21. 𝘿𝙚𝙧 𝙕𝙤𝙧𝙣 𝙚𝙞𝙣𝙚𝙨 𝙆𝙧𝙞𝙚𝙜𝙚𝙧𝙨
Das hat nichts mehr mit Vernunft und guten Vorsätzen zu tun, was Eron da macht. Völlig unüberlegt hat er sich den Hügel hinunter gestürzt und beginnt die Leute von Lambert anzugreifen. Diese sind völlig erschrocken über den aggressiven Wolf, der ihnen mit dem knurrenden Maul die Werkzeuge aus den Händen reißt und sie zu Boden schleudert.
„Er ist lebensmüde!", ruft Toulouse völlig außer sich und hält krampfhaft Lui davon ab seinem durchgedrehten Bruder nach zu eilen.
„Wieso tut er das? Er war doch die ganze Zeit gegen Gewalt."
„Es ist genau wie damals. Das Blut in ihm kocht und bringt ihn dazu diese Dinge zu tun. Eron ist nicht mehr aufzuhalten."
Nervös und ängstlich blicke ich den dunkelhaarigen Jungen an. Ich stehe hier hilflos herum und kann nur dabei zuschauen, wie Eron sich wütend auf die Menschen stürzt. Doch er tötet niemanden. Er nimmt ihnen die Werkzeuge ab und klettert sogar auf die Maschinen, um diese zu zerstören. Das schafft er, indem er sich als Mensch ins Führerhaus setzt und eine der monströsen Fahrzeuge bedient. Woher weißt er nur wie das geht?
Er lenkt das übergroße Gefährt genau auf das zweite zu und lässt es in dessen Seite krachen. Er springt hinaus, bevor ihn die Arbeiter zu fassen bekommen und ist sofort wieder ein Wolf. Ich hätte nie gedacht, dass er sich so schnell verwandeln kann.
Eine Explosion reißt alle von den Füßen. Beide Fahrzeuge gehen in lodernden Flammen auf. Das bringt Eron Genugtuung. Wütend hält er einen Augenblick inne und sieht sich das von ihm angerichtete Chaos an.
Plötzlich knallt ein Schuss und die Kugel trifft den Boden nur wenige Zentimeter vor Erons großen Pfoten. Schnell dreht er sich zur Stadt um und sieht die kleineren Jeeps, bestückt mit Soldaten und einigen Gewehren.
Allen voran hält sich Lambert in einem der Fahrzeuge auf. Er steht trotz hoher Geschwindigkeit auf dem Rücksitz und hält seine Pistole auf Eron gerichtet, die noch vom letzten Schuss raucht.
„Eron bitte Lauf weg!", brüllt Lui verzweifelt.
Auch ich sehe keine Chance für den Wolf und bete, dass Eron das Weite sucht.
Allerdings werden meine Hoffnungen enttäuscht. Eron setzt zum Sprung an und hebt sich seinem Erzfeind entgegen. Doch bevor er auch nur in die Nähe von Lamberts Fahrzeug kommen kann, eröffnen die Männer das Feuer.
Eron kann ihnen nur mit Mühe ausweichen. Trotzdem ist er schnell genug. So schnell, dass er sich geschwind hinter Baumstümpfen oder anderen Hindernissen verstecken kann.
„Los Männer, ihr könnt von mir haben was ihr wollt, nur erledigt diesen Wolf!", befiehlt Lambert lautstark und mir rutscht das Herz in die Hose.
Ich halte es nicht länger aus und rutsche ungalant den Hügel hinunter. Dabei fängt mich das Laub der Bäume auf und ich komme gerade noch umhin mir wieder die Beine aufzuschlitzen.
„Hört auf!", schreie ich, doch niemand nimmt Rücksicht auf mich. Lamberts Männer feuern ununterbrochen auf den Wolf. Eron hat keine andere Wahl, als sich Schutz zu suchen.
Ich erreiche Monsieur Lambert endlich und hänge mich außer Atem an sein Gefährt.
„Bitte, Sie wissen genau, dass er nicht nur ein Wolf ist. Sie dürfen nicht auf ihn schießen."
„Gehen Sie beiseite, Mademoiselle, sonst geraten Sie ins Kreuzfeuer."
Jemand schiebt mich beiseite. Ich wehre mich heftig gegen den dunkel gekleideten Mann. Er trägt Handschuhe und einen Brustpanzer. Sein Gesicht ist verhüllt und auf dem Kopf trägt er einen Schutzhelm. Ist er etwa ein Söldner? Alle Soldaten sehen so aus. Doch das sind keine echten Soldaten. Ihre Uniformen sind ganz schwarz und sie tragen keine Abzeichen.
Was sind das für Leute?
