14. 𝒁𝒘𝒆𝒊 𝑭𝒓𝒆𝒖𝒏𝒅𝒆 𝒖𝒏𝒅 𝒆𝒊𝒏 𝑾𝒐𝒍𝒇
Es wird etwas passieren. Ich spüre es ganz deutlich. Die Untaten von Monsieur Lambert bleiben nicht ungesühnt.
Doch Eron spricht nicht mehr darüber. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das Thema einfach abgehakt hat. Allerdings verbirgt er seine Sorgen und seine Wut, wenn ich bei ihm bin. Das macht es jedoch nicht ungeschehen.
Was hat er vor? Wird er wieder versuchen Lambert etwas anzutun? Oder werden die anderen Wölfe etwas an seiner Stelle unternehmen?
Es bleibt mir kaum Zeit darüber nachzudenken. Denn mein Leben geht weiter.
Ich habe immer noch keinen Job. Dabei sollte ich mich mal langsam darum kümmern. Auch Eron sollte seine Pflichten bei Trevor nicht vernachlässigen. Er hat eh schon einen schweren Stand bei ihm.
Für den Nachmittag haben sich Maren und Sascha für einen Besuch angemeldet. Ich freue mich auf meine besten Freunde. Dabei waren sie doch erst an meinem Geburtstag da. Vielleicht haben sie mir etwas wichtiges aus der Stadt zu erzählen.
Jedenfalls räume ich noch ein paar Pflanzen um, sauge einmal durch und begebe mich dann in die Küche, um einen Kuchen zu backen. Leider gelingt mir das neue Rezept nicht auf Anhieb und so wandert der erste Kuchen in die Tonne.
Nach drei Stunden in der Küche, bin ich ziemlich fertig. Meine Haare sehen wie immer aus wie ein Saustall und ich benötige dringend eine Dusche.
Um Drei klingelt es an der Tür und ich habe es gerade noch rechtzeitig geschafft mit allem fertig zu werden. Dieses Mal ist auch der Kuchen was geworden.
„Hallo, ihr zwei!", grüße ich freundlich, als mich die blassen Gesichter meiner beiden Freunde angrinsen.
„Hey Nisha! Wie geht's?"
Ich lasse die beiden auf der Couch Platz nehmen und wir versinken zunächst im lockeren Smalltalk.
„Was gibt es neues in der Großstadt?"
„Ach, nicht viel. Ich soll dir etwas von deinen Eltern ausrichten. Ich bin letztens deiner Mutter im Supermarkt begegnet. Da hat sie mir gesagt ich solle dir ausrichten, dass du dich mal wieder in der Heimat blicken lassen sollst."
Oh ja, das sollte ich. Ich habe meine Eltern seit meinem Umzug nicht gesehen.
„Da dein Vater arbeiten muss, können sie dich noch nicht besuchen, hat sie gesagt."
Ich habe schon ein bisschen ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Eltern im letzter Zeit etwas vernachlässigt habe. Ich habe mich so sehr um Eron und seine Probleme bemüht, dass alles andere für mich unwichtig geworden ist.
Es klingelt an der Tür.
„Nisha, erwartetest du noch jemanden?"
„Nein, eigentlich nicht."
Neugierig gehe ich an die Tür und staune nicht schlecht, als ich zwei Sekunden später in ein Paar goldbraune Augen sehe.
„Eron!"
„Entschuldige die Störung, ich weiß du hast Besuch, Nisha."
„Schon okay, komm doch herein."
Kaum betritt mein außergewöhnlicher Nachbar die Wohnung, reckt Maren den Hals und beäugt ihn neugierig.
Sascha ist auch neugierig, versucht es sich aber nicht so anmerken zu lassen.
„Du kennst meine besten Freunde noch nicht. Also du kennst sie vielleicht schon, ich habe sie dir nur noch nicht offiziell vorgestellt. Das sind Maren und Sascha."
Die Beiden grüßen freundlich nach einem verhaltenen Nicken von Eron.
Maren sollte mal ihr Lächeln etwas herunter schrauben.
„Hallo", sagt Eron leise. Ich weiß er mag keine Menschen. Doch der Anstand gebietet es mir ihn vorzustellen.
„Was kann ich für dich tun?", will ich nach der komischen Vorstellungsrunde wissen.
„Hast du eine Schere? Ich habe meine aus Versehen zerstört."
Er kramt in seiner offenbar sehr tiefen Hosentasche und holt zwei Teile einer einfachen Küchenschere hervor.
