteres geduldet wird."

Mehr braucht Eron nicht zu sagen. Von da an war es klar, der Wald war mein zweites Zuhause. Ich lasse Eron mir seine Welt zeigen. Immer mehr sehne ich mich nach ihm und der Magie, die ihn umgibt.

Immer wieder komme ich in den Wald, treffe ihn dort und verbringe ein paar Stunden mit ihm zusammen.
Genauso kommt er zu mir. Meistens legt er sich nachts als Wolf neben mein Bett und wacht über mich. So tut er es auch, wenn ich meine Familie besuche.

Doch ganz bekomme ich den Wolf nicht aus ihm heraus. Auch nicht den Wald. Das will ich auch gar nicht. Es genügt mir in verschiedenen Welten zu leben und sich hin und wieder zu treffen.

Meinen ersten Urlaub nutze ich dazu mit ihm in die Berge zu wandern und die anderen Wölfe zu besuchen. Ich treffe gelegentlich auch Zaza, der mir jedes Mal eine Nuss schenkt.

Die Tiere dulden mich und vertrauen mir, was mich absolut begeistert.
Doch das schönste ist Erons Vertrauen zu haben. Ich kann neben ihm sitzen und ihm nachdenklich wie einen Hund den Nacken kraulen oder ihn ganz heimlich in den Arm nehmen, ohne dass es jemanden stört.

Immer wenn ich meine Arme um seine Mitte Schlinge, genieße ich seine Wärme, seinen gleichmäßigen Herzschlag und seinen Atem, der auf meiner Haut kitzelt.

Manchmal frage ich mich, ob er das genauso empfindet. Dann schaue ich in seine goldenen Augen und bin beruhigt. Er brauch nichts sagen. Ich erkenne seine Zuneigung in seinen Augen. Genauso wie man einem Hund die Liebe am Gesicht abliest. Na ja, nicht ganz genauso.

Trotzdem kann ich behaupten glücklich zu sein. Mehr als glücklich.

Eines Nachts schleicht er sich wieder in meine Wohnung. Da es schon kälter wird, schiebe ich abends die Balkontür zu, schließe aber nicht ab damit er jeder Zeit zu mir kommen kann.

Es ist schon weit nach Mitternacht, als ich durch ein leises Rascheln geweckt werde. Ich bin zu müde, um mich zu erheben, aber meine Augen erblicken den Mann, der mit nichts als Hose und Shirt bekleidet zu meinem Bett schleicht.

„Eron?"
Er legt den Finger auf seinen Mund und bittet mich still zu sein. Dann klettert er ganz vorsichtig und mit sicheren Tritten über meinen eingemummelten Körper hinweg auf die andere Seite der Matratze. Dort legt er sich still neben mich auf die Decke. Ich bin überwältigt und traue mich erst gar nicht mich zu bewegen.

„Ist das okay für dich?", flüstert er leise.
Ich nicke nur. Kann er das überhaupt sehen?
Langsam drehe ich mich zu ihm um.
„Warst du bis jetzt unterwegs?"
Er schüttelt leicht den Kopf und sieht mich direkt an.
„Ich habe dich nur vermisst."
Ich freue mich über seine Worte.

Wenn Vianne mich so sehen würde, dann würde sie Eron prompt aus meinem Bett raus schmeißen. Allerdings bin ich keine sechzehn mehr. Ich werde nächstes Jahr dreißig. Jungfrau bin ich auch nicht und bis jetzt hat Eron mich nicht mal angefasst.

Na schön er hat mich geküsst. Zählt das schon? Ich meine er liegt ganz friedlich neben mir. Das ist doch nicht verboten. Die Franzosen sind eh nicht so verklemmt. Nur meine Eltern sind so konservativ.

Plötzlich hebt Eron seinen Arm und legt ihn um meinen Oberkörper. Ich bin zwar verwundert über diesen unvorhersehbaren Zug, aber es beunruhigt mich nicht.
Er ist so warm. Kein Wunder, dass er nie friert.

Er zieht mich leicht in seine Richtung, sodass ich ihm noch näher bin. Da liegen wir nun beisammen gekuschelt. Eron schließt die Augen und entspannt sich völlig.
Ich mache mir nicht bewusst welch starke Wolfsklaue mich gerade festhält und schmiege mich an ihn. Er duftet nach Erde und nach feuchtem Gras. Ein herrlicher Geruch.

Man nimmt an ein Wolf sollte nach nassem Hund riechen. Tut er aber nicht - nicht Eron. Er duftet immer herrlich nach Wald. Eine Sache mehr, die ich an ihm mag.

„Ich liebe dich, Nisha", sagt er fast so leise, dass ich mir einbilde das zu träumen.
Sofort bin ich hellwach. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Mein Herz klopft so laut, dass Eron es bestimmt hören kann.
Sein amüsiertes Schmunzeln bestätigt meine Annahme.

In diesem Moment muss ich gar nichts darauf sagen. Ich schimpfe auch nicht, weil er mir die Nachtruhe klaut. Ich bin einfach so glücklich über seine von Herzen kommenden Worte, dass ich es nicht beschreiben kann.
Darum kuschle ich mich noch enger an meinen warmen Wolf und freue mich über seine Nähe.

Obwohl wir aus verschiedenen Welten kommen und absolut verschieden sind, haben wir uns gefunden. Wir haben Verständnis auf einer gemeinsamen Ebene gefunden und allen um uns herum getrotzt.
Wer sagt denn, dass Natur und Mensch kein gegenseitiges Verständnis erlangen können?

Ich jedenfalls habe meinen Frieden gefunden und Eron auch.


E N D E

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