„Würdet ihr ihn jetzt wohl erschießen!", ertönt Lamberts erneuter Befehl.
„Monsieur, mit den kleinen Projektilen erwischen wir ihn nicht."
„Dann nehmt größere. Ist mir egal, was ihr tut, nur schafft mir diesen Mistkerl aus den Augen", ruft Lambert erzürnt.
„Nein! Er vereidigt sich doch bloß", protestiere ich empört.
„Sehen Sie was er mit meinen Arbeitern gemacht hat. Außerdem hat er zwei der Maschinen zerstört. Wissen Sie was die Dinger kosten?"
„Er hat doch niemanden ernsthaft verletzt, oder?", argumentiere ich weiter.
„Sie sollten sich nicht in Dinge einmischen, die Sie nicht verstehen, Mademoiselle!"
Lambert sieht mich mit seinen verengten Augen von oben herab an. Der Mann ist mir einfach zuwider.
„Er will doch bloß den Wald beschützen. Bitte hören Sie damit auf, Lambert!", flehe ich und zapple gegen die starke Hand an, die mich festhält.
In diesem Moment wagt Eron einen weiteren Angriff. Dieses Mal gelingt es ihm auch. Er reißt den Soldaten die Waffen aus den Händen oder verbeißt sich in ihren Schuhen und zieht sie unsanft von den Füßen.
Erneut wird auf den schwarzen Wolf geschossen, der die ganze Zeit in Bewegung bleibt. So können ihn die Kugeln nicht erwischen.
„Verdammt!"
Lambert gefällt das gar nicht.
Dann stellen seine Männer eine Maschinenkanone auf. Sie schießt so schnell hintereinander, dass Eron dem selbst mit Flügeln nicht entwischen würde. Entsetzt schreie ich auf.
Der Wolf hat Glück. Die noch brennenden Hüllen der gelben Maschinen bieten ihm genug Deckung.
„Bitte, Eron, lauf doch weg!", rufe ich verzweifelt.
Wieso beschließt der Wolf ausgerechnet jetzt seinen Kopf auszuschalten und seiner Wut freien Lauf zu lassen?
Es scheint als hätte er mich erhört. Eron greift die Menschen nicht mehr an, sondern zieht sich geschwind in den Wald zurück. Allerdings nicht dort wo er her gekommen ist, vermutlich um seine Brüder nicht auch noch in Gefahr zu bringen.
„Hinterher!", befiehlt Lambert entschlossen.
Ich sehe erschrocken zu ihm auf. Eron zieht sich bereits zurück. Will er ihn etwa durch den Wald verfolgen? Das schafft er niemals. Eron ist viel schneller als sie, außerdem kennt er den Wald in und auswendig.
Mir bleibt die Spucke weg, als ich die Quads anrollen sehe. Mit denen kommen sie ohne Probleme durch den Wald.
„Ich beschwöre Sie, Lambert, lassen Sie Vernunft walten!"
Der Mann schwingt nur seine Taschenuhr umher und steckt seine Pistole weg.
„Dieser Wolf hat mich zum letzten Mal beleidigt", grummelt er ernst und gibt seinem Handlanger anschließend den Befehl mich loszulassen.
„Damit kommen Sie nicht durch."
„Und ob, meine Liebe, ich habe die offizielle Erlaubnis hier für Ordnung zu sorgen und ich habe den Leuten in Allmende versprochen, dass ich sie beschützen werde."
In mir kommt alles hoch. Mein Blut fängt zwar nicht an zu kochen, doch ich wünschte in diesem Moment mich in einen Wolf oder etwas noch stärkeres verwandeln zu können. Wenn er Eron etwas antut, werde ich ihm das nicht verzeihen.
Wütend renne ich los, wieder den Hügel hinauf und suche nach Erons Brüdern. Doch diese sind nicht mehr dort wo ich sie zurück gelassen habe.
Vielleicht ist es besser so. Sie dürfen nicht auch noch in Gefahr geraten. Vielleicht sind sie auch zu Sira geeilt, um sie um Hilfe zu bitten.
Ein leises Schnalzen weckt meine Aufmerksamkeit. Ich sehe vor mir ein braunes Eichhörnchen sitzen.
„Zaza? Zaza bist du das?"
Ohne groß nachzudenken hocke ich mich hin und strecke meine Hände nach dem kleinen Kerlchen aus.
Er scheint auch nichts dagegen zu haben, dass ich ihn hoch nehme.
„Ich muss Eron finden, er ist in Gefahr."
Er antwortet mir mit einem weiteren Schnalzen.
„Ich verstehe kein Wort, Zaza. Kannst du nicht ausnahmsweise als Mensch mit mir reden?"
Zaza springt mir aus den Händen und hüpft wieder auf den Boden. Er läuft ein paar Meter und dreht sich dann zu mir um.