Ich weiß, dass er stark ist, doch das sieht fast nach Absicht aus. Deshalb zucke ich leicht skeptisch mit einer Augenbraue.
„Was willst du denn damit machen? Kann ich sicher sein, dass ich meine Schere heile zurück bekomme?", frage ich argwöhnisch.
Eron nickt. Ist auch nicht wichtig. Wenn er sie zerstört, muss er sie mir ersetzen. Ganz einfach.
Ich gehe in die Küche und hole die Schere. Doch bevor ich sie ihm gebe mustere ich ihn eindringlich. Ich finde das könnte mein neues Hobby werden.
„Du hast immer noch nicht gesagt, wozu du sie brauchst."
„Haare schneiden."
Er deutet mit dem Zeigefinger auf seine langen Zotteln.
Ich bin verblüfft. Ist das sein Ernst?
„Hast du überhaupt eine Ahnung wie das geht?", fragt Maren belustigt.
„Einfach abschneiden", antwortet Eron wie selbstverständlich.
Meine Freunde müssen lachen und schütteln den Kopf.
„Mal ehrlich Eron, warst du jemals beim Friseur?"
Warum stelle ich diese Frage überhaupt. Natürlich war er das nicht. Die Leute in der Stadt können ihn nicht leiden und er kann die Menschen nicht leiden.
Ich seufze und deute auf einen der Stühle am Esstisch.
„Bitte setz dich. Wenn ich wieder zulasse, dass du das selber machst, werde ich mir das nie verzeihen."
Was für eine schöne Gelegenheit. Ich kann mich nützlich machen und noch etwas Zeit mit ihm verbringen. Ich grinse in mich hinein.
Eron zögert, doch ich schiebe ihn vorwärts und drücke ihn sachte nach unten, damit er sich setzt.
„Sorry Leute, aber das kann ich nicht zulassen."
„Schon gut, mach nur", meint Maren grinsend. Sie kann meine Motive vermutlich ergründen.
„Weißt du denn was du tust?", fragt Eron mich, als ich ihm ein großes Handtuch um die Schultern lege.
Er soll sich bloß nicht anstellen. Es kann nicht schlimmer werden als jetzt.
Ich brauche fast eine Stunde für den gesamten Haarschnitt. Der Mann hat mehr Haare auf dem Kopf, als ich dachte. Naja, er ist ja auch ein Wolf.
Währenddessen versuchen Sascha und Maren ihn in ein harmloses Gespräch zu verwickeln. Allerdings ist das nicht so einfach, denn Eron antwortet nur verhalten. Kann er sie nicht leiden?
Als ich endgültig fertig bin mit Haareschneiden, geht Eron auf den Balkon und schüttelt seine Haare kräftig aus, um die verbleibenden Schnitthaare loszuwerden.
Ich sehe ihm dabei zu. Dabei stelle ich mir einen großen, schwarzen Wolf vor, wie er sich das Fell schüttelt. Ich mag die Vorstellung.
Er richtet sich wieder auf und streift sich mit der Hand die Haare zurück. Ja, jetzt hat der arme Kerl wenigstens Frisur. Die Seiten sind etwas kürzer als am Oberkopf. Ich bin keine Friseurin, doch das habe ich gut hin bekommen.
„Wow! Jetzt sieht man erst richtig, was für ein attraktives Gesicht er hat", stellt Maren fest und mir steigt sofort die Röte ins Gesicht, denn sie hat recht. Ich fand ihn schon vorher irgendwie anziehend, doch er hat immer etwas raues und wildes an sich gehabt. Jetzt sieht er fast schon human aus.
Ich hoffe er fühlt sich damit wohl, auch wenn er nun mehr wie ein Mensch aussieht.
„Gefällt dir das jetzt besser?"
„Huh?"
Überrascht von seiner unerwarteten Frage, sehe ich ihn einen Augenblick zu lange an.
Hat er das für mich gemacht oder für sich? Ich werde nicht schlau aus ihm.
Ich nicke nur verlegen und sehe zur Seite. Dann räume ich die Schere wieder in die Küchenschublade und suche nach dem Kehrblech im Schrank.
Maren folgt mir nach einem Augenblick und stupst mich an die Schulter.
„Das hast du gut gemacht. Scheint, als würdest du ihm langsam näher kommen."
Ich nicke vorsichtig. Leider nur langsam, da er nicht wie normale Menschen ist. Er ist verschlossen und vertraut nicht jedem Menschen. Dass er mich heute seine Haare hat schneiden lassen, ist schon ein großer Vertrauensbeweis. Selbst Menschen tun sich damit manchmal schwer.
„Sag mal Maren, findest du ihn seltsam?"
Sie schaut mich fragend mit ihren großen Augen an.
„Wir meinst du das?"
„Nun ja, fühlst du dich in seiner Nähe wohl?"
Sie denkt kurz darüber nach.
„Sollte ich das nicht?"
„Doch, es ist nur...weil er so anders ist."
„Anders ist doch nicht schlimm. Ich finde ihn etwas sehr introvertiert, aber er taut vielleicht noch auf. Trotzdem ist er höflich und er scheint dich zu mögen."
„Ich weiß nicht, ob er das tut", gestehe ich nachdenklich und stelle das Blech auf das Küchenbüffet. Dort herrscht immer noch Chaos vom Backen.
„Du magst ihn jedenfalls, das sehe ich dir an."
„Ich mag ihn zunehmend. Weißt du, er hat es nicht leicht hier in der Stadt. Ich möchte ihm so gerne zu verstehen geben, dass er mir vertrauen kann und dass ich ihm helfen will."
„Helfen? Wobei?"
Ich kann Maren nicht alles erzählen.
„Ach nur bei so einer Sache. Er verdient jemanden, der ehrlich zu ihm ist. Doch er hat immer nur Ablehnung erfahren, was ihn dazu gebracht hat so verschlossen und misstrauisch zu werden."
„Verstehe."
Mehr antwortet meine Freundin nicht darauf. Was soll sie auch schon sagen.
Ich bin ja schon froh mich überhaupt jemandem anvertrauen zu können. Wir haben immer über solche Sachen gesprochen. Die Entfernung zwischen uns, sollte das nicht verhindern.
„Hab Geduld, Nisha. Er wird erkennen, dass du ein aufrichtiger und netter Mensch bist. Ich bezeichne dich nicht umsonst als meine allerbeste Freundin. Denk an das Album und all die Dinge, die wir zusammen durchgemacht haben."
Ja das tu ich. Nur irgendwie habe ich das Gefühl, dass mich hier in Allmende noch Größeres erwartet. Erst recht nach dem, was ich in jener Nacht gesehen habe. Erons Warnung an Lambert liegt mir heute noch ihm Ohr. Bald wird etwas geschehen. Nur was? Wird es wieder Tote geben?
Ich seufze leise und Maren legt mir tröstend den Arm um die Schulter.
„Oje, da hat sich aber jemand richtig verknallt."
Das war eigentlich nicht der Grund für mein Seufzen, doch leugnen kann ich es nicht. Je mehr ich über Eron erfahre und je mehr Zeit ich mit ihm verbringe, desto mehr fühle ich mich zu ihm hingezogen.
„Na komm, räumen wir noch eben auf. Du solltest dir den Haarschnitt auch bezahlen lassen."
„Ach Quatsch", lehne ich halb lachend ab. Für sowas nehme ich kein Geld. Erst recht nicht von Eron.
Wir gehen beide lachend zurück ins Wohnzimmer, doch als ich Erons Blick begegne, gefriert mein Lächeln auf meinem Gesicht und schlagartig wird mir etwas bewusst. Ich habe eine ganz wichtige Sache total vergessen:
Er hat mich gerade gehört! Alles was ich zu Maren gesagt habe, hat er gehört. Wie konnte ich nur seine übermenschlichen Sinne vergessen.
Sein etwas kläglicher Gesichtsausdruck lässt mich auf meine Unterlippe beißen. Es sieht nicht so aus als freue er sich über meine Worte. Verdammt! Habe ich ihn denn so sehr missverstanden? Bin ich einfach zu voreilig gewesen? Er vertraut mir langsam. Ich sollte dieses Vertrauen nicht missbrauchen und zu viel von ihm erwarten. Zudem bin ich ein Mensch. Diese Tatsache kann ich einfach nicht außer acht lassen. Eron mag keine Menschen und würde vermutlich niemals so weit gehen sich in einen zu verlieben. Vertrauen hin oder her.
Wenn ich so darüber nachdenke, wird mir bewusst, dass ich schon verloren habe. Menschen und Gestaltwandler...das wird niemals funktionieren.
„Willst du auch mal den Kuchen probieren, Eron?", fragt Maren und greift schon nach dem Besteck.
„Danke, ich muss gehen."
„Was denn, schon? Also du kannst dich ruhig noch ein wenig zu uns setzen."
Maren sollte ihn nicht nötigen. Er fühlt sich bestimmt unwohl meinetwegen.
„Lass ihn, Maren. Er hat noch zu tun."