„Weißt du wohin Eron gelaufen ist? Kannst du mir den Weg zeigen?"
Zaza läuft wieder los und ich eile ihm hinterher.
~
Lambert ist eindeutig zu weit gegangen. Er wollte eine Mauer bauen, um die Bewohner von Allmende zu schützen. Doch warum muss er dazu den Wald abholzen? Zwar hat Eron die Maschinen zerstört und damit ein hübsches Feuer angezündet. Allerdings wird es nicht lange dauern, bis Lambert neue Maschinen anschafft. Kümmert es die Leute aus der Stadt denn gar nicht, dass der ganze Wald vernichtet wird? Wollen sie überall nur noch Beton sehen?
Wütend rennt der schwarze Wolf durch den Wald. Er hat gar kein Ziel, er will sich einfach nur abreagieren. Doch diese finsteren Gestalten sind ihm immer noch auf den Fersen. Wie können sie sich so schnell vorwärts bewegen?
Diese vierrädrigen, knatternden Fahrzeuge fahren sogar bergauf. Er muss weg von ihnen, so schnell wie möglich. Eron läuft weiter, immer tiefer in den Wald und immer höher in die Berge hinauf. Doch auch dort verfolgen sie ihn noch. Das schlimmste sind die Hunde, die seine Fährte verfolgen können. Sie führen die Menschen, selbst wenn sie den Sichtkontakt zu Eron verlieren.
Sie sollen ihn ruhig jagen, solange sie seine Familie und den Wald in Ruhe lassen.
Eron versteckt sich hinter großen Steinen und wartet bis die ersten Menschen aus der Truppe näher kommen. Sie lenken ihre Fahrzeuge wackelig über den unebenen Boden. Dann springt er aus seinem Versteck hervor und reißt sie von ihren Sitzen. Er darf nur nicht stehen bleiben, denn sogleich wird auf ihn geschossen. Schnell sucht Eron wieder Deckung hinter den dicken Baumstämmen.
Sie treffen ihn nicht. Sie machen ihn nur noch wütender. Das soll Lamberts Armee sein? Wie lächerlich. Hätte er nur damals schon etwas gegen sie ausrichten können. Dann wäre sein Vater vielleicht noch am Leben. Ist es der Gedanke an die Vergangenheit, der Eron so wütend macht? Oder hält er es einfach nicht mehr aus tatenlos zuzusehen, wie man ihm alles wegnimmt?
„Elender Mistkerl, bleib endlich stehen und lass dich von mir erschießen!"
Von wegen, das könnte ihm so passen. Lambert hebt seine Pistole und feuert sie auf Eron ab, der gerade zwischen den Bäumen hin und her rennt.
Doch wieder verfehlt ihn der Schuss.
Nur werden es langsam immer mehr von ihnen. Die Hunde zerren an ihren Leinen und kläffen um die Wette, während es unaufhaltsam donnert. Ein Kugelgewitter prasselt auf die trockene Rinde oder wirbelt das braune Laub am Boden auf.
Es ist schon Mittag und die Sonne brennt geradezu auf Erons schwarzem Fell. Er wird müde. Langsam hat er die Nase voll mit Lambert zu spielen und macht sich aus dem Staub.
Er springt über die Steine hinweg und klettert so den Berg hinauf. Nur leider tun ihm die Menschen es gleich. Was bezahlt Lambert diesen Männern damit sie einen einzelnen Wolf derartig jagen?
Erons Hoffnung ist, dass er besser klettern kann als sie und steigt immer weiter die Felsen hinauf.
Hoch oben ist es windiger und er spürt die Sonne nicht mehr so stark. Trotzdem merkt er wie schwer seine Beine werden. Wie lange ist er jetzt schon auf der Flucht?
Erneut knallt ein Schuss gegen den Felsen nur knapp neben seinem Kopf. Sofort wird Eron wieder schneller. Sie sind immer noch da. Wieso geben sie nicht auf?
Er hat Lambert doch nur ein wenig geärgert. Muss dieser denn gleich so übertreiben?
Eron sieht sich immer wieder nach seinen Verfolgern um. Wenn sie ihn zu nahe kommen haut er mit der Tatze nach ihnen und hält sie so auf Abstand. Sie rutschen den eben erklimmten Felsen wieder ein Stück hinunter, bis jemand sie auffängt. Doch sobald sie auf ihn schießen muss er sich zurückziehen.
Nach einer Weile erreicht Eron die obersten Klippen und sieht sich um. Die Menschen brauchen echt lange ihn einzuholen. Er nutzt die Gelegenheit sich ein paar Minuten auszuruhen. Mal sehen ob sie ihn überhaupt erreichen.
Ein paar rollende Steine lassen ihn herumwirbeln.