Sie schaut verwirrt zwischen ihm und mir hin und her. Auch Sascha beäugt uns mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck.
„Danke fürs Haare schneiden, Nisha. Ich werde das bei nächster Gelegenheit wieder gut machen."
Er schenkt mir ein unsicheres Lächeln und begibt sich dann Richtung Tür. Dort dreht er sich noch einmal zu meinen Freunden um und verabschiedet sich standesgemäß.
Ich lasse das Kehrblech fallen und sinke stöhnend auf die Couch.
Ich könnte fluchen. Wie dumm kann man denn bitte werden?
„Alles okay, Nisha?"
Sascha klingt besorgt und beugt sich vor.
Ich nicke zwar, weiß aber genau, dass nicht alles okay ist. Ich habe gerade Eron unfreiwillig gestanden, dass ich ihn mag und seine Reaktion darauf war niederschmetternd. In meiner Brust tut sich ein großes schwarzes Loch auf.
„Sie hat sich in Eron verguckt", erklärt Maren für mich. Sie soll bitte still sein. Eron kann uns immer noch hören. Nur wissen Maren und Sascha nicht, dass er ein Wolf ist. Deshalb quatschen sie munter weiter über ihn. Ich halte mich weitestgehend aus dieser Unterhaltung raus. Daher beginne ich etwas Ordnung in meiner Bude zu schaffen.
„Ich verstehe euch Frauen einfach nicht. Der Typ ist doch irgendwie merkwürdig. Was findet ihr an ihm."
Also findet Sascha ihn komisch. Dann geht es ihm wie vielen Leuten in Allmende, deren natürlicher Instinkt ihnen sagt vor Eron Angst zu haben.
„Er ist nicht merkwürdig, nur etwas verschlossen."
Ihn Saschas Augen ist ein zurückhaltender Mann ein Schwächling. Doch nicht jeder Mann muss immer Kraft zeigen, um stark zu sein. Eron ist stärker und mutiger, als er denkt. Allein sich unter die Menschen zu mischen und dort fünf Jahre lang auszuhalten, obwohl man von allen nur wie Dreck behandelt wird. Dazu gehört Stärke und er hat den Mut sich Lambert entgegen zu stellen.
„Ich weiß nicht. Ich fühle mich seltsam unruhig in seiner Gegenwart", erklärt Sascha und nimmt sich noch ein Stück vom Kuchen. Er hat mal wieder einen gesegneten Appetit.
„Diese Augen sind unheimlich. Ich habe noch niemals jemanden mit solchen Augen gesehen. Sie sehen mich immer so misstrauisch an, obwohl er mich doch gar nicht kennt."
„Okay, ich muss zugeben, er hat schon besondere Augen. Allerdings finde ich ihn nicht unheimlich, Sascha."
So entbrennt eine kleine Diskussion zwischen den Beiden.
„Ich traue ihm nicht."
Mein lautes Seufzen unterbricht meine Freunde. Sie schauen besorgt zu mir.
Alles was mich beunruhigt, ist dass Eron jedes Wort mithören kann.
Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass Sascha seine Gedanken für sich behält. Doch gute Freunde sagen immer die Wahrheit, auch wenn sie manchmal weh tut.
Zum aller ersten Mal in meinem Leben, freue ich mich, als die beiden mich endlich wieder alleine lassen. Niedergeschlagen räume ich die Küche auf. Wieso musste ich mich ausgerechnet in einen Gestaltwandler verlieben? Wann ist das überhaupt passiert? Als ich herausgefunden habe, dass er sich in einen Wolf verwandeln kann, oder schon viel früher?
Vielleicht war es auch der Moment, als er mir gesagt hat, dass ich ihm sympathisch werde und dass er mir vertraut. Ich kann es nicht sagen. Ich weiß nur, dass es auf einmal so ist. Ich habe keinerlei Angst mehr vor ihm. Eron würde mich niemals verletzen.
Deprimiert wische ich mir den Schweiß von der Stirn. Ich habe keine Kraft mehr den Rest aufzuräumen. Also schmeiße ich mich gegen Acht Uhr wieder aufs Sofa und überlege, wie ich mich von meinen lästigen Gedanken ablenken kann. Ich schalte den Fernseher ein und starre auf den Bildschirm. Allerdings bekomme ich nicht viel vom Programm mit.
Ich möchte am liebsten was essen. Ich habe das Bedürfnis den restlichen Kuchen zu vernichten - was so in etwa die Hälfte ist.
So wandert ein Stück nach dem anderen in meinen Schlund. Manchmal braucht man das.
Irgendwann bin ich so vollgestopft, dass ich mich mit Bauchschmerzen auf dem Sofa zusammenrolle. Vielleicht habe ich doch ein bisschen zu viel gegessen.
Zwei Stunden nach dem Verzehr wird mir so kotzübel, dass ich mich ins Badezimmer stürze und über der Kloschüssel übergebe. Das habe ich jetzt davon.
Aus Frust zu essen, kann gar nicht gut gehen. Schade nur um den Kuchen.
Ich hänge eine halbe Stunde über der Schüssel und bereue es mich so gehen gelassen zu haben.
„Eigentlich solltest du es besser wissen, Nisha", tadle ich mich selbst und wasche mir den Mund. Anschließend putze ich mir gründlich die Zähne und mache mich bettfertig.
Ich fühle mich müde und geschlaucht. Als hätte ich den ganzen Tag Bäume ausgerissen.
Gerade als ich den Fernseher ausschalte, klopft es an der Haustür.
Wer klopft denn jetzt noch? Moment, könnte das Eron sein? Warum würde er so spät noch was von mir wollen? Ein Blick auf meinen Wecker zeigt, dass es kurz vor Mitternacht ist.
Ich zögere. Eigentlich will ich ihm nicht gegenüber treten. Das könnte sehr unangenehm werden.
Es klopft wieder.
„Nisha, bitte mach auf. Ich muss dir etwas sagen."
Es ist tatsächlich Eron.
„Ich weiß, dass du noch wach bist. Also bitte hör mir zu. Es ist wichtig."
Was könnte denn jetzt so wichtig sein?
Zögernd begebe ich mich zur Tür und lasse ihn herein.
„Geht's dir gut?", fragt er als erstes.
Mir ist immer noch etwas übel, aber es geht mir schon besser. Also nicke ich, ohne ihn anzusehen.
„Du bist total blass, Nisha. Ist wirklich alles okay?"
Warum kümmert es ihn überhaupt? Außerdem weiß er doch schon längst, dass ich in meinem Kummer einen halben Kuchen verdrückt und mich deshalb übergeben habe. Soll ich ihm das etwa ins Gesicht sagen?
Dieser Wolf hat echt kein Taktgefühl.
Eron versteht endlich, dass ich ihm keine Antwort darauf geben kann beziehungsweise möchte.
„Es tut mir leid, Nisha..."
„Es soll dir nicht leid tun. Ich habe einen Fehler gemacht. Wenn du gekommen bist, um darüber zu reden, dann bitte ich dich es abzuhaken..."
„Nisha," unterbricht mich Eron und legt seine großen Hände auf meine Schultern, „ich möchte nicht, dass du mich falsch verstehst. Ich will nicht über das reden, was du vorhin zu Maren gesagt hast. Es war eh nicht gedacht, dass ich das schon höre, also werde ich so tun, als hätte ich das nicht gehört."
„Wie soll das gehen? Du hast es nun mal gehört."
„Ich brauchte es nicht von dir zu hören, um es zu wissen."
Was? Heißt das etwa, er hat es schon gewusst?
„Ich sagte ja, ich kann deinen Herzschlag hören."
Also doch. Oje, ist das peinlich. Bitte lass sich irgendwo ein Loch auftun, in dem ich mich verkriechen kann.
„Aber deswegen bin ich nicht hier."
„Weshalb dann?", will ich verdutzt wissen.
„Kannst du für ein paar Tage die Stadt verlassen?"
„Hä?"
„Da draußen braut sich was zusammen. Jaques hat mich gewarnt, dass die Wölfe sich in der Nähe von Allmende versammeln. Ich weiß nicht genau was sie vorhaben, weil sie mich aus ihren Köpfen ausschließen. Doch wenn etwas passiert und sie auf Unschuldige losgehen, möchte ich nicht, dass du in der Stadt bist."
„Und was wirst du dann machen? Wirst du versuchen sie aufzuhalten?"
„Ich alleine kann da nichts ausrichten. Das wäre glatter Selbstmord."
Das beruhigt mich etwas. Ich könnte niemals die Stadt verlassen, wenn ich wüsste, dass Eron in Gefahr ist.
„Haben deine Freunde nicht von deinen Eltern gesprochen? Du könntest zu ihnen gehen."
Sicher könnte ich das. Ich wollte sie eh bald besuchen.
„Und du?"
„Ich werde mit dir kommen, um auf dich aufzupassen."
Jetzt fällt mir doch glatt die Kinnlade herunter. Habe ich mich gerade verhört?
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