„Hab ich dich endlich, du feige Ratte!"
Lambert steht mit drei anderen seiner bewaffneten Söldner vor ihm auf der Klippe und richtet seine Waffe auf Eron. Hat er einen anderen Weg genommen? Wieso hat Eron ihn nicht bemerkt? Er hätte ihn hören sollen. Vermutlich ist er einfach schon zu erschöpft, um seine Sinne richtig zu nutzen.
Knurrend weicht er ein paar Schritte zurück.
„Du hast wohl geglaubt dir alles erlauben zu können, Freundchen. Doch dein Spiel ist endgültig vorbei. Ich habe dich in die Enge getrieben. Vor dir sind nur Feinde und hinter dir der tiefe Abgrund ins Tal. Du hast die Wahl. Wie wirst du wohl abtreten?"
Eron zögert nicht lange und nimmt vor allen anwesenden Menschen seine menschliche Gestalt an. Lamberts Männer staunen nicht schlecht.
„Kannst du wirklich auf einen wehrlosen Mann schießen, Lambert?", fragt Eron ernst und hebt die Arme hoch.
„Erstens bist du nicht wehrlos und zweitens habe ich schon viel Schlimmeres für weniger Aufwand getan."
„Das glaube ich dir gerne", kontert Eron mit einem sarkastischen Lächeln auf den Lippen. „Also willst du mich genauso in die Verdammnis schicken, wie meinen Vater damals? Nur zu! Doch wenn du das tust, wirst du deines Lebens nicht mehr froh. Es wird einen Aufstand geben, wie du ihn noch nie erlebt hast."
Lamberts Lachen hallt über den ganzen Berg.
„Glaubst du wirklich sie würden auch nur einen Finger für dich krumm machen? Wo sind sie denn alle, deine Freunde? Warum helfen sie dir jetzt nicht? Ich sage es dir: Weil sie eingesehen haben, wie sinnlos es ist gegen mich zu kämpfen."
Das glaubt er doch wohl selber nicht. Lambert hat keine Ahnung wie viele Feinde er wirklich dort draußen hat. Leider weiß er auch nicht was er zerstören möchte. Eron muss unbedingt verhindern, dass er auch nur in die Nähe des Lebensbaumes kommt. Heute war er schon viel zu nahe.
„Nur du bist mir noch im Weg, Eron! Ich dachte nach eurem letzen Versuch mich aufzuhalten, hättet ihr etwas gelernt. Anscheinend seid ihr noch dümmer als ich dachte. Doch keine Sorge, ich werde dich gleich zu deinem Vater ins Jenseits schicken."
Lambert spricht seinen letzten Satz unheimlich gereizt aus und seine Augen quellen auf. Sein Finger zuckt schon nervös am Abzug.
Er wird wirklich auf Eron schießen. Eron sieht hinter sich die steile Klippe hinunter. Dort geht es einige hundert Meter tief nach unten. Die dichten Nadelbäume lassen das Tal fast wie ein schwarzes Meer erscheinen.
Eron zögert noch, doch eigentlich will er Lambert nicht das Vergnügen gönnen ihn umzubringen. Da springt er lieber freiwillig in den Tod und in seiner jetzigen Form wäre ihm dieser Gewiss.
Langsam tritt er rückwärts an den Rand. So einfach lässt er sich nicht von einem Menschen töten. Er richtet den Blick wieder auf Lambert und dann sieht er nach oben. Ein Schwarm Krähen fliegt im Kreis und wirft seltsame Schatten auf die Steine. Die Sonne blendet und Eron sieht schnell wieder geradeaus.
„Lebewohl, Bestie!"
Das sind Lamberts letzte Worte bevor er den Finger am Abzug zurück zieht.
Im selben Moment stürzt sich ein fauchender Schatten von den oberen Felsen hinunter direkt auf Eron und verhindert so, dass er von der Kugel getroffen wird.
Lui!
Das ist Erons einziger Gedanke, als er das rotbraune Fell seines kleinen Bruders erkennt. Der Wolf hat ihm das Leben gerettet. Gleichzeitig hat er die Entfernung zum Abhang überschätzt. So fallen Eron und Lui mit einigen Steinen in die Tiefe.
Aus der Ferne hört er jemanden nach ihm rufen. Doch Eron sieht nur noch wie die steilen Felsen an ihm vorbei fliegen und das schwarze Meer aus Bäumen bedrohlich näher kommt.
Was sind die letzten Gedanken bevor man dem Tod ins Auge blickt? Sieht man die Bilder seines Lebens noch einmal oder ist der Kopf vollkommen leer?
In Erons Fall kann man beides verneinen. Sein einziger Gedanke gilt dem kleinen Wolf der hilflos mit ihm in die Tiefe stürzt.
„Lui!"